07.09.2005FDP

WESTERWELLE-Interview für den "Weserkurier/Bremer Nachrichten"

Der FDP-Bundesvorsitzende DR. GUIDO WESTERWELLE gab dem "Weserkurier" (Mittwoch-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte HANS-ULRICH BRANDT:

Frage: Herr Westerwelle, vermissen Sie in diesem Wahlkampf eigentlich Ihr Guido-Mobil?

WESTERWELLE: Wir haben den Reform-Express, der ist größer. Schließlich ist die FDP in den vergangenen drei Jahren ja auch größer geworden.

Frage: Vor drei Jahren nannten Sie sich noch Kanzlerkandidat der FDP und wollten sich als dritter Mann sogar in das TV-Duell Schröder/Stoiber einklagen. Warum sind Sie diesmal so bescheiden?

WESTERWELLE: Weil nach sieben Jahren Rot-Grün eine Regierung abtritt und sagt, sie sei am mangelnden Vertrauen in den eigenen Reihen gescheitert. Wir haben diesmal eine gegenseitige Koalitionsaussage mit der Union gemacht, um einen echten Neuanfang zu ermöglichen. Deshalb geht die FDP mit mir als Spitzenkandidaten in den Wahlkampf.

Frage: War Ihr Spaßwahlkampf damals also doch ein Fehler?

WESTERWELLE: Der Wahlkampf vor drei Jahren hat das beste Bundestagswahlergebnis für die FDP seit der deutschen Einheit gebracht.

Frage: In dem Maße, wie Sie sich zurücknehmen, wirft sich Fraktionschef Wolfgang Gerhardt in die Brust. Wird Ihnen das Comeback ihres Vorgängers im Amt des FDP-Vorsitzenden nicht langsam unheimlich?

WESTERWELLE: Ich begrüße, daß Wolfgang Gerhardt in dieser Woche einen außenpolitischen Leitfaden vorgelegt hat, der die Beliebigkeit von Rot-Grün gerade beim Thema Menschenrechte thematisiert. Und der vor allen Dingen auch die rot-grüne Achsenbildung Paris-Berlin-Moskau kritisiert. Diese entspricht nicht unseren nationalen Interessen, sie spaltet Europa.

Frage: Gerhardts Ambitionen auf das Amt des Außenministers sind kaum zu übersehen. Wie sieht Ihre Karriereplanung aus?

WESTERWELLE: Es geht nicht um Wolfgang Gerhardt oder um mich - es geht ausschließlich darum, was aus unserem Land wird. Aus diesem Grund rede ich über Inhalte des Politikwechsels und heute nicht über Posten.

Frage: Die Union hat ihr Kompetenzteam benannt. Am Wochenende wollen Sie auf dem Wahlparteitag in Berlin auch Namen nennen. Welche denn?

WESTERWELLE: Die FDP hat bereits Ihr Kompetenzteam unmittelbar nach der Neuwahlentscheidung benannt...

Frage: Da gehörte ja die halbe Partei dazu...

WESTERWELLE: Das Präsidium ist nicht die halbe Partei, sondern die Führung der FDP. Da sind viele Persönlichkeiten dabei, die ihre Kompetenz in der Wirtschaftspolitik, der Gesundheitspolitik und der Bürgerrechtspolitik unter Beweis gestellt haben. Auch auf dem Parteitag am Sonntag werde ich die Inhalte in den Mittelpunkt stellen, aber neben dem Programm auch unsere personellen Vorschläge konkretisieren.

Frage: Warum nicht schon jetzt?

WESTERWELLE: Erst ist der Parteitag dran, dann der Weserkurier/Bremer Nachrichten.

Frage: 7,4 Prozent hat die FDP vor drei Jahren erreicht, jetzt liegt sie in Umfragen zwischen sieben und acht Prozent. Das wird kaum reichen, um die CSU auf den dritten Platz in einer angestrebten schwarz-gelben Koalition zu verdrängen. Die Liberalen wieder als drittklassiges Anhängsel?

WESTERWELLE: Wir sind optimistischer als Sie. Wir wollen mit der Union Rot-Grün ablösen und verhindern, daß es eine linke Mehrheit aus SPD, Grünen und PDS geben kann.

Frage: Ist letzteres nicht ein Gespenst, welches Sie da an die Wand malen?

