01.09.2005FDP

WESTERWELLE-Interview für die "Mittelbayerische Zeitung"

Der FDP-Bundesvorsitzende DR. GUIDO WESTERWELLE gab der "Mittelbayerischen Zeitung" (heutige Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte DR. REINHARD ZWEIGLER:

Frage: Herr Westerwelle, sind Union und FDP so nervös geworden, daß sie sich auf einem Wechselgipfel Geschlossenheit versprechen müssen?

WESTERWELLE: Es geht darum, daß wir die Wechselperspektiven im Wahlkampf deutlich herausarbeiten. Bei allen Gegensätzen, die es zwischen Union und FDP immer geben wird, die Gemeinsamkeiten sind weit größer. So daß wir auch im Falle einer knappen Mehrheit gemeinsam eine gute Regierung für Deutschland bilden können.

Frage: Höre ich daraus die Furcht vor einer großen Koalition, die die FDP umtreibt, weil sie dann nicht gebraucht würde?

WESTERWELLE: Wenn es für Schwarz-Gelb nicht reichen würde, dann hat die SPD die Wahl, entweder als Juniorpartner unter der Union mitzuregieren oder sie wird den Kanzler in einem Linksbündnis aus SPD, Grünen und umbenannter PDS stellen. Gerhard Schröder würde dann vermutlich verabschiedet und durch Sigmar Gabriel in einer Linksregierung ersetzt. Deutschland stünde vor einem Linksruck mit dramatischen Folgen. Das wollen wir verhindern.

Frage: Umfragen sehen die Union bei 42, die FDP bei sieben Prozent. Eine sichere Mehrheit sieht anders aus?

WESTERWELLE: Das Rennen ist lange noch nicht gelaufen und Schwarz-Gelb liegt hervorragend. Die Wähler und Wählerinnen werden am 18. September entscheiden, ob es die Fortsetzung der rot-grünen Trippelschritte und des Pfuschs am Bau geben wird oder einen politischen Neuanfang mit Union und FDP.

Frage: Mit welcher Union werden Sie Steuerpolitik machen, mit der von Angela Merkel, die eine höhere Mehrwertsteuer und Steuersätze zwischen zwölf und 39 Prozent will, oder mit Paul Kirchhof, der 25 Prozent für alle Steuerzahler fordert?

WESTERWELLE: Paul Kirchhof ist ein Verbündeter im Geiste der FDP. Er setzt wie wir auf ein niedrigeres, einfacheres und gerechteres Steuersystem. Und so sehr ich seine Nominierung für das Kompetenzteam von Angela Merkel begrüßt habe, so sehr bedauere ich, daß ihm von
Teilen der Union der inhaltliche Schneid abgekauft werden sollte. Die FDP wird in einer schwarz-gelben Regierung für mehr Mut stehen. Steuern runter, Arbeit rauf. Eine Steuersenkungspolitik ist das beste Beschäftigungsprogramm.

Frage: Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber hat über die Pläne von Herrn Kirchhof gesagt, jeder dürfe Visionen haben?

WESTERWELLE: Es ist das gute Recht der CSU, Herrn Kirchhof zu kritisieren. Und es ist das gute Recht der FDP, auf einen wirklichen Neuanfang in diesem ungerechten und unsozialen Steuersystem zu setzen. Wer sich durchsetzen wird, hängt auch vom Wahlergebnis ab.

Frage: Braucht Deutschland mit dem Ex-Siemens-Chef Heinrich von Pierer eine Art zweiten Wirtschaftsminister?

WESTERWELLE: Ich schätze Herrn von Pierer sehr. Er versteht viel von Industrie, Innovationen, neuen Technologien und Weltmärkten. Meine Partei und ich wir lassen uns allerdings zuerst von Menschen beraten, die ihre Erfahrungen im Mittelstand gesammelt haben. Denn der Mittelstand ist das Rückgrat unserer Volkswirtschaft, hier entstehen
die meisten neuen Arbeitsplätze, die meisten Ausbildungsplätze, während große Unternehmen Arbeitsplätze ins Ausland verlagern.

Frage: War das Ihr Plädoyer für einen Bundes-Wirtschaftsminister von der FDP?

WESTERWELLE: Man soll das Fell des Bären nicht verteilen, ehe er erlegt worden ist. Doch daß wir unter einer wirtschaftsfreundlichen vor allem eine mittelstandsfreundliche Politik verstehen, will ich nicht verhehlen.

Frage: Warum sagen Sie nicht klipp und klar, daß die FDP nur dann in eine Regierung eintritt, wenn die Mehrwertsteuer nicht erhöht wird?

WESTERWELLE: Wenn ich das in einem Interview so formulieren würde, wäre unsere Niederlage bei Koalitionsverhandlungen vorprogrammiert. Weil wir verhindern wollen, daß die Mehrwertsteuer erhöht wird, was nur Schwarzarbeit fördert und Kaufkraft verringert, werden wir hart verhandeln und uns vorher klug verhalten.

Frage: Sie werden die Kröte einer höheren Mehrwertsteuer schlucken, wie es Paul Kirchhof schon getan hat?

WESTERWELLE: Wir werden gute Verbündete brauchen. Und ich bin gespannt darauf, wie sich die CDU in Baden-Württemberg, Sachsen-Anhalt und Rheinland-Pfalz in Sachen Mehrwertsteuer verhalten wird. In diesen Ländern wird im kommenden Frühjahr gewählt.

Frage: Die Union will nicht einmal von der rot-grünen Öko-Steuer Abstriche machen?

WESTERWELLE: Für die FDP bleibt die Reduzierung der Öko-Steuer auf der Tagesordnung. Diese Steuer war ein historischer Irrtum. Die Idee, an der Tankstelle den Rentenbeitrag zu sichern, hat zu höheren Benzinpreisen geführt, ohne daß die Rentenbeiträge stabiler wurden.

Frage: Dann müssen Sie aber sagen, wie das Loch in der Rentenkasse ohne die Öko-Steuer geschlossen werden soll?

WESTERWELLE: Wir haben in unserem Steuerkonzept Steuersenkungen von 17
bis 19 Milliarden Euro vorgesehen. Außerdem haben wir Maßnahmen vorgeschlagen, mit denen jährlich 35 Milliarden Euro eingespart werden können. Das heißt, wir müssen endlich den Mut zum Abbau von Subventionen aufbringen.

Frage: Aber es ist doch sozial ungerecht, wenn durch den Wegfall der Pendlerpauschale oder der steuerfreien Nachtzulage die Absenkung des Spitzensteuersatzes finanziert werden soll?

WESTERWELLE: Dieses Klischee aus der linken Mottenkiste wird auch durch ständige Wiederholung nicht besser. Das heutige Steuersystem ist zutiefst sozial ungerecht, weil es Kinder steuerlich schlechter stellt als Erwachsene und Familien benachteiligt. Das werden wir ändern, indem erwachsene und Kinder den gleichen Steuerfreibetrag von 7700 Euro pro Kopf erhalten. Das heißt, eine vierköpfige Familie mit zwei Erwachsenen und zwei Kindern würde erst ab einem Jahreseinkommen von 38 000 Euro besteuert, wenn man die Altersvorsorge dazu zählt. Eine Million rote Fahnen am ersten Mai sind nicht so sozial wie das Steuermodell der FDP.

Frage: Wie schwer war die Wende der FDP von der Spaßgemeinschaft zur seriösen politischen Partei?

WESTERWELLE: Unser Steuerkonzept von 2002 war nicht spaßig, sondern genau so ernst und seriös gerechnet wie das von 2005. Und ich bleibe ein lebensbejahender, optimistischer Rheinländer mit ernsten politischen Zielen. Mir graut vor Politikern, die zum Lachen in den
Keller gehen.

Frage: Ist der Außenministerposten für die FDP überhaupt verhandelbar?

WESTERWELLE: Noch einmal, wir werden das Fell des Bären nicht verteilen, ehe er erlegt ist. Es geht jetzt nicht um Posten und Pöstchen, sondern um engagierten Wahlkampf. Und bei allem Respekt vor den Leistungen von Joseph Fischer, die er ohne Zweifel auch hat, bei den
Außenministern der FDP, Walter Scheel, Hans-Dietrich Genscher oder Klaus Kinkel war der Frieden in den besten Händen.

Frage: Befürchten angesichts des Hochwassers in Bayern und eines omnipräsenten Edmund Stoiber nicht, daß die FDP hier unter die 5-Prozent-Grenze gespült wird?

WESTERWELLE: Wenn ich die dramatischen Bilder aus den Hochwassergebieten sehe, dann denke ich nicht an Wahlkampf, sondern mein Mitgefühl gilt den betroffenen Menschen. Daß auch in Bayern sehr viele Menschen, die für Schwarz-Gelb stehen, mit ihrer Zweitstimme die FDP stark machen wollen ? auch als Gegengewicht zum gelegentlich starken Konservatismus der CSU ? wird uns bei der Bundestagswahl viel Zustimmung bringen.

Frage: Warum fällt es der FDP so schwer im Osten, zum Beispiel Mecklenburg-
Vorpommern, auf die Beine zu kommen?

WESTERWELLE: Die FDP in Mecklenburg-Vorpommern hat sich ganz von unten Schritt
für Schritt nach oben gearbeitet. Bei der Landtagswahl 2002 hat sie nur haarscharf die 5-Prozent-Hürde verpaßt. Bei der Bundestagswahl und der Kommunalwahl hat sie die übersprungen. Ich bin überzeugt, unser Spitzenkandidat Christian Ahrendt aus Schwerin wird in den nächsten Bundestag einziehen.

Frage: Aber Ihre einstige Generalsekretärin Cornelia Pieper aus Halle ist wegen Erfolglosigkeit aus dem Amt gewählt worden?

WESTERWELLE: Cornelia Pieper, die heute meine Stellvertreterin an der Parteispitze ist, ist ein Glücksfall für den Osten und erst Recht für die FDP. Sie hat im Gegensatz zu manchem Politiker aus dem Osten nie vergessen, woher sie kommt.

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