25.01.2003FDP

WESTERWELLE-Interview für die "Frankfurter Neue Presse"

Der FDP-Bundesvorsitzende DR. GUIDO WESTERWELLE gab der "Frankfurter Neuen Presse" (Samstag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellten SVEN WEIDLICH und DR. DIETER SATTLER.

Frage: Herr Westerwelle, Sie sind derzeit auf Wahlkampftour in Hessen und Niedersachsen. Wo ist die Stimmung für die FDP besser ?

WESTERWELLE: Ich habe den Eindruck, dass die Stimmung für die FDP in beiden Bundesländern sehr ordentlich ist. Denn in beiden Ländern wird von den Menschen gesehen:
ohne uns gibt es Rot-Grün. Das ist für viele ein Grund, die FDP zu unterstützen. Wahlkampf
in Hessen ist trotzdem leichter, weil wir mit einer Minister-Mannschaft antreten und einer gut aufgestellten Fraktion werben können, die eine Erfolgsbilanz vorzuweisen haben. Das ist in Niedersachsen natürlich anders. Dort treten wir außerparlamentarisch an.

Frage: Ist das eine Abkehr von der Strategie, die Sie bislang verfolgt haben, dass nämlich
Koalitions-Aussagen von Übel seien? Sie sagen jetzt, in Hessen ist die Koalition gut.

WESTERWELLE: Wir haben in den vergangenen beiden Jahren drei Landtagswahlen gehabt,
bei denen wir sehr erfolgreich waren. Einmal sind wir mit einer Koalitions-Aussage ins Rennen gegangen, einmal mit einer halben Koalitions-Aussage- als wir nämlich ein
bestimmtes Bündnis ausschlossen - und einmal ganz ohne. Unsere Strategie zur Unabhängigkeit, und das hat Ruth Wagner hervorragend formuliert, heißt, dass wir nicht
geistiger Ableger irgendeines fremden Lagers sind, sondern dass wir für unsere eigene Politik
Werbung machen und auch die Unterschiede herausstellen - etwa zu den
Staatsbürokratischen Neigungen aller anderen Parteien. Es versteht sich von selbst, dass wir in Hessen die Arbeit einer erfolgreichen Landesregierung unterstützen und sie fortsetzen wollen.

Frage: Es hat allerdings in Ihrer Partei starke Bestrebungen gegeben, die Koalition während
der Spendenaffäre platzen zu lassen. Der damalige Bundesvorsitzende Wolfgang Gerhardt
sprach sich seinerzeit sehr heftig dafür aus, die Koalition mit Ministerpräsident Roland Koch (CDU) zu beenden.

WESTERWELLE: In der Tat hat es eine streitige innerparteiliche Diskussion gegeben. Die FDP hat damals meiner Meinung nach geradezu vorbildlich eine Streitkultur im besten demokratischen Sinne gezeigt. Auf einem Parteitag ist klar entschieden worden, und zur Demokratie zählt auch der Wille der Mehrheit. Das muss man respektieren. Mehr als zwei
Jahre später stellen wir fest, dass Hessen mittlerweile auf einem der vorderen Plätze bundesweit steht - ob man nun die wirtschaftliche Entwicklung nimmt, die Verkehrspolitik, die kulturelle Vielfalt oder den Schwerpunkt Wissenschaft, Forschung und Bildung. Das
war nicht so, als Schwarz-Gelb die Regierung übernommen hat.

Frage: Kann man also sagen, dass die Bundespartei damals auf das falsche Pferd gesetzt hätte?

WESTERWELLE: Ich glaube, manchmal ist es klug, wenn man nicht noch mal in alte
Diskussionen einsteigt, die zweifellos streitig waren. Übrigens ging es nie um die Infragestellung der Koalition. Wenn über eine Sache Gras gewachsen ist, soll man nicht das
Kamel sein, dass diese Gras sofort wieder abfrisst.

Frage: Schönes Bild, Herr Westerwelle. Aber müssen Sie denn jetzt nicht Ihren hessischen
Parteifreunden auch in anderer Hinsicht Abbitte leisten? Denn diese sahen als Erste
die Gefahr, die von Jürgen W. Möllemann ausgeht. War man in Hessen klüger?

