19.12.2010FDP

WESTERWELLE-Interview für "Bild am Sonntag"

Berlin. Der FDP-Bundesvorsitzende und Bundesaußenminister DR. GUIDO
WESTERWELLE gab der "Bild am Sonntag" (heutige Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellten MICHAEL BACKHAUS, MARTIN S. LAMBECK und WALTER MAYER.

Frage: Herr Westerwelle, wie werden Sie Weihnachten und den Jahreswechsel verbringen?

WESTERWELLE: Zeit mit Familie und Freunden verbringen, nachdenken und etwas Abstand gewinnen.

Frage: Parteifreunde von Ihnen wünschen sich, dass der FDP-Vorsitzende Westerwelle die Zeit zur Besinnung nutzt und dann im Januar den Verzicht auf eine erneute Kandidatur für den Vorsitz erklären. Was antworten Sie denen?

WESTERWELLE: Ich bin seit zehn Jahren Parteivorsitzender. Das waren insgesamt zehn erfolgreiche Jahre für die FDP als Team, auch weil ich manchem Sturm nicht gewichen bin. Ich verlasse das Deck nicht, wenn es stürmt. Ich arbeite daran, dass wir wieder auf Erfolgskurs kommen, und werde dabei von einem großartigen Team unterstützt.

Frage: Prominente FDP-Politiker aus Baden-Württemberg befürchten ein Debakel bei der kommenden Landtagswahl mit Ihnen an der Spitze der Partei. Parteifreunde aus Rheinland-Pfalz würden ihr Land für die Zeit des Wahlkampfs am liebsten zur Westerwelle-freien Zone erklären. Wie erklären Sie sich diesen rücksichtslosen Umgang mit Ihnen?

WESTERWELLE: Ich kenne unsere Situation sehr genau und kann auch die Sorgen vieler Parteifreunde gut verstehen. Bei einigen öffentlichen Wortmeldungen kann ich aber nicht erkennen, wie sie für unsere FDP hilfreich sein sollen. Wenn wir uns mit den Problemen der Menschen beschäftigen und nicht mit uns selbst, bin ich sicher, dass wir die Landtagswahlen im Frühjahr erfolgreich bestehen werden. Dafür müssen wir selbst wieder mehr über unsere Erfolge und unsere Themen in den Ländern und im Bund reden.

Frage: Haben Sie in den vergangenen Wochen und Monaten an Rückzug gedacht?

WESTERWELLE: Nein, aber ich habe viel über unsere Lage nachgedacht und wie wir sie im nächsten Jahr zum Guten wenden können. Ich habe schon mehr als einmal Phasen mit anstrengend schlechten Umfragezahlen erlebt. Kurz danach hatten wir meist deutlich bessere Wahlergebnisse. Wir wollen keine Umfragen gewinnen, sondern Wahlen. In Baden-Württemberg beispielsweise ist die Alternative zu Schwarz-Gelb eine Linksregierung wie in NRW. Je deutlicher das vor dem Wahltag sichtbar wird, um so mehr sagen bürgerliche Wähler: Das gilt es zu verhindern.

Frage: Sie gehen also davon aus, dass die FDP noch mehrheitlich hinter Ihnen steht und sind entschlossen, im Mai erneut für den Vorsitz zu kandidieren?

WESTERWELLE: Ich bekomme Kritik, die ich verstehe, aber auch Solidarität, über die ich mich freue. Wir Liberale haben in der Vergangenheit gemeinsam viele Erfolge gefeiert. Ich möchte, dass wir weiterhin erfolgreich sind. Deutschland braucht eine starke FDP. Personalfragen diskutieren wir zuerst in den Gremien und dann in der Öffentlichkeit. Aber ich muss nicht verschweigen, dass ich Freude an meiner politischen Arbeit für die einzige liberale Partei in Deutschland habe.

Frage: Der Spitzenkandidat in Rheinland-Pfalz, Herbert Mertin sagt: "Die Person des Bundesvorsitzenden hängt uns seit Monaten wie ein Klotz am Bein". Der Vorsitzende der Liberalen in Rheinland-Pfalz ist Ihr Stellvertreter Rainer Brüderle, der immer wieder als Ihr möglicher Nachfolger genannt wird. Können Sie ihm noch vertrauen?

WESTERWELLE: Ja sicher, Rainer Brüderle ist ein sehr erfolgreicher Bundeswirtschaftsminister. Auch weil wir in der Bundesregierung die Wirtschaftspolitik umgesteuert haben weg von der Subventionierung der Großindustrie und hin zu Mittelstand und Familienbetrieben, gibt es heute einen Aufschwung wie seit der Deutschen Einheit nicht mehr.

Frage: Haben Sie sich nichts vorzuwerfen oder gibt es Fehler, die Sie bereuen?

WESTERWELLE: Natürlich habe ich auch Fehler gemacht. Mit dem Wahlergebnis haben wir gewaltige Erwartungen geweckt. Da haben wir am Anfang nicht genug geliefert. Aber das hat sich geändert. Die Richtung stimmt. Wir haben Deutschland erfolgreich durch eine schwere Wirtschafts- und Finanzkrise gesteuert. Die Wirtschaft wächst und die Arbeitslosigkeit sinkt. Das ist das Ergebnis der harten Arbeit der Bürgerinnen und Bürger, aber auch der richtigen Rahmenbedingungen, die wir gesetzt haben. Wir führen die Neuverschuldung zurück und tun trotzdem mehr für die Bildung.

Frage: Könnten Sie beim Thema eigene Fehler etwas konkreter werden? Stichwort spätrömische Dekadenz...

WESTERWELLE: Ich habe im Frühjahr die Sozialpolitik von SPD, Grünen und Linkspartei kritisiert. Und bei der Hartz-IV- Reform tun wir jetzt genau das, was ich im Frühjahr eingefordert habe. Gemeinsam mit der Union haben wir dafür gesorgt, dass die Leistungsgerechtigkeit in Deutschland wieder gewachsen ist, ohne dass die soziale Gerechtigkeit gelitten hat. So sorgen wir dafür, dass junge Arbeitslose innerhalb von sechs Wochen ein Angebot für Arbeit, Fortbildung oder eine gemeinnützige Tätigkeit bekommen. Wer jung und gesund ist, dem ist zumutbar, dass er für das Geld vom Steuerzahler eine Gegenleistung erbringt. Das ist nicht unsozial, sondern gerecht.

Frage: Wie wollen Sie Ihrer entmutigten Partei wieder Zuversicht und Siegeswillen einflößen?

WESTERWELLE: Wir dürfen uns nicht von unserem Kurs und dem Politikwechsel, den wir eingeleitet haben, abbringen lassen. Die zentrale politische Auseinandersetzung des kommenden Jahres verläuft zwischen dem Mut zur Zukunft und der Angst vor Fortschritt. Die FDP setzt auf den Mut zur Zukunft, weil wir Wohlstand für alle wollen. Die Opposition handelt stattdessen nach dem Motto: Ob Sonne oder Regen, wir sind dagegen.

Frage: Der Hauptgegner sind für Sie die Grünen?

WESTERWELLE: Es geht nicht um eine Partei, sondern um einen Zeitgeist links von der Mitte. Es ist doch klar, dass SPD, Grüne und Linkspartei nur an die Macht kommen, wenn die FDP geschwächt wird. Das sehen wir doch schon bei den kontroversen Themen: Eine verantwortungsvolle und zukunftsorientierte Energiepolitik kann noch nicht auf Kohle und Kernkraft verzichten, wenn Arbeitsplätze gesichert und der Ausbau erneuerbarer Energien vorangebracht werden sollen. Es geht um die Gegenüberstellung von Geisteshaltungen, die um die Mehrheit in Deutschland ringen. Die Opposition sagt Nein zu Flughäfen, Straßen, Kraftwerken, Bahnhöfen und sogar zu Stromleitungen. So ist kein Staat zu machen!

Frage: Glauben Sie wirklich, dass Sie mit solchen Zuspitzungen wieder nach vorne kommen?

WESTERWELLE: Es geht nicht um Zuspitzung, sondern um das Aussprechen der Zusammenhänge. Als Außenminister erlebe ich in der ganzen Welt dynamische Regionen, wo die Jugend einsteigen will. Ich möchte, dass wir auch in Deutschland einsteigen, nicht aussteigen. Junge Brasilianer, Inder und Chinesen sind - bei aller Unvergleichbarkeit der Lebensverhältnisse - nicht dümmer oder fauler als junge Deutsche. In vielen Ländern weiß man, dass Aufstieg und Wohlstand nur mit Mut zur Zukunft und dem Willen zum Anpacken zu gewinnen sind. Das war die Haltung des Wirtschaftswunders in der Bundesrepublik. Sie ist heute so notwendig wie damals.

Frage: Sie haben als erster deutscher Politiker dafür plädiert, mit dem Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan 2011 zu beginnen. Die SPD fordert jetzt erste konkrete Schritte dazu im kommenden Jahr als Bedingung für eine Zustimmung zur Verlängerung des Mandats. Wird das gelingen?

WESTERWELLE: Der Fahrplan steht und das ist auch ein Erfolg der FDP. Im nächsten Jahr werden wir mit der Übergabe der Verantwortung an die Afghanen beginnen. Ende 2011 wollen wir zum ersten Mal unser Bundeswehrkontingent reduzieren. Im Jahre 2014 soll die Verantwortung für die Sicherheit vollständig an die afghanische Regierung übergeben werden. Danach soll es keine deutschen Kampftruppen mehr in Afghanistan geben.

Frage: War dieser Einsatz am Hindukusch die vielen Toten wert?

WESTERWELLE: 45 deutsche Soldaten sind in Afghanistan gestorben. Sie erfüllen das Herz jedes mitfühlenden Menschen mit tiefer Trauer. Wer sich die terroristische Bedrohung bei uns vor Augen führt, weiß, dass unsere Frauen und Männer in Afghanistan für unsere eigene deutsche Sicherheit kämpfen. Dennoch darf dieser Einsatz nicht endlos sein.

Frage: Das beherrschende Thema dieser Tage ist der Euro. Nach Finanzminister Schäuble hat jetzt auch Kanzlerin Angela Merkel "eine Art Wirtschaftsregierung in Europa" gefordert, um die Gemeinschaftswährung auf Dauer stabilisieren zu können. Kann die Union dabei auf die Unterstützung der Liberalen zählen?

WESTERWELLE: In dieser Frage haben die Bundeskanzlerin, der Bundesfinanzminister und ich sehr eng zusammengearbeitet. Weil wir eine gemeinsame Währung haben, müssen wir die Wirtschafts- und Finanzpolitik in Europa besser koordinieren. Das ist das gemeinsame Ziel der Regierung. Die Opposition hätte am liebsten einen Blankoscheck nach dem anderen ausgestellt. Rot-Grün handelt in der Europapolitik zum zweiten Mal falsch: 2004 hat die rot-grüne Bundesregierung den Stabilitätspakt aufgeweicht, heute weigern sich dieselben Parteien, an der Beseitigung der Folgen dieser historischen Fehlentscheidung mitzuwirken.

Frage: Beweist die Krise nicht, dass eine gemeinsame Währung ohne eine gemeinsame Politik zum Beispiel bei Steuern und Haushaltsdisziplin nicht funktioniert?

WESTERWELLE: Diese Situation führt uns vor Augen, wie dringend wir eine bessere Koordination der Wirtschafts- und Haushaltspolitik in Europa brauchen. Vor allem in der Eurozone müssen wir hier mit guten Vorschlägen und wirksamen Schritten vorangehen.

Frage: Alt-Kanzler Helmut Schmidt sagt voraus, Deutschland werde die Rettung des Euro mit viel Geld und dem Verlust an Souveränität bezahlen. Glauben Sie, dass die Bürger dazu bereit sein werden?

WESTERWELLE: Ich denke nicht, dass uns Europa oder der Schutz unserer Währung mehr Geld kosten, als uns die EU bringt. Wir Deutsche exportieren immer noch mehr in die Niederlande als nach China, mehr nach Frankreich als in die USA und mehr nach Belgien als nach Indien. Ein Viertel bis ein Drittel unserer Arbeitsplätze hängt direkt von unserer Vernetzung in Europa ab.

Frage: Steht wirklich Europa auf dem Spiel?

WESTERWELLE: Nein. Europa ist stark als Friedensunion und als Wohlstandsversicherung in Zeiten der Globalisierung. Auch Deutschland als stärkste Volkswirtschaft in Europa ist heute nicht mehr in der Lage, allein gegen aufstrebende Volkswirtschaften mit mehr als einer Milliarde Menschen zu bestehen.

Frage: Seit nunmehr zehn Wochen werden unsere beiden Reporter im Iran festgehalten. Können Sie den Angehörigen und uns Hoffnung machen, dass es bald zu einer Lösung kommt, dass es zu Weihnachten eine Begegnung im Iran geben wird?

WESTERWELLE: Das Auswärtige Amt und auch ich persönlich arbeiten intensiv daran, dass unsere beiden deutschen Landsleute möglichst bald nach Deutschland zurückkehren können. Ich appelliere an die iranische Regierung, vor dem Hintergrund des christlichen Weihnachtsfestes, das auch in der islamischen Welt respektiert wird, ein Zeichen der Menschlichkeit zu setzen.

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