20.07.2005FDP

WESTERWELLE-Interview für "Capital"

Berlin. Der FDP-Bundesvorsitzende DR. GUIDO WESTERWELLE gab "Capital" (morgige Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellten RAINER HÜBNER und HENNING BAETHGE:

Frage: Herr Westerwelle, der Historiker Arnulf Baring, ein überzeugter Verfechter des Liberalismus, nennt die FDP "eine Tragödie": Die Partei habe so viel Wichtiges gesagt, finde aber so wenig Widerhall. Warum schöpfen Sie ihr Wählerpotential, das auf gut 20 Prozent geschätzt wird, bei weitem nicht aus?

WESTERWELLE: Weil wir die unbequemste Botschaft aller Parteien vertreten, nämlich: nicht Freiheit des Einzelnen von Verantwortung, sondern Freiheit zur Verantwortung - auch für den Nächsten. Und diese Botschaft ist eben für viele, auch Konservative, die lieber vom Staat gelenkt und dabei oft genug unbemerkt gegängelt werden, eine harte Nuß.

Frage: Barings Kernvorwurf lautet, die FDP werde nicht so ernst wie früher genommen. Muß Sie das nicht beunruhigen?

WESTERWELLE: Also ich halte mal fest: Die FDP hat in den vergangenen vier Jahren deutlich an Substanz und Boden gewonnen. Als ich 2001 Parteivorsitzender wurde, wurde FDP oft genug als "fast drei Prozent" verspottet. Seitdem haben wir bei Wahlen bis zu 13 Prozent erzielt und sind nicht nur wieder in elf Landtagen, sondern auch wieder im
Europaparlament vertreten. Wir regieren in fünf Bundesländern mit. In aller Bescheidenheit: So gut aufgestellt wie diesmal ist die FDP seit der deutschen Vereinigung in keinen Wahlkampf gezogen.

Frage: Aber die Öffentlichkeit nimmt von Ihrer Partei fast nur das Thema Steuersenkung wahr. Wie wollen Sie so das Image der Schmalspurpartei für Besserverdiener loswerden?

WESTERWELLE: Das ist doch das falsche Etikett der Protagonisten einer Neidgesellschaft. Wir kämpfen für eine Anerkennungsgesellschaft, in der nicht nur sportliche und künstlerische Spitzenleistungen die Menschen begeistern, sondern auch wirtschaftliche. Und wenn man uns in Steuerfragen große Kompetenz zubilligt, dann liegt das wohl daran, daß wir als einzige Partei überhaupt eine Entlastung der Bürger anstreben. Und zwar nicht, weil wir das Portmonee einiger Weniger füllen wollten, sondern weil wir aus unseren Nachbarstaaten wissen, daß durch Steuerentlastung die Kaufkraft wächst, Investitionen im Land bleiben und Arbeitsplätze entstehen.

Frage: Nun hat schon Rot-Grün die Einkommensteuern deutlich gesenkt - etwa die Sätze am oberen Ende von 53 auf 42 Prozent. Die Arbeitslosigkeit ist trotzdem gestiegen.

WESTERWELLE: Die jetzige Bundesregierung hat jeden Entlastungsschritt mit neuen Belastungen konterkariert. Sie erhöhte die Bürokratiekosten und die Energiesteuern ...

Frage: ...im Gegenzug wurden die Rentenbeiträge gesenkt.

WESTERWELLE: Es nützt aber nichts, wenn manches Instrument die richtige Melodie spielt, solange das ganze Orchester nicht harmoniert. Die Zerrissenheit und Wankelmütigkeit von Rot-Grün haben Bürger und Unternehmen total verunsichert. Wir dagegen haben nur eine Melodie - mehr soziale Marktwirtschaft. So wie Ludwig Erhard sie verstand: Daß sich Leistung lohnt für diejenigen, die Leistung bringen können. Damit auch das erwirtschaftet werden kann, was diejenigen brauchen, die weniger Glück im Leben haben.

Frage: Harmonisch klingt das schwarz-gelbe Orchester aber auch nicht. Die Union hält Ihren Steuertarif für unfinanzierbar, die FDP lehnt die geplante Mehrwertsteuererhöhung ab. Sachsens CDU-Regierungschef Georg Milbradt verspottet die Liberalen daher als "Traumtänzer, die plus und minus verwechseln".

WESTERWELLE: Wer unseren über die Parteigrenzen anerkannten Finanzexperten Hermann-Otto Solms zum Mathematikversager stempelt, disqualifiziert sich selbst. Nein, wenn man mutiger auch als die Union die Sozialsysteme reformiert, mutiger Subventionen streicht, mutiger an der Struktur der Bundesagentur für Arbeit spart - dann kann man sehr gut ohne höhere Mehrwertsteuer zu niedrigeren Einkommensteuern kommen. Nach unseren soliden Berechnungen haben wir für eine Entlastung von 16 Milliarden Euro fast 36 Milliarden Euro zur Gegenfinanzierung.

Frage: Wer auch immer richtig gerechnet hat - der Steuerstreit droht jedenfalls den Start einer schwarz-gelben Regierung zu verhageln. Wie soll eine Koalition Aufbruchstimmung im Land erzeugen, die sich jetzt schon in den Haaren liegt?

