FDP - FDP-Fraktion|
30.12.2012 - 01:00NIEBEL-Interview für den Deutschlandfunk
Berlin. Das FDP-Präsidiumsmitglied Bundesentwicklungsminister DIRK NIEBEL gab dem Deutschlandfunk heute das folgende Interview. Die Fragen stellte FRANK CAPELLAN:
Frage: Dirk Niebel, wir haben manchmal den Eindruck, dass Sie dem Ehrenvorsitzenden der FDP ein wenig nacheifern - Hans Dietrich Genscher, der während seiner Amtszeit den Ehrgeiz hatte - so hatte man damals die Vermutung - fast genau so oft in der Luft zu sein wie am Boden. Haben Sie eigentlich noch den Überblick, wie viele Länder Sie als Entwicklungsminister besucht haben?
NIEBEL: Ja, den Überblick habe ich, weil ich zu Hause eine kleine Strichliste führe. Aber ich kann wirklich versichern: Hans Dietrich Genscher war häufiger unterwegs, und nach allem, was ich lese, sind der Bundesaußenminister und der Verkehrsminister noch mehr unterwegs als ich.
Frage: Welche Reise hat sie denn in diesem Jahr besonders beeindruckt, welche hat besondere Eindrücke hinterlassen?
NIEBEL: Dieses Jahr waren sehr viele beeindruckende Reisen. Es ging los Anfang des Jahres mit dem Besuch in Myanmar, dem ehemaligen Birma - ein Land, das wie aus der Zeit gefallen erscheint. Und beeindruckend war in dem Übergangsprozess von Militärdiktatur hin zur Demokratie - noch vor den Wahlen hatte ich die Gelegenheit, Frau Aung San Suu Kyi zu treffen, ein wirklich persönlich beeindruckendes Erlebnis. Aber es waren auch Reisen dabei, die negativ beeindruckt haben, wie zum Beispiel jetzt kürzlich der Besuch in Israel bei Opfern des Hamas Raketenterrors und hinterher in Gaza. Und jetzt gerade vor Weihnachten, zwei Tage vor Weihnachten, den Anblick im Lager für syrische Flüchtlinge im Libanon - Beirut. Das nimmt man schon auch mit und muss man auch verarbeiten.
Frage: Ist das erschreckend zu sehen, wie machtlos auch die Politik ist gegenüber dem Treiben Assads?
NIEBEL: Ich glaube, wir sind nicht machtlos, wenn es darum geht, die Lebensbedingungen für die Menschen zu verbessern. Aber wenn man nicht die militärische Option wählt, und das wollen wir ausdrücklich nicht, dann ist man sehr eingeschränkt. Denn das würde bedeuten, dass in der gesamten Region das eskalieren könnte und noch ganz andere Staaten mit einbezogen werden würden. Und hier braucht verantwortliche Politik auch dann die notwendige Ruhe, um auf politische Lösungen hin zu arbeiten. Und genau das tut die Bundesregierung.
Frage: Die NATO hat in Libyen eingegriffen, nach Mali sollen deutsche Soldaten geschickt werden. Was ist anders in Syrien, warum sollte man militärisch nicht eingreifen?
NIEBEL: Nun, wir sehen, dass bei Libyen erstens Deutschland diesen Krieg nicht mitführen wollte, und zweitens, was daraus geworden ist, denn die vagabundierenden Truppen, teilweise auch Terrorgruppen, die gut ausgebildet und gut bewaffnet sind, im Norden Malis eingefallen. Und deswegen kann es in Mali neben der Stabilisierung der Lebensbedingungen der Menschen, wenn überhaupt, nur eine Ausbildungsmission geben, die es ermöglicht, dass eine afrikanische Eingreiftruppe hier wieder zur territorialen Integrität und zur verfassungsmäßigen Ordnung des Staates beiträgt. Und Syrien hat deshalb schon eine andere Dimension, weil Russland und China eigene Interessen in der Region haben und die Rolle des Iran noch relativ ungeklärt ist - insgesamt ein sehr, sehr differenziertes Lagebild, beides ist miteinander nicht vergleichbar.
Frage: Gibt es trotzdem einen Punkt, bei dem Sie sagen würden, jetzt ist die rote Linie überschritten, wir müssen auch militärisch etwas tun in Syrien?
NIEBEL: Ich bin nicht dafür zuständig die militärischen Fragen zu lösen. Ich glaube auch, wenn eine politische Lösung gefunden werden kann, muss man sich die Zeit nehmen für diese politische Lösung, weil es im Endeffekt Menschenleben schont.
Frage: Was kann denn Ihr Ressort, was können Sie als Minister tun, was kann die deutsche Politik tun, um dem Extremismus zu begegnen? Wir erleben ja die Radikalisierung, die Islamisierung - wir befürchten das in Syrien, in Ägypten, in Mali, im Gazastreifen. Was kann Entwicklungshilfe dabei tun?
NIEBEL: Die Entwicklungszusammenarbeit ist mit das schärfste Schwert gegen Terrorismus und Extremismus, weil wir die Möglichkeit haben, Menschen Perspektiven zu eröffnen. Deswegen zum Beispiel war ich jetzt neulich in Gaza, um dieses Klärwerk zu eröffnen, für das wir lange gekämpft haben, weil es dazu beiträgt, dass die Lebensbedingungen der Menschen verbessert werden - übrigens auch in Israel, wo die ungeklärten Fäkalien an den Strand gespült wurden. Aber ganz besonders in Gaza, wo das Trinkwasser verseucht wurde, wo die Umwelt verseucht wurde, wo Krankheiten herrschten aufgrund dieser Situation. Darüber hinaus die Schaffung von Bildungsmöglichkeiten, Teilhabemöglichkeiten, Stärkung einer Zivilgesellschaft - gerade in undemokratischen Systemen. Das stabilisiert. Und wenn jemand morgens aufsteht in Afghanistan, um arbeiten zu gehen, dann ist er weniger anfällig, wenn der Taliban an die Tür klopft und fragt, ob er mit zum Kämpfen kommt.
Frage: Aber zeigt nicht gerade die Entwicklung in Ägypten, wie machtlos auch die Entwicklungspolitik ist? Sie haben die Regierungskonsultationen ausgesetzt, Sie haben einen Schuldenerlass für Ägypten gestoppt, weil Sie eben eine weitere Islamisierung befürchten, weil Sie vor einer Diktatur in Kairo gewarnt haben.
NIEBEL: Nun, zunächst einmal haben wir die erste demokratisch gewählte Regierung in Ägypten. Dass es in eine Richtung geht, die unseren Vorstellungen nach einer freiheitlich demokratischen Grundordnung nicht 100 Prozent entspricht, das darf man klar feststellen.
Frage: Dürfen Sie dann, eben aus diesem Grund, dürfen Sie dann so reagieren, wie Sie es jetzt getan haben, dass man alles stoppt?
NIEBEL: Das zeigt ja gerade, welche Einflussmöglichkeiten wir durch die Entwicklungszusammenarbeit haben. Wir haben ja nicht alles gestoppt. Wir haben die Regierungsverhandlungen abgesagt, die hätten am 11. und 12. Dezember stattfinden sollen, haben aber die Maßnahmen, die wir per Regierungsplan durchführen wollten, per sogenannter Verbalnote zugesagt. Das heißt, die Menschen, unabhängig von der Regierungsform, leiden nicht darunter, dass diese Verhandlungen nicht stattgefunden haben.
Frage: Zeigt das Wirkung - Ihr Verhalten gegenüber Kairo?
NIEBEL: Es zeigt Wirkung, weil wir ja nicht die einzigen sind, die reagieren auf das, was passiert, sondern andere Staaten in einer internationalen Koordinierung weisen ja auch darauf hin, dass der Weg der Demokratisierung dringend fortgesetzt werden muss, insbesondere wenn man sieht, dass bei dem Verfassungskonvent, wo die Verfassung zwar eine große Mehrheit bekommen hat, aber nur 33 Prozent der Menschen überhaupt mitgemacht haben, ist das nicht die stabile Grundlage für eine starke Regierung, sondern es bedarf noch weiterer Schritte der Regierung, darauf hinzuwirken, dass der Demokratisierungsprozess vorangeht und hier kein Abdriften in einen islamistischen Unrechtsstaat zu befürchten ist. Da muss man auch zeigen, dass man als Partner darauf achtet, was vor Ort passiert und entsprechend seine Maßnahmen darauf ausrichtet.
Frage: Sehen Sie eine Möglichkeit darin - eine Chance, die Türkei möglichst bald in die Europäische Union aufzunehmen, um eben eine Brücke in die islamische Welt zu haben?
NIEBEL: Die Türkei spielt eine wichtige Rolle gerade bei dem Dialog zwischen Europa und der islamischen Welt. Und deswegen ist es gut, dass wir einen klaren Prozess haben mit der ergebnisoffenen Möglichkeit einer Aufnahme der Türkei in der Europäischen Union - die nach Abarbeitung aller jeweiligen Kapitel, die eröffnet worden sind, enden soll.
