THEURER-Interview: Die FDP sollte beim Klimaschutz nachlegen
FDP-Präsidiumsmitglied Michael Theurer, Vorsitzender des Landesverbandes Baden-Württemberg, gab der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ (Samstag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte Rüdiger Soldt.
Frage: Die FDP trifft sich am 6. Januar zur Dreikönigskundgebung in Stuttgart. Was wird das zentrale Thema sein?
Theurer: Unser Thema ist die Freiheit, ein Dauerbrenner. Denn Deutschland ist heute dominiert von Etatismus und zunehmend auch Kollektivismus. Dabei steht das Land an der Schwelle zur Rezession. Es besteht die Gefahr, dass wir die Automobilindustrie als Schlüsselindustrie verlieren. Deshalb geht es der FDP am Dreikönigstag im Stuttgarter Staatstheater um einen liberalen Gegenentwurf. Zentral sind die Reduzierung von Steuern, Abgaben und Bürokratie sowie eine dringend erforderliche bessere und innovationsfreudigere Technologiepolitik.
Frage: Schlagzeilen machte die FDP 2019 vor allem mit der Aussage Ihres Bundesvorsitzenden: Klimaschutz, sagte Christian Lindner zu den Aktivisten von „Fridays for Future“, sei „Sache der Profis“. Was lief da falsch?
Theurer: Es ist gut, dass sich Zigtausende junger Leute politisch interessieren und Engagement zeigen. Das sollte niemand verächtlich machen. Die Demokratie braucht junge Leute, das wäre das richtige Signal gewesen. Offen gesagt: Lindners Aussage wurde gründlich missverstanden. Es ist uns erst spät gelungen, dies auszuräumen. Diese Selbstkritik kann ich uns in der FDP-Führung in Berlin nicht ersparen.
Frage: Welche Konsequenzen ziehen Sie daraus?
Theurer: Deshalb sollte die FDP jetzt in der Sprache und bei den Inhalten beim Thema Klimaschutz nachlