WESTERWELLE-Interview für "Stern"
Berlin. Der FDP-Partei- und -Fraktionsvorsitzende DR. GUIDO WESTERWELLE gab dem "Stern" (morgige Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellten ANDREAS HOIDN-BORCHERS und AXEL VORNBÄUMEN:
Frage: Herr Westerwelle, demnächst werden Sie 47. Sind die besten Jahre schon vorbei?
WESTERWELLE: Wollen Sie mir jetzt eine Midlife-Krise einreden? Konrad Adenauer war sehr viel älter, nämlich 73, als er sich mit den Worten "Ich bin gesund" als Bundeskanzler beworben hat.
Frage: Klingt fast wie eine Drohung.
WESTERWELLE: Ich bin sogar kerngesund.
Frage: Hatten Sie nie Ausstiegsfantasien? Nie den Wunsch, einmal mit wehenden Haaren auf einer Harley durch Australien zu fahren?
WESTERWELLE: Nein. Entsetzlich. Was soll ich auf einem fetten Motorrad wochenlang in der Wüste?
Frage: Dann vielleicht ein halbes Jahr Strand?
WESTERWELLE: Länger als ein paar Tage? Das bin ich nicht. Rasten, rosten und rösten entspricht nicht meinem Naturell. Ich hasse Langeweile.
Frage: Sie sind nie irgendwo unrasiert aufgetaucht?
WESTERWELLE: Bei einem offiziellen Termin? Nicht, dass ich wüsste.
Frage: Wir fassen zusammen: Das Leben jenseits der Politik reizt Sie nicht!
WESTERWELLE: In der Oberstufe habe ich eine Zeit lang davon geträumt, Kunst zu studieren. Mein Lehrer hat mir geraten: dann lieber Kunstgeschichte, Guido. So wurde ich eben Anwalt und Sammler.
Frage: Schreckt Sie das Alter?
WESTERWELLE: Dazu bin ich noch nicht nah genug dran.
Frage: Hätten Sie gerne Kinder?
WESTERWELLE: Es ist schade, dass sich das nicht ergeben hat. Wenn ich sehe, wie viel Glück mit Kindern verbunden ist, kann ich manchmal schon melancholisch werden, ja.
Frage: Würden Sie sich denn als glücklichen Menschen bezeichnen?
WESTERWELLE: Ja. Die meiste Zeit als zufriedenen Menschen und sogar öfter, als man verlangen darf, als glücklichen Menschen.
Frage: Gilt das auch für den Politiker Westerwelle?
WESTERWELLE: Politisch bin ich nicht zufrieden. Ich will, dass die FDP regiert.
Frage: Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff hat im stern gesagt, er traue sich das Amt des Kanzlers nicht zu. Trauen Sie sich wenigstens den Job des Außenministers zu?
WESTERWELLE: Wenn ich mir ein solches Amt nicht zutraute, hätte ich nicht Vorsitzender der FDP werden dürfen.
Frage: Und natürlich sind Sie der Ansicht, dass das Außenamt praktisch per Gewohnheitsrecht in die Hände der FDP gehört.
WESTERWELLE: Dass Deutschland mit liberalen Außenministern bestens gefahren ist, werden nicht mal unsere Kritiker leugnen.
Frage: Sind Sie ein Alpha-Tier?
WESTERWELLE: Wenn ich das aus falscher Bescheidenheit bestreiten würde, dann wäre das eine dicke Lüge. Ich bin"s. Ich habe klare Werte und eine Leidenschaft fürs Gestalten und fürs Führen. Ich verstecke es auch nicht. Soll ich hier rumheucheln? Natürlich will ich regieren.
Frage: Würde es Ihnen auch Spaß machen?
WESTERWELLE: Wie hat Angela Merkel so schön formuliert? Sie will Deutschland dienen. Ich auch. Außerdem wünsche ich mir eine andere deutsche Außenpolitik - eine, die dem Thema Abrüstung wieder mehr Aufmerksamkeit widmet. Dass die USA in Polen und Tschechien Raketen stationieren wollen, ist von der Bundesregierung mehr oder weniger durchgewinkt worden. Das halte ich für einen schweren Fehler. Die Gefahr der Aufrüstungsspirale unmittelbar vor unserer Haustür ist dadurch sehr groß geworden.