WESTERWELLE: Ich will die Diskussionen nicht ins Unendliche verlängert, vor allem,
weil schon alles gesagt ist.

Frage: Möllemann hat nicht ausgeschlossen, dass er eine eigene Partei gründet. Muss sich
ein Bundesvorsitzender nicht mit der Frage beschäftigen, ob eine Konkurrenz entsteht?

WESTERWELLE: Ich muss mich mit den Dingen beschäftigen, die wahlentscheidend sind.
Wie sich nämlich die persönliche Lebenslage der Bürger verbessern lässt. Wie man ihre wirtschaftlichen und sozialen Chancen verbessert.

Frage: Anderes Thema: Die Union will die Sozialabgaben herunterfahren, SPD-Superminister
Wolfgang Clement (SPD) will an den Kündigungsschutz heran, die Grünen wollen, dass die Rentner auch ihren Beitrag zur Zukunft zu den Sozialkassen leisten. Was bleibt da noch an liberalen Ideen für die FDP?

WESTERWELLE: Wenn die anderen sich an unserem Programm anlehnen, muss es ziemlich gut sein. Dann empfehle ich den Wählern aber auch, die treibende Kraft der Bewegung zu
stärken, und nicht diejenigen, die sich die Vorschläge rhetorisch zu Eigen machen, praktisch
aber nie ausführen. Das beste Beispiel sind die Äußerungen von Herrn Clement. Dass er über Marktwirtschaft redet, freut jeden Liberalen, aber wenn er dann zwei Stunden später vom Bundeskanzler zurückgepfiffen wird, dann ist das für einen "Superminister" zu wenig. Wir als Opposition haben die Aufgabe vorzuschlagen, was wir gerne wollen. Jemand, der sich Superminister nennt, muss das machen, was er sagt. Für Denkschriften brauchen wir keine Regierung. Wir brauchen eine, die handelt. Damit meine ich auch das literarisch zweifelsohne wertvolle Denkpapier aus dem Kanzleramt. Wenn es nur eine Denkschrift bleibt, ist es zu wenig. Ein Musterbeispiel haben wir jetzt alle erlebt. Da hieß es: Jetzt kommt das Hartz-Konzept für die Arbeitsmarkt-Reform, das liberale Ideen übernimmt, und damit geht Deutschlands Wirtschaft wieder einen ordentlichen Weg. Nach der Bundestagswahl leugnet Herr Hartz die Vaterschaft für das, was unter seinem Namen im Bundestag beschlossen wurde und sagt: So habe er das aber nicht gewollt. Ein fruchtbares Feld für Freidemokraten.

Frage: Müssen sie statt dem Projekt 18 jetzt nicht eher ein Projekt 12 verfolgen?

WESTERWELLE: Die 18 Prozent waren ein Wahlziel, das wir bei der Bundestagswahl
eindeutig verfehlt haben - auch wenn wir ordentlich zugelegt haben. Die dahinter stehende
Strategie, nämlich dass sich die FDP an das ganze Volk wendet, ist unverändert richtig. Ich vertrete sie nach wie vor. Ich glaube fest, dass die FDP eine gute Chance hat, einen ähnlich
erfolgreichen Weg zu gehen wie viele andere liberale Parteien in Europa auch. Deswegen will ich auch liberale Wirtschaftspolitik so vermitteln, wie es Ludwig Erhard einmal formuliert hat: ,Wohlstand für alle'. In seiner Tradition und der von Otto Graf Lambsdorff sehen wir uns als FDP in der Wirtschaftspolitik. Das Entscheidende ist, dass die FDP kenntlich macht, dass wir uns an alle Menschen in Deutschland wenden, die mehr Freiheit für sich wollen und dafür im Gegenzug bereit sind, mehr Verantwortung zu übernehmen.

Frage: Haben aber nicht alle liberalen Parteien in Europa, die sich der 20-Prozent-Marke
nähern, national-liberale Anwandlungen?

