01.09.2005FDP

WESTERWELLE-Interview für die "Westfälische Rundschau"

Berlin. Der FDP-Bundesvorsitzende DR. GUIDO WESTERWELLE gab der "Westfälischen Rundschau" (heutige Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte LOTHAR KLEIN:

Frage: Heute findet der "Koalitionsgipfel" von Union und FDP statt. Was erwarten Sie davon? Steckt hinter dem Treffen mehr als eine Zweitstimmenkampagne zu Gunsten der FDP?

WESTERWELLE: Bei allen Unterschieden, die es zwischen Liberalen und Union immer geben wird, zeigen wir, daß wir auch bei einer knappen Mehrheit für Schwarz-Gelb eine gute und stabile Regierung ins Amt bringen können. Und daß die Unterschiede nicht über die ausreichend vorhandenen Gemeinsamkeiten hinwegtäuschen dürfen.

Frage: Wird es konkrete Ergebnisse geben?

WESTERWELLE: Das ist keine PR-Aktion für die Medien. Am Ende des Gesprächs steht ein Papier mit konkreten Schwerpunkten der schwarz-gelben Regierung unter der Überschrift "Arbeit hat Vorfahrt".

Frage: In den Umfragen liegt die FDP zwar stabil bei sieben bis acht Prozent, aber hinter der Linkspartei und den Grünen. Hat die FDP ihr Wahlziel, dritte Kraft zu werden, aufgegeben?

WESTERWELLE: Unser Wahlziel ist, mit einer schwarz-gelben Mehrheit Rot-Grün abzulösen und eine linke Regierung aus SPD, Grünen und PDS zu verhindern. Eine starke FDP wird in einer Koalition mit der Union außerdem ein liberales Gegengewicht zu den konservativen Kräften bilden. Ich setzte darauf und arbeite daran, daß die FDP bei der Wahl am 18. September die dritte Kraft wird.

Frage: Wie viele Ministerien wird eine starke FDP beanspruchen?

WESTERWELLE: Die Freien Demokraten müssen ihre Kompetenz nicht verschweigen. Wir haben in den letzten Jahrzehnten gezeigt, daß der Frieden bei liberalen Außenministern Scheel, Genscher, Kinkel in den besten Händen war. Wir haben bewiesen, daß wir das beste Verhältnis von innerer Sicherheit und Freiheit kennen. Wir haben gezeigt, daß Bildung, Forschung und Innovation ein Stammthema der FDP sind. Und daß wir wie keine andere Partei auf eine mittelstandsfreundliche Steuer- und Wirtschaftspolitik setzen, weil nur so neue Arbeitsplätze geschaffen werden können. Jetzt geht es aber um Inhalte, nicht um Posten.

Frage: Kanzlerkandidatin Angela Merkel hat Ex-Siemens-Chef Heinrich von Pierer zum Wirtschaftsberater berufen. Ist das eine gute Idee?

WESTERWELLE: Heinrich von Pierer besitzt große Erfahrung und ist ein fähiger Mann und hat zu Recht auch die Bundeskanzler Kohl und Schröder beraten. Die Berater der FDP in der Wirtschaftspolitik kommen allerdings vor allem aus dem Mittelstand. Der Mittelstand ist das Rückgrad unserer Wirtschaft. Dort werden 80 Prozent der Ausbildungs- und 60 Prozent der Arbeitsplätze geschaffen, während viele große Firmen Jobs in Deutschland abgebaut oder ins Ausland verlagert haben.

Frage: Die Berufung des Steuerexperten Paul Kirchhof hat die FDP begrüßt. Seine Flat-Tax lehnt die FDP aber als unbezahlbar ab. Wie paßt das zusammen?

WESTERWELLE: Die FDP hat mit Paul Kirchhof jetzt einen hervorragenden und parteilosen Verbündeten im Kompetenzteam der Union. Uns verbindet die gemeinsame Absicht, das deutsche Steuersystem neu zu gründen. Wir werden ein niedrigeres, einfaches und gerechtes Steuersystem durchsetzen. Mit Professor Kirchhof ist dieses Ziel in einer schwarz-gelben Koalition leichter durchsetzbar.

Frage: Kanzlerkandidatin Merkel will nach dem Regierungswechsel rasch Reformen durchsetzen wie die Senkung der Lohnnebenkosten und Erhöhung der Mehrwertsteuer zum 1. Januar 2006. Geht das so schnell?

WESTERWELLE: Die Mehrwertsteuererhöhung wollen wir verhindern. Sie kostet Kaufkraft und fördert die Schwarzarbeit. Wir können eine Entlastung für Bürger und Unternehmen in Höhe von 17 bis 19 Milliarden Euro durch Umschichtungen und Einsparungen im Haushalt mit 35 Milliarden Euro gegen finanzieren. Das setzt Mut zum Subventionsabbau und zum Bürokratieabbau voraus. Die Senkung der Lohnnebenkosten geht ohne höhere Mehrwertsteuer.

Frage: Benzinpreise und Mietnebenkosten würden durch eine Erhöhung der Mehrwertsteuer weiter steigen.

WESTERWELLE: Niemand soll die Entschiedenheit der FDP für Steuersenkungen unterschätzen. Außerdem: Die Rückführung der Öko-Steuer bleibt für die FDP auf der politischen Tagesordnung. Benzin und Heizen wird für die Menschen allmählich unbezahlbar, ohne daß die Renten sicherer geworden sind. Deutschland hat die zweithöchsten Energiekosten in Europa. 40 Prozent davon verantwortet der Staat. Das kostet Arbeitsplätze.

Frage: Zur Steinkohlepolitik: Steht die FDP zu den Zusagen von Rot-Grün, den Abbau bis zum Jahr 2012 mit 16 Milliarden Euro zu unterstützen?

WESTERWELLE: Bis zum Jahr 2008 sind die Zuwendungsbescheide rechtskräftig. Ab dann kann die Politik neu entscheiden. Die FDP unterstützt den Börsengang der RAG. Das setzt voraus, daß die Subventionen auslaufen.

Frage: Der EU-Beitrittswunsch der Türkei wird kontrovers diskutiert. Wo steht die FDP?

WESTERWELLE: Die Türkei ist derzeit nicht beitrittsfähig und die EU ist nicht aufnahmefähig. Deshalb müssen die Beitrittsverhandlungen wie beschlossen offen geführt werden. Damit die Verhandlungen am 3. Oktober starten können, ist es aber erforderlich, daß die Türkei vorher alle EU-Mitgliedsländer einschließlich Zypern anerkannt hat. Niemand kann EU-Mitglied werden, der vorher nicht alle Mitglieder der EU anerkannt hat.

Frage: Anders als die CDU fordert die FDP die Abschaffung der Wehrpflicht.

WESTERWELLE: Die Wehrpflicht wird in den nächsten Jahren fallen. Entweder durch eine politische Entscheidung oder durch die Gerichte. Wenn immer mehr verdienen, während immer weniger gleichzeitig dienen, wenn also die Wehrungerechtigkeit zunimmt, dann ist die Wehrpflicht mit der Verfassung nicht mehr vereinbar.

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