Frage: Da hätten Sie ja auch in neuer Funktion schon ein Themenfeld zu beackern.
WESTERWELLE: Es wäre jetzt schon Zeit. Bei seinem Besuch in Berlin hat Barack Obama zweimal glasklar seinen Wunsch von einer Welt ohne Nuklearwaffen geäußert. Gleichzeitig ist Bewegung in Moskau zu beobachten. Russlands Präsident Medwedew hat angeboten, über die angekündigte russische Raketenstationierung mit sich reden zu lassen, wenn die USA in Polen und Tschechien ihrerseits auf Raketen verzichten. Das wäre die Stunde von Walter Scheel, Hans-Dietrich Genscher oder Klaus Kinkel gewesen. Die hätten diese Worte sofort in eine deutsche respektive europäische Initiative umgesetzt. Das vermisse ich.
Frage: Herr Westerwelle, ein Schwuler als Außenminister - muss man die Frage stellen?
WESTERWELLE: Moment! Wir reden lediglich davon, ob ich mir das zutraue! Tue ich. Ich wüsste nicht, was mein Privatleben damit zu tun haben sollte. Ich habe in den letzten Jahren so viele Gespräche mit herausragenden Persönlichkeiten in aller Welt führen dürfen - und, glauben Sie mir, es hat nicht ein einziges Mal eine Rolle gespielt, dass ich als Mann mit einem Mann zusammen bin.
Frage: Auch nicht in der islamischen Welt?
WESTERWELLE: Nein, auch da nicht. Vergessen Sie nicht: Es gibt Länder, da dürfen Frauen nicht wählen. Die müssen selbstverständlich auch mit einer deutschen Bundeskanzlerin zurechtkommen. Ob man in diese Länder eine Frau schicken kann, diese Frage ist auch nicht gestellt worden, oder? Wer Bundeskanzler wird, entscheiden die Deutschen - ob Frau oder Mann. Wer Außenminister wird, entscheiden die Deutschen - ob schwul oder heterosexuell.
Frage: Ist in Deutschland das Thema durch?
WESTERWELLE: Die ganz große Mehrheit der Bevölkerung hat überhaupt kein Problem mit meinem Privatleben. Es würde unserer Außenpolitik übrigens gut anstehen, wenn sie diesen Geist der deutschen Toleranz in andere Länder tragen würde.
Frage: Es gibt aber Staaten, die auf Ihre Art von Toleranz pfeifen.
WESTERWELLE: Das muss man nicht hinnehmen. Ich bin zum Beispiel dagegen, dass Länder Entwicklungshilfe vom deutschen Steuerzahler bekommen, die Frauen nur als Menschen zweiter Klasse behandeln und systematisch misshandeln oder wo Männer und Frauen hingerichtet werden, nur weil sie homosexuell sind.
Frage: Das wird aber nicht leicht umzusetzen sein.
WESTERWELLE: Ja, das erfordert Diplomatie und Hartnäckigkeit. Deutsche Außen- und Entwicklungspolitik muss immer auch die Vermittlung von freiheitlichen Werten sein.
Frage: War es ein Fehler, dass Sie so lange mit dem Outing gewartet haben?
WESTERWELLE: Ich habe doch nie ein Geheimnis aus meinem Leben gemacht. Was gab es zu erzählen, als ich noch keinen festen Partner hatte? Den habe ich seit über fünf Jahren. Ich habe nie eine Kulisse geschoben, nie Alibi-Beziehungen behauptet.
Frage: Sie haben kürzlich sogar im Bundestag darüber gescherzt
WESTERWELLE: Man wird ja auch lockerer. Vor ein paar Jahren hätte ich noch viel verkrampfter auf Ihre Fragen geantwortet. Mit zunehmenden Jahren wird man souveräner, jedenfalls, wenn es gut läuft.
Frage: Wäre ein Außenminister Guido Westerwelle ein später Sieg über Joschka Fischer?