Frage: Der Außenminister, Ihr Parteifreund Guido Westerwelle, hat ja gerade gesagt, wir müssen das forcieren, wir müssen sehen, dass wir die Türkei nach Europa holen, sonst haben die bald kein Interesse mehr an Europa.
NIEBEL: Entscheidend ist, dass die Prozesse innerhalb der Europäischen Union schneller vonstatten gehen. Es dauert nach unserer Ansicht vieles zu lange, manches würden wir gerne früher erledigt haben. Aber der Prozess muss beibehalten werden. Das ist auch die Position des Außenministers, weil dieser international vereinbart ist.
Frage: Aber Sie würden sich derzeit noch nicht klar auf einen Beitritt der Türkei festlegen?
NIEBEL: Ich glaube, auch die Türkei würde sich derzeit noch nicht klar festlegen, ob sie beitreten möchte oder nicht. Das ist ja der Sinn des Prozesses, dass man sich gegenseitig annähert und Strukturen angleicht, dass man Werte miteinander diskutiert und hinterher eine klare Entscheidungsgrundlage hat.
Frage: Sie haben es angesprochen, Sie haben in diesem Jahr auch die Palästinensergebiete besucht. Ein früherer Besuch war Ihnen von israelischer Seite untersagt worden. Wäre es nicht konsequent gewesen, die Aufwertung der Palästinenser bei den Vereinten Nationen mitzutragen statt sich zu enthalten, so wie es Berlin getan hat?
NIEBEL: Nein, das war die richtige Entscheidung. Wir sind Vertreter einer Zwei-Staaten-Lösung, und wir glauben, dass alle einseitigen Schritte dieser Zwei-Staaten-Lösung zuwider laufen. Das ist einmal die Aufwertung des Staates der palästinensischen Autonomiebehörde, auf der anderen Seite ist es die Siedlungsbaupolitik der israelischen Regierung. Die läuft dem auch zuwider. Beides wird auch von der Bundesregierung öffentlich, und nicht nur jetzt, sondern regelmäßig kritisiert, denn jeder weiß, dass das Ergebnis für eine friedliche politische Lösung allein die Zwei-Staaten-Lösung sein kann. Und da sitzt der Verhandlungspartner für Jerusalem nicht in Berlin, auch nicht in New York oder London, sondern in Ramallah.
Frage: Wenn wir auf Ihre Arbeit als Entwicklungsminister zurückschauen in dieser Legislaturperiode, verabschiedet sich die Chefin der christlich-liberalen Koalition da nicht gerade von vielen Zielen, die ja auch Ihr Ressort betreffen? Wenn ich an die oftmals gerühmte "Klimakanzlerin" Angela Merkel denke und an das, was bei der Klimakonferenz in Doha herausgekommen ist, was ja weit unter den Erwartungen zurückgeblieben ist. Oder wenn ich auch an die sogenannte ODA-Quote denke, also, dass man 0,7 Prozent des Bruttoinlandsproduktes ausgeben möchte bis zum Jahr 2015 für die Entwicklungshilfe. Das sind doch Ziele, die nicht mehr zu erreichen sind?
NIEBEL: Ich glaube gerade, das Agieren der Bundesregierung in Doha hat dazu beigetragen, dass wir einem Kyoto-Nachfolgeprotokoll den Weg geebnet haben.
Frage: Einem Minimalkonsens.
NIEBEL: Wir hatten uns mehr gewünscht, das ist richtig. Aber ohne das Agieren der Bundesregierung und auch die Zusage, dass man das finanziell unterstützen wird mit 1,8 Milliarden Euro, wo ein Großteil ja aus meinem Etat kommen wird, war die Grundlage dafür, dass es überhaupt weitergeht. Und das ist besser, als wenn es gescheitert wäre. Was jetzt die sogenannte ODA-Quote anbetrifft, so ist das ein Versprechen, das erstmals getätigt wurde - da war ich sieben Jahre alt. Und diese Bundesregierung ist am ehesten an das Ziel herangekommen, wir sind mit über zehn Milliarden Euro zweitgrößter Geber weltweit in der Entwicklungszusammenarbeit und haben mit 0,4 Prozent der sogenannten ODA-Quote die höchste Quote seit der Wiedervereinigung erreicht. Der Bundestag als Haushalts-Gesetzgeber hat eine andere Prioritätensetzung gehabt. Und wenn der Bundestag sich entscheidet, die Haushaltskonsolidierung, die ich ebenso wichtig finde, prioritär zu behandeln, dann muss ich das akzeptieren, kann allerdings dann auch nur feststellen, dass für die Erreichung dieses Zieles in den nächsten zwei Jahren bis 2015 noch eine Etatsteigerung von ungefähr sieben Milliarden Euro notwendig ist.
Frage: Was utopisch ist.
NIEBEL: Das muss ich so feststellen. Umso wichtiger ist ja, dass ich in der Entwicklungszusammenarbeit umgesteuert habe, weg von der reinen Frage des Geldausgebens - viel hilft nämlich nicht immer nur viel -, hin zu der Frage der Wirksamkeit und der Effizienzsteigerung. Und hier haben wir in dieser Legislaturperiode wirklich Wegweisendes erzielt.
Frage: Sie würden am liebsten die Griechenlandhilfen mit hinzuzählen, dann könnte die Quote noch erhöht werden?
NIEBEL: Dann hätten wir sie doppelt übererfüllt wahrscheinlich. Griechenland hat ähnliche Probleme wie ganz viele andere Entwicklungsländer, wo wir tätig sind. Zum Beispiel beim Aufbau von Steuergesetzgebung, Steuerverwaltung, Umsetzung dieser Verwaltung, aber auch in anderen Bereichen der guten Regierungsführung. Und vieles, was wir dort leisten als Steuerzahlerin und Steuerzahler aus Deutschland, ist - wenn man es genau nimmt - klassische Entwicklungskooperation, selbst wenn Griechenland kein klassisches Entwicklungsland ist.
Frage: Herr Niebel, wie hoch schätzen Sie die Chance ein, auch am Ende des kommenden Jahres noch Minister sein zu dürfen?
NIEBEL: Ich schätze die Chance sehr hoch ein. Ich gehe davon aus, dass wir in Niedersachsen gut in den Landtag zurückkehren und die Regierungsbeteiligung erhalten können und auf dem Weg bis zur Bundestagswahl die Menschen sich klar werden über die Alternativen. Denn Frau Bundeskanzlerin Merkel hat ja völlig zu recht gesagt: Dies ist die erfolgreichste Regierung in der Geschichte der wiedervereinigten Bundesrepublik. Das merken die Menschen auch, selbst wenn sie es noch nicht emotional verarbeitet haben.
Frage: Merken sie es wirklich? Warum will nur noch eine Minderheit eine Fortsetzung dieser angeblich so erfolgreichen Bundesregierung?
NIEBEL: Sie merken es, wenn sie es vergleichen mit dem, was die potenziell Alternative ist. Und die potenzielle Alternative, das sind die Vorgaben von SPD und Grünen: Massive Steuererhöhungen für alle Bevölkerungsgruppen mit massivem Wohlstandsverlust für alle Bevölkerungsgruppen. Und die meisten interessieren sich erst in der letzten Phase vor der Bundestagswahl tatsächlich. Und dann interessieren sie sich über die inhaltlichen Unterschiede und werden merken, wer die bessere Variante ist. Und das ist die jetzige Bundesregierung.
Frage: Derzeit allerdings sprechen alle Umfragen gegen sie, auch gegen die Liberalen, gegen eine Fortsetzung dieser christlich liberalen Koalition. Können Sie sich vorstellen, auch in einer Ampel von SPD, FDP und Grünen Minister zu sein?
NIEBEL: Diese Bundesregierung ist, wie die Kanzlerin zu recht sagt, die erfolgreichste, die es bisher gegeben hat seit der Wiedervereinigung. Aus welchem Grund sollten wir so eine erfolgreiche Regierung beenden wollen? Das wäre überhaupt niemandem vermittelbar.
Frage: Warum haben Sie dann im Sommer gesagt: "Auch andere Mütter haben schöne Töchter!" - und sich also damit relativ offen für die Option einer Ampel ausgesprochen, so wie es auch Wolfgang Kubicki in Schleswig-Holstein tut?
NIEBEL: Nein, ich habe mich nicht für die Option einer Ampel ausgesprochen, sondern für den fairen Umgang in einer Koalition. Die Äußerungen, die Sie zitieren, kommen aus einer Phase, wo mehrere sehr unkollegiale Entscheidungen der Union im Bundesrat getroffen wurden, die dazu beitrugen, dass die FDP in ihrer Wirksamkeit in dieser Koalition zurückgeworfen wird. Und da muss man darauf aufmerksam machen, dass zu einer erfolgreichen gemeinsamen Koalitionsregierung immer auch die gegenseitige Achtung gehört. Und das war in der Phase nicht gegeben.
