FDPEU-Gipfel

Wir sollten an der Bewältigung der echten Krisen arbeiten

Alexander Graf LambsdorffAlexander Graf Lambsdorff mahnt zur Gelassenheit
23.02.2016

Alexander Graf Lambsdorff, Vizepräsident des Europäischen Parlaments, hat den EU-Gipfel noch einmal Revue passieren lassen - und zieht im Gastbeitrag für das "Handelsblatt" Bilanz. Sein Urteil: "Selten wurde einem EU-Gipfel so entgegengefiebert wie dem in der vergangenen Woche, selten kam dabei so wenig heraus." Er kritisiert einmal mehr, dass nicht die Flüchtlingskrise im Mittelpunkt der Verhandlungen standen, sondern der Brexit.

Für Lambsdorff ist das einzig Erfreuliche daran, dass sich David Cameron jetzt zum "Brexit"-Gegner erklärt hat. Lambsdorff empfiehlt jetzt: "Auf dem Kontinent sollten wir in dieser Situation britische Gelassenheit an den Tag legen, auf einen guten Ausgang hoffen und derweil an der Bewältigung der echten Krisen arbeiten. Oder, mit Churchill: Keep calm and carry on!"

Lesen Sie hier den gesamten Gastbeitrag:

Selten wurde einem EU-Gipfel so entgegengefiebert wie dem in der vergangenen Woche, selten kam dabei so wenig heraus. In der zentralen Frage der Flüchtlingskrise beschließen die Staats- und Regierungschefs weder Maßnahmen noch Lösungen. Sie stehen mit leeren Händen da. Deutschland war so isoliert wie nie zuvor: Der Brexit war Gegenstand der echten Verhandlungen, die Flüchtlingskrise wurde zur "dinner conversation" degradiert. Ergebnis: ein Angebot mit Reförmchen für London, ein Sondertreffen zu den Flüchtlingen mit der Türkei, mehr nicht.

An einem europäisch vereinbarten Lösungskonzept für die Flüchtlingskrise fehlt es nach wie vor. Die Kanzlerin verstieg sich zu der Aussage, niemand wisse, wie es aussehen solle. Das ist unrichtig. Es gibt einen ganzen Katalog von konkreten Maßnahmen, die zusammengenommen einer europäischen Lösung nahekommen.

Kohl und Genscher wäre das nicht passiert

Erstaunlich daran ist, dass diese Vorschläge zum Teil seit Jahren vorliegen. Allein: Sie wurden in Berlin ein ums andere Mal zurückgewiesen. Darauf, dass zum Beispiel das Dublin-System reformbedürftig ist, haben Italien und Griechenland schon nach der großen Krise vor Lampedusa 2013 hingewiesen. Die Antwort aus Berlin war ein "Njet" von geradezu sowjetischer Härte. Die jetzt plötzlich begonnene Suche der Kanzlerin nach einer "europäischen Lösung" ist der Versuch, von Jahren deutscher Verweigerung einer politischen Entwicklung der EU auf dem Gebiet von Grenzsicherung und Zuwanderungssteuerung abzulenken. In Brüssel sieht man Merkels Politik nicht als Suche nach europäischer Gemeinsamkeit, sondern als deutschen Willen zur Bevormundung.

Klar, dass die anderen Europäer das ablehnen, sogar Frankreich und Österreich haben sich abgewendet. Unvorstellbar, dass Helmut Kohl und Hans-Dietrich Genscher unser Land jemals in eine solche Situation manövriert hätten. Die gemeinsame Sicherung der EU-Außengrenze durch rechtliche und tatsächliche Stärkung von Frontex, einer Sofort-Einsatztruppe, die Griechenland bei der Einrichtung von Registrierungszentren hilft, eine europäische Küstenwache, der Einstieg in ein europäisches Asyl- und Zuwanderungsrecht - das muss jetzt endlich vereinbart werden.

Brexit ist eine Angelegenheit der britischen Innenpolitik

Immerhin: Erfreulich ist, dass sich David Cameron jetzt zum "Brexit"-Gegner erklärt hat. Als Liberale wollen wir einen starken britischen Partner in der EU, der für Marktwirtschaft, Freihandel und Wettbewerbsfähigkeit steht. Cameron kann mit einem echten Sonderstatus in der EU werben, ohne Pflicht zur weiteren politischen Integration.

Ob es reicht? Boris Johnson, der beliebteste konservative Politiker Englands, erklärte, er jedenfalls werde für den Austritt trommeln. Wenn Cameron verliert, steht Johnson bereit, die Führung der Tories und des Landes zu übernehmen. So wird das Brexit-Referendum wieder das, was es im Kern immer war: eine Angelegenheit der britischen Innenpolitik, dem Rest der EU in der schwersten Bewährungsprobe ihrer Geschichte aufgezwungen. Auf dem Kontinent sollten wir in dieser Situation britische Gelassenheit an den Tag legen, auf einen guten Ausgang hoffen und derweil an der Bewältigung der echten Krisen arbeiten. Oder, mit Churchill: Keep calm and carry on!

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