WISSING-Interview: Wir haben eine totale Schieflage
Der FDP-Generalsekretär Dr. Volker Wissing gab der „Saarbrücker Zeitung“ (Samstag-Ausgabe) folgendes Interview. Die Fragen stellte Werner Kolhoff:
Frage: Die FDP hat immer wieder einzelne Corona-Einschränkungen kritisiert, beispielsweise das Beherbergungsverbot. War das im Nachhinein angesichts der Todeszahlen falsch?
Antwort: Nein. Das Beherbergungsverbot war nicht nur wirkungslos, es war auch verfassungswidrig. Oder nehmen Sie die Hygienekonzepte, in die viele Händler, kulturelle Einrichtungen und Gastronomen sehr viel Geld investiert haben. Deren Wirksamkeit wurde gewissermaßen amtlich bestätigt, nur um im Nachhinein ohne nähere Begründung doch als nicht ausreichend eingestuft zu werden. Die Nachvollziehbarkeit der Politik ist ein hohes Gut. Nur Maßnahmen, die als verhältnismäßig und nachvollziehbar empfunden werden, werden am Ende auch akzeptiert und eingehalten. Rückblickend sind die Maßnahmen, die damals beschlossen wurden, leider weitgehend wirkungslos gewesen. Und das, was wir gefordert hatten, nämlich der Schutz besonders gefährdeter Gruppen, der stärkere Einsatz von FFP2-Masken und die Ausweitung von Tests, wurde versäumt.
Frage: Sie fordern eine Langfriststrategie. Wie soll die aussehen?
Antwort: Neben dem besseren Schutz verletzlicher Gruppen fordern wir vor allem, dass jede einzelne Maßnahme in voller Transparenz erklärt und begründet wird. Das Hauptinfektionsgeschehen findet ja im privaten Bereich statt, wo der Staat keinen Zugriff hat. Man muss den Menschen viel klarer machen, dass jeder vermeidbare soziale Kontakt vermieden werden muss und warum. Wenn die Bürger das nicht verstehen, kann Pandemiebekämpfung in einer freien Gesellschaft nicht funktionieren.
Frage: Corona hat die politischen Koordinaten verschoben. Plötzlich ist der starke Staat wieder gefragt. Ist das alte Liberalismus-Modell tot?
Antwort: Wir brauchen beides, einen Staat, der in seinen Kernaufgaben handlungsfähig und schnell ist. Und wir brauchen einen starken privaten Sektor, der die Grundlagen für die Finanzierung des Staates schafft. Gegenwärtig haben wir eine totale Schieflage: Der Staat finanziert die Wirtschaft. Das wird nicht lange gut gehen. Dazu gehört auch, dass wir uns mit dem Thema Wirtschaftswachstum und einer Steuerreform beschäftigen müssen.
Frage: Es ist angesichts der hohen Verschuldung wohl kaum die Zeit für Steuersenkungen.
Antwort: Erhöhen dürfen wir sie auf keinen Fall, sonst geht die Wirtschaft ganz in die Knie. Bei Steuerentlastungen stehen aus unserer Sicht nicht so sehr die Steuersätze im Mittelpunkt, sondern die Bemessungsgrundlagen. Die sind immer breiter geworden. Ohne Investitionen wachsen wir aber nicht wieder aus der Krise.
Frage: Ist das die Kernbotschaft Ihres Bundestagswahlkampfes, den Sie jetzt organisieren?
Antwort: Neben einer deutlich ambitionierteren Digitalisierung, deren Notwendigkeit gerade in der Krise deutlich wurde, steht sicher das Thema Wirtschaft bei uns im Fokus. Wir sagen: Wir brauchen jetzt ein zweites Wirtschaftswunder, um wieder dahin zu kommen, wo wir vor der Krise waren. Mit den mageren Wachstumszahlen der letzten Jahre werden wir das nicht schaffen. Es gilt ja auch noch die dramatische demografische Entwicklung zu bewältigen.
Frage: Mit dem Eklat um Thomas Kemmerich war die FDP ins Jahr gestartet. Im April wählt Thüringen erneut. Ist die Abgrenzung zur AfD jetzt klar?
Antwort: Eine Partei, welche die Freiheit des Individuums in den Mittelpunkt stellt, hat mit der völkischen, nationalistisch denkenden AfD keine Schnittmengen. Wir sind da glasklar. Wir haben uns als Bundespartei in aller Schärfe von allem distanziert, was auch nur ansatzweise dazu beitragen könnte, diese Klarheit in Frage zu stellen.
Frage: Was ist ihr Rezept gegen die AfD?
Antwort: Sie ist für alle demokratischen Parteien eine Herausforderung. Wir brauchen daher zum einen die Entschlossenheit der Parteien der Mitte, dem Extremismus jeder Art entgegenzutreten. Und wir müssen als Parteien der Mitte zeigen, dass wir miteinander handlungsfähig sind. Zwischen FDP, CDU, CSU, Grünen und SPD müssen Bündnisse grundsätzlich möglich sein. Daher sollten vor Wahlen keine Koalitionsoptionen ausgeschlossen werden.
Frage: Die FDP liegt in den Umfragen zwischen fünf und sieben Prozent. Müssen Sie Ihre Partei schon auf einen erneuten Überlebenskampf einschwören?
Antwort: Nein. Es ist klar, dass in der Pandemie-Phase vor allem die Regierung wahrgenommen wird. Das ist für Oppositionsparteien eine schwierige Situation. Aber wir spüren Rückenwind, haben neue Mitglieder und erwarten im Herbst bei der Bundestagswahl ein zweistelliges Wahlergebnis.