Frage: Wenn es nicht reichen sollte für Schwarz-Gelb, würden Sie denn dann diese Option in Erwägung ziehen, um Schwarz-Grün oder Schwarz-Rot zu verhindern, oder gilt das Wort von Franz Müntefering "Opposition ist Mist" für die FDP nicht mehr?
NIEBEL: Ich bin der festen Überzeugung, es reicht für Schwarz/Gelb. Und Ihre Frage suggeriert ja das, was in der Phase von Frau Ypsilanti - manche erinnern sich ja noch - der Fall war. Es gab mal eine Bundestagswahl, wo die FDP aufgefordert wurde, sie müsse umfallen, um ihrer staatsbürgerlichen Pflicht gerecht zu werden. Nein, die FDP hat Prinzipien und wir wollen bestimmte politische Inhalte umsetzen. Das kann man am besten in der Regierung, weil man in der Opposition nicht gestalten kann. Aber diese Inhalte sind das, was im Endeffekt entscheidet. Und da werden wir mit dem, was bisher an Forderungen auf dem Markt ist von SPD und Grünen, nicht glücklich werden - nicht als Partei und für die Bürgerinnen und Bürger erst recht nicht.
Frage: SPD und Grüne könnten sich ja bewegen. Also ausschließen könnten Sie aber auch nichts?
NIEBEL: Herr Capellan, diese Ausschlussfragen, die sind doch lustig. Sie können doch nicht ausschließen, dass Ihr Sender jetzt plötzlich keinen Strom mehr hat. Sie können das nicht ausschließen. Aber ich sage Ihnen, die FDP will in dieser Regierung weiter regieren und sie sieht keine Möglichkeit inhaltlicher Art, derzeit mit den Positionen von SPD und Grünen zusammen zu arbeiten. Das ist doch wohl eine ganz klare Aussage.
Frage: Da der Strom glücklicherweise nicht ausfällt möchte ich mit Ihnen sprechen über das wirtschaftspolitische Positionspapier, mit dem Philipp Rösler, der FDP-Vorsitzende und Wirtschaftsminister und Vizekanzler, von sich reden macht. Ist das dazu angetan, das Überleben der Partei zu sichern?
NIEBEL: Ich glaube, dass es immer gut ist, wenn der Wirtschaftsminister ein klares wirtschaftspolitisches Profil vorschlägt, das deutlich macht, welche Möglichkeiten man hat, die soziale Marktwirtschaft zu stabilisieren und zu stärken. In einigen Punkten wären mir die Argumente anders gewichtet wichtiger gewesen. Also ich glaube, zum Beispiel die Frage von Staatsbeteiligung ist nicht in erster Linie eine fiskalische oder haushaltspolitische Betrachtung, sondern eine ordnungspolitische. Insbesondere natürlich in Zeiten, wo der Staat sich zu null Prozent refinanzieren kann, ist es haushaltspolitisch nicht wirklich geraten, Beteiligungen, mit denen man Rendite erwirtschaftet, also Geld verdient, abzustoßen. Aber ordnungspolitisch ist es vollkommen klar: Privat geht vor Staat. Und es gibt den Beteiligungsbericht der Bundesregierung. Der wird ja regelmäßig fortgeschrieben. Als Generalsekretär war es einer meiner liebsten Lesestoffe. Da waren wir zum Beispiel beteiligt - wir, die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland - durch den Staat an einem Tennisklub oder an einem Jachthafen und ähnlich wichtigen staatstragenden Unternehmen. Dass ist natürlich etwas, was kaum einem vermittelbar ist.
Frage: Aber wenn wir uns anschauen, was da drin steht, dann bleibt da hängen: weniger Kündigungsschutz, schlecht bezahlte Minijobs fördern, Kampf dem Mindestlohn, die Privatisierung von Bundesvermögen, das haben Sie angesprochen. Also, Philipp Rösler scheint da ganz wieder auf die sogenannte neoliberale Karte zu setzen. Glauben Sie, dass das noch zieht, auch bei der Stammklientel der FDP?
NIEBEL: Also, ich sehe nicht, dass er auf die neoliberale Karte - wie Sie sagen - setzen würde, sondern er will Flexibilität haben, auch für Menschen, die einsteigen wollen. Ein Großteil der 41 Millionen Beschäftigten, die höchste Beschäftigtenzahl seit der Wiedervereinigung, die geringste Arbeitslosenzahl seit der Wiedervereinigung, seit wir in der Regierung sind, hat auch den Grund, dass wir flexiblere Arbeitsverhältnisse haben. Das bedeutet, dass Minijobs der Einstieg, ein Weg aus der Arbeitslosigkeit sind. Deswegen haben wir auch gefordert, zum Beispiel das Beschäftigungsverbot nach befristeten Beschäftigungsverhältnissen aufzuheben. Das ist etwas, was wir noch nicht durchsetzen konnten.
Frage: Wenn ich da mal eben einhaken darf - gerade die Minijobs gingen ja zurück auf rot-grüne Regierungszeiten und da sagt die SPD mittlerweile, wir müssen da vieles korrigieren, weil die Minijobs zu prekären, zu schlecht bezahlten Beschäftigungsverhältnissen führen. Sehen Sie das anders?
NIEBEL: Seitdem die SPD in der Opposition ist, geht sie von allem zurück, was die Agenda 2010, die Hartz-Reform unter Gerhard Schröder gebracht haben. Aber natürlich war das der wichtigste Punkt zu Anfang. Deswegen hat die FDP in der Opposition auch die wesentlichen Reformen mitgetragen damals, um mehr Flexibilität in den Arbeitsmarkt zu bringen. Lassen Sie mich das mit einem Beispiel beschreiben. Mein Wahlkreis Heidelberg, da ist die Universität der größte Arbeitgeber, also das Land Baden-Württemberg. Wer dort während seines Studiums befristet sach-grundlos beschäftigt wird, bei der Uni als Hiwi in der Bibliothek oder wo auch immer, der hat hinterher aufgrund der jetzigen Rechtslage Schwierigkeiten, jemals ein befristetes Beschäftigungsverhältnis beim Land Baden-Württemberg zu bekommen. Aber die meisten, auch öffentlichen Beschäftigungsverhältnisse beginnen mit einer Befristung. Und deswegen ist das unsinnig, so eine Regelung nicht auf die Sachverhalte der Lebenswirklichkeit hin zu überprüfen.
Frage: Wenn wir auf die Frage der Mindestlöhne schauen, wie kann eine liberale Partei gegen solche Mindestlöhne sein, wo doch gerade auch die Kanzlerin festgestellt hat - selbst die Kanzlerin -, wenn 40 Prozent der Menschen keine Tariflöhne mehr erhalten, dann muss es Mindeststandards geben. Und da muss der Staat auch dafür sorgen.
NIEBEL: Nun, Mindeststandards gibt es ja heute schon durch das Mindestarbeitsbedingungengesetz. Auf der anderen Seite haben wir ja diese Woche auch den Spitzenkandidaten der FDP in Niedersachsen, Herrn Dr. Birkner, gehört, der gesagt hat, man solle hier ein wenig lockerer sein. Was für die FDP klar ist: wir sind gegen flächendeckende gesetzliche Mindestlöhne. Das bedeutet, es darf keine politische Festsetzung von Löhnen geben, was sich dann in jeder Wahlkampfsituation aufschaukelt. Ich glaube auch ähnlich wie Herr Dr. Birkner, man sollte hier in manchen Punkten gelassener sein. Wir haben in Baden-Württemberg einen Antrag beraten, der knapp eine Mehrheit verfehlt hat, wo es darum ging, regionalspezifisch und branchenspezifisch von den Tarifvertragsparteien immer dort, wo es keine tarifliche Einigung gibt, in einer Kommission einen Vorschlag machen zu lassen, den man dann allgemein verbindlich erklären könnte. Das heißt, wir sind hier in einem Diskussionsprozess. Aber eines ist ganz klar: keine flächendeckenden, politisch festgesetzten Mindestlöhne in Deutschland.
Frage: Aber was müsste bis zur Bundestagswahl noch passieren? Was erwarten Sie von der Chefin, von der Kanzlerin?
NIEBEL: Ich denke, dass es noch einiges gäbe, was man regeln könnte, wo man bestimmt auch noch mal über die Frage einer leistungsgerechteren Steuerpolitik in Deutschland reden muss, nachdem die SPD und die Grünen, die vermeintlichen Arbeitnehmerparteien, ja im Bundesrat verhindert haben, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ihre ihnen zustehenden Lohnerhöhungen wirklich bekommen und nicht beim Finanzminister abliefern müssen. Deswegen müssen wir hier ausloten, welche Möglichkeiten es noch gibt, zusätzliche Entlastungen zu schaffen. Vor allem aber brauchen wir ein verständliches und flexibleres Steuerrecht, das den Bürgerinnen und Bürgern auch irgendwie plausibel erscheint, damit sie wissen, was der Staat überhaupt von ihnen will.
