WESTERWELLE-Interview für die "Welt am Sonntag"
Berlin. Der FDP-Bundesvorsitzende DR. GUIDO WESTERWELLE gab der "Welt am Sonntag" (morgige Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte MICHEL FRIEDMAN.
Frage: Herr WESTERWELLE, Sie predigen, die FDP sei größte Oppositionspartei. Dabei sind sie mit unter zehn Prozent eher ein Oppositiönchen-Parteichen. Sind Sie ein politischer Hochstapler?
WESTERWELLE: Die FDP hat eines der besten Bundestagswahlergebnisse in ihrer Geschichte. Ich wäre sehr gern Regierungspartei. Daß das nicht geklappt hat, lag am Absturz der Union und an gewissen Äußerungen eines Schwermatrosen aus Bayern.
Frage: Um ein wenig von der Bedeutungslosigkeit zu kompensieren, arbeiten Sie fast mit jedem, selbst mit dem politischen Erzfeind PDS, heute Linke genannt, beispielsweise in der Frage der Mehrwertsteuer. Nutzt es der Glaubwürdigkeit Ihrer Inhalte, wenn Sie das Ziel mit einem solchen Partner verknüpfen?
WESTERWELLE: Erzfeinde habe ich überhaupt keine, aber die Linkspartei, die Post-Kommunisten, sind und bleiben unser politischer Gegner. Ich würde gern diese wirtschaftsschädliche Mehrwertsteuererhöhung, die größte Steuererhöhung, die wir jemals in Deutschland hatten, mit der SPD verhindern. Aber die SPD hat ihr Wort gebrochen, vor der Wahl hat sie versprochen: nimmer eine zweiprozentige Mehrwertsteuererhöhung, jetzt macht sie sogar eine dreiprozentige mal eben mit.
Frage: In den Landtagswahlkämpfen erzählen Sie, mit der FDP könne man die Mehrwertsteuererhöhung verhindern. Das können Sie aber weder im Bundestag noch im Ist-Zustand des Bundesrates. Außer Worten nichts gewesen?
WESTERWELLE: Im Gegenteil. Wir wollen ja bei den Landtagswahlen gestärkt und bestätigt werden, damit wir den Widerstand gegen die Mehrwertsteuererhöhung im Bundesrat organisieren können.
Frage: Sie haben keine Mehrheiten dafür.
WESTERWELLE: Bisher noch nicht, aber wir sind auf dem besten Wege. Fünf Bundesländer, die von der FDP mitregiert werden, haben durch ihre stellvertretenden Ministerpräsidenten, die der FDP angehören, erklärt, daß sie der Mehrwertsteuererhöhung nicht zustimmen werden. Zwei Vertreter der Regierungsparteien aus Mecklenburg-Vorpommern und Berlin haben mitgeteilt, daß sie das in ihren Ländern ebenso sehen. Es fehlt noch ein Bundesland, ein großes oder ein kleines.
Frage: Eines der fünf Länder könnte heute verloren gehen, nämlich Sachsen-Anhalt. Dort kann sich Ministerpräsident BÖHMER mindestens gut vorstellen, mit der SPD zu regieren. Schreckt Sie das?
WESTERWELLE: Ist doch gut, wenn die Bürger in Sachsen-Anhalt, die die Fortsetzung der erfolgreichen schwarz-gelben Regierung wollen, sich jetzt für die FDP entscheiden können, weil der Herr Ministerpräsident BÖHMER augenscheinlich auch auf Gemütlichkeit mit Herrn BULLERJAHN setzt. Daß wir ein temperamentvoller und antreibender Koalitionspartner in den letzten vier Jahren waren, ist bekannt, und das werden wir auch so weitermachen.
Frage: Im Mai folgen Sie WOLFGANG GERHARDT als Fraktionsvorsitzenden. Nennen Sie mir einen vernünftigen Grund, warum es nicht besser für die FDP ist, zwei Stars zu haben, anstatt nur einen, nämlich GUIDO WESTERWELLE.
WESTERWELLE: Wir haben das gemeinsam entschieden, und die Fraktion und die Partei haben das unterstützt, weil es darum geht, gerade als etwas kleinere Oppositionspartei die Kräfte zu bündeln und damit auch die Schlagkräftigkeit in der Opposition zu erhöhen.