WESTERWELLE: Wenn die SPD die Wahl hat zwischen dem Kanzleramt in eigenen Händen und der Juniorpartnerschaft mit der Union, dann wird sie sich für die Macht entscheiden. Kanzler Schröder wird dann in Ehren verabschiedet und es kommt jemand wie Sigmar Gabriel. Das wäre ein doppelter Albtraum.

Frage: In einer Ampel-Koalition lägen für die FDP doch auch Chancen. Vielleicht wären Sie sogar stärker als die Grünen?

WESTERWELLE: Eine Ampel ist ausgeschlossen. Die Vorstellung, daß Jürgen Trittin und ich im selben Kabinett sitzen könnten, ist absurd. Wir wollen Wachstum - die Grünen stehen für Nullwachstum.

Frage: Union und FDP wollen es zusammen wissen, es gibt aber diverse Streitpunkte. Sie wollen die Gewerbesteuer abschaffen, die CDU nicht. Wie wollen Sie die Schwarzen überzeugen?

WESTERWELLE: Wir haben mit dem Steuerexperten Paul Kirchhof im Kompetenzteam der Union einen Verbündeten im Geiste. Aber nur wir haben ein durchgerechnetes steuerpolitisches Gesamtkonzept mit dem Solms-Tarif, der Familien und Unternehmen entlastet.

Frage: Sie haben den Gemeinden beim Wegfall der Gewerbesteuer eine "sichere und planbare Ersatzfinanzierung" versprochen. Geht das auch konkreter?

WESTERWELLE: Beispielsweise dadurch, daß sie einen entsprechenden Anteil am Einkommenssteueraufkommen haben - mit einem eigenen Hebesatzrecht.

Frage: Ein weiterer Streitpunkt ist die Mehrwertsteuer, die Union will sie um zwei Prozentpunkte anheben, sie nicht. Um das zu verhindern, schlägt die FDP eine schrittweise Senkung der Lohnnebenkosten vor. Sind dies schon erste Rückzugsgefechte?

WESTERWELLE: Wir wollen die Senkung der Lohnnebenkosten nicht mit einer höheren Mehrwertsteuer finanzieren, sondern mit Strukturreformen. Wenn beispielsweise jedes Jahr mehr als 55 Milliarden Euro an Steuermitteln in die Bundesagentur für Arbeit fließen, dann schreit das nach einer Reform und nach Effizienzgewinnen.

Frage: Wie hartnäckig wollen Sie denn in möglichen Koalitionsverhandlungen in dieser Frage sein?

WESTERWELLE: Wir sind fest entschlossen, Steuersenkungen durchzusetzen. Deshalb bitte ich ja die Wähler darum, uns in einer schwarz-gelben Koalition den Rücken zu stärken. Aber eine Friß-Vogel-oder-stirb-Mentalität ist keine kluge Vorgehensweise.

Frage: Damit rechnen CDU und CSU wohl auch nicht. Von Bayerns Innenminister Günther Beckstein stammt das Zitat: "Mit der FDP ist nach den Wahlen wesentlich besser zu reden als davor."

WESTERWELLE: Ich rechne auch damit, daß die Gespräche mit Herrn Beckstein nicht anstrengender sein werden als die mit Herrn Schily.

Frage: Beckstein sagt des weiteren: "Wir einigen uns mit den Liberalen in einer Stunde über ein Anti-Terror-Gesetz."

WESTERWELLE: Ich freue mich, daß Herr Kollege Beckstein sich augenscheinlich so auf die Positionen der FDP zu bewegen will. Das wird auch notwendig sein, denn wir brauchen ein vernünftiges Verhältnis zwischen Freiheit und Sicherheit. Wenn beispielsweise seit der Abschaffung des Bankgeheimnisses jeder Beamte, ohne einen Richter oder Staatsanwalt zu fragen, auf die Stammdaten jedes Kontos blicken kann, dann ist das ein Verlust an Freiheit, aber kein Gewinn an Sicherheit.

Frage: So freundlich gesonnen, wie Sie meinen, ist Ihnen Günther Beckstein nicht. Der hat Ihnen nämlich die Kompetenz für das Amt des Innenministers schlichtweg abgesprochen. Von innerer Sicherheit hätten Sie keine Ahnung, hat er erklärt.

WESTERWELLE: Was beim Bier nicht so alles gesagt wird. Ich verbuche solche Bemerkungen unter bayerischer Folklore.

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