11.05.2005FDP

WESTERWELLE-Interview für die "Westfalenpost"

Der FDP-Bundesvorsitzende DR. GUIDO WESTERWELLE gab der "Westfalenpost" (Mittwoch-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte LORENZ REDICKER:

Frage: An der Rede des Bundespräsidenten hat es Kritik von SPD und Grünen gegeben. Horst Köhler habe sich als Wegbereiter eines "neuen konservativen geistigen Umfelds profiliert", sagt SPD-Fraktionsvize Erler. Was sagen Sie?

WESTERWELLE: Wer die Rede des Bundespräsidenten als einseitig ansieht, hat ein gestörtes Verhältnis zur Gegenwart Deutschlands. Die Rede von Prof. Köhler ist ein neuer bemerkenswerter Meilenstein nach der großartigen Rede Richard von Weizsäckers - nicht nur über unsere deutsche Verantwortung für die deutsche Geschichte, sondern auch über das, was wir gelernt haben aus dieser Geschichte.

Frage: Grünen Chefin Roth hätte sich "ein bißchen weniger Nationalstolz" gewünscht.

WESTERWELLE: SPD und Grüne instrumentalisieren ihre Kritik am Bundespräsidenten für die Mobilisierung ihrer Anhängerschaft im Wahlkampf. Diese Kritik ist nicht sachlich motiviert, sondern wahlkampftaktisch. Der Bundespräsident hat mit großer bemerkenswerter Klarheit gesagt: es kann keinen Schlußstrich geben. Aber daß wir auf unsere Nachkriegsgeschichte stolz sein können, ja sogar stolz sein sollen, unterstreiche ich nachdrücklich. Der Bundespräsident scheint ein Lieblingsobjekt der politischen Linken zu werden, um sich daran abzuarbeiten.

Frage: Die Steuerschätzung steht an, mit furchtbaren Ergebnissen. Die Bundesregierung schließt eine Steuererhöhung aus. Glauben Sie ihr?

WESTERWELLE: Die Bundesregierung sagt, sie habe nicht die Absicht, in absehbarer Zeit die Mehrwertsteuern zu erhöhen - das hört sich für mich so an wie das seinerzeitige Versprechen: Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu bauen. Die neue Steuerschätzung wird ein abermaliges Dokument des völligen Scheiterns der Wirtschafts- und Finanzpolitik der Bundesregierung.

Frage: Ist Finanzminister Eichel noch zu halten?

WESTERWELLE: Herr Eichel ist seit längerem schon mit seiner Aufgabe überfordert. Ich glaube auch, daß diese buchhalterische Finanz- und Wirtschaftspolitik nicht funktionieren kann. Das Problem ist, daß die rot-grüne Bundesregierung sich einerseits zwar bemüht, die Arbeitslosigkeit besser zu verwalten, sie aber gleichzeitig keine wachstumsorientierte Wirtschaftspolitik hinzufügt. Wenn Sie nicht konkrete neue Anreize schaffen für neue Arbeitsplätze, kann das nicht funktionieren.

Frage: Wie tief müssen in Deutschland die Löhne fallen, damit wir wieder wettbewerbsfähig werden?

WESTERWELLE: Deutschland war nie ein Niedriglohn-Land, Deutschland wird auch nie ein Niedriglohn-Land werden. Soviel die anderen billiger sind, soviel müssen wir besser sein. Wir brauchen einen Vorsprung. Und das ist das Problem: Wir steigen aus sämtlichen Wachstumstechnologien aus ideologischen Gründen aus: aus dem Transrapid, aus der Nuklearforschung, aus der Bio- und Gentechnologie. Rot-Grün macht eine forschungs- und technologiefeindliche Politik, doch genau hier liegt der Schlüssel für unseren Wohlstand.

Frage: Sie haben die Gewerkschaften scharf kritisiert ...

WESTERWELLE: Ich bin für starke Gewerkschaften. Aber starke Gewerkschaften müssen die Arbeitnehmerinteressen vertreten, nicht die Funktionärsinteressen. Wir wollen, daß mehr in den Betrieben selbst entschieden wird.

