13.10.2006FDP

WESTERWELLE-Interview für die Main-Post

Berlin. Der FDP-Partei- und Fraktionsvorsitzende DR. GUIDO WESTERWELLE gab der "Main-Post" (heutige Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellten ALICE NATTER und FOLKER QUACK:

Frage: Herr Westerwelle, loben Sie doch mal die große Koalition.

WESTERWELLE: Nein, manches ist unzumutbar.

Frage: Gibt es gar nichts, was Ihnen einfällt? Deutschland hält in diesem Jahr die EU-Stabilitätskriterien ein, die Wirtschaftsdaten werden immer besser . . .

WESTERWELLE: Die so genannte große Koalition hat die größte Steuererhöhung in der Geschichte der Republik beschlossen, was die Chance auf einen wirklichen Wirtschaftsaufschwung zur Jahreswende erheblich kleiner machen wird. Die so genannte große Koalition beschließt in der Gesundheitspolitik den Weg in den Kassensozialismus. Die so genannte große Koalition kann sich in der Energiepolitik nicht darauf einigen, einen Mix aus regenerativen und klassischen Energien, aber auch Kerntechnologie zu nutzen. Und die Koalitionäre streiten sich wie die Kesselflicker. Vor diesem Hintergrund bin ich nicht bereit, das eine oder andere, was auch außenpolitisch vernünftig läuft, in den Vordergrund zu stellen.

Frage: Sie gefallen sich sehr in der Rolle des Oppositionsführers, oder?

WESTERWELLE: Wir wollen regieren und wir werden regieren. Aber wir wollen einen Politikwechsel durchsetzen. Denn wenn sich Deutschland mit Wachstumsraten zufrieden gibt, die uns in Europa vom letzten auf den vorletzten oder vorvorletzten Platz bringen, dann sind wir nicht ehrgeizig genug. Das Wirtschaftswachstum anderer europäischer Mitbewerber ist zum Teil doppelt so hoch, wir haben eine Arbeitslosigkeit zwischen zehn und zwölf Prozent - wenn das der Aufschwung ist, dann reden wir uns besoffen.

Frage: Sie brauchen zum Politikwechsel einen Partner. Wer steht Ihnen im Moment da näher - die Union oder die SPD?

WESTERWELLE: Die FDP geht ihren Weg. Wir sind eine eigenständige Partei, haben ein eigenes Programm und machen unseren Weg nicht abhängig vom Irrlichtern der beiden Regierungsparteien.

Frage: Wer in der Regierung ist derzeit der größere Reform-Blockierer?

WESTERWELLE: Das Schlimme an dieser Regierung ist, dass man das gar nicht mehr ausmachen kann. Die Blockierer sitzen quer durch die Regierungsparteien überall und bis in die Chefetagen. Selten hat man erlebt, dass sich die Chefs von Koalitionsfraktionen so in die Haare kriegen. Der Interview-Krieg zwischen Angela Merkel, Kurt Beck, Peter Struck und Edmund Stoiber belegt einen atemberaubenden Erosionsprozess dieser Regierung, den ich selbst als Oppositionspolitiker in dieser Geschwindigkeit nicht für möglich gehalten habe.

Frage: Treffen Sie sich ab und zu noch mit Angela Merkel? Hat sich Ihr Verhältnis im vergangenen Jahr verändert?

WESTERWELLE: Mein persönliches Verhältnis ist zu vielen Kollegen der Bundesregierung, ausdrücklich auch zur Bundeskanzlerin, unverändert. Aber das ändert nichts an der Tatsache, dass Angela Merkel einer Bundesregierung vorsteht, die Deutschland Chancen nimmt.

Frage: Bedauern Sie die Kanzlerin manchmal?

WESTERWELLE: Ich bedauere eher Deutschland. Unsere Nachbarländer zeigen, was mit einem Politikwechsel geht.

Frage: Mit Blick auf die Querschüsse der Unions-Ministerpräsidenten - fehlt es Angela Merkel an Führungsstärke?

WESTERWELLE: Das ist eine politologische Frage. Die Bundeskanzlerin trägt Verantwortung für die Politik dieser Regierung. Wenn man sich das Desaster allein in der Gesundheitspolitik ansieht, spricht diese Politik Bände - und leider auch gegen die Kanzlerin.

Frage: Die FDP will einen Kurs der wirtschaftlichen Erneuerung. Wie soll der Kurswechsel aussehen?

WESTERWELLE: Ein niedrigeres, einfacheres und gerechteres Steuersystem, weil nur so Investitionen und Kaufkraft in Deutschland entstehen - und das schafft Arbeitsplätze. Eine zukunftsfestere Form der sozialen Sicherung, vor allem eine Entkoppelung der Arbeitskosten von der sozialen Sicherung, denn die Lohnzusatzkosten machen Arbeit so teuer in Deutschland. Drittens ein radikaler Schnitt bei der Bürokratie, indem künftige Gesetze und Verordnungen ein Verfallsdatum bekommen und aus den Genehmigungsverfahren Anmeldeverfahren werden. Und viertens ein klares Bekenntnis zu Bildung, Wissenschaft und neuen Technologien. Dass wir von der Bio- über die Gentechnik bis hin zur nuklearen Forschung die neuen Technologien aus Deutschland herausschicken, werden wir teuer bezahlen: mit Wohlstandsverlust.

Frage: Können wir wirklich so günstig und so effektiv werden, dass wir es beispielsweise mit China aufnehmen können?

WESTERWELLE: Wir werden und wollen nie so billig sein wie China. Aber wenn die billiger sind, müssen wir besser sein. Dass die neuen Technologien in Asien eine Chance bekommen, übrigens auch in Österreich, in der Schweiz, in den Niederlanden, in Belgien, in Großbritannien, aber bei uns abgewickelt werden, ist Ausdruck einer deutschen Krankheit, für die die Bundesregierung Verantwortung trägt.

Frage: Es fehlen so viele Lehrstellen wie nie zuvor. Wie kann die FDP mit ihrer Politik den jungen Menschen helfen?

WESTERWELLE: Wo entstehen Ausbildungsplätze? Zu 80 Prozent im Mittelstand. Deshalb muss der entlastet werden. Deswegen ist es ein schwerer Fehler der Regierung, gegen die ökonomische Vernunft und die soziale Gerechtigkeit ihre Mehrwertsteuererhöhung durchzuziehen. Es ist ein Fehler, den Mittelstand zu belasten durch dieses absurde Antidiskriminierungsgesetz. Die Krokodilstränen der Regierung über die fehlenden Lehrstellen sind pure Heuchelei.

Frage: 14 Prozent - weshalb hat die FDP derzeit so gute Umfragewerte?

WESTERWELLE: Der Zulauf beflügelt uns. Dass wir seit der Bundestagswahl über 5000 neue Mitglieder gewinnen konnten, zeigt, dass diese Umfragewerte nicht nur eine Momentaufnahme der Stimmung sind, sondern dass viele Bürger zu der Erkenntnis kommen: Wenn man eine andere Politik will, muss man jetzt auch mal etwas anderes wählen.

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