FDP-Fraktion - FDP|
15.03.2013 - 01:00LINDNER-Interview für die "Stuttgarter Zeitung"
Berlin. Der stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende CHRISTIAN LINDNER gab der "Stuttgarter Zeitung" (Freitag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte THOMAS MARON: Frage: Herr Lindner, auf dem Parteitag haben die beiden Südwest-Liberalen Birgit Homburger und Dirk Niebel, der sich zuvor offen gegen Rösler gestellt hatte, empfindliche Niederlagen erlitten. Woran lag es? LINDNER: Der Parteitag war ein reinigendes Gewitter. Wettbewerb ist in einer liberalen Partei normal. Birgit Homburger ist eine sehr kompetente Kollegin, die weiter im Präsidium mitwirkt und die als Landesvorsitzende Gewicht hat. Wir arbeiten vorzüglich zusammen. Der Parteitag hat auch über verschiedene Initiativen von Dirk Niebel geurteilt. Mit diesem Urteil ist die Vergangenheitsbewältigung aber beendet. Frage: War es klug, im Bundestagswahljahr den Südwesten zu schwächen? LINDNER: Baden-Württemberg ist unser Stammland, weil die Mentalität im Südwesten FDP pur ist. Dieser starke Landesverband hat alle seine Kandidaten im erweiterten Bundesvorstand mit sehr guten Ergebnissen untergebracht. Das Wahlergebnis von Dirk Niebel hatte nichts mit seiner Herkunft zu tun, sondern mit Äußerungen und anderem. Für mich ist das bewertet und abgehakt. Jetzt kämpfen die stärksten Landesverbände Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen Schulter an Schulter dafür, dass Deutschland weiter aus der Mitte regiert wird. Frage: Volker Kauder will die CDU-Debatte über Homo-Ehen abbrechen. Beeindruckt Sie das? LINDNER: Realitäten kann niemand ignorieren. Die Menschen werden diese Diskussion nicht auf Zuruf eines von mir geschätzten Fraktionsvorsitzenden abbrechen. Wenn ein Paar füreinander Verantwortung übernimmt, sollte dem Staat egal sein, welches Geschlecht es hat. Es ist doch gerade bürgerliche Politik, die individuelle Verantwortungsübernahme zu fördern. Ich jedenfalls will keine Vereinzelung in unserer Gesellschaft. Also muss man selbst gewählten sozialen Bindungen die Anerkennung zollen, die sie verdienen. Frage: Wie groß ist der Unmut bei Ihnen? LINDNER: Auch wir haben Themen, mit denen wir uns schwertun. Deshalb habe ich Respekt vor der Union. Ich halte es aber für das falsche Thema, um zu zeigen, dass es noch Konservatismus bei der Union gibt. Offensichtlich fällt der CDU die Sozialdemokratisierung der Wirtschaftspolitik leichter als die Liberalisierung ihrer Gesellschaftspolitik. Dabei geht es gar nicht um das Sakrament der Ehe, sondern um Gleichberechtigung für eingetragene Lebenspartnerschaften. Die Koalition sollte sich nicht vom Bundesverfassungsgericht treiben lassen, sondern auf den gemeinsamen bürgerlichen Kompass schauen. Frage: Lässt sich das bei weiteren Abstimmungen im Bundestag überhaupt noch steuern? LINDNER: Union und FDP haben eine Gemeinsamkeit: Beide haben allein keine Mehrheit im Bundestag. Wechselnde Mehrheiten sind in einer Koalition aber ausgeschlossen. Die Konsequenz daraus ist, dass man aufeinander Rücksicht nehmen muss. Frage: Ist die Gleichstellung der Homo-Ehe nicht letztlich eine Gewissensfrage? LINDNER: Die steuerliche Gleichstellung, die ich persönlich unterstütze, bewerte ich anders als zum Beispiel eine Debatte über Natur und Wesen des Menschen, wie wir sie bei der Stammzellenforschung hatten. Frage: Also keine Gewissensfrage? LINDNER: Für mich nicht. Frage: Wäre ein fraktionsübergreifender Gruppenantrag im Bundestag, wie er aus Ihren