WESTERWELLE: Das bestreite ich. Nehmen Sie die Dänischen Liberalen - oder die
Niederländische VVD, die in der Wirtschaftspolitik sehr vieles ähnlich sieht wie die Freien
Demokraten in Deutschland.

Frage: Was halten Sie von dem Wahluntersuchungs-Ausschuss, dem so genannten Lügen-Ausschuss?

WESTERWELLE: Ich finde seine Arbeit berechtigt. Nicht, weil Regierungs-Vertreter vor
der Wahl unbequeme Sachen verschwiegen haben, sondern weil sie zum Beispiel beim Defizit-Kriterium des Haushaltes eine Woche vor der Wahl amtlich gelogen haben. Kurz nach der Wahl wussten wir, das Kriterium liegt bei 3,7 Prozent und ist damit entgegen den
Beteuerungen zu hoch. Wenn die Opposition das der Regierung durchgehen lässt, wäre das eine erhebliche Beschädigung der politischen Kultur in Deutschland. Das darf kein Parlamentarier und auch kein Bürger einem Regierungsvertreter durchgehen lassen.

Frage: Aber was sollen die Konsequenzen sein?

WESTERWELLE: Ich glaube wenn sich herausstellt, dass Finanzminister Hans Eichel (SPD)
die Unwahrheit gesagt hat, obwohl er es besser wusste, dann wird der in Niedersachsen bald abgewählte Ministerpräsident Sigmar Gabriel seinen Job übernehmen.

Frage: Haben Sie nicht die Sorge, dass die Bevölkerung nach den Debatten in den anderen Untersuchungs-Ausschüssen meint, die ganze Politik besteht nur noch aus Lüge, Korruption und Gesetzesbruch?

WESTERWELLE: Diese Gefahr ist sehr groß. Gerade deshalb bin ich der Auffassung, dass
es ein Regulativ in der Demokratie geben muss. Eine solche Verfehlung wie durch Finanzminister Eichel muss politische Folgen haben. Wenn das folgenlos bliebe, wird das im
Wahlkampf die Regel. Das ist es bisher nicht gewesen. Dass Politiker sich bemühen,
unangenehme Sachen nicht ins Schaufenster zu packen, das ist, seitdem es Demokratie
gibt, immer so gewesen. Auch ein Irrtum ist gestattet. Aber es ist eine ganz neue Qualität, wenn ein Regierungs-Vertreter wider besseren Wissens die Unwahrheit sagt.

Frage: Zu den anstehenden Landtagswahlen: Wie viel Prozent wollen Sie erreichen?

WESTERWELLE: Ich bin, was Prozentzahlen angeht, sehr vorsichtig geworden. Deswegen
sage ich: Wir wollen in beiden Ländern mit einer starken FDP Rot-Grün verhindern und uns an einer Regierung mit der CDU beteiligen. Denn auch die Christdemokraten brauchen Kontrolle. Wenn sie ihre etatistischen, staatsbürokratischen Tendenzen ohne unser Gegengewicht ausleben können, dann wäre das mit Sicherheit nicht gut für eine
wirtschaftliche Entwicklung. Wir brauchen mehr soziale Marktwirtschaft und weniger Staatswirtschaft.

Frage: Was raten Sie Ihren Parteifreunden, wenn sich Umfragen bestätigen, und die CDU
jeweils eine absolute Mehrheit an Sitzen erhält?

WESTERWELLE: Darüber will ich nicht spekulieren. Ich bin mir sehr sicher, dass dies
nicht passieren wird. Einige versuchen durch diese Diskussion, der FDP Schwierigkeiten zu
machen, um durch die Hintertür doch noch Rot-Grün zu bekommen. Es gibt in Hessen und
in Niedersachsen nur eine sichere Möglichkeit, dies zu verhindern, nämlich FDP zu wählen. Das sage ich auch den Wählerinnen und Wählern, die sich mit der Zweitstimme sehr klug
und sehr strategisch für ein Bündnis mit CDU und FDP entscheiden können. Sonst kann
es passieren, dass einige nachher aufwachen, und haben nach dem Bund zum zweiten Mal
Rot-Grün.

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