WESTERWELLE-Interview für die "Leipziger Volkszeitung"
Berlin Der FDP-Bundesvorsitzende DR. GUIDO WESTERWELLE gab der "Leipziger Volkszeitung" (Mittwoch-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte DIETER WONKA:
Frage: Die FDP gefährdet die nationale Sicherheit nur um den parteitaktischen Preis, Joschka Fischer auf der Theaterbühne endgültig fertig zu machen und die Geheimdienste zur Entkleidungskammer zu führen. Haben Sie so viel Aufmerksamkeits-Tricks nötig?
WESTERWELLE: Wer aufklärt, erhöht die Sicherheit Deutschlands. Wer vertuscht und verschleiert, riskiert unsere Sicherheit in Deutschland. Ich muß mich sehr wundern über die Vorwürfe aus der schwarz-roten Koalition. Die argumentieren wie Franz Josef Strauß bei der "Spiegel"-Affäre: Wer den Rechtsstaat verteidige, der schade Deutschland. Das ist eine Haltung wie im Absolutismus. Präsident Bush, als er dabei erwischt wurde, Hunderte von unschuldigen Bürgern illegal abgehört zu haben, hat auch gesagt, wenn man da nachfrage, gefährde man die Sicherheit Amerikas. Der Kongreß und das amerikanische Volk haben dem Präsidenten seine Grenzen gezeigt. Nicht die parlamentarische Kontrolle von Regierung und Geheimdienst gefährdet die Sicherheit, sondern die Vertuschung der Vorwürfe.
Frage: Was ist denn Ihr parteitaktisches Ziel mit dem U-Ausschuß?
WESTERWELLE: Es geht um die Sache. Wäre die Union heute noch Oppositionspartei, so stünde sie an der Spitze der Bewegung für einen Untersuchungsausschuß. Daß sie jetzt mauert, dient nur dem Zweck, ihren Koalitionspartner SPD zu schonen. Koalitionäre Rücksichtnahme in Maßen verstehe ich. Wenn die Axt an die Wurzel unseres Rechtsstaates gelegt wird, fehlt mir dafür aber jedes Verständnis. Ein deutscher Staatsangehöriger wird vom US-Geheimdienst verschleppt und mißhandelt - das muß restlos aufgeklärt werden, schon um jede Wiederholungsmöglichkeit auszuschließen.
Frage: Wie wollen Sie verhindern, daß der Ausschuß zum Zeugen-Spektakel mit Schröder, Fischer und Co. wird?
WESTERWELLE: Die FDP ist eine staatstragende Partei. Wir wissen, daß man Geheimdienste braucht. Aber die amtierende Bundesregierung hat im Umfeld der Vorgänge in Bagdad erkennbar die Unwahrheit gesagt. Auch in Zeiten der Terrorismusbekämpfung sollten wir den Rechtsstaat und unsere Verfassung als unbestrittenen Kompaß beachten. Wer Guantanamo kritisiert, wie die Bundeskanzlerin, findet den Beifall der FDP. Aber dann kann man nicht akzeptieren, daß deutsche Beamte nach Guantanamo fahren und dort fragwürdige Verhöre im rechtsfreien Raum durchzuführen. Wenn es notwendig sein sollte, wird der Ausschuß hinter verschlossenen Türen ohne Journalisten und ohne Kameras tagen.
Frage: Welche personellen Konsequenzen sind das Ziel der Ausschuß-Arbeit?
WESTERWELLE: Mich interessiert das Fehlverhalten von Herrn Fischer herzlich wenig - allenfalls aus Gründen der Geschichtsschreibung. Es geht nicht zuerst um Fischer und Co., sondern um die Zukunft. Der Rechtsstaat darf auch in Zeiten des Terrorismus nicht aufgegeben werden. Die Vernehmung in Foltergefängnissen durch deutsche Beamte, die Entsendung von Beamten in das völkerrechtswidrige Gefängnis von Guantanamo, die Entführung eines deutschen Staatsangehörigen durch den CIA bei einer tatenlosen Bundesregierung, das Belügen der Öffentlichkeit hinsichtlich des Einsatzes von BND-Beamten in Bagdad sind Vorgänge, die man um keinen Preis einfach so unter den Teppich kehren darf. Andernfalls sind Wiederholungen zwangsläufig. Wer die deutsche Verfassung verteidigt, schadet nicht Deutschland, sondern hilft diesem Land mehr, als jeder, der sich über den Staat und das Grundgesetz erheben will.
Frage: Wäre es nicht politischer, Sie brächten die Regierenden vor einen Renten-Lügen-Ausschuß, als wegen einer verschwimmenden BND-Geschichte?
WESTERWELLE: Eine liberale Partei kämpft für wirtschaftliche Vernunft, damit Wohlstand für alle und Arbeitsplätze möglich sind. Aber die liberale Partei weiß auch, daß der Rechtsstaat jeder Zeit eingehalten und verteidigt werden muß. Wir vertreten die Interessen der Bürger. Wenn man einmal die Verschleppung eines deutschen Staatsangehörigen durch den US-Geheimdienst unter den Teppich kehrt, nur weil die Regierenden die Sorge haben, daß Washington das nicht gefällt oder weil die SPD durch die Union geschont werden soll, dann kann jeder Bürger der nächste sein.
Frage: Fühlen Sie sich wohl bei dem Gedanken, jetzt mit Oskar Lafontaine einen Ausschuß durchzusetzen, wo die FDP doch in seinen Augen Teil der von ihm so benannten "Schweinebande" ist?
WESTERWELLE: Ich würde diese Affäre am liebsten mit der Union aufklären. Aber die Union verweigert aus Rücksicht auf die SPD die Aufklärung. Von der PDS trennen uns Welten. Nach diesem skandalösen Ausfällen von Herrn Lafontaine noch mehr. Aber wenn beispielsweise die von der PDS mitregierten Bundesländer Berlin und Mecklenburg Vorpommern im Bundesrat hoffentlich auch gegen die Mehrwertsteuererhöhung stimmen werden, ändert die FDP doch nicht plötzlich ihre Haltung und stimmt für die falsche Steuererhöhung.