Reihen vorgeschlagen wurde, eine Lösung? LINDNER: Wenn CDU/CSU in dieser Verfahrensfrage gesprächsbereit wären, dann könnte ein Gruppenantrag eine Möglichkeit sein. Für die Union könnte das eine goldene Brücke sein, da sie selbst ja intern Konflikte hat. Frage: Die Partei sträubt sich, so wie die Parteiführung über Mindestlöhne nachzudenken. Wie wollen Sie überzeugen? LINDNER: In der Frage führen wir eine offene Debatte über veränderte Realitäten. Ich bin unverändert gegenüber politischen Eingriffen in die Lohnfindung skeptisch. Aber ich sehe, dass die Tarifbindung zurückgeht. Das lässt mich als Liberalen nicht kalt. Denn ohne Tarifbindung tritt der einzelne Arbeitnehmer, insbesondere der gering Qualifizierte, allein Arbeitgebern gegenüber. Der Sinn von Tarifverträgen ist, dass der Einzelne sich eben nicht allein in Verhandlungen mit Arbeitgebern behaupten muss. Wo das nicht mehr gegeben ist, brauchen wir Lösungen, damit die Schwächeren auf dem Arbeitsmarkt nicht unter dem Machtdiktat des Stärkeren leiden müssen. Nicht in Baden-Württemberg, weil hier nahezu Vollbeschäftigung herrscht, aber anderswo. Über Antworten darauf werden wir bis zu unserem nächsten Parteitag im Mai beraten. Sie sollten in jedem Fall die Tarifhoheit achten und die Politik außen vor lassen. Frage: Brüderle will das Thema im Koalitionsausschuss kommende Woche bereits besprechen. Geht das ohne das Votum der Partei? LINDNER: Ein Gedankenaustausch ist immer gut. Entscheidungen wird es aber nicht vor unserem Bundesparteitag geben können. Eines vorweg: was mit der FDP sicher nicht geht, ist ein von Politikern beschlossener Einheitslohn, der für alle Branchen von Flensburg bis Freiburg gilt, ohne Ausnahme für Auszubildende und gering Qualifizierte. Der führt zu Arbeitslosigkeit.
LINDNER-Interview für die "Stuttgarter Zeitung"
Berlin. Der stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende CHRISTIAN LINDNER gab der "Stuttgarter Zeitung" (Freitag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte THOMAS MARON: Frage: Herr Lindner, auf dem Parteitag haben die beiden Südwest-Liberalen Birgit Homburger und Dirk Niebel, der sich zuvor offen gegen Rösler gestellt hatte, empfindliche Niederlagen erlitten. Woran lag es? LINDNER: Der Parteitag war ein reinigendes Gewitter. Wettbewerb ist in einer liberalen Partei normal. Birgit Homburger ist eine sehr kompetente Kollegin, die weiter im Präsidium mitwirkt und die als Landesvorsitzende Gewicht hat. Wir arbeiten vorzüglich zusammen. Der Parteitag hat auch über verschiedene Initiativen von Dirk Niebel geurteilt. Mit diesem Urteil ist die Vergangenheitsbewältigung aber beendet. Frage: War es klug, im Bundestagswahljahr den Südwesten zu schwächen? LINDNER: Baden-Württemberg ist unser Stammland, weil die Mentalität im Südwesten FDP pur ist. Dieser starke Landesverband hat alle seine Kandidaten im erweiterten Bundesvorstand mit sehr guten Ergebnissen untergebracht. Das Wahlergebnis von Dirk Niebel hatte nichts mit seiner Herkunft zu tun, sondern mit Äußerungen und anderem. Für mich ist das bewertet und abgehakt. Jetzt kämpfen die stärksten Landesverbände Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen Schulter an Schulter dafür, dass Deutschland weiter aus der Mitte regiert wird. Frage: Volker Kauder will die CDU-Debatte über Homo-Ehen abbrechen. Beeindruckt Sie das? LINDNER: Realitäten kann niemand ignorieren. Die Menschen werden diese Diskussion nicht auf Zuruf eines von mir geschätzten Fraktionsvorsitzenden abbrechen. Wenn ein