Frage: Und beim Mindestlohn, wird es da noch Entscheidungen geben?
NIEBEL: Ich bin mir sicher, dass alle Parteien hier in einem internen Diskussionsprozess und im Gespräch untereinander sein werden. Und dafür haben wir ja Parteitage, dass man auch unterschiedliche Positionen austrägt.
Frage: Es soll eigentlich eine Expertenkommission geben, die sich befasst auch mit dem Thema der Privatisierung von Bundesvermögen. Wird da noch etwas zu erwarten sein bis zur Bundestagswahl?
NIEBEL: Das kann ich nicht beurteilen. Das ist Bestandteil des Koalitionsvertrages, also von daher eine vernünftige Forderung. Ob das zeitlich noch möglich ist, ob es in Koalitionsrunden bisher besprochen wurde, weiß ich nicht. Dem gehöre ich nicht an.
Frage: Aber ist es nicht symptomatisch, dass der Bundesvorsitzende Ihrer Partei da als Wirtschaftsminister Vorschläge macht - in der nachrichtenarmen Zeit. Die machen die Runde. Und dann stellt sich raus, mit der Kanzlerin wurde darüber noch nicht gesprochen. Gehen Wunschpartner so miteinander um?
NIEBEL: Ich kann das nicht beurteilen, wer mit wem worüber gesprochen hat. Ich kann Ihnen nur über meine Gespräche berichten, die ich führe. Und da ist das kein Thema gewesen. Wenn ich es gemacht hätte an seiner Stelle, hätte ich exakt die gleiche Zeit gewählt, damit der Vorschlag politisch auch entsprechendes Gehör findet und dadurch in die öffentliche Diskussion kommt.
Frage: Aber Sie hätten möglicherweise mit Angela Merkel gesprochen?
NIEBEL: Ich weiß ja nicht, ob er es getan hat. Von daher kann ich Ihnen die Frage nicht beantworten.
Frage: Erwarten Sie manchmal etwas mehr Unterstützung von der CDU-Vorsitzenden? Angela Merkel stichelt gegen Ihre Partei: "Gott hat die FDP erschaffen um die Union zu prüfen". Sie lehnt eine Kampagne zugunsten der Liberalen ab. Man könnte ja freundlicher miteinander umgehen.
NIEBEL: Nein. Die FDP ist der Schutzengel dieser Koalition, weil wir dazu beigetragen haben, dass die Sozialdemokraten in der Union sich gerade bei der Frage der Sicherheit unserer Währung nicht durchsetzen konnten. Und auf der anderen Seite brauchte man keine Zweitstimmenkampagne. Jeder Bürger ist selbst Wähler und selbst groß genug um zu entscheiden, welche politische Konstellation er wählen und unterstützen möchte. Aus diesem Grund gibt es auch keine Leihstimmen, denn der Bürger vergibt die Stimme für eine politische Idee. Und die gehört nicht der Union, die gehört nicht der FDP, sondern die gehört dem Bürger. Und der gibt sie am Wahltag ab für eine Idee. Und deswegen ist das schon okay, dass jeder für sich auch selbst kämpft.
Frage: Macht Ihnen gar keine Sorge, wie freundlich die Kanzlerin mittlerweile auch über die Grünen spricht? Schwarz-Grün ist immer noch eine Option.
NIEBEL: Ich sehe in Schwarz-Grün keine Option, wie Sie aus dem Experiment in Hamburg sehen. Es hat dazu geführt, dass die Union die Regierungsbeteiligung verloren hat, die Grünen stärker geworden sind, obwohl sie ihren eigenen inhaltlichen Positionen abgeschworen haben, zum Beispiel durch ein Kohlekraftwerk oder die Elbvertiefung oder ähnliche tolle Ideen, die sie alle mitgetragen haben. Ich glaube, dass die Republik weiß, was sie an dieser schwarz-gelben Regierung hat und deswegen die Bürgerinnen und Bürger im Endeffekt ihr auch wieder eine Mehrheit geben werden.
Frage: Sie haben mit Blick auf Ihre Partei, die Führungsdiskussion in der Partei, gesagt, einen Parteivorsitzenden stürzt man oder man stützt ihn. Stützen Sie Philipp Rösler noch?
NIEBEL: Ich denke, ich stütze Philipp Rösler indem ich deutlich mache, dass die FDP vielschichtig ist und dass sie eine gute politische Basis hat, um Deutschland in eine bessere Zukunft zu führen.
Frage: Also Sie wollen mehrere Leute an der Spitze haben, wenn Sie sagen vielschichtig. Warum haben Sie zum wiederholten Male gesagt, der Spitzenkandidat muss nicht zwangsläufig auch der Parteichef sein?
NIEBEL: Ich bin gefragt worden, muss ein Parteichef zwangsläufig Spitzenkandidat sein. Und das ging abstrakt generell nicht um die Person des FDP-Vorsitzenden, sondern um die grundsätzliche Frage, und das muss er nicht.
Frage: Es geht ja auch um die Frage, was Sie für besser halten. Wäre eine Doppelspitze besser?
NIEBEL: Ich halte immer eine Teamlösung für das Richtige. Die FDP hat außer im Wahlkampf 2002 so weit ich weiß niemals einen Spitzenkandidaten gehabt, sondern immer eine Teamlösung, der das Präsidium angehört hat mit dem Vorsitzenden oder der Vorsitzenden als primus inter paris dieses Teams. Das halte ich nach wie vor für richtig. Aber wenn Sie auf diese konkrete Frage noch einmal requirieren, dann sage ich deutlich, es gibt hier keine Notwendigkeit, sich einzuengen. Wir sehen das bei der SPD. Wir sehen das bei mir in Baden-Württemberg. Ich bin Spitzenkandidat und nicht Landesvorsitzender. Ich habe gehört von zwei grünen Spitzenkandidaten, die beide nicht Parteivorsitzende sein sollen. Also von daher gibt es hier ein hohes Maß an Vielfalt. Und dieses Sich-einengen-lassen ist, glaube ich, eher eine sehr binnenbetrachtete Diskussion, die wir da führen.
Frage: Wenn die FDP in Niedersachsen deutlich unter fünf Prozent bleiben sollte - die Umfragen liegen gerade bei etwa drei Prozent -, wird Philipp Rösler dann freiwillig gehen?
NIEBEL: Die FDP wird in Niedersachsen deutlich in den Landtag einziehen und wir werden aller Voraussicht nach auch die Regierungsbeteiligung erhalten können, so dass sich diese Frage nicht stellt, selbst wenn Sie sie jetzt stellen.
Frage: Es wird dennoch darüber spekuliert, wenn es schief geht, müsste Rainer Brüderle ran als Interimsvorsitzender, möglicherweise auch Sie. Trauen Sie sich das zu?
NIEBEL: Ich bin in einem Interview gefragt worden, ob ich mir das zutraue, und ich habe deutlich gesagt, ich strebe das nicht an. Sie haben mich nicht gefragt, ob ich es machen möchte. Wenn Sie diese Frage stellen, beantworte ich sie Ihnen ganz klar.
Frage: Sie wollen es nicht, aber Sie trauen es sich zu, wenn es sein müsste?
NIEBEL: Wenn ich sagen würde, ich würde es mir nicht zutrauen, dann machen Sie daraus genau so eine Geschichte wie wenn ich sagen würde, ich traue es mir zu. Fragen Sie mich, ob ich es will, dann sage ich Ihnen klar: nein, ich will es nicht.
Frage: Wenn Sie über das Team sprechen - Sie gehören aber sicherlich zum Team, vermute ich mal. Guido Westerwelle auch wieder. Von ihm hören wir ja mittlerweile auch wieder verstärkt innenpolitische Äußerungen.
NIEBEL: Also, ich gehe fest davon aus, dass erstens alle Bundesminister und zweitens alle Präsidiumsmitglieder, die gewählt werden beim nächsten Parteitag, zum Team gehören und die Spitzenkandidaten der jeweiligen Landesverbände. Guido Westerwelle ist Spitzenkandidat in Nordrhein-Westfalen, übrigens ohne Landesvorsitzender zu sein, ich bin Spitzenkandidat in Baden-Württemberg, ohne Landesvorsitzender zu sein. Philipp Rösler ist übrigens Spitzenkandidat in Niedersachsen, ohne Landesvorsitzender zu sein - nur um einige wenige zu nennen. Ich könnte es aber noch fortsetzen. Natürlich sind all das die Persönlichkeiten, die dazu beitragen, dass die FDP erfolgreich durch die Bundestagswahl kommt.
Frage: In der kommenden Woche werden Sie beim Dreikönigstreffen Ihrer Partei in Stuttgart reden. Was wollen Sie den Liberalen mit auf den Weg geben?
NIEBEL: Ein bisschen mehr Mut und ein bisschen mehr Klarheit für die liberalen Positionen. Und den Rest, den hören Sie sich doch bitte im Original an.
Frage: Dirk Niebel, danke für das Gespräch.
NIEBEL-Interview für den Deutschlandfunk
Berlin. Das FDP-Präsidiumsmitglied Bundesentwicklungsminister DIRK NIEBEL gab dem Deutschlandfunk heute das folgende Interview. Die Fragen stellte FRANK CAPELLAN:
Frage: Dirk Niebel, wir haben manchmal den Eindruck, dass Sie dem Ehrenvorsitzenden der FDP ein wenig nacheifern - Hans Dietrich Genscher, der während seiner Amtszeit den Ehrgeiz hatte - so hatte man damals die Vermutung - fast genau so oft in der Luft zu sein wie am Boden. Haben Sie eigentlich noch den Überblick, wie viele Länder Sie als Entwicklungsminister besucht haben?
NIEBEL: Ja, den Überblick habe ich, weil ich zu Hause eine kleine Strichliste führe. Aber ich kann wirklich versichern: Hans Dietrich Genscher war häufiger unterwegs, und nach allem, was ich lese, sind der Bundesaußenminister und der Verkehrsminister noch mehr unterwegs als ich.
Frage: Welche Reise hat sie denn in diesem Jahr besonders beeindruckt, welche hat besondere Eindrücke hinterlassen?
NIEBEL: Dieses Jahr waren sehr viele beeindruckende Reisen. Es ging los Anfang des Jahres mit dem Besuch in Myanmar, dem ehemaligen Birma - ein Land, das wie aus der Zeit gefallen erscheint. Und beeindruckend war in dem Übergangsprozess von Militärdiktatur hin zur Demokratie - noch vor den Wahlen hatte ich die Gelegenheit, Frau Aung San Suu Kyi zu treffen, ein wirklich persönlich beeindruckendes Erlebnis. Aber es waren auch Reisen dabei, die negativ beeindruckt haben, wie zum Beispiel jetzt kürzlich der Besuch in Israel bei Opfern des Hamas Raketenterrors und hinterher in Gaza. Und jetzt gerade vor Weihnachten, zwei Tage vor Weihnachten, den Anblick im Lager für syrische Flüchtlinge im Libanon - Beirut. Das nimmt man schon auch mit und muss man auch verarbeiten.
Frage: Ist das erschreckend zu sehen, wie machtlos auch die Politik ist gegenüber dem Treiben Assads?
NIEBEL: Ich glaube, wir sind nicht machtlos, wenn es darum geht, die Lebensbedingungen für die Menschen zu verbessern. Aber wenn man nicht die militärische Option wählt, und das wollen wir ausdrücklich nicht, dann ist man sehr eingeschränkt. Denn das würde bedeuten, dass in der gesamten Region das eskalieren könnte und noch ganz andere Staaten mit einbezogen werden würden. Und hier braucht verantwortliche Politik auch dann die notwendige Ruhe, um auf politische Lösungen hin zu arbeiten. Und genau das tut die Bundesregierung.
Frage: Die NATO hat in Libyen eingegriffen, nach Mali sollen deutsche Soldaten geschickt werden. Was ist anders in Syrien, warum sollte man militärisch nicht eingreifen?
NIEBEL: Nun, wir sehen, dass bei Libyen erstens Deutschland diesen Krieg nicht mitführen wollte, und zweitens, was daraus geworden ist, denn die vagabundierenden Truppen, teilweise auch Terrorgruppen, die gut ausgebildet und gut bewaffnet sind, im Norden Malis eingefallen. Und deswegen kann es in Mali neben der Stabilisierung der Lebensbedingungen der Menschen, wenn überhaupt, nur eine Ausbildungsmission geben, die es ermöglicht, dass eine afrikanische Eingreiftruppe hier wieder zur territorialen Integrität und zur verfassungsmäßigen Ordnung des Staates beiträgt. Und Syrien hat deshalb schon eine andere Dimension, weil Russland und China eigene Interessen in der Region haben und die Rolle des Iran noch relativ ungeklärt ist - insgesamt ein sehr, sehr differenziertes Lagebild, beides ist miteinander nicht vergleichbar.
Frage: Gibt es trotzdem einen Punkt, bei dem Sie sagen würden, jetzt ist die rote Linie überschritten, wir müssen auch militärisch etwas tun in Syrien?
NIEBEL: Ich bin nicht dafür zuständig die militärischen Fragen zu lösen. Ich glaube auch, wenn eine politische Lösung gefunden werden kann, muss man sich die Zeit nehmen für diese politische Lösung, weil es im Endeffekt Menschenleben schont.
Frage: Was kann denn Ihr Ressort, was können Sie als Minister tun, was kann die deutsche Politik tun, um dem Extremismus zu begegnen? Wir erleben ja die Radikalisierung, die Islamisierung - wir befürchten das in Syrien, in Ägypten, in Mali, im Gazastreifen. Was kann Entwicklungshilfe dabei tun?
NIEBEL: Die Entwicklungszusammenarbeit ist mit das schärfste Schwert gegen Terrorismus und Extremismus, weil wir die Möglichkeit haben, Menschen Perspektiven zu eröffnen. Deswegen zum Beispiel war ich jetzt neulich in Gaza, um dieses Klärwerk zu eröffnen, für das wir lange gekämpft haben, weil es dazu beiträgt, dass die Lebensbedingungen der Menschen verbessert werden - übrigens auch in Israel, wo die ungeklärten Fäkalien an den Strand gespült wurden. Aber ganz besonders in Gaza, wo das Trinkwasser verseucht wurde, wo die Umwelt verseucht wurde, wo Krankheiten herrschten aufgrund dieser Situation. Darüber hinaus die Schaffung von Bildungsmöglichkeiten, Teilhabemöglichkeiten, Stärkung einer Zivilgesellschaft - gerade in undemokratischen Systemen. Das stabilisiert. Und wenn jemand morgens aufsteht in Afghanistan, um arbeiten zu gehen, dann ist er weniger anfällig, wenn der Taliban an die Tür klopft und fragt, ob er mit zum Kämpfen kommt.
Frage: Aber zeigt nicht gerade die Entwicklung in Ägypten, wie machtlos auch die Entwicklungspolitik ist? Sie haben die Regierungskonsultationen ausgesetzt, Sie haben einen Schuldenerlass für Ägypten gestoppt, weil Sie eben eine weitere Islamisierung befürchten, weil Sie vor einer Diktatur in Kairo gewarnt haben.
NIEBEL: Nun, zunächst einmal haben wir die erste demokratisch gewählte Regierung in Ägypten. Dass es in eine Richtung geht, die unseren Vorstellungen nach einer freiheitlich demokratischen Grundordnung nicht 100 Prozent entspricht, das darf man klar feststellen.
Frage: Dürfen Sie dann, eben aus diesem Grund, dürfen Sie dann so reagieren, wie Sie es jetzt getan haben, dass man alles stoppt?
NIEBEL: Das zeigt ja gerade, welche Einflussmöglichkeiten wir durch die Entwicklungszusammenarbeit haben. Wir haben ja nicht alles gestoppt. Wir haben die Regierungsverhandlungen abgesagt, die hätten am 11. und 12. Dezember stattfinden sollen, haben aber die Maßnahmen, die wir per Regierungsplan durchführen wollten, per sogenannter Verbalnote zugesagt. Das heißt, die Menschen, unabhängig von der Regierungsform, leiden nicht darunter, dass diese Verhandlungen nicht stattgefunden haben.
Frage: Zeigt das Wirkung - Ihr Verhalten gegenüber Kairo?
NIEBEL: Es zeigt Wirkung, weil wir ja nicht die einzigen sind, die reagieren auf das, was passiert, sondern andere Staaten in einer internationalen Koordinierung weisen ja auch darauf hin, dass der Weg der Demokratisierung dringend fortgesetzt werden muss, insbesondere wenn man sieht, dass bei dem Verfassungskonvent, wo die Verfassung zwar eine große Mehrheit bekommen hat, aber nur 33 Prozent der Menschen überhaupt mitgemacht haben, ist das nicht die stabile Grundlage für eine starke Regierung, sondern es bedarf noch weiterer Schritte der Regierung, darauf hinzuwirken, dass der Demokratisierungsprozess vorangeht und hier kein Abdriften in einen islamistischen Unrechtsstaat zu befürchten ist. Da muss man auch zeigen, dass man als Partner darauf achtet, was vor Ort passiert und entsprechend seine Maßnahmen darauf ausrichtet.
Frage: Sehen Sie eine Möglichkeit darin - eine Chance, die Türkei möglichst bald in die Europäische Union aufzunehmen, um eben eine Brücke in die islamische Welt zu haben?
NIEBEL: Die Türkei spielt eine wichtige Rolle gerade bei dem Dialog zwischen Europa und der islamischen Welt. Und deswegen ist es gut, dass wir einen klaren Prozess haben mit der ergebnisoffenen Möglichkeit einer Aufnahme der Türkei in der Europäischen Union - die nach Abarbeitung aller jeweiligen Kapitel, die eröffnet worden sind, enden soll.
Frage: Der Außenminister, Ihr Parteifreund Guido Westerwelle, hat ja gerade gesagt, wir müssen das forcieren, wir müssen sehen, dass wir die Türkei nach Europa holen, sonst haben die bald kein Interesse mehr an Europa.
NIEBEL: Entscheidend ist, dass die Prozesse innerhalb der Europäischen Union schneller vonstatten gehen. Es dauert nach unserer Ansicht vieles zu lange, manches würden wir gerne früher erledigt haben. Aber der Prozess muss beibehalten werden. Das ist auch die Position des Außenministers, weil dieser international vereinbart ist.
Frage: Aber Sie würden sich derzeit noch nicht klar auf einen Beitritt der Türkei festlegen?
NIEBEL: Ich glaube, auch die Türkei würde sich derzeit noch nicht klar festlegen, ob sie beitreten möchte oder nicht. Das ist ja der Sinn des Prozesses, dass man sich gegenseitig annähert und Strukturen angleicht, dass man Werte miteinander diskutiert und hinterher eine klare Entscheidungsgrundlage hat.
Frage: Sie haben es angesprochen, Sie haben in diesem Jahr auch die Palästinensergebiete besucht. Ein früherer Besuch war Ihnen von israelischer Seite untersagt worden. Wäre es nicht konsequent gewesen, die Aufwertung der Palästinenser bei den Vereinten Nationen mitzutragen statt sich zu enthalten, so wie es Berlin getan hat?
NIEBEL: Nein, das war die richtige Entscheidung. Wir sind Vertreter einer Zwei-Staaten-Lösung, und wir glauben, dass alle einseitigen Schritte dieser Zwei-Staaten-Lösung zuwider laufen. Das ist einmal die Aufwertung des Staates der palästinensischen Autonomiebehörde, auf der anderen Seite ist es die Siedlungsbaupolitik der israelischen Regierung. Die läuft dem auch zuwider. Beides wird auch von der Bundesregierung öffentlich, und nicht nur jetzt, sondern regelmäßig kritisiert, denn jeder weiß, dass das Ergebnis für eine friedliche politische Lösung allein die Zwei-Staaten-Lösung sein kann. Und da sitzt der Verhandlungspartner für Jerusalem nicht in Berlin, auch nicht in New York oder London, sondern in Ramallah.
Frage: Wenn wir auf Ihre Arbeit als Entwicklungsminister zurückschauen in dieser Legislaturperiode, verabschiedet sich die Chefin der christlich-liberalen Koalition da nicht gerade von vielen Zielen, die ja auch Ihr Ressort betreffen? Wenn ich an die oftmals gerühmte "Klimakanzlerin" Angela Merkel denke und an das, was bei der Klimakonferenz in Doha herausgekommen ist, was ja weit unter den Erwartungen zurückgeblieben ist. Oder wenn ich auch an die sogenannte ODA-Quote denke, also, dass man 0,7 Prozent des Bruttoinlandsproduktes ausgeben möchte bis zum Jahr 2015 für die Entwicklungshilfe. Das sind doch Ziele, die nicht mehr zu erreichen sind?
NIEBEL: Ich glaube gerade, das Agieren der Bundesregierung in Doha hat dazu beigetragen, dass wir einem Kyoto-Nachfolgeprotokoll den Weg geebnet haben.
Frage: Einem Minimalkonsens.
NIEBEL: Wir hatten uns mehr gewünscht, das ist richtig. Aber ohne das Agieren der Bundesregierung und auch die Zusage, dass man das finanziell unterstützen wird mit 1,8 Milliarden Euro, wo ein Großteil ja aus meinem Etat kommen wird, war die Grundlage dafür, dass es überhaupt weitergeht. Und das ist besser, als wenn es gescheitert wäre. Was jetzt die sogenannte ODA-Quote anbetrifft, so ist das ein Versprechen, das erstmals getätigt wurde - da war ich sieben Jahre alt. Und diese Bundesregierung ist am ehesten an das Ziel herangekommen, wir sind mit über zehn Milliarden Euro zweitgrößter Geber weltweit in der Entwicklungszusammenarbeit und haben mit 0,4 Prozent der sogenannten ODA-Quote die höchste Quote seit der Wiedervereinigung erreicht. Der Bundestag als Haushalts-Gesetzgeber hat eine andere Prioritätensetzung gehabt. Und wenn der Bundestag sich entscheidet, die Haushaltskonsolidierung, die ich ebenso wichtig finde, prioritär zu behandeln, dann muss ich das akzeptieren, kann allerdings dann auch nur feststellen, dass für die Erreichung dieses Zieles in den nächsten zwei Jahren bis 2015 noch eine Etatsteigerung von ungefähr sieben Milliarden Euro notwendig ist.
Frage: Was utopisch ist.
NIEBEL: Das muss ich so feststellen. Umso wichtiger ist ja, dass ich in der Entwicklungszusammenarbeit umgesteuert habe, weg von der reinen Frage des Geldausgebens - viel hilft nämlich nicht immer nur viel -, hin zu der Frage der Wirksamkeit und der Effizienzsteigerung. Und hier haben wir in dieser Legislaturperiode wirklich Wegweisendes erzielt.
Frage: Sie würden am liebsten die Griechenlandhilfen mit hinzuzählen, dann könnte die Quote noch erhöht werden?
NIEBEL: Dann hätten wir sie doppelt übererfüllt wahrscheinlich. Griechenland hat ähnliche Probleme wie ganz viele andere Entwicklungsländer, wo wir tätig sind. Zum Beispiel beim Aufbau von Steuergesetzgebung, Steuerverwaltung, Umsetzung dieser Verwaltung, aber auch in anderen Bereichen der guten Regierungsführung. Und vieles, was wir dort leisten als Steuerzahlerin und Steuerzahler aus Deutschland, ist - wenn man es genau nimmt - klassische Entwicklungskooperation, selbst wenn Griechenland kein klassisches Entwicklungsland ist.
Frage: Herr Niebel, wie hoch schätzen Sie die Chance ein, auch am Ende des kommenden Jahres noch Minister sein zu dürfen?
NIEBEL: Ich schätze die Chance sehr hoch ein. Ich gehe davon aus, dass wir in Niedersachsen gut in den Landtag zurückkehren und die Regierungsbeteiligung erhalten können und auf dem Weg bis zur Bundestagswahl die Menschen sich klar werden über die Alternativen. Denn Frau Bundeskanzlerin Merkel hat ja völlig zu recht gesagt: Dies ist die erfolgreichste Regierung in der Geschichte der wiedervereinigten Bundesrepublik. Das merken die Menschen auch, selbst wenn sie es noch nicht emotional verarbeitet haben.
Frage: Merken sie es wirklich? Warum will nur noch eine Minderheit eine Fortsetzung dieser angeblich so erfolgreichen Bundesregierung?
NIEBEL: Sie merken es, wenn sie es vergleichen mit dem, was die potenziell Alternative ist. Und die potenzielle Alternative, das sind die Vorgaben von SPD und Grünen: Massive Steuererhöhungen für alle Bevölkerungsgruppen mit massivem Wohlstandsverlust für alle Bevölkerungsgruppen. Und die meisten interessieren sich erst in der letzten Phase vor der Bundestagswahl tatsächlich. Und dann interessieren sie sich über die inhaltlichen Unterschiede und werden merken, wer die bessere Variante ist. Und das ist die jetzige Bundesregierung.
Frage: Derzeit allerdings sprechen alle Umfragen gegen sie, auch gegen die Liberalen, gegen eine Fortsetzung dieser christlich liberalen Koalition. Können Sie sich vorstellen, auch in einer Ampel von SPD, FDP und Grünen Minister zu sein?
NIEBEL: Diese Bundesregierung ist, wie die Kanzlerin zu recht sagt, die erfolgreichste, die es bisher gegeben hat seit der Wiedervereinigung. Aus welchem Grund sollten wir so eine erfolgreiche Regierung beenden wollen? Das wäre überhaupt niemandem vermittelbar.
Frage: Warum haben Sie dann im Sommer gesagt: "Auch andere Mütter haben schöne Töchter!" - und sich also damit relativ offen für die Option einer Ampel ausgesprochen, so wie es auch Wolfgang Kubicki in Schleswig-Holstein tut?
NIEBEL: Nein, ich habe mich nicht für die Option einer Ampel ausgesprochen, sondern für den fairen Umgang in einer Koalition. Die Äußerungen, die Sie zitieren, kommen aus einer Phase, wo mehrere sehr unkollegiale Entscheidungen der Union im Bundesrat getroffen wurden, die dazu beitrugen, dass die FDP in ihrer Wirksamkeit in dieser Koalition zurückgeworfen wird. Und da muss man darauf aufmerksam machen, dass zu einer erfolgreichen gemeinsamen Koalitionsregierung immer auch die gegenseitige Achtung gehört. Und das war in der Phase nicht gegeben.