WESTERWELLE: Wir haben weit mehr Gemeinsamkeiten als Meinungsunterschiede. Ich will, daß Schwarz-Gelb das Land regiert und Angela Merkel Kanzlerin wird. Die Union weiß aber genau wie wir, daß man aus Koalitionsverhandlungen anders herauskommt, als man hineingeht. Je mehr der Wähler die FDP stärkt, desto mehr werden wir beim Partner durchsetzen können. Schließlich sind es kleine Stöckchen, die den großen Elefanten antreiben.

Frage: Gibt es Punkte, die für Sie nicht verhandelbar sind?

WESTERWELLE: Ich schwöre zwar keinen Eid auf jeden Prozentsatz unseres Stufentarifs. Aber am Ende müssen niedrigere, einfachere und gerechtere Steuern stehen. Außerdem bestehen wir auf der Wiederherstellung des Bankgeheimnisses. Daß die Verwaltungen ohne Richtervorbehalt oder Staatsanwalt auf die Stammdaten von jedem deutschen Konto zugreifen dürfen, hat nichts mit der Bekämpfung von Terrorismus oder von Steuerhinterziehung zu tun.

Frage: Bis wann soll diese Reform denn umgesetzt sein?

WESTERWELLE: Es wäre sinnvoll, die Wiedereinführung des Bankgeheimnisses schnell zu beschließen und die Reform der Kapitalbesteuerung folgen zu lassen. Realistischerweise werden wir einige Änderungen erst nach dem 1. Januar 2006 schaffen - da will ich mich nicht auf den Monat festlegen.

Frage: Und was geschieht mit der Mehrwertsteuer?

WESTERWELLE: Wir werden keine Hürden aufbauen, die so hoch sind, daß die Union nur mit Gesichtsverlust darüber springen kann. Natürlich werden wir eigenständige und klare Positionen einbringen - aber auch gelassen und diplomatisch genug sein, um ein gutes Ergebnis, nämlich Steuersenkung statt Steuererhöhung, zu erreichen.

Frage: Wieviel ist denn von der Einigkeit und dem Schwung übrig, den Sie und Angela Merkel vermittelten, als Sie Horst Köhler zum Kandidaten für das Bundespräsidentenamt kürten?

WESTERWELLE: Das war ja kein Zufall, sondern Ergebnis strategischer Zusammenarbeit. Ausdrücklich auch mit Edmund Stoiber. Mein Verhältnis zu Angela Merkel ist gut. Und wenn der Kollege Stoiber mal das ein oder andere Wort verliert, das nicht nur schmeichelhaft ist für mich und Angela Merkel, dann sei´s drum.

Frage: Sie meinen das Wort von den zwei Leichtmatrosen.

WESTERWELLE: Das hat er so nicht gesagt; er hat wohl von der Protestantin aus dem Osten und dem Junggesellen aus Bonn gesprochen. Wir haben ein anderes Gesellschaftsbild, aber wir können trotzdem gut zusammenarbeiten.

Frage: In den Umfragen rückt das linke Lager allerdings immer dichter an Schwarz-Gelb heran. Befürchten Sie, wie vor drei Jahren, erneut kurz vorm Ziel abgefangen zu werden?

WESTERWELLE: Noch ist nichts gewonnen, aber die Chance sehr gut. Nur Union und FDP werden die Marktwirtschaft erneuern und die übertriebene Macht der Gewerkschaftsfunktionäre brechen. In einer großen Koalition oder in einem Linksbündnis von SPD, Grünen und der Lafontaine-PDS wird Deutschland den Anschluß an die Welt vollends verlieren.

Frage: Wäre auch eine Koalition von CDU, FDP und Grünen möglich, um die geschilderten Alternativen zu verhindern?

WESTERWELLE: Gegenfrage: Können Sie sich vorstellen, daß ich mit Jürgen Trittin an einem Kabinettstisch sitze? Absurd. Wir werden definitiv nicht mit dieser Dosenpfandpartei zusammenarbeiten. Entweder gibt es Schwarz-Gelb - oder wir bleiben in der Opposition.

Frage: Was machen Sie bei einem Wahlsieg? Gehen Sie ins Kabinett, oder werden Sie FDP-Fraktionsvorsitzender?

WESTERWELLE: Meine Entscheidung treffe ich nach der Wahl, weil es jetzt erst einmal um Inhalte geht.

Frage: Und falls es auch Schwarz-Gelb nicht gelingt, das Hauptübel Nummer eins, die Arbeitslosigkeit, zu bekämpfen?

WESTERWELLE: Deswegen wollen wir den großen Wurf. Wenn Schwarz-Gelb so scheiterte, wie Rot-Grün gescheitert ist, wäre das dramatisch. Dann droht das Land politisch instabil zu werden. Es sind ja nicht nur die sieben Millionen offiziellen und inoffiziellen Arbeitslosen, die um ihre Existenz bangen, sondern auch deren Angehörige und noch mal so viele, die um ihren Job fürchten. Das große Glück der Menschheit besteht aus dem kleinen Glück der Menschen. Und wenn das in Gefahr gerät, werden wir schwere Verwerfungen erleben.

Social Media Button