22.01.2003FDP

WESTERWELLE-Interview für die "Wetzlarer Neue Zeitung"

Der FDP-Bundesvorsitzende DR. GUIDO WESTERWELLE gab der "Wetzlarer Neuen Zeitung" (Mittwoch-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellten MICHAEL KÖHLER.

Frage: Jüngsten Umfragen zufolge liegt die FDP in Hessen wie auch in Niedersachsen bei sieben Prozent. Dennoch bleibt der Wiedereinzug in den Wiesbadener Landtag eine
Zitterpartie. Mit welchen Gefühlen gehen Sie in die letzten beiden Wochen Wahlkampf?

WESTERWELLE: Die FDP ist in Hessen personell, programmatisch und strategisch exzellent aufgestellt. Sie ist ein Stützpfeiler einer der erfolgreichsten Landesregierungen. Deswegen rechne ich mit einem ordentlichen Zuwachs bei der Wahl und mit der Fortsetzung der Regierung KOCH / WAGNER. Die Meinungsforscher sehen das genauso.

Frage: Können Sie den "ordentlichen Zuwachs" beziffern?

WESTERWELLE: Was Prozentzahlen angeht, bin ich durch Erfahrung vorsichtig geworden.

Frage: Was halten Sie von den Zweitstimmenkampagnen der Landesverbände in Niedersachsen und Hessen?

WESTERWELLE: Ich finde das unbedingt richtig und notwendig. Ich habe den Parteifreunden auch ausdrücklich dazu geraten. In Hessen kommt es ja nicht
nur darauf an, Rot-Grün zu verhindern, sondern auch darauf, dass die FDP ihre Funktion als Antreiber und Kontrolleur der Union wahrnehmen kann. Das sehen auch viele CDU-Wähler so. Viele wollen keine unkontrollierte CDU, die in Wirtschaftsfragen oftmals die gleiche staatsbürokratischen Leier vertritt wie die SPD.

Frage: Sie haben auf dem Dreikönigstreffen jedoch die FDP nicht zuerst als Koalitionspartner definiert. Dennoch schwört Hessens Landesvorsitzende RUTH WAGNER den Treueeid zu ROLAND KOCH (CDU).

WESTERWELLE: Ich glaube, dass RUTH WAGNER zurecht für die Fortsetzung einer Regierung wirbt. Es wäre geradezu aberwitzig, wenn die FDP nicht mit einer klaren Koalitionsaussage in diese Wahl gehen würde.

Frage: Wie sehen sie das Szenario, dass die Union in Hessen eine absolute Mehrheit erreicht und die FDP zwar im Landtag, aber nicht in der Regierung sitzt?

WESTERWELLE: Damit rechne ich nicht, weil viele Wähler wissen, dass die FDP ein Aktivposten der Landesregierung ist. Diese Wähler wollen keine CDU, die niemand mehr kontrollieren kann.

Frage: Dennoch legt die FDP gerade auch in Hessen nicht so stark zu wie die CDU.

WESTERWELLE: Vor wenigen Wochen wurde uns in Hessen noch eine dramatische Niederlage vorausgesagt. Inzwischen liegen wir gut im Rennen. Warten wir"s mal
ab. Ich treffe kaum noch Menschen, die zugeben, im September Rot-Grün gewählt zu haben. Es werden stündlich weniger. Das ist auch eine Empfehlung für die Liberalen.

Frage: Ist die Strategie 18 tot?

WESTERWELLE: Das werden Sie von mir nie hören, denn die Zahl war nie die Strategie. Die 18 waren ein Wahlziel, das wir eindeutig am 22. September nicht erreicht haben, auch wenn wir gut zulegen konnten.

Frage: Wie schätzen Sie die Stimmung an der Basis ein? Spüren Sie Gegenwind im Ausklang der MÖLLEMANN-Affäre?

WESTERWELLE: Die Menschen in Deutschland haben andere Probleme: Arbeitslosigkeit, Steuern und Kriegsgefahr. Ich lehne es ab, Diskussionen zu verlängern, zu denen alles gesagt wurde.

Frage: Die FDP fordert, dass die Bürger nicht mehr als ein Drittel ihres Bruttoverdienstes an Steuern zahlen. Da müsste Sie ja jeder wählen.

WESTERWELLE: Sie haben Recht: Unser Programm steht für "Wohlstand für alle". Nach der Wahlniederlage 1998 hat keiner einen Pfifferling auf die FDP gegeben. In
aller Bescheidenheit: In den zwei Jahren, seitdem ich die Partei leite, haben wir bei jeder Wahl zugelegt. Als einzige Partei verzeichnen wir einen Mitgliederzuwachs. Die Hälfte der Neueingetreten ist unter 35 Jahre alt. Wir gehen frischer, unverbrauchter und unkonventioneller an politische Prozesse heran.

Frage: Bedeutet das eine weitere Orientierung der FDP auf die Jüngeren? Daran streiten sich ja auch die Geister.

WESTERWELLE: Wenn die FDP unterm Strich zulegt, muss man zur Kenntnis nehmen, dass wir uns erfolgreich bemühen, Politik verständlich zu machen.

Frage: Auch ehrlicher?

WESTERWELLE: Die Bundesregierung hat mit einem bisher noch nicht dagewesenen Wortbruch die gesamte politische Kultur in Verruf gebracht hat. Dass man als Politiker gelegentlich unangenehme Sachen nicht ins Schaufenster stellt, weiß jeder. Die
Bundesregierung hat aber beispielsweise beim Stabilitätskriterium für den Euro amtlich gelogen.

Frage: Ist aber nicht der Bruch des Stabilitätspakts schlimmer als jede Lüge?

WESTERWELLE: Ja, es geht um die Frage, ob der Euro auf eine schiefe Bahn kommt. Auch andere Länder in Europa spüren den Druck auf die Haushalte. Wenn Deutschland, das die Stabilitätskriterien erfunden hat, sie nicht einhält, dann wird der Euro gleich zu Beginn
auf einen falschen Weg gebracht und droht langfristig zu einer Weichwährung in der Tradition der italienischen Lira zu werden.

Frage: Gleichzeitig erhöht auch das Land Hessen die Neuverschuldung.

WESTERWELLE: Die gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen werden von der Bundespolitik gegeben. Derzeit ist es so: Die Länder müssen die Suppe auslöffeln, die in Berlin eingebrockt wird.

Frage: Welches Gericht will die FDP auftischen?

WESTERWELLE: Die FDP ist derzeit die einzige Partei, die konsequent auf eine marktwirtschaftliche Erneuerung setzt. Das, was vor Jahren als "neoliberaler
Turbokapitalismus" abqualifiziert wurde, ist heute der Weg der Vernünftigen. Der gesunde Menschenverstand denkt heute liberal. WOLFGANG CLEMENTS Vorschlag der Lockerung des Kündigungsschutzes für Mittelständler im Interesse neuer Arbeitsplätze ist eine Idee der FDP. Leider bleibt es bei CLEMENT nur bei den Worten.

Frage: Wo können die Länder Rahmenbedingungen setzen?

WESTERWELLE: Zum Beispiel: Wenn es uns gelingen würde, die junge Generation ein Jahr früher in den Beruf zu bringen, würde das eine Reduzierung des gesetzlichen Rentenbeitragssatzes um einen Prozentpunkt bedeuten.

Frage: Also Abitur nach der zwölften Klasse.

WESTERWELLE: Ja. Oder auch eine Vorschule, wie sie RUTH WAGNER vorschlägt, in der Deutsch unterrichtet wird, damit sicher gestellt ist: Ab der ersten Klasse beherrschen alle Kinder die Unterrichtssprache.

Frage: Themenwechsel: Am Wochenende haben Sie mit dem Bundesverfassungsgericht gedroht, falls Rot-Grün in einem Irak-Krieg den Einsatz deutscher Soldaten in
AWACS-Aufklärungsflugzeugen im Alleingang beschließt. Das scheint wenig konstruktiv. Übertreiben Sie da die Rolle der Opposition nicht?

WESTERWELLE: Es ist nicht Übertreibung, wenn ein Politiker auf die Einhaltung der Verfassung pocht. Wir haben eine Parlaments- und keine Regierungsarmee. Die SPD behauptet, deutsche Soldaten könnten in AWACS- Flugzeugen "out of area" außerhalb des Bündnisgebiets auf Grund einer Anordnung der Regierung eingesetzt werden. Sie meidet den Gang ins Parlament, weil sonst die Risse bei Rot-Grün aufbrechen. In einem Irak-Krieg
sind diese Einsätze in der Türkei natürlich per Definition ein so genannter "out of area"-Einsatz, denn es wird ja nicht NATO-Gebiet beobachtet. Das wäre eine Unterstützung einer militärischen Handlung und ein Einsatz deutscher Soldaten, der nicht ungefährlich ist.

Frage: Welche Position nimmt die FDP im Falle einer solchen Abstimmung ein?

WESTERWELLE: Es ist ein großer Fehler, dass wir über militärische Szenarien diskutieren, ohne den Bericht der UN-Waffeninspektoren zu kennen. Ich lehne es ab, Ihnen Hypothesen mitzuteilen, wenn ich die Grundlage - den Bericht der Inspektoren - nicht kenne.
Die Bundesregierung sollte lieber an einer friedlichen, perspektivischen Lösung arbeiten. Von
einem deutschen Bundeskanzler und einem Außenminister erwarte ich, dass sie handeln. Deutschland sollte eine Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit im Nahen Osten (KSZNO) initiieren.

Frage: Ist es für solche Initiativen nicht zu spät?

WESTERWELLE: Es gibt nur dann eine Chance auf Frieden, wenn wir langfristige Perspektiven erarbeiten. Mit kurzfristigen Lösungen alleine kommt man nicht voran. Wenn die UN-Waffeninspektoren mehr Zeit einfordern, müssen sie auch mehr Zeit bekommen.

Frage: Glauben Sie ernsthaft, dass Deutschland oder ein anderer Staat in Europa, BUSH davon abbringen kann, im Irak Krieg zu führen?

WESTERWELLE: In der Vielstimmigkeit nicht, aber ein geeintes Europa hat diese Chance. Es gibt die Diskussion, dass es zu viel Amerika in der Weltpolitik gebe. Meine Gegenthese: Wir haben zu wenig Europa.

Frage: Das klingt, als sei die FDP die einzige Friedenspartei in Deutschland.

WESTERWELLE: Ich werde nie ein Pazifist sein, sondern immer ein Anhänger der wehrhaften Demokratie. Toleranz ist gut, aber Toleranz gegenüber Intoleranz ist Dummheit. CHRISTA WOLF schreibt in ihrem Buch "Kassandra", dass klar ist, wann ein Krieg beginnt. "Wann aber beginnt die Vorkriegszeit?", fragt WOLF. Ich glaube, die Vorkriegszeit beginnt dann, wenn nur noch über militärische Pläne geredet wird und nicht mehr über Friedensinitiativen.

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