07.11.2002FDP

WESTERWELLE-Interview mit dem "General-Anzeiger"

Berlin. Der FDP-Bundesvorsitzende DR. GUIDO WESTERWELLE gab dem Bonner
"Generalanzeiger" (heutige Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellten ULLA THIEDE und THOMAS WITTKE:

Frage: Erinnern Sie die Bemühungen der Koalition an die Startphase der ersten rot-grünen Regierung?

WESTERWELLE: Wir erleben jetzt weit mehr als schlechtes Management. Es ist eine katastrophale Politik, die Deutschland wirtschaftlich zu japanischen, vielleicht gar argentinischen Verhältnissen bringt. Die Regierung hat ein Programm für eine handfeste Rezession auf den Weg gebracht. Sie macht - und das bestätigen die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute in ihrem Herbstgutachten - das Gegenteil von dem, was Deutschland braucht.

Frage: Was würden Sie angesichts der wirtschaftspolitisch schwierigen Lage anders machen?

WESTERWELLE: Wir hätten die Steuern gesenkt und vor allem das Steuersystem vereinfacht sowie für strukturelle Veränderungen der sozialen Sicherungssysteme gesorgt. Nur so wird sich wirtschaftspolitische Dynamik einstellen. Rot-Grün kann solche Schritte nicht vollziehen, weil diese Regierung im ideologischen Gedankenkäfig der Linken eingesperrt ist. Die Regierung Schröder hat der Regierung Schröder eine schwere Erblast überlassen.

Frage: Wo würden Sie einsparen?

WESTERWELLE: Neben dem gerechteren Steuersystem würden wir an die lineare Subventionskürzung herangehen. Der Bundeshaushalt enthält 55 Milliarden Euro Subventionen. Eine Kürzung um beispielsweise zehn Prozent wäre notwendig und machbar. Wir müssen privatisieren. Staatsbetriebe sind in vielen Fällen kein Tafelsilber, sondern Senkblei am Hals des Steuerzahlers. Und wenn man sich die Berichte nur der Rechnungshöfe und des Bundes der Steuerzahler anschaut, finden Sie zahllose Beispiele für milliardenschwere, unsinnige Ausgaben.

Frage: Bringt die Hartz-Reform eine grundlegende Änderung auf dem Arbeitsmarkt?

WESTERWELLE: Die Vorschläge werden in einigen Bereichen sogar noch negative Auswirkungen haben. Durch diese bürokratisierten Lösungen werden in Zeitarbeitsfirmen Arbeitsplätze nicht aufgebaut, sondern eher abgebaut. Hartz beschäftigt sich mit Symptomen: Es macht doch nur beschränkt Sinn, vorhandene Arbeit besser zu vermitteln. Man muss neue Arbeitsplätze schaffen. Das geht nur mit marktwirtschaftlicher Erneuerung, von der diese Regierung Lichtjahre entfernt ist.

Frage: Also gibt die FDP ein "Ungenügend"?

WESTERWELLE: Nicht nur wir. SPD-Altkanzler Helmut Schmidt hat gerade noch einmal darauf hingewiesen, dass beispielsweise unser Tarifrecht nicht betriebsnah genug ist. Es ist zu unflexibel. Diese Kritik unterstreiche ich doppelt und dreifach. In den Betrieben herrscht Fremdbestimmung durch Gewerkschafts- und Verbandsfunktionäre. Das ist ein großes Problem für unsere wirtschaftliche Entwicklung. Es muss betriebsnahe Differenzierungen geben. Davor drückt sich die Regierung.

Frage: Wie würden Sie die Rentenfinanzen stabilisieren?

WESTERWELLE: Durch eine echte Strukturreform, die deshalb die demographische Entwicklung berücksichtigt. Dagegen gibt die Regierung mit der Verringerung der Schwankungsreserve den Notgroschen der Rentner aus.

Frage: Die Renten müssen kurzfristig finanziert werden. Sind 19,5 Prozent ok?

WESTERWELLE: Beitrags-Erhöhungen sind kein Mittel der Rentenstabilität. Dadurch steigen die Lohnzusatzkosten und die Arbeitslosigkeit, und die Beitragseinnahme der Rentenkassen sinken erneut.

Frage: Wäre für Sie eine Rentenanpassung zum 1. Juli 2003 verzichtbar?