WESTERWELLE: Früher hätte mir das vielleicht noch eine kleine Genugtuung bereitet. Aber dieses Stadium ist überwunden. Wir werden niemals dicke Freunde werden, aber wir gehen mittlerweile zivilisiert bis freundlich miteinander um.
Frage: Das klingt fast nach spätem Respekt.
WESTERWELLE: Er hat schon Verdienste. Die Raubauzigkeit, mit der Gerhard Schröder international aufgetreten ist, hätte zu sehr viel größeren Problemen für Deutschland geführt, hätte Außenminister Fischer sie nicht geglättet. Auch das erkenne ich an.
Frage: Frank-Walter Steinmeier würde Ihnen sein Außenministerium liebend gerne übereignen, wenn Sie ihn zum Kanzler einer Ampelkoalition machen.
WESTERWELLE: Das Problem von Frank-Walter Steinmeier hat drei Buchstaben
Frage:...FDP!
WESTERWELLE: Nein: SPD.
Frage: Na gut, die Partei müsste schon mitregieren.
WESTERWELLE: Eben. Ich schätze Herrn Steinmeier sehr, er ist ein kluger und angenehmer Gesprächspartner. Im Russland-Georgien-Konflikt hat er sich viel klüger geäußert als mancher Falke aus der Unionsfraktion. Aber die größeren Schnittmengen haben wir als FDP nach wie vor mit der CDU/CSU, trotz ihrer Sozialdemokratisierung. Für eine Ampel sehe ich derzeit einfach keine ausreichende inhaltliche Grundlage.
Frage: Es kann aber passieren, dass es keine schwarz-gelbe Mehrheit gibt.
WESTERWELLE: Dann werden die Grünen eben aufs Schiff nach Jamaika gehen. In Hamburg haben sie sich ja schon mit der CDU zusammengetan.
Frage: Ist eine Ampel definitiv ausgeschlossen?
WESTERWELLE: Ausgeschlossen ist für mich nur, dass wir alle auf der Erde ewig leben. Ich will etwas anderes, ich werbe für klare Verhältnisse.
Frage: Wäre man nach elf Jahren Opposition nicht bereit, mehr Kröten zu schlucken?
WESTERWELLE: Die FDP gibt es nicht um jeden Preis, auch nicht für die Union. Wenn es nur darum ginge, wer von uns Minister wird - das hätten wir alles schon 2005 haben können. Wir wollen gestalten, von niedrigeren Steuern über bessere Bildung bis hin zu neuem Respekt vor den Bürgerrechten.
Frage: Noch mal vier Jahre harte Oppositionsbank als Perspektive
WESTERWELLE: Opposition ist wichtig, man darf sie nicht gering schätzen, sie ist der FDP auch nicht schlecht bekommen, aber es frustriert schon, wenn man das Richtige für Deutschland nicht durchsetzen kann.
Frage: Würden Sie sich persönlich den Frust noch mal vier Jahre geben wollen?
WESTERWELLE: Selbstverständlich würde ich mich nicht in meinen geliebten Hunsrück zurückziehen und Schafe scheren. Völlig abwegig. Vor allem, falls ein rot-rot-grünes Linksbündnis regieren sollte. Da könnte ich doch nicht zusehen! Nein, ich mache weiter, auch wenn wir nicht regieren sollten.
Frage: Wir fürchten ja nur, Ihnen könnte die Politik auch mal zum Halse raushängen.
WESTERWELLE: Tut sie aber nicht. Im Gegenteil. Ich war lange nicht mehr so energiegeladen. Ich bleibe in der Politik, wenn die Wähler es zulassen und meine Partei es will. Und beides scheint so zu sein.
Frage: Herr Westerwelle, wieviel Geld haben Sie in den vergangenen Wochen verloren?
WESTERWELLE: Das war und ist sicher angelegt.
Frage: Wie? Wenn"s um Geld geht, Sparkasse?
WESTERWELLE: Ja. Ich bin ein konservativer Anleger. Ich habe ein überschaubares Aktiendepot, ansonsten bin ich seit vielen Jahren ganz solide bei der Sparkasse.