Frage: Die Kräfte zu bündeln bedeutet, das sagt das Wort, die Kräfte, nämlich mehrere, zu bündeln. Nun drücken Sie GERHARDT als Kraft grade raus.
WESTERWELLE: Im Gegenteil, WOLFGANG GERHARDT bleibt ein profilierter, vor allem in der Außenpolitik profilierter Politiker der FDP-Bundestagsfraktion.
Frage: Böse Zungen, also Parteifreunde, behaupten, daß Sie es nicht aushalten konnten, daß neben Ihnen noch jemand im Fokus der FDP steht. Man hat den Eindruck, es gibt überhaupt nicht mehr viele großartige Köpfe. Nennen Sie uns mal diejenigen, die diese gebündelten Kräfte der FDP darstellen.
WESTERWELLE: Es ist ja gut, daß Sie diese Leute, die das angeblich sagen, selbst als böse Zungen bezeichnen. Von denen darf man sich niemals Ratschläge geben lassen.
Frage: In Deutschland wird der Einbürgerungstest diskutiert. SPD und CDU beglücken uns mit Fragebogenentwürfen. Wie stehen Sie dazu?
WESTERWELLE: Das Anliegen, daß diejenigen, die nach Deutschland kommen wollen, die Sprache lernen müssen, und sich zu unserer demokratischen Werteordnung bekennen, ist berechtigt. Wer das nicht will, kann nicht hier bleiben. Zustände wie Zwangsverheiratungen können doch nicht in Deutschland geduldet werden, nur weil sich ein islamistischer Familienpatriarch auf seine Religion beruft und meint, Frauen dürfe man diskriminieren und unterdrücken, und Mädchen bräuchten keine Ausbildung. Ob man diesem Ziel gerecht wird, indem man die Frage stellt: "Nennen Sie drei deutsche Mittelgebirge", oder indem man fragt: "Was ist eines der Hauptwerke von Caspar David Friedrich", wage ich zu bezweifeln. Wenn diese Fragen ernst genommen würden, stünde der eine oder andere vor seiner Ausbürgerung.
Frage: Sind Sie gegen diese Fragebögen?
WESTERWELLE: Ich bin für Augenmaß bei dem Ziel, auch Integrationswilligkeit zu verlangen.
Frage: Was ist Augenmaß konkret?
WESTERWELLE: Daß man eben nicht so einen Multiple-Choice-Test macht, wie man ihn von der Führerscheinprüfung kennt, den man sich aus dem Internet runterladen und auswendig lernen kann. Das kann man auch in Gesprächen machen, wie die Amerikaner,
Frage: Die EU hat beschlossen, Truppen in den Kongo zu entsenden, unter deutscher Führung, circa 500 deutsche Soldaten sollen die Wahlen begleiten. Sind Sie dafür?
WESTERWELLE: Nein. Unter den derzeitigen Umständen bin ich sogar strikt und kategorisch dagegen. Es ist nicht vorstellbar, daß ein Land, das größer ist als Westeuropa, mit 500 Deutschen und vielleicht noch 1000 anderen europäischen Soldaten stabilisiert werden soll,
Frage: Aber über 17 000 UN-Truppen sind da und sollen ja zusätzlich
WESTERWELLE: Sie kennen allein die Größenordnung unseres Einsatzes im früheren Jugoslawien. Sie kennen die Bedenken, die nicht nur von der FDP geäußert werden, sondern nahezu von allen, die mit der Bundeswehr und in der Bundeswehr arbeiten. Der Bundeswehrverband warnt genauso vor dieser unübersehbaren Gefahr für Leib und Leben unserer Soldatinnen und Soldaten, wie die FDP.
Frage: Warum sagt die große Koalition dann, wir gehen in den Kongo?
WESTERWELLE: Weil ANGELA MERKEL sich zu schnell auch den Wünschen der französischen Regierung gebeugt hat. Daß die Bundeskanzlerin und die ganze Bundesregierung sich, bevor das Parlament damit befaßt worden ist, in internationalen und europäischen Gesprächen bereits festlegt, ist ein ganz klarer Widerspruch zu unserer Verfassung. Wir haben in Deutschland eine Parlamentsarmee und keine Regierungsarmee. Und ich erwarte, daß die Bundesregierung, die Bundeskanzlerin, sich an die Verfassung hält.
Frage: Sehen Sie eine Chance, daß das Parlament der Entsendung einen Strich durch die Rechnung macht?
WESTERWELLE: Wenn die Abgeordneten von Union und SPD, die öffentlich Bedenken dagegen geäußert haben, sich nicht nur als parlamentarische Wackeldackel verstehen wollen, gibt es diese Chance.
Frage: Wo das Parlament zu einem militärischen Einsatz ja gesagt hat, ist Afghanistan. Es heißt, der Einsatz habe damit zu tun, Demokratie, Freiheit umzusetzen. Dazu gehört Religionsfreiheit. Nun droht dort einem zum Christentum übergetretenen Mann die Todesstrafe.
WESTERWELLE: Wir schicken keine deutschen Soldaten nach Afghanistan - auf Kosten der Steuerzahler -, um solches Unrecht abzusichern. Wenn man jemanden, der zum christlichen Glauben übergetreten ist, deswegen zum Tode verurteilen würde, müßte dieses automatisch das Ende unserer militärischen Präsenz in Afghanistan bedeuten. Für solches Unrecht sind unsere Soldaten nicht dort. Ich verstehe auch diese mäßigenden, abwiegelnden Bemerkungen des deutschen Außenministers nicht. Schon die Tatsache, daß jemand vor Gericht steht, weil er den christlichen Glauben angenommen hat, zeigt, daß Religionsfreiheit in Afghanistan offensichtlich nicht gewährleistet ist.
Frage: Der Rückzug der Truppen würde radikale Kräfte stärken und Afghanistan den Taliban zurückgeben. Ist die Drohung, bei einer Todesstrafe müßten die deutschen Truppen zurückgehen, nicht ein Bumerang?
WESTERWELLE: Nein, denn es muß der afghanischen Regierung und allen Verantwortlichen klar sein, daß so etwas nicht ohne Konsequenzen bleiben kann. Was würde das denn umgekehrt bedeuten: Jemand würde, weil er Christ wird, zum Tode verurteilt, wird möglicherweise sogar hingerichtet, und deutsche Soldaten bleiben dort und verteidigen ein solches System? Mit mir nicht. Ich hoffe aber, und bin auch nach den jüngsten Äußerungen zuversichtlich, daß es so schlimm nicht kommen wird.
Frage: Da muß ich nachfragen: Daß es so schlimm nicht kommt hieße, daß dieser Christ als verrückt deklariert wird, oder man sagt, er sei gezwungen worden, zum Christentum überzutreten. Aber daß jemand überhaupt angeklagt wurde, weil er konvertiert ist, ist in Afghanistan Realität. Reicht das?
WESTERWELLE: Beide Alternativen, die Sie genannt haben, sind nicht überzeugend, und wären nur ein Indiz, daß die Religionsfreiheit nicht gewährleistet ist. Aber es gibt eine dritte Alternative, nämlich daß Afghanistan dafür sorgt, daß durch klare Gesetzesänderungen ein solches Verfahren unmöglich gemacht wird. Und das darf und muß man auch erwarten.
Frage: Die FDP steht "unter dem Vorurteil", sie bediene die, die eh haben, und nicht die, die etwas brauchen. JOSEF ACKERMANN, der Chef der Deutschen Bank, eine saftige Gehaltserhöhung von zwanzig Prozent bekommen. Davon können Arbeitnehmer nur träumen.
WESTERWELLE: Wir beide träumen davon übrigens auch
Frage: Sind zwanzig Prozent Gehaltserhöhung gerecht, wenn ja, bei den Spitzenkräften, warum nicht auch bei deren Angestellten, oder sind diese zwanzig Prozent zu hoch gewesen?
WESTERWELLE: Als Staatsbürger bleibt mir das auch unerklärlich, gerade in Zeiten, wo auch Arbeitsplatzabbau stattfindet. Als Politiker und Abgeordneter sage ich Ihnen, es ist nicht Aufgabe des Staates, Löhne und Gehälter festzusetzen, und ich will auch hinzufügen, daß mancher Sportler mit Tennis und Fußball spielen mehr verdient und weniger Verantwortung hat.