WESTERWELLE-Interview für die "Westdeutsche Zeitung"
WESTERWELLE-Interview für die "Westdeutsche Zeitung"
Berlin. Der FDP-Bundesvorsitzende DR. GUIDO WESTERWELLE gab der "Westdeutschen Zeitung" (heutige-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte DR. ALEXANDER MARINOS.
Frage: Herr Westerwelle, wie geht es Ihnen eigentlich als Oppositionsführer?
Westerwelle: Mir persönlich geht es sehr gut. Aber wenn ich an Deutschland denke, bin ich sehr unzufrieden. Dass wir uns hierzulande mit einem Wirtschaftswachstum zufrieden geben, das in anderen europäischen Ländern eher mitleidsvoll aufgenommen wird, halte ich für zu wenig ehrgeizig. Wenn die Welt um fünf Prozent wächst, wir aber nur um anderthalb, dann fallen wir zurück statt aufzuschließen.
Frage: Dringen Sie mit dieser Botschaft denn durch? Da die Große Koalition quasi Regierung und Opposition in einem ist, interessiert kaum, was die FDP sagt.
Westerwelle: Das Entscheidende ist nicht, ob wir eine Schlagzeile mehr oder weniger haben. Entscheidend ist, dass uns die Bürger unterstützen und in der FDP die einzige verbliebene Alternative zu staatlichen Bevormundern und Steuererhöhern erkennen.
Frage: Die Kanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel, ihre einstige Traumpartnerin, unterstützt diese ¬ um Ihre Worte zu benutzen ¬ staatliche Bevormundung. Erkennen Sie sie noch wieder?
Westerwelle: Jedenfalls erkenne ich weite Teile der Union nicht wieder. Auch die Union spricht mit keinem Wort mehr über die Senkung der Staatsquote, sondern überbietet sich mit der SPD bei den Steuererhöhungs-Ideen.
Frage: Die Frage zielte direkt auf Angela Merkel, mit der Sie persönlich gut können. Sind Sie nicht persönlich enttäuscht?
Westerwelle: Nein, nicht persönlich, sondern politisch. So positiv die Kurskorrektur in der Außenpolitik gewesen ist, so kritisch muss ich ihre innen-, sozial- und wirtschaftspolitischen Fehlentscheidungen betrachten. Vielleicht liegt es daran, dass sie von roten und schwarzen Sozialdemokraten eingemauert ist.
Frage: Sie formulieren sehr zurückhaltend, wenn es um Merkel geht. Haben Sie bei Ihrer Duz-Freundin eine Beißhemmung?
Westerwelle: Schnaps ist Schnaps, und Dienst ist Dienst. Aber ich werde auch als Vorsitzender der Bundestagsfraktion der stärksten Oppositionspartei nicht den Fehler machen, alles, was die Regierungschefin tut, aus Prinzip zu verdammen, sondern dann, wenn es der Sache nach angebracht ist.
Frage: Sie übernehmen den Fraktionsvorsitz von Wolfgang Gerhardt am 1. Mai. Wieso belassen Sie es nicht bei der Doppelspitze, wie es sich viele in Partei und Fraktion gewünscht hätten?
Westerwelle: Jetzt, nach den Wahlen, werden die Kräfte gebündelt, damit wir auch wirkungsvoll unseren Auftrag der demokratischen Kontrolle wahrnehmen können. Das hat Wolfgang Gerhardt nicht anders gemacht, als er seinerzeit den Fraktionsvorsitz von Hermann Otto Solms übernahm. Und Angela Merkel und Franz Müntefering haben in der vergangenen Legislaturperiode auch Wert darauf gelegt, die Ämter Partei- und Fraktionsvorsitz zu bündeln.
Frage: Gerhardt wird nun Vorsitzender der Friedrich-Naumann-Stiftung. Muss das, nachdem er für die höchsten Staatsämter wie den Bundespräsidenten und den Außenminister im Gespräch war, nicht wie eine Abschiebung aufs Altengleis wirken?
Westerwelle: Ich hätte Wolfgang Gerhardt gerne in einer Regierung für das Amt des Außenministers vorgeschlagen und durchgesetzt. Aber der Politik- und Regierungswechsel ist daran gescheitert, dass die Union bei der Wahl eingebrochen ist. Wolfgang Gerhardt übernimmt nun den Vorsitz einer der wirklich bedeutenden Stiftungen, immerhin als Nachfolger von Otto Graf Lambsdorff. Ich weiß, wie sehr er sich auf die Arbeit freut.
Frage: Nun sind Sie ja nicht nur jünger als Gerhardt, sondern auch lauter, schriller, peppiger. Werden Sie für einen Stilwechsel an der Fraktionsspitze sorgen?
Westerwelle: Wir werden gerade in Zeiten einer Großen Koalition mit ihrer riesigen Machtfülle die goldene Regel beachten, dass auch Klappern zum Handwerk gehört. Es nutzt nichts, wenn die Vertreter der FDP ihre Reden im sanften Kammerton in geschlossener Gesellschaft vortragen.
Frage: Meinen Sie jetzt Wolfgang Gerhardt?
Westerwelle: Nein, denn Wolfgang Gerhardt hat als Fraktionsvorsitzender im Deutschen Bundestag einige der besten Reden aus den Reihen der Opposition überhaupt gehalten.
Frage: FDP-Partei- und Fraktionsvorsitzender zu sein, das ist eine Doppelbelastung. Wenn Sie den Rücktritt von Matthias Platzeck vom SPD-Vorsitz betrachten: Ziehen Sie daraus irgendeine Lehre für sich?
Westerwelle: Ich fühle mich fit. Wenn Angela Merkel es schafft, das Amt der Bundeskanzlerin mit dem der CDU-Vorsitzenden zu verbinden, dann schaffe ich es hoffentlich auch, das Amt des Partei- und Fraktionsvorsitzenden zu verbinden.
Frage: Wieso sagen Sie jetzt, dass Sie fit sind? Danach hatten wir Sie gar nicht gefragt ...
Westerwelle: Aber wenn Sie den Namen Matthias Platzeck einführen, dann ist es selbstverständlich, dass man sich darüber Gedanken macht, ob man das schultern kann. Und ich bin mir sicher, dass ich es nicht nur schultern will, sondern auch kann. Wenn man Freude an der Arbeit hat, dann hält einen das gesund.
Frage: Zumindest der heiße Flirt der baden-württembergischen CDU mit den Grünen hat sie alles andere als gefreut. Sie haben sogar gesagt, dies bleibe in Ihrem Elefantengedächtnis gespeichert. Was heißt das?
Westerwelle: Die Tatsache, dass der Ministerpräsident aus einer erfolgreichen Koalition heraus Gespräche mit den Grünen führt, hat mich gewundert - jedenfalls wenn ich Dauer und Iszenierung der Gespräche betrachte. Aber die CDU-Basis hat erwartungsgemäß auf die Fortsetzung der erfolgreichen schwarz-gelben Zusammenarbeit in Stuttgart bestanden.
Frage: Sind Sie ernsthaft beleidigt? Warum darf die CDU nicht mit den Grünen über mögliche Koalitionen sprechen? Die Grünen haben sich verändert.
Westerwelle: Ja? Herr Trittin bestimmt bei den Grünen immer noch. Aber bitteschön: Wenn Teile der Union daran denken, die Grünen wiederzubeleben, ist das nur ein weiterer Grund für bürgerliche Wähler, sich von der Union ab- und der FDP zuzuwenden.