11.08.2005

WESTERWELLE-Interview für den "Rheinischen Merkur"

Berlin. Der FDP-Bundesvorsitzende und Spitzenkandidat für die Bundestagswahl 2005 DR. GUIDO WESTERWELLE gab dem "Rheinischen Merkur" (heutige Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellten MATTHIAS GIERTH und HARTMUT KÜHNE:

Frage: Lange schien die Stimmung zwischen Union und FDP gut. Das hat sich geändert. Saar-Ministerpräsident Müller mag mit gar keiner Koalitionsaussage mehr in den Wahlkampf ziehen. Woher der gereizte Ton?

WESTERWELLE: Ob Peter Müller sich eine Koalition mit der FDP wünscht oder nicht ist nicht ausschlaggebend. Es zählt, daß Angela Merkel, Edmund Stoiber und ich uns klar zu Schwarz-Gelb bekannt haben. Wenn es eine Mehrheit für uns gibt, und sei sie hauchdünn, gibt es auch eine gemeinsame erfolgreiche Regierung.

Frage: Aber es bestehen erhebliche Differenzen in einzelnen Sachfragen, etwa bei der Mehrwertsteuer.

WESTERWELLE: Die Gemeinsamkeiten sind weit größer als jede Differenz. Daß die FDP mehr Mut bei den Strukturreformen beweist, müssen wir im Wahlkampf nicht verschweigen.

Frage: Was gilt denn bei der Mehrwertsteuer? Wird die FDP einer Erhöhung um des Mitregierens willen zustimmen?

WESTERWELLE: Wir halten eine Mehrwertsteuererhöhung für einen Fehler - ökonomisch und politisch. Die Schwarzarbeit wird vergrößert, die Kaufkraft reduziert. Das beste Beschäftigungsprogramm ist eine Steuersenkungspolitik. Wir wollen von den Wählern so stark gemacht werden, daß es zu keiner Mehrwertsteuererhöhung kommt. Da soll man unsere Entschlossenheit nicht unterschätzen. Im übrigen gibt es in der Union, und nicht nur in der dritten Reihe, viele, die uns ausdrücklich in unserem Kurs bestärken.

Frage: Als Sechs-bis Achtprozentpartei wird die FDP-Position kaum durchsetzbar sein.

WESTERWELLE: Sieben bis acht Prozent ist in etwa das Ergebnis, das wir bei der letzten Bundestagswahl hatten. Das ist eine solide Ausgangslage und wird noch mehr. Wenn den Deutschen am Ende klar ist, daß die Alternative eine Linksfront im Bundestag ist, wird es noch viele Wähler geben, die mit ihrer Zweitstimme die FDP stärken.

Frage: Die derzeitigen Werte reichen also nicht, um eine Mehrwertsteuererhöhung verhindern zu können?

WESTERWELLE: Sie drehen mir das Wort im Munde herum. Das kenne ich sonst nur von befangenen Staatsanwälten.

Frage: Ist es nicht auch aus Ihrer Sicht schwierig mit einem Partner in die Regierung zu gehen, der beim Markenzeichen der Liberalen, der Finanz- und Steuerpolitik, so dezidiert andere Vorstellungen hat?

WESTERWELLE: Wir haben die Kraft eines eigenen durchgerechneten Konzepts . . .

Frage: . . . von dem die Union sagt, es sei falsch berechnet.

WESTERWELLE: Das sagt sie jetzt, um die eigene Haltung nicht in Frage zu stellen. Es muß in Deutschland das Denken beendet werden, daß die Tasche des Bürgers der Selbstbedienungsladen für ratlose Finanzminister ist.

Frage: Besonders die kleinen und mittleren Unternehmen, denen die FDP zugeneigt ist, klagen über zu hohe Steuern. Es herrscht große Investitionszurückhaltung. Fehlt dem Mittelstand das Geld?

WESTERWELLE: In den USA sagt man: Das Kapital sucht sich eine gute Idee, bei uns ist es umgekehrt. Für den Mittelstand ist es oft schwer, die nötigen Kredite zu bekommen, die jedes Unternehmen braucht, wenn es in der Gründungsphase steckt oder eine Schwächephase durchmacht.

Frage: Basel II verschärft die Vergabekriterien der Banken für Kredite nochmals.

WESTERWELLE: Wir werden nicht tatenlos zuschauen, wenn der Mittelstand nicht mehr investieren kann. Deshalb will ich, daß die neue schwarz-gelbe Regierung unmittelbar nach der Wahl einen Gipfel mit den Kreditinstituten einberuft, um zu beraten, wie für den Mittelstand Kapital leichter zu bekommen ist, ohne dabei die Interessen der Banken zu ignorieren.

