21.03.2006FDP

WESTERWELLE-Interview für die "Hessische-Niedersächsische Allgemeine"

Berlin. Der FDP-Bundesvorsitzende DR. GUIDO WESTERWELLE gab der "Hessischen- Niedersächsischen Allgemeinen" (Dienstag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte ULRICH RIEDLER:

Frage: Wir haben fünf Millionen Arbeitslose und unsichere Sozialsysteme. Aber statt der Kuschelkoalition Dampf zu machen, verschießt die FDP ihr Pulver auf einem Kriegsschauplatz von gestern: dem BND-Untersuchungsausschuß....

WESTERWELLE: Die Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit ist das wichtigste. Das heißt aber nicht, daß Liberale Rechtsstaatsverfassung und Bürgerrechte nicht mit Sorgfalt verfolgen müßten. Es geht ja nicht darum, sich an zwei nachgeordneten BND-Beamten abzuarbeiten, sondern daß ein deutscher Staatsangehöriger vom amerikanischen Geheimdienst entführt und monatelang festgehalten wurde. Wenn man hier nicht aufklärt und Gegenmaßnahmen ergreift, kann jeder Bürger der nächste sein.

Frage: Sie gehen mit der Mehrwertsteuer in die Offensive. Wie groß sind die Chancen, die Erhöhung zu verhindern?

WESTERWELLE: Drei Prozent Mehrwertsteuererhöhung, das ist die größte Steuererhöhung in der Geschichte der Republik. Das befördert Schwarzarbeit und kostet Arbeitsplätze. Wir wollen mit unseren fünf Regierungsbeteiligungen im Bundesrat den Widerstand dagegen mobilisieren. Wenn die beiden rot-rot-regierten Länder, Mecklenburg-Vorpommern und Berlin, sich unserer Ablehnung der Mehrwertsteuererhöhung anschließen, fehlt nur noch ein Bundesland, um die Erhöhung zu kippen.

Frage: Der gegenwärtige Trend gegen Wirtschaftsliberalismus ist stärker denn je: In Deutschland gehen die Menschen auch deswegen auf die Straße, weil seit 1991 Löhne und Gehälter real um 5,1 Prozent gesunken sind. In Frankreich begehrt eine ganze Generation gegen weit reichend gelockerten Kündigungsschutz auf. Haben Sie nicht ein Problem mit Ihrer Politik?

WESTERWELLE: Wenn wir nicht richtig lägen, wäre eines der besten Wahlergebnisse der FDP in der Geschichte der Republik vor wenigen Monaten nicht erklärbar. Im Gegenteil. Die Bürger wissen, daß nur durch eine Belebung unserer Wirtschaft und nur durch eine Stimulierung unserer Wachstumskräfte soziale Gerechtigkeit zu schaffen ist.

Frage: Sie setzen auf eine weitere Privatisierung im öffentlichen Dienst?

WESTERWELLE: Ja. Der Staat muß nicht mit öffentlich Bediensteten dafür sorgen, daß der Müll abtransportiert wird. Das können Private genauso gut, oft für den Steuerzahler günstiger und serviceorientierter. Entscheidend ist, daß dieser Streik im sicheren öffentlichen Dienst gegen 18 Minuten längere Arbeitszeiten ein Luxusstreik ist. Das ist den Millionen, die arbeitslos oder von Arbeitslosigkeit bedroht sind, nicht zu erklären. Überall wird länger gearbeitet: bei Beamten, in der freien Wirtschaft, übrigens auch komplett im öffentlichen Dienst in Ostdeutschland. Das Programm Aufschwung durch Freizeit, das die Ver.di-Spitze vorschlägt, kann nicht funktionieren.

Frage: Kanzlerin Merkel will Vorschläge für eine Gewinn- und Kapitalbeteiligung der Arbeitnehmer erarbeiten lassen. Unterstützen Sie das?

WESTERWELLE: Die FDP hat seit langem den Grundsatz "Wir wollen kein Volkseigentum, sondern ein Volk von Eigentümern". Wenn unsere Bevölkerung auch Eigenkapital bilden kann, so ist das im Sinne liberaler Politik. Wir wollen ja auch, daß die Bürger bei Betriebsrenten stärker eigene Ansprüche ansammeln können. Deswegen ist es ein Fehler, daß die große Koalition die Möglichkeit für Betriebsrenten verschlechtern will.

Frage: Die FDP wird der Föderalismusreform zustimmen. Eltern befürchten aber durch größere Kompetenzen der Länder bei den Schullehrplänen künftig mehr Ungerechtigkeit und mangelnde Mobilität.

WESTERWELLE: Wir brauchen auch einen föderalen Wettbewerb um die besten Bildungseinrichtungen der Länder. Daß aber gleichzeitig die Mobilität zum Beispiel für Familien, die zwischen den Ländern umziehen, nicht beeinträchtigt werden darf, versteht sich von selbst. Da sind jetzt die Bundesländer in der Pflicht, mit gemeinsamen Standards und Vorschlägen die Bedenken auszuräumen.

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