WESTERWELLE: Das ist doch eine Scheinalternative. Es kann doch nicht darum gehen, dass wir den Leuten die Renten wegnehmen, um das System zu finanzieren. Das System wird wieder gesund, wenn durch eine Erneuerung der sozialen Marktwirtschaft mehr Menschen Arbeit haben und sie so erst wieder Beiträge zahlen können.

Frage: Wie würden Sie den Zustand der FDP am 7.11.2002 charakterisieren?

WESTERWELLE: In schwierigem Fahrwasser, aber wir wachsen unverändert weiter.

Frage: Erklärung Sie doch einmal die Zwänge, unter denen Sie bei der Bewältigung der Affäre Möllemann stehen?

WESTERWELLE: Wir wollen und wir müssen für Aufklärung sorgen. Bundestagspräsident Thierse hat unser Bemühen ausdrücklich positiv gewürdigt. Wir sind die treibende Kraft der Aufklärung. Wir halten mit nichts hinter dem Berg.

Frage: Dieser Aufklärungswille kennt auch weiterhin keine Grenze, selbst wenn er Probleme im Dehler-Haus offen legen sollte?

WESTERWELLE: Was wir erfahren, wird auch die Öffentlichkeit erfahren. Genauso wie bislang auch.

Frage: Wie charakterisieren Sie die Verhältnisse im NRW-Landesverband unter Möllemann?

WESTERWELLE: Das Kapitel ist für mich abgeschlossen. Das ist Vergangenheit.

Frage: Würden Sie Frau Flach weiter zu einer Kandidatur für den NRW-Vorsitz raten?

WESTERWELLE: Ihre Bereitschaft zur Kandidatur ist ihre souveräne Entscheidung. Es gibt voraussichtlich mehrere Bewerber. Der Parteitag wird darüber demokratisch befinden.

Frage: Haben Sie noch Vertrauen in die dortige Parteispitze?

WESTERWELLE: Ja, der Landesverband wird gemeinsam mit der Bundespartei den Weg der Aufklärung weiter gehen.

Frage: Halten Sie es für möglich, dass weite Teile des Landesverbandes nichts von den Aktivitäten Möllemanns gewusst haben?

WESTERWELLE: Ich spekuliere nicht.

Frage: Möllemann bittet um Anhörung seiner Position. Erhält er die Möglichkeit?

WESTERWELLE: Wir haben ihn ja bereits mehrfach gebeten, uns die Namen der Spender zu nennen. Das wird alles streng nach Verfahrensregeln innerhalb der Partei und nach Recht und Gesetz entschieden. Jetzt wird die Staatsanwaltschaft ermitteln.

Frage: Ist ein Parteiausschluss nicht mit dem Risiko verbunden, dass er einen Teil seiner Anhängerschaft mitnimmt?

WESTERWELLE: Nein.

Frage: Was haben Sie persönlich falsch gemacht?

WESTERWELLE: Die Kritik, ich hätte Herrn Möllemann zu lange vertraut, ist sicher berechtigt.

Frage: Treten Sie beim nächsten Parteitag in Bremen wieder an?

WESTERWELLE: Ja, selbstverständlich. Wir haben in meiner Amtszeit bei jeder Wahl zugelegt, Spitzenergebnisse in den Kommunen erzielt, drei Landtage nach achtjähriger Abwesenheit zurückerobert und bei der Bundestagswahl aus eigener Kraft ein besseres Ergebnis erreicht als 1994 und 1998. Und: Wir sind mit unseren guten Wahlergebnissen in Ostdeutschland endlich wieder gesamtdeutsche Partei.

Frage: Zuspruch aus der Partei?

WESTERWELLE: Sehr viel, von jung und alt, vor allem aber von älteren Parteifreunden, die schon schwierigere Zeiten mit der FDP erlebt haben.

Frage: Wie wollen Sie die FDP aus dem Jammertal herausholen?

WESTERWELLE: Durch eine gute Oppositionsarbeit, in klarem Kontrast zur schlechten Arbeit von Rot-Grün.

Frage: Gibt es für die FDP ein besseres Leben nach Möllemann?

WESTERWELLE: Einer solch literarischen Formulierung entgegne ich pragmatisch: Wir werden die Wahlen in Hessen und Niedersachsen erfolgreich bestehen.

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