Frage: Das klingt nach wohlfeilen Appellen an die Banken . . ..

WESTERWELLE:. . . nein, denn neben dem Gipfel werden wir die Wirtschaftspolitik so gestalten, daß sich auch wieder die Bereitschaft der Banken verbessert, Kredite zu vergeben. Dazu gehört eine Entlastung des Mittelstands von Steuern und Abgaben und ein Abbau von Bürokratie.

Frage: Welche Punkte neben der Steuerpolitik mißfallen Ihnen an der Union?

WESTERWELLE: Zunächst gefällt mir, daß Union und FDP mit ihren Programmen Deutschland nach sieben Jahren Rot-Grün wieder auf die Beine bringen können. Daß es eine gemeinsame Analyse der Lage gibt, ist nicht der schlechteste Ausgangspunkt für eine gemeinsame gute Politik.

Frage: Wir hatten nach Punkten gefragt, die Ihnen mißfallen. Die Wahlprogramme zeigen Sollbruchstellen von der Wehrpflicht bis zur inneren Sicherheit.

WESTERWELLE: Sollbruchstellen sehe ich nicht. Allerdings haben Sie recht: Eine Monate lange Sicherungshaft auf bloßen Verdacht eines Geheimdienstes ohne staatsanwaltschaftlichen Anfangsverdacht, wie sie nach Otto Schily nun auch von einigen in der Union gefordert wird, wird es mit der FDP nicht geben.

Frage: Erhebliche Differenzen gibt es in der Forschungspolitik. Warum will die FDP das Forschungsklonen freigeben? Das fordern nicht mal alle Stammzellforscher.

WESTERWELLE: Es ist besser, wir stellen die modernsten Medikamente in Deutschland her und können damit Leid und Krankheit lindern als daß wir sie in fünf Jahren teuer im Ausland einkaufen müssen. Die Forschungsfreiheit ist ein für die Zusammenarbeit mit der Union schwierigeres Feld. In der Bioethik kommt bei ihr eine sehr stark kirchliche Haltung zum Ausdruck.

Frage: Können ethische Fragen Gegenstand von Koalitionsverhandlungen sein?

WESTERWELLE: Das wird nur schwer zwischen Parteien zu entscheiden sein. Das Anliegen, menschliches Leben nicht zu einer verfügbaren Zellmasse werden zu lassen, ist ja berechtigt. Andererseits geht es darum, schwerste Krankheiten besser bekämpfen zu können. Mit den Parteien alleine kommen wir hier nicht weiter. Wir werden über Parteigrenzen hinweg eine Lösung finden müssen.

Frage: Der Bundestag hat sich in dieser Frage immer klar positioniert - gegen das Klonen. Sie wollen es unter "strengen Auflagen" zulassen. Was ist damit gemeint?

WESTERWELLE: Es geht nur um das therapeutische Klonen. Die FDP ist dem humanistischen Prinzip verpflichtet. Aber das Ziel Krankheiten zu bekämpfen ist nicht geringer . . .

Frage: . . . als das Lebensrecht des Embryos zu achten . . . ?

WESTERWELLE:. . . als Stammzellen zu verwenden, die ohnehin überzählig sind. Embryonen eigens herzustellen, lehnen wir ab. Im übrigen diskutieren wir hier nicht am grünen Tisch. Wir reden über Parkinson, Alzheimer, Aids. Wir reden über Krebs, über Krankheiten, die unheilbar sind und heilbar werden könnten. Wir reden über das christliche Gebot der Nächstenliebe, also das zu tun, was man kann, um anderen Menschen zu helfen.

Frage: Zu den christlichen Kirchen vermißt man im Wahlprogramm der FDP jegliche Aussage. Warum?

WESTERWELLE: Ich bin selber Kirchenmitglied. Die Rolle der Kirchen ist im FDP-Grundsatzprogramm gewürdigt. Wir haben aber auch andere Religionsgemeinschaften und Nichtgläubige in unseren Reihen. Das bringt uns zur Überzeugung, daß jeder nach seiner Facon selig werden soll.

Frage: Welche Rolle sollen die Kirchen in der Gesellschaft spielen?

WESTERWELLE: Als Partei, die auf die Bürgergesellschaft setzt, sagen wir: eine bedeutende . . .

Frage: . . . so wie jeder Sport- oder Schützenverein?

WESTERWELLE: Das ist schon durch unser Grundgesetz ausgeschlossen. Die FDP ist überhaupt nicht kirchenfremd. Es war meine Partei, die gegen jede Vermutung klar für den Religionsunterricht plädiert hat.