Paar füreinander Verantwortung übernimmt, sollte dem Staat egal sein, welches Geschlecht es hat. Es ist doch gerade bürgerliche Politik, die individuelle Verantwortungsübernahme zu fördern. Ich jedenfalls will keine Vereinzelung in unserer Gesellschaft. Also muss man selbst gewählten sozialen Bindungen die Anerkennung zollen, die sie verdienen. Frage: Wie groß ist der Unmut bei Ihnen? LINDNER: Auch wir haben Themen, mit denen wir uns schwertun. Deshalb habe ich Respekt vor der Union. Ich halte es aber für das falsche Thema, um zu zeigen, dass es noch Konservatismus bei der Union gibt. Offensichtlich fällt der CDU die Sozialdemokratisierung der Wirtschaftspolitik leichter als die Liberalisierung ihrer Gesellschaftspolitik. Dabei geht es gar nicht um das Sakrament der Ehe, sondern um Gleichberechtigung für eingetragene Lebenspartnerschaften. Die Koalition sollte sich nicht vom Bundesverfassungsgericht treiben lassen, sondern auf den gemeinsamen bürgerlichen Kompass schauen. Frage: Lässt sich das bei weiteren Abstimmungen im Bundestag überhaupt noch steuern? LINDNER: Union und FDP haben eine Gemeinsamkeit: Beide haben allein keine Mehrheit im Bundestag. Wechselnde Mehrheiten sind in einer Koalition aber ausgeschlossen. Die Konsequenz daraus ist, dass man aufeinander Rücksicht nehmen muss. Frage: Ist die Gleichstellung der Homo-Ehe nicht letztlich eine Gewissensfrage? LINDNER: Die steuerliche Gleichstellung, die ich persönlich unterstütze, bewerte ich anders als zum Beispiel eine Debatte über Natur und Wesen des Menschen, wie wir sie bei der Stammzellenforschung hatten. Frage: Also keine Gewissensfrage? LINDNER: Für mich nicht. Frage: Wäre ein fraktionsübergreifender Gruppenantrag im Bundestag, wie er aus Ihren Reihen vorgeschlagen wurde, eine Lösung? LINDNER: Wenn CDU/CSU in dieser Verfahrensfrage gesprächsbereit wären, dann könnte ein Gruppenantrag eine Möglichkeit sein. Für die Union könnte das eine goldene Brücke sein, da sie selbst ja intern Konflikte hat. Frage: Die Partei sträubt sich, so wie die Parteiführung über Mindestlöhne nachzudenken. Wie wollen Sie überzeugen? LINDNER: In der Frage führen wir eine offene Debatte über veränderte Realitäten. Ich bin unverändert gegenüber politischen Eingriffen in die Lohnfindung skeptisch. Aber ich sehe, dass die Tarifbindung zurückgeht. Das lässt mich als Liberalen nicht kalt. Denn ohne Tarifbindung tritt der einzelne Arbeitnehmer, insbesondere der gering Qualifizierte, allein Arbeitgebern gegenüber. Der Sinn von Tarifverträgen ist, dass der Einzelne sich eben nicht allein in Verhandlungen mit Arbeitgebern behaupten muss. Wo das nicht mehr gegeben ist, brauchen wir Lösungen, damit die Schwächeren auf dem Arbeitsmarkt nicht unter dem Machtdiktat des Stärkeren leiden müssen. Nicht in Baden-Württemberg, weil hier nahezu Vollbeschäftigung herrscht, aber anderswo. Über Antworten darauf werden wir bis zu unserem nächsten Parteitag im Mai beraten. Sie sollten in jedem Fall die Tarifhoheit achten und die Politik außen vor lassen. Frage: Brüderle will das Thema im Koalitionsausschuss kommende Woche bereits besprechen. Geht das ohne das Votum der Partei? LINDNER: Ein Gedankenaustausch ist immer gut. Entscheidungen wird es aber nicht vor unserem Bundesparteitag geben können. Eines vorweg: was mit der FDP sicher nicht geht, ist ein von Politikern beschlossener Einheitslohn, der für alle Branchen von Flensburg bis Freiburg gilt, ohne Ausnahme für Auszubildende und gering Qualifizierte. Der führt zu Arbeitslosigkeit.