Frage: Wenn es nicht reichen sollte für Schwarz-Gelb, würden Sie denn dann diese Option in Erwägung ziehen, um Schwarz-Grün oder Schwarz-Rot zu verhindern, oder gilt das Wort von Franz Müntefering "Opposition ist Mist" für die FDP nicht mehr?
NIEBEL: Ich bin der festen Überzeugung, es reicht für Schwarz/Gelb. Und Ihre Frage suggeriert ja das, was in der Phase von Frau Ypsilanti - manche erinnern sich ja noch - der Fall war. Es gab mal eine Bundestagswahl, wo die FDP aufgefordert wurde, sie müsse umfallen, um ihrer staatsbürgerlichen Pflicht gerecht zu werden. Nein, die FDP hat Prinzipien und wir wollen bestimmte politische Inhalte umsetzen. Das kann man am besten in der Regierung, weil man in der Opposition nicht gestalten kann. Aber diese Inhalte sind das, was im Endeffekt entscheidet. Und da werden wir mit dem, was bisher an Forderungen auf dem Markt ist von SPD und Grünen, nicht glücklich werden - nicht als Partei und für die Bürgerinnen und Bürger erst recht nicht.
Frage: SPD und Grüne könnten sich ja bewegen. Also ausschließen könnten Sie aber auch nichts?
NIEBEL: Herr Capellan, diese Ausschlussfragen, die sind doch lustig. Sie können doch nicht ausschließen, dass Ihr Sender jetzt plötzlich keinen Strom mehr hat. Sie können das nicht ausschließen. Aber ich sage Ihnen, die FDP will in dieser Regierung weiter regieren und sie sieht keine Möglichkeit inhaltlicher Art, derzeit mit den Positionen von SPD und Grünen zusammen zu arbeiten. Das ist doch wohl eine ganz klare Aussage.
Frage: Da der Strom glücklicherweise nicht ausfällt möchte ich mit Ihnen sprechen über das wirtschaftspolitische Positionspapier, mit dem Philipp Rösler, der FDP-Vorsitzende und Wirtschaftsminister und Vizekanzler, von sich reden macht. Ist das dazu angetan, das Überleben der Partei zu sichern?
NIEBEL: Ich glaube, dass es immer gut ist, wenn der Wirtschaftsminister ein klares wirtschaftspolitisches Profil vorschlägt, das deutlich macht, welche Möglichkeiten man hat, die soziale Marktwirtschaft zu stabilisieren und zu stärken. In einigen Punkten wären mir die Argumente anders gewichtet wichtiger gewesen. Also ich glaube, zum Beispiel die Frage von Staatsbeteiligung ist nicht in erster Linie eine fiskalische oder haushaltspolitische Betrachtung, sondern eine ordnungspolitische. Insbesondere natürlich in Zeiten, wo der Staat sich zu null Prozent refinanzieren kann, ist es haushaltspolitisch nicht wirklich geraten, Beteiligungen, mit denen man Rendite erwirtschaftet, also Geld verdient, abzustoßen. Aber ordnungspolitisch ist es vollkommen klar: Privat geht vor Staat. Und es gibt den Beteiligungsbericht der Bundesregierung. Der wird ja regelmäßig fortgeschrieben. Als Generalsekretär war es einer meiner liebsten Lesestoffe. Da waren wir zum Beispiel beteiligt - wir, die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland - durch den Staat an einem Tennisklub oder an einem Jachthafen und ähnlich wichtigen staatstragenden Unternehmen. Dass ist natürlich etwas, was kaum einem vermittelbar ist.
Frage: Aber wenn wir uns anschauen, was da drin steht, dann bleibt da hängen: weniger Kündigungsschutz, schlecht bezahlte Minijobs fördern, Kampf dem Mindestlohn, die Privatisierung von Bundesvermögen, das haben Sie angesprochen. Also, Philipp Rösler scheint da ganz wieder auf die sogenannte neoliberale Karte zu setzen. Glauben Sie, dass das noch zieht, auch bei der Stammklientel der FDP?
NIEBEL: Also, ich sehe nicht, dass er auf die neoliberale Karte - wie Sie sagen - setzen würde, sondern er will Flexibilität haben, auch für Menschen, die einsteigen wollen. Ein Großteil der 41 Millionen Beschäftigten, die höchste Beschäftigtenzahl seit der Wiedervereinigung, die geringste Arbeitslosenzahl seit der Wiedervereinigung, seit wir in der Regierung sind, hat auch den Grund, dass wir flexiblere Arbeitsverhältnisse haben. Das bedeutet, dass Minijobs der Einstieg, ein Weg aus der Arbeitslosigkeit sind. Deswegen haben wir auch gefordert, zum Beispiel das Beschäftigungsverbot nach befristeten Beschäftigungsverhältnissen aufzuheben. Das ist etwas, was wir noch nicht durchsetzen konnten.
Frage: Wenn ich da mal eben einhaken darf - gerade die Minijobs gingen ja zurück auf rot-grüne Regierungszeiten und da sagt die SPD mittlerweile, wir müssen da vieles korrigieren, weil die Minijobs zu prekären, zu schlecht bezahlten Beschäftigungsverhältnissen führen. Sehen Sie das anders?
NIEBEL: Seitdem die SPD in der Opposition ist, geht sie von allem zurück, was die Agenda 2010, die Hartz-Reform unter Gerhard Schröder gebracht haben. Aber natürlich war das der wichtigste Punkt zu Anfang. Deswegen hat die FDP in der Opposition auch die wesentlichen Reformen mitgetragen damals, um mehr Flexibilität in den Arbeitsmarkt zu bringen. Lassen Sie mich das mit einem Beispiel beschreiben. Mein Wahlkreis Heidelberg, da ist die Universität der größte Arbeitgeber, also das Land Baden-Württemberg. Wer dort während seines Studiums befristet sach-grundlos beschäftigt wird, bei der Uni als Hiwi in der Bibliothek oder wo auch immer, der hat hinterher aufgrund der jetzigen Rechtslage Schwierigkeiten, jemals ein befristetes Beschäftigungsverhältnis beim Land Baden-Württemberg zu bekommen. Aber die meisten, auch öffentlichen Beschäftigungsverhältnisse beginnen mit einer Befristung. Und deswegen ist das unsinnig, so eine Regelung nicht auf die Sachverhalte der Lebenswirklichkeit hin zu überprüfen.
Frage: Wenn wir auf die Frage der Mindestlöhne schauen, wie kann eine liberale Partei gegen solche Mindestlöhne sein, wo doch gerade auch die Kanzlerin festgestellt hat - selbst die Kanzlerin -, wenn 40 Prozent der Menschen keine Tariflöhne mehr erhalten, dann muss es Mindeststandards geben. Und da muss der Staat auch dafür sorgen.
NIEBEL: Nun, Mindeststandards gibt es ja heute schon durch das Mindestarbeitsbedingungengesetz. Auf der anderen Seite haben wir ja diese Woche auch den Spitzenkandidaten der FDP in Niedersachsen, Herrn Dr. Birkner, gehört, der gesagt hat, man solle hier ein wenig lockerer sein. Was für die FDP klar ist: wir sind gegen flächendeckende gesetzliche Mindestlöhne. Das bedeutet, es darf keine politische Festsetzung von Löhnen geben, was sich dann in jeder Wahlkampfsituation aufschaukelt. Ich glaube auch ähnlich wie Herr Dr. Birkner, man sollte hier in manchen Punkten gelassener sein. Wir haben in Baden-Württemberg einen Antrag beraten, der knapp eine Mehrheit verfehlt hat, wo es darum ging, regionalspezifisch und branchenspezifisch von den Tarifvertragsparteien immer dort, wo es keine tarifliche Einigung gibt, in einer Kommission einen Vorschlag machen zu lassen, den man dann allgemein verbindlich erklären könnte. Das heißt, wir sind hier in einem Diskussionsprozess. Aber eines ist ganz klar: keine flächendeckenden, politisch festgesetzten Mindestlöhne in Deutschland.
Frage: Aber was müsste bis zur Bundestagswahl noch passieren? Was erwarten Sie von der Chefin, von der Kanzlerin?
NIEBEL: Ich denke, dass es noch einiges gäbe, was man regeln könnte, wo man bestimmt auch noch mal über die Frage einer leistungsgerechteren Steuerpolitik in Deutschland reden muss, nachdem die SPD und die Grünen, die vermeintlichen Arbeitnehmerparteien, ja im Bundesrat verhindert haben, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ihre ihnen zustehenden Lohnerhöhungen wirklich bekommen und nicht beim Finanzminister abliefern müssen. Deswegen müssen wir hier ausloten, welche Möglichkeiten es noch gibt, zusätzliche Entlastungen zu schaffen. Vor allem aber brauchen wir ein verständliches und flexibleres Steuerrecht, das den Bürgerinnen und Bürgern auch irgendwie plausibel erscheint, damit sie wissen, was der Staat überhaupt von ihnen will.
