WESTERWELLE-Interview für die "Freie Presse" Chemnitz
Berlin. Der FDP-Bundesvorsitzende und Spitzenkandidat für die Bundestagswahlen 2005 DR. GUIDO WESTERWELLE gab der "Freien Presse" Chemnitz (heutige Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte PETER KOARD:
Frage: Es wird knapp für Schwarz-Gelb, zumindest nach den Umfragen. Die FDP könnte das Zünglein an der Waage werden. Wie fühlen Sie sich in der Rolle?
WESTERWELLE: Als rheinischer Optimist, hoffnungsvoll. Die Chancen für Schwarz-Gelb sind hervorragend, aber es ist richtig, das Rennen ist noch nicht gelaufen. Wenn es Schwarz-Gelb nicht gäbe, hätten wir eine linke Mehrheit aus SPD, Grünen und PDS im Bundestag. Das will ich verhindern.
Frage: Die Linkspartei hat gerade im Osten viel Resonanz. Wo sehen Sie die Ursachen für den Zuspruch?
WESTERWELLE: Ich rechne nicht damit, daß aus diesem momentanen Protest dann tatsächlich eine Wahlentscheidung wird. In der Wahlkabine wissen die Bürger, daß es um die Zukunft unseres Landes geht. Politiker, die weggelaufen sind, als sie Verantwortung hatten, empfehlen sich nicht für neue Aufgaben. Ich merke auch, daß immer mehr Menschen erkennen, der Wohlstand läßt sich nicht mit neokommunistischen Thesen erhalten. Es geht darum, daß die Konjunktur anspringt, damit die Kaufkraft wieder wachsen kann.
Frage: Was garantieren Sie den Ostdeutschen, wenn sie mitregieren?
WESTERWELLE: Größte Aufmerksamkeit und persönliche Leidenschaft. Ich fühle mich seit der Wiedervereinigung dem Leitsatz von Hans-Dietrich Genscher verpflichtet: Nichts wird so bleiben wie es war, weder im Westen noch im Osten. Und wenn es Ostdeutschland auf Dauer schlecht geht, wird es auch Westdeutschland und Deutschland insgesamt nicht gut gehen.
Frage: Die Ostdeutschen beunruhigt am meisten die steigende Arbeitslosigkeit. Können Sie mit den Programmen von Union und FDP eine Trendwende erreichen?
WESTERWELLE: Ich würde mich persönlich nicht um eine solche Herkulesaufgabe bewerben, wenn ich nicht felsenfest davon überzeugt wäre, daß wir mit unseren Programmen für mehr Wachstum und damit für mehr Arbeitsplätze sorgen könnten. Das ist nicht gestützt auf Prognosen oder Theorien von Wirtschaftsinstituten, sondern auf Erfahrungen in europäischen Nachbarländern. Wenn alle anderen 24 EU-Mitgliedsstaaten im Wachstum vor Deutschland liegen, dann haben wir etwas falsch gemacht.
Frage: Wie wollen Sie in den verbleibenden eineinhalb Wochen die Wähler noch mobilisieren, bei Ihnen das Kreuz zu machen?
WESTERWELLE: Wir verabschieden als letzte Partei am kommenden Wochenende unseren Wahlaufruf, der den inhaltlichen Neuanfang mit der Union beschreibt, aber auch unsere personellen Vorstellungen konkretisiert.
Frage: Beanspruchen Sie wieder die Kabinettsposten wie in der Regierung mit Helmut Kohl?
WESTERWELLE: Die Liberalen haben auch in Bereichen wie Bildung und Umweltpolitik kompetente Persönlichkeiten mit Cornelia Pieper und Birgit Homburger. Es geht aber noch nicht um Ressorts, sondern um eine gute Arbeitsgrundlage für eine schwarz-gelbe Koalition. Das Problem in der scheidenden Regierung war, daß die SPD die schweren Sachen schultern mußte und die Grünen konnten das diplomatische Parkett bohnern oder für blauen Himmel und glückliche Hühner werben. Wir wollen, daß auch die Verantwortungen in der Sache miteinander geteilt werden.
Frage: Der bayerische Innenminister Günther Beckstein hat aber schon verlauten lassen, daß Sie als Bundesinnenminister nicht in Frage kämen.
WESTERWELLE: Der Kollege Beckstein hat in einem Bierzelt eine amüsante Rede gehalten. Solche Frotzeleien buche als Folklore bei der Maß Bier ab.
Frage: Der Steuerexperte Paul Kirchhof steht im Zentrum des Interesses. Manchmal drängt sich der Eindruck auf, daß er mit seinen Ansichten sogar Stimmen kosten könnte.
WESTERWELLE: Das was ich an familienpolitischen Bemerkungen gehört habe, ist nicht das, was die FDP will. Wir Liberale sind der Ansicht, daß die persönlichen Lebensentwürfe vielfältig sein dürfen, sogar sein müssen. Ob es das Frauen- oder das Familienbild ist, wir wollen, daß die Menschen wirklich wählen können. Das ist auch der Grund, warum wir das Netz von Ganztagsschulen und vorschulischer Kindergartenbetreuung verbessern und verbreitern wollen. Doch was die Steuerpolitik angeht, ist Professor Kirchhof ein Verbündeter im Geiste. Wir können das derzeitige ungerechte und komplizierte Steuersystem nicht mehr therapieren, sondern wir brauchen einen radikalen Neuanfang.
Frage: Wie wollen Sie eine Erhöhung der Mehrwertsteuer verhindern?
WESTERWELLE: Mit möglichst viel Autorität durch die Wähler im Rücken in den Koalitionsverhandlungen und mit einem durchgerechneten Programm. Wir haben vorgerechnet, wie 35 Milliarden Euro durch Subventionsabbau, einer Verringerung der Bürokratie und der Streichung von steuerlichen Ausnahmetatbeständen im Haushalt erwirtschaftet werden können. Steuersenkungspolitik ist das beste Beschäftigungsprogramm. Und eine Chance auf eine Verhinderung der Mehrwertsteuererhöhung gibt es nur mit der FDP, denn Herr Eichel hat bereits für die SPD angekündigt, an der Mehrwertschraube drehen zu wollen. Damit sind die Sozialdemokraten bei ihren eigenen Wahlversprechen schon umgefallen.