Frage: Der Politiker Westerwelle verficht die Devise "Ohne Risiko keine Freiheit", der Anleger Westerwelle scheut dieses Risiko und bringt seine Kohle in Sicherheit. Interessant.
WESTERWELLE: Vielleicht ist es ja weniger Kohle, als Sie denken. Sie sollten einfach mal das eine oder andere frühkapitalistische Vorurteil gegen die FDP beerdigen.
Frage: Freuen Sie sich schon auf den Barscheck, den Ihnen die Regierung demnächst spendiert?
WESTERWELLE: Ich habe etwas gegen eine Pseudo-Entlastung durch Konsumgutscheine. Erst nimmt die Regierung den Bürgern zu viel Steuern und Abgaben ab, und dann teilt sie ihnen quasi ein Taschengeld zu. Das ist nicht unser Gesellschaftsbild. Besser wäre es, die Regierung würde die Bürger dauerhaft durch einfachere und niedrigere Steuern entlasten. Dann würde sich Leistung auch wieder lohnen.
Frage: Ist Ihr Weltbild durch die Finanzkrise auf den Kopf gestellt worden?
WESTERWELLE: Nein.
Frage: Die freien Finanzmärkte kollabieren - und für den Marktanhänger Westerwelle ändert sich nichts?
WESTERWELLE: Nein.
Frage: Hat sich Ihr Bild von Bankmanagern gewandelt?
WESTERWELLE: Nein. Da hatte ich schon immer eine gesunde innere Distanz. Aber ich finde es unangemessen, die Banker als neue Zöllner auszurufen. Es ärgert mich sehr, dass Tausende Bankmitarbeiter, die großartige Arbeit leisten, jetzt in Verruf geraten, weil einige den Hals nicht vollkriegen konnten und unseriös herumspekuliert haben.
Frage: Hat sich Ihr Bild vom Staat verändert?
WESTERWELLE: Auch nicht.
Frage: Sie müssen nicht Abbitte leisten?
WESTERWELLE: In keiner Weise.
Frage: Obwohl der "Steuerstaat" dafür sorgt, dass nicht alles zusammenbricht?
WESTERWELLE: Wir haben, anders als Grüne und Linke, dem Hilfspaket zugestimmt. Es heißt immer, wir seien die Vertreter einer sogenannten neoliberalen Politik. Da gibt es ein paar Missverständnisse. Wir haben nie verfochten, dass Wirtschaft Wildnis heißt mit dem Recht des Stärkeren, im Gegenteil. Wir wollen die freie und faire Gesellschaft - mit einem staatlichen Ordnungsrahmen, damit es eben nicht zugeht wie im Tigerkäfig. Allerdings glauben wir, dass ein starker Staat sich auf seine Kernaufgaben konzentriert. Ein Staat, der jeden Rauchkringel gesetzgeberisch regeln möchte, aber gleichzeitig bei der Bankenaufsicht eklatant wegschaut, das ist ein schwacher Staat.
Frage: Trauen Sie Angela Merkel, wenn sie sagt, sie wolle Schwarz-Gelb?
WESTERWELLE: Es haben sich leider einige aus der Union, auch in deren Spitze, in der Großen Koalition sehr gemütlich eingerichtet. Aber man sollte nicht vergessen: Alle wichtigen Entscheidungen in der Bundesrepublik sind mit knappen Mehrheiten beschlossen worden. Wenn die Wähler eine schwarz-gelbe Mehrheit bilden, dann wird es auch eine schwarz-gelbe Regierung geben. Ich denke, das sieht auch Angela Merkel so.
Frage: Sie haben mal gesagt, Sie seien in Ihrem früheren Leben wahrscheinlich ein Pferd gewesen. Wegen Ihres guten Orientierungssinnes. Welches Tier käme für Frau Merkel wohl infrage? Das Chamäleon?
WESTERWELLE: Meine Herren, ich bitte Sie. So viel diplomatischen Anstand habe ich allemal, dass ich im stern eine Dame nicht mit einem Tier vergleiche.