Frage: Und beim Mindestlohn, wird es da noch Entscheidungen geben?
NIEBEL: Ich bin mir sicher, dass alle Parteien hier in einem internen Diskussionsprozess und im Gespräch untereinander sein werden. Und dafür haben wir ja Parteitage, dass man auch unterschiedliche Positionen austrägt.
Frage: Es soll eigentlich eine Expertenkommission geben, die sich befasst auch mit dem Thema der Privatisierung von Bundesvermögen. Wird da noch etwas zu erwarten sein bis zur Bundestagswahl?
NIEBEL: Das kann ich nicht beurteilen. Das ist Bestandteil des Koalitionsvertrages, also von daher eine vernünftige Forderung. Ob das zeitlich noch möglich ist, ob es in Koalitionsrunden bisher besprochen wurde, weiß ich nicht. Dem gehöre ich nicht an.
Frage: Aber ist es nicht symptomatisch, dass der Bundesvorsitzende Ihrer Partei da als Wirtschaftsminister Vorschläge macht - in der nachrichtenarmen Zeit. Die machen die Runde. Und dann stellt sich raus, mit der Kanzlerin wurde darüber noch nicht gesprochen. Gehen Wunschpartner so miteinander um?
NIEBEL: Ich kann das nicht beurteilen, wer mit wem worüber gesprochen hat. Ich kann Ihnen nur über meine Gespräche berichten, die ich führe. Und da ist das kein Thema gewesen. Wenn ich es gemacht hätte an seiner Stelle, hätte ich exakt die gleiche Zeit gewählt, damit der Vorschlag politisch auch entsprechendes Gehör findet und dadurch in die öffentliche Diskussion kommt.
Frage: Aber Sie hätten möglicherweise mit Angela Merkel gesprochen?
NIEBEL: Ich weiß ja nicht, ob er es getan hat. Von daher kann ich Ihnen die Frage nicht beantworten.
Frage: Erwarten Sie manchmal etwas mehr Unterstützung von der CDU-Vorsitzenden? Angela Merkel stichelt gegen Ihre Partei: "Gott hat die FDP erschaffen um die Union zu prüfen". Sie lehnt eine Kampagne zugunsten der Liberalen ab. Man könnte ja freundlicher miteinander umgehen.
NIEBEL: Nein. Die FDP ist der Schutzengel dieser Koalition, weil wir dazu beigetragen haben, dass die Sozialdemokraten in der Union sich gerade bei der Frage der Sicherheit unserer Währung nicht durchsetzen konnten. Und auf der anderen Seite brauchte man keine Zweitstimmenkampagne. Jeder Bürger ist selbst Wähler und selbst groß genug um zu entscheiden, welche politische Konstellation er wählen und unterstützen möchte. Aus diesem Grund gibt es auch keine Leihstimmen, denn der Bürger vergibt die Stimme für eine politische Idee. Und die gehört nicht der Union, die gehört nicht der FDP, sondern die gehört dem Bürger. Und der gibt sie am Wahltag ab für eine Idee. Und deswegen ist das schon okay, dass jeder für sich auch selbst kämpft.
Frage: Macht Ihnen gar keine Sorge, wie freundlich die Kanzlerin mittlerweile auch über die Grünen spricht? Schwarz-Grün ist immer noch eine Option.
NIEBEL: Ich sehe in Schwarz-Grün keine Option, wie Sie aus dem Experiment in Hamburg sehen. Es hat dazu geführt, dass die Union die Regierungsbeteiligung verloren hat, die Grünen stärker geworden sind, obwohl sie ihren eigenen inhaltlichen Positionen abgeschworen haben, zum Beispiel durch ein Kohlekraftwerk oder die Elbvertiefung oder ähnliche tolle Ideen, die sie alle mitgetragen haben. Ich glaube, dass die Republik weiß, was sie an dieser schwarz-gelben Regierung hat und deswegen die Bürgerinnen und Bürger im Endeffekt ihr auch wieder eine Mehrheit geben werden.
Frage: Sie haben mit Blick auf Ihre Partei, die Führungsdiskussion in der Partei, gesagt, einen Parteivorsitzenden stürzt man oder man stützt ihn. Stützen Sie Philipp Rösler noch?
NIEBEL: Ich denke, ich stütze Philipp Rösler indem ich deutlich mache, dass die FDP vielschichtig ist und dass sie eine gute politische Basis hat, um Deutschland in eine bessere Zukunft zu führen.
Frage: Also Sie wollen mehrere Leute an der Spitze haben, wenn Sie sagen vielschichtig. Warum haben Sie zum wiederholten Male gesagt, der Spitzenkandidat muss nicht zwangsläufig auch der Parteichef sein?
NIEBEL: Ich bin gefragt worden, muss ein Parteichef zwangsläufig Spitzenkandidat sein. Und das ging abstrakt generell nicht um die Person des FDP-Vorsitzenden, sondern um die grundsätzliche Frage, und das muss er nicht.
Frage: Es geht ja auch um die Frage, was Sie für besser halten. Wäre eine Doppelspitze besser?
NIEBEL: Ich halte immer eine Teamlösung für das Richtige. Die FDP hat außer im Wahlkampf 2002 so weit ich weiß niemals einen Spitzenkandidaten gehabt, sondern immer eine Teamlösung, der das Präsidium angehört hat mit dem Vorsitzenden oder der Vorsitzenden als primus inter paris dieses Teams. Das halte ich nach wie vor für richtig. Aber wenn Sie auf diese konkrete Frage noch einmal requirieren, dann sage ich deutlich, es gibt hier keine Notwendigkeit, sich einzuengen. Wir sehen das bei der SPD. Wir sehen das bei mir in Baden-Württemberg. Ich bin Spitzenkandidat und nicht Landesvorsitzender. Ich habe gehört von zwei grünen Spitzenkandidaten, die beide nicht Parteivorsitzende sein sollen. Also von daher gibt es hier ein hohes Maß an Vielfalt. Und dieses Sich-einengen-lassen ist, glaube ich, eher eine sehr binnenbetrachtete Diskussion, die wir da führen.
Frage: Wenn die FDP in Niedersachsen deutlich unter fünf Prozent bleiben sollte - die Umfragen liegen gerade bei etwa drei Prozent -, wird Philipp Rösler dann freiwillig gehen?
NIEBEL: Die FDP wird in Niedersachsen deutlich in den Landtag einziehen und wir werden aller Voraussicht nach auch die Regierungsbeteiligung erhalten können, so dass sich diese Frage nicht stellt, selbst wenn Sie sie jetzt stellen.
Frage: Es wird dennoch darüber spekuliert, wenn es schief geht, müsste Rainer Brüderle ran als Interimsvorsitzender, möglicherweise auch Sie. Trauen Sie sich das zu?
NIEBEL: Ich bin in einem Interview gefragt worden, ob ich mir das zutraue, und ich habe deutlich gesagt, ich strebe das nicht an. Sie haben mich nicht gefragt, ob ich es machen möchte. Wenn Sie diese Frage stellen, beantworte ich sie Ihnen ganz klar.
Frage: Sie wollen es nicht, aber Sie trauen es sich zu, wenn es sein müsste?
NIEBEL: Wenn ich sagen würde, ich würde es mir nicht zutrauen, dann machen Sie daraus genau so eine Geschichte wie wenn ich sagen würde, ich traue es mir zu. Fragen Sie mich, ob ich es will, dann sage ich Ihnen klar: nein, ich will es nicht.
Frage: Wenn Sie über das Team sprechen - Sie gehören aber sicherlich zum Team, vermute ich mal. Guido Westerwelle auch wieder. Von ihm hören wir ja mittlerweile auch wieder verstärkt innenpolitische Äußerungen.
NIEBEL: Also, ich gehe fest davon aus, dass erstens alle Bundesminister und zweitens alle Präsidiumsmitglieder, die gewählt werden beim nächsten Parteitag, zum Team gehören und die Spitzenkandidaten der jeweiligen Landesverbände. Guido Westerwelle ist Spitzenkandidat in Nordrhein-Westfalen, übrigens ohne Landesvorsitzender zu sein, ich bin Spitzenkandidat in Baden-Württemberg, ohne Landesvorsitzender zu sein. Philipp Rösler ist übrigens Spitzenkandidat in Niedersachsen, ohne Landesvorsitzender zu sein - nur um einige wenige zu nennen. Ich könnte es aber noch fortsetzen. Natürlich sind all das die Persönlichkeiten, die dazu beitragen, dass die FDP erfolgreich durch die Bundestagswahl kommt.
Frage: In der kommenden Woche werden Sie beim Dreikönigstreffen Ihrer Partei in Stuttgart reden. Was wollen Sie den Liberalen mit auf den Weg geben?
NIEBEL: Ein bisschen mehr Mut und ein bisschen mehr Klarheit für die liberalen Positionen. Und den Rest, den hören Sie sich doch bitte im Original an.
Frage: Dirk Niebel, danke für das Gespräch.