Frage: Ihr Programm wird als Wirtschaftsprogramm wahrgenommen. Warum dringen Aussagen etwa zur Kultur nicht durch?

WESTERWELLE: Das sehe ich anders. Für die FDP gibt es keinen Gegensatz zwischen kultureller und wirtschaftlicher Kompetenz. Die Kreativität einer Gesellschaft ist die Voraussetzung für jeden Erfindergeist und damit für ökonomischen Fortschritt. Kulturelle und wirtschaftliche Freiheit gehören zusammen.

Frage: Was heißt das konkret?

WESTERWELLE: Wir müssen die Kulturpolitik im Bund stärken. Einige Länder werten diesen wichtigen Bereich ab. Die Kultur gehört als Staatsziel ins Grundgesetz. Wir brauchen einen Bundesminister, der alle Bundeskompetenzen für Kunst und Kultur bündelt. In Deutschland gibt es einen Sportminister aber keinen Kulturminister, das wird Deutschland als Kulturnation nicht gerecht.

Frage: Zur Außenpolitik: In den Irak will auch die FDP keine deutschen Soldaten schicken. Außerdem fordert Ihre Partei den Abzug der amerikanischen Nuklearwaffen aus Deutschland. Warum sollte sich da das transatlantische Verhältnis bessern?

WESTERWELLE: Weil wir die Achsenbildung der deutschen Außenpolitik Paris-Berlin-Moskau beenden werden. Und was die Nuklearwaffen angeht: Das sind Kurzstreckensysteme. Vor wem sollen sie uns schützen? Sie könnten doch nur unsere Nachbarn, also Freunde und Verbündete treffen! Die Waffen sind Überbleibsel des Kalten Kriegs. Deshalb müssen wir mit den Nato-Partner darüber sprechen, daß diese Waffen abgezogen werden, selbst wenn das in Washington nicht gerne gesehen würde.

Frage: Am 3. Oktober sollen die Verhandlungen über den EU-Beitritt der Türkei beginnen. Mit Ihrer Zustimmung?

WESTERWELLE: Der Beginn der Verhandlungen sollte besser aufgeschoben werden, solange Ankara Zypern nicht anerkennt. Das ist für mich eine klare Voraussetzung. Im übrigen werden wir genau darauf achten, daß die Verhandlungen ergebnisoffen geführt werden, so wie es die EU-Kommission auch angekündigt hat.

Frage: Unter den Kanzlern Brandt, Schmidt und Kohl hat die FDP stets den Außenminister gestellt. Jetzt schlägt Otto Graf Lambsdorff als Chef des Auswärtigen Amts Wolfgang Gerhardt vor. Eine gute Wahl?

WESTERWELLE: Vielen Vorschlägen unserer Ehrenvorsitzenden folgen wir, manchen - wenigen - aber nicht. Wir werden jetzt über Inhalte reden und nicht über Posten.

Frage: Warum weichen Sie Personalfragen aus?

WESTERWELLE: Ich weiche nicht aus. Ich will nur nicht Gerhard Schröder auf den Leim gehen, einen inhaltsentleerten Personality-Wahlkampf zu führen. Der Kanzler hätte es gerne, als bester Staatsschauspieler wahrgenommen zu werden und so die schlechten Ergebnisse seiner Amtszeit vergessen zu machen.

Frage: Einen Persönlichkeitswahlkampf führen in jedem Fall Gregor Gysi und Oskar Lafontaine. Kostet die Linkspartei Schwarz-Gelb am Ende den Wahlerfolg?

WESTERWELLE: Die Umfragen werden weiter rauf und runter gehen. Aber die Gefahr einer linken Mehrheit im Bundestag nehme ich absolut ernst. Sollte es dazu kommen, wird es keine Große Koalition geben, sondern eine linke Regierung - vielleicht mit einem Kanzler Gabriel, so wie Herr Wowereit mit der PDS bereits koaliert. Wenn sich die SPD entscheiden muß Juniorpartner unter der Union zu sein oder Seniorpartner einer Linksregierung, werden sich die Sozialdemokraten für letzteres entscheiden.

Frage: Was suchen die Menschen bei der Linkspartei?

WESTERWELLE: Einige sind auf der Suche nach der verlorenen Zeit. Mit einer linken Mehrheit drohte uns eine neue, gefährliche Grundausrichtung der deutschen Politik, bei der die Arbeitslosigkeit nicht halbiert, sondern verdoppelt würde.

Social Media Button