Frage: Selbst die Arbeitgeber fürchten betriebliche Bündnisse!

WESTERWELLE: Wundert Sie das? Die ganze unverantwortliche Sockellohnpolitik der vergangenen Jahrzehnte trägt doch nicht nur die Unterschrift der Gewerkschaftsfunktionäre, sondern auch die der Arbeitgeberfunktionäre.

Frage: Ist es nicht gut, wenn die Gewerkschaften den Druck auf Arbeitnehmer abfedern?

WESTERWELLE: Meine These ist, daß die allermeisten Menschen selber am besten wissen, was gut für sie ist. Deshalb ist mir wichtig, daß die Flächentarife flexibilisiert werden und damit paßgenauer werden für die einzelnen Betriebe. Wenn 75 Prozent der Arbeitnehmer in einem Betrieb in geheimer Abstimmung beschließen, vom Flächentarif abzuweichen, dann soll niemand dagegen ein Veto einlegen können - nicht der Gewerkschaftsfunktionär und nicht der Arbeitgeberfunktionär. Wenn wir Regierungsverantwortung übernehmen, wird das so kommen.

Frage: Womit müssen die Gewerkschaften noch rechnen?

WESTERWELLE: Wir werden die paritätische Mitbestimmung abschaffen, die es nirgends sonst in Europa gibt, zugunsten der Drittelparität. Und wir werden dafür sorgen, daß in den Aufsichtsräten auf der Arbeitnehmerseite Betriebsangehörige sitzen und nicht Gewerkschaftsfunktionäre, die noch nicht eine Sekunde in dem Betrieb gearbeitet haben.

Frage: Würden sie heute den Begriff der Plage der Gewerkschaften zurücknehmen?

WESTERWELLE: Ich habe da nichts zurückzunehmen. Die zugespitzte Ausdrucksweise hat den Weg frei gemacht für eine differenzierte Debatte.

Frage: Die FDP macht massiv Front gegen die Windkraft. Was wollen sie konkret?

WESTERWELLE: Wir planen, die Subventionierung der Windenergie abzuschaffen.

Frage: Heißt das, sie wollen die Einspeisevergütung für grünen Strom abschaffen?

WESTERWELLE: Das heißt, wir wollen keinerlei Privilegien durch Steuervergünstigung oder sonstige Beihilfen. Windstrom muß sich rechnen. 2,5 Mrd. Subventionen für 0,63 Prozent des nationalen Energiebedarfs sind auch unsozial, denn bezahlt wird das über den Strompreis beispielsweise der Rentnerin.

Frage: Nun sind hier viele neue Arbeitsplätze geschaffen worden. Die fordern sie doch?

WESTERWELLE: Wir wollen kein neues Subventionsgrab schaffen. Wenn die subventionierten Windradhersteller sagen, sie seien in zehn Jahren konkurrenzfähig, erinnert mich das an die Steinkohle vor 40 Jahren. Wir wollen diese Subventionsgelder in die Bildung investieren.

Frage: Es gibt Skepsis ob der FDP-Spitze in NRW?

WESTERWELLE: Ingo Wolf ist das totale Kontrastprogramm zu Frau Höhn. Er ist ein Problemlöser, ein Praktiker und kein ideologischer Tagträumer. Das qualifiziert ihn dafür, Verantwortung zu übernehmen.

Frage: Was von dem, was sie fordern, können Sie mit der Union durchsetzen?

WESTERWELLE: Das ist die empfindlichste Frage: Wird die derzeitige Opposition mutig genug sein, den großen Wurf zu wagen? Wenn die rot-grüne Politik der Trippelschritte fortgesetzt wird, wäre das ein Desaster. In NRW droht das nicht, die CDU ist hier zusammen mit der FDP programmatisch gut aufgestellt. Im Bund ist das bei der Union noch nicht in allen Bereichen so. Aber auch da bin ich guter Dinge.

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