07.03.2006FDP

WESTERWELLE-Interview für die "Rhein-Zeitung Koblenz"

Berlin Der FDP-Bundesvorsitzende DR. GUIDO WESTERWELLE gab der "Rhein-Zeitung Koblenz" (Dienstag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte JOACHIM TÜRK:

Frage: Herr Westerwelle, warum wird die FDP einen Untersuchungsausschuß beantragen?

WESTERWELLE: Weil der Rechtsstaat es nicht hinnehmen kann, daß beispielsweise ein deutscher Staatsangehöriger vom amerikanischen Geheimdienst verschleppt wird. Es muß aufgeklärt werden, ob die alte Bundesregierung die Öffentlichkeit getäuscht hat. Die Bundesregierung hat wochen-, ja monatelang die Gelegenheit gehabt, aufzuklären und die
offenen Fragen zu beantworten, und das hat sie bedauerlicherweise nicht ausreichend getan.

Frage: Bisher dienten Untersuchungsausschüsse eher dem politischen Schlagabtausch als der Wahrheitsfindung. Warum sollte dieser Ausschuß mehr ans Tageslicht bringen?

WESTERWELLE: Das sehe ich beim Visa-Ausschuß ganz anders. Hier kam das massive Regierungsversagen ans Licht. Mit dem Ergebnis, daß die Fehler abgestellt wurden. Zudem geht es hier ja nicht um die Abrechnung zwischen Regierung und Opposition - Kanzlerin Merkel war während des Irak-Kriegs genauso in der Opposition wie die FDP -, sondern hier geht es um das Selbstverteidigungsrecht des Rechtsstaates. Wäre die Union noch in der Opposition, stünde sie an der Spitze der Bewegung für den Untersuchungsausschuß, aber jetzt als Regierungspartei will sie ihren Koalitionspartner SPD schonen. Wenn die Vorwürfe, die weltweit durch die New York Times verbreitet wurden, nicht ausgeräumt werden,
beeinträchtigt das mehr die Sicherheitslage unseres Landes, als wenn das alles so stehen bleibt.
Frage: Jüngste Umfragen belegen, daß Schwarz-Gelb auf Bundesebene wieder eine Mehrheit hat. Allerdings ist die Union in der Regierung und die FDP in der Opposition. Macht Sie das unzufrieden?
WESTERWELLE: Für Deutschland ja, denn fünf Millionen Arbeitslose werden auch durch eine gefühlte Konjunktur nicht besser, das Problem wird einfach verdrängt. Aber die Koalition wird bald von der Realität eingeholt werden.
Frage: Noch ist die Stimmung allerdings gut. Wie schwer opponiert es sich da?
WESTERWELLE: Ich empfehle den Verstand wieder einzuschalten und die Strukturreformen anzupacken. Die Renten werden nicht erhöht, wohl aber die Mehrwertsteuer, was zusammengenommen eine dicke Rentenkürzung bedeutet. Auf der anderen Seite steigen die Beiträge, die Bürokratie nimmt zu, doch zugleich werden Subventionen nicht abgebaut. Auch auf der Titanic spielte die Kapelle bis zum Schluß stimmungsvolle Musik.
Frage: Fühlen Sie sich in Zeiten von Vogelgrippe und Karikaturenstreit mit Ihren finanzpolitischen Themen nicht als einsamer Rufer?
WESTERWELLE: Überhaupt nicht. Es mag sein, daß sachpolitisch harte Themen in den Medien nur am Rande auftreten. Für die Bevölkerung sind sie jedoch außerordentlich bedeutsam, denn Franz Müntefering hat jeden Überblick über die Rentenlage verloren. Wenn man alten Menschen sagt, in ein paar Jahren gibt es dann die nächste Rentenerhöhung, ist das der blanke Zynismus.
Frage: Zynismus oder Ehrlichkeit?
WESTERWELLE: Zynismus! Ehrlich wäre es, die Strukturreform in der Rentenpolitik endlich anzupacken. Diese ist aber von der Großen Koalition ausgespart worden.
Frage: Hätten Sie denn ein fertiges Konzept?
WESTERWELLE: Wir wollen auf die veränderte Altersstruktur reagieren, indem man mehr private Eigenvorsorge nicht nur verlangt, sondern auch ermöglicht. Der nötige Spielraum entstünde durch eine Steuersenkung. Die Rente mit 67 ist nicht das Heilmittel, sondern ohne die nötige Strukturreform nur die Verlängerung der Arbeitslosigkeit um weitere zwei Jahre. Statt der angekündigten "Politik aus einem Guß" bietet die Große Koalition derzeit nur Stückwerk.
Frage: Macht Kanzlerin Merkel sozialdemokratische Politik?
WESTERWELLE: Leider ja, sie ist ja auch von Sozialdemokraten umgeben. Nicht im parteipolitischen Sinne, sondern deshalb, weil die Mehrheit der SPD- und Unions-Abgeordneten im Bundestag auf den bevormundenden und einengenden Staat setzt. Das Thema Mindestlöhne ist das beste Beispiel: Das hört sich gut an, aber mit einer gesunden Volkswirtschaft hat es nichts zu tun und wird den Arbeitsmarkt zusätzlich belasten.
Frage: Demnach wird die Arbeitslosenquote nicht sinken?
WESTERWELLE: Wir werden in diesem Jahr hoffentlich von einer boomenden Weltkonjunktur mitgezogen, aber einen selbst tragenden Aufschwung wird es erst nach Strukturreformen geben. Zudem sind 1,5 Prozent Wachstum im internationalen Vergleich mehr als bescheiden. Der Rückstand Deutschlands nimmt trotzdem eher zu.
Frage: Laut Experten hat erst ein Wachstum von 2,5 Prozent Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt. Kommt Deutschland dorthin?
WESTERWELLE: Deutschland hat alle Chancen die Arbeitslosigkeit genauso zu halbieren, wie es beispielsweise Österreich gelungen ist, wenn wir dafür auch eine entsprechende Politik machen: Niedrigere Steuern, die die Investitionen in unser Land holen sowie das klare Bekenntnis zu neuen Technologien. Der Transrapid, der künftig von China nachgebaut wird statt von uns verkauft zu werden, ist ja schon zum Beispiel deutscher Krankheit geworden. Wir werden nie so billig wie Indien und China sein können. Aber deshalb müssen wir bei der Technologie besser sein.
Frage: Wie sehr hemmt die Mehrwertsteuererhöhung ab Januar 2007 das mögliche Wachstum?
WESTERWELLE: Wir hätten die Chance mit einer boomenden Weltkonjunktur - und da reden wir nicht von eineinhalb, sondern von acht Prozent und mehr in einigen Nationen - mit unserer Spitzentechnologie mitgezogen zu werden. Diese Chance wir aber durch die Steuererhöhung direkt zerstört. Und deswegen sind die Landtagswahlen auch eine Abstimmung gegen die Mehrwertsteuererhöhung.
Frage: Glauben Sie, daß die Bundes-FDP für kommende Wahlen richtig aufgestellt ist? Sehr oft hat man den Eindruck einer One-Man-Show mit dem Titel "Guido Westerwelle".
WESTERWELLE: Nehmen Sie doch allein den Rheinland-Pfälzer Rainer Brüderle, der mein Stellvertreter auf Bundesebene ist. Daß der mit seiner Mittelstandspolitik nicht wahrgenommen würde, wäre mir neu.
Frage: Nach der Wahl haben Sie Koalitionsangebote ausgeschlagen und diese Standhaftigkeit hat Ihnen und der FDP viel Sympathie eingebracht. Ist dieser Bonus richtig vermarktet worden?
WESTERWELLE: Daß zunächst der Bruch der Wahlversprechen von Union und SPD im Vordergrund stand, ist doch verständlich. Der große Zulauf von Wählern und Mitgliedern bestätigt uns allerdings klar.
Frage: Dennoch wollen Politiker lieber regieren und gestalten, statt zu opponieren.
WESTERWELLE: Sicher will ich gestalten und regieren. Und wir werden regieren, weil der Politikwechsel nicht abgesagt, sondern nur vertagt worden ist. Die Menschen sehen, daß Staatsbürokratie und Umverteilung sie nicht weiter bringt.
Frage: Sind Sie denn sicher, daß die Union bei der nächsten Bundestagswahl genug Stimmen haben wird, um eine schwarz-gelbe Regierung zu bilden?
WESTERWELLE: Darüber denke ich gar nicht nach. Mich interessiert viel mehr, wie wir von der nachlassenden Bindungskraft der beiden Volksparteien profitieren können, um diese Schwäche aufzufangen, damit es auch in Zukunft stabile Zweierkombinationen gibt.
Frage: Demnach werden zweistellige Wahlergebnisse für die FDP zu Gewohnheit?
WESTERWELLE: Das ist unser Ziel. Wir haben in den letzten fünf Jahren enorm an Substanz und Anhängerschaft gewonnen. Das kann keiner bestreiten.
Frage: Das hört sich sehr zuversichtlich an.
WESTERWELLE: Ich bin jung genug, um mich auf den kommenden Politikwechsel freuen zu können. Wir werden Deutschland regieren. Nicht weil wir Posten bräuchten, sondern weil der Politikwechsel kommen muß in Zeiten der Globalisierung. Die Welt wird nicht auf ein langsames Deutschland warten.
Frage: Dann wäre Ihnen Schwarz-Gelb auch in Rheinland-Pfalz am liebsten? Oder wollen Sie lieber mit Kurt Beck weitermachen?

WESTERWELLE: Ich unterstütze die rheinland-pfälzische FDP in ihrer Entscheidung, schließlich war die sozialliberale Landesregierung sehr erfolgreich.

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