02.07.2003FDP

WESTERWELLE-Interview mit "Die Welt"

Berlin. Der FDP-Bundesvorsitzende DR. GUIDO WESTERWELLE gab der Tageszeitung "Die Welt" (heutige Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellten NIKOLAUS BLOME, ANSGAR GRAW und PETER DAUSEND:
Frage: Herr Westerwelle, sieht man Sie demnächst wieder auf dem Balkon des Kanzleramtes?

WESTERWELLE: Das Kanzleramt ist architektonisch nicht so reizvoll, dass es mich dorthin zöge. Wenn Sie nach politischen Gesprächen fragen, dann muss das Herr Schröder beantworten.
Frage: Der Kanzler muss ja auch nicht mit Ihnen reden, er redet ja schon mit Frau Merkel.

WESTERWELLE: Offenkundig mit beschränktem Erfolg. Noch ist unklar, ob die Union die Kraft findet, die historische Chance für Steuersenkungspolitik zu nutzen. Die Union hat sich in wichtigen Teilen von dem verabschiedet, was CDU und CSU gemeinsam mit der FDP im Bundestagswahlkampf noch gefordert haben, nämlich eine Politik der Steuersenkung. Das unsortierte Macht- und Personalgefüge in der Union darf Steuersenkungen nicht gefährden. Diese Bundesregierung ist die schlechteste seit Gründung der Bundesrepublik, aber bis zur nächsten Wahl müssen wir uns mit den Verhältnissen arrangieren.
Frage: Die FDP gibt der Regierung eine carte blanche für eine Steuerreform, deren Finanzierung noch niemand kennt?

WESTERWELLE: Ich gebe keine carte blanche, sondern will über das Vorziehen der Steuerreform verhandeln. Weite Teile der Union sind dazu erkennbar nicht bereit. Wir wollen die Regierung dazu bringen, mutigere Schritte zu unternehmen als derzeit diskutiert. Wir brauchen Bürokratieabbau, Privatisierungspolitik und einen massiven Subventionsabbau. Jetzt ist Steuersenkungszeit.
Frage: Ihr Konzept ist bekannt - 20 Prozent lineare Subventionskürzung. Aber nichts deutet darauf hin, dass sich die Regierung das zu Eigen macht.

WESTERWELLE: Bei der Regierung gab es bis vor wenigen Tagen auch keine Bereitschaft, sich die Idee von Steuererleichterungen zu Eigen zu machen. Die FDP-Positionen galten der SPD als primitiver Turbokapitalismus - da war sich die Regierung übrigens sehr einig mit manchem Sozialdemokraten innerhalb der Union. Tatsache ist, dass die Probleme unseres Landes jetzt in Richtung der Lösungen zwingen, die die FDP immer gefordert hat.
Frage: Und am Schluss macht der Kanzler FDP-Politik?

WESTERWELLE: Folgender Vorschlag: Wir kürzen die Subventionen, die sich nach den weitesten Berechnungen auf rund 150 Milliarden Euro summieren - und nach Auskunft der Bundesregierung etwa 70 Milliarden betragen - um 20 Prozent. Ein Volumen von etwa 30 Milliarden Euro aus Subventionskürzungen, Privatisierung, Bürokratieabbau und weiteren Einsparungen ist das, was wir erwirtschaften können. Subventionen, bei denen Kürzungen wegen Vertrauensschutz oder aus anderen Gründen nicht in diesem Umfang möglich sind, müssen durch massivere Schnitte an anderer Stelle kompensiert werden. Damit können Steuersätze zwischen 15 und 35 Prozent bezahlt werden: das bringt auch einen erheblichen Selbstfinanzierungseffekt durch den Wirtschaftsaufschwung.
Frage: Interessanter Vorschlag - aber am Schluss entscheiden SPD und Union.
WESTERWELLE: Moment. Wir sind an fünf Landesregierungen beteiligt und haben damit eine Schlüsselstellung im Bundesrat, weil die FDP 23 der insgesamt 69 Stimmen im Bundesrat mit kontrolliert. Ohne uns haben dort weder Rot-Grün noch Union eine Mehrheit. Wir werden kleinkarierte Parteipolitik nicht zulassen.
Frage: Trotzdem reicht das nicht aus, um die Steuersenkungen durchzusetzen, da Enthaltungen von CDU-FDP-Landeskoalitionen im Bundesrat wie Nein-Stimmen gezählt würden.

WESTERWELLE: Wenn ich so pessimistisch ans Leben rangehen würde wie Sie, wäre ich Journalist geworden und nicht Politiker. Ich habe die Signale von Frau Merkel und Herrn Stoiber als sehr konstruktiv aufgenommen - und setze darauf, dass dies den Beginn der Abkehr von der Blockadepolitik markiert. Auch der baden-württembergische Ministerpräsident Teufel hat die Diskussion um die Steuersenkungen anders intoniert.
Frage: Brechen Sie Koalitionsverträge, wenn die CDU nicht den rot-grünen Plänen zustimmt?

WESTERWELLE: Allein seit Sonntag ist festzustellen, dass sich die Union mit ihren ersten Blockadereflexen à la Lafontaine immer weniger wohl fühlt. Der Unterschied zwischen der brutalstmöglichen Blockadeankündigung von Roland Koch und den mittlerweile sehr viel moderateren und konstruktiveren Äußerungen von Angela Merkel und Edmund Stoiber ist ja gewaltig.
Frage: Noch mal: Welche Druckmittel wollen Sie gegen Ihre CDU-Koalitionspartner einsetzen?

WESTERWELLE: Wir werden einen Meinungsdruck in Deutschland erzeugen, gemeinsam mit allen, die für wirtschaftliche Vernunft und die Erneuerung der sozialen Marktwirtschaft eintreten. Notfalls werden wir auf den Straßen und Plätzen unseres Landes mit einer Unterschriften-Aktion für Steuersenkungen Druck machen. Das wird der Union und ihren Ministerpräsidenten zeigen, dass sich ein fundamentaler Blockadekurs gegen Steuersenkungen nicht durchhalten lässt. Und wenn sich am Ende herausstellt, dass Herr Stoiber doch noch blockieren will, werden wir das zum zentralen Thema des Landtagswahlkampfes machen.
Frage: Das wird die Regierung gern hören.

WESTERWELLE: Darum geht es nicht. Wenn ich zu entscheiden habe zwischen Deutschland und dem legitimen oppositionellen Interesse, eine strauchelnde Regierung nicht zu stützen, entscheide ich mich für Deutschland. Natürlich wären mir Neuwahlen morgen am liebsten. Aber wenn wir als Politiker jetzt versagen, kommen wir auf eine demokratiegefährdende schiefe Bahn.
Frage: Ganz konkret - ist die FDP dabei, wenn es um die Streichung der Eigenheimzulage geht? Oder um die Pendlerpauschale?

WESTERWELLE: Ich will etwas anderes, aber ich schließe vor Verhandlungen gar nichts mehr aus....
Frage: ....das ist zu einfach.
WESTERWELLE: Das ist genau angemessen. Ich würde die Chance auf eine erfolgreiche Reformdiskussion zerstören, wenn ich mich in derartigen Fragen im Moment festlege.
Frage: Wollen wir uns einigen, dass wir für die Fragen zuständig sind und Sie für die Antworten?

WESTERWELLE: Sie sind die Herren der Fragen, ich bin Herr meiner Antworten, und darum entscheide ich auch bei jeder Frage, ob ich über das Stöcklein springe, das mir hin gehalten wird. Ich will den Erfolg der jetzt beginnenden Reformdebatte, und deswegen werde ich keine kategorischen Bedingungen an den Anfang setzen. Aber klar ist: Wenn es um Steuersenkungen für Arbeitsplätze in Deutschland geht, dann ist nichts tabu.
Frage: Also macht die Regierung doch jetzt das Richtige?

WESTERWELLE: Genau: Sie übernimmt an diesem Punkt die Politik der FDP. Und jedes Mal, wenn sie das macht, ist das richtig. Alles, was an der Agenda 2010 in der Öffentlichkeit positiv begleitet wurde, ist Originalton FDP-Wahlprogramm. Nur, dass wir damals von dieser Regierung dafür noch heftig beschimpft wurden. Ich habe nicht die Absicht zu vergessen, was wir damals gesagt haben. Wenn Roland Koch jetzt Steuersenkungen blockieren will, verrät er seine Wähler. Da spielt Herr Koch doch in Wahrheit sein Machtspielchen gegen Frau Merkel - zu Lasten Deutschlands.
Frage: Wenn aber nun auch Rot-Grün liberale Wirtschaftspolitik betreibt - wozu braucht man da eigentlich noch die FDP?

WESTERWELLE: Für die Liberalen gibt es noch mehr als genug zu tun. Was nun im Zusammenhang mit den Steuersenkungen und der Agenda 2010 diskutiert wird, sind allenfalls zehn Prozent von dem, was Deutschland braucht. Allein schon in der Gesundheitspolitik, einem der wichtigsten Reformprojekt, müssen wir den Widerstand gegen die Staatssozialisten organisieren - heißen Sie Rot-Grün oder Horst Seehofer. Dass Herr Seehofer mit seinen Vorstellungen der Einheitsrente und der Einheitsversicherung à la "DDR light" die Verhandlungen für die Union führen darf, ist der Verlust jedes ordnungspolitischen Kompasses.
Frage: Wären sie auch bereit, der Regierung bei Abstimmungen eine Mehrheit im Bundestag zu beschaffen?

WESTERWELLE: Ja. Wir sind ausdrücklich bereit, im Interesse eines Aufschwungs für unser Land die notwendigen marktwirtschaftlichen Reformschritte dort mitzutragen, wo Rot-Grün eine eigene Mehrheit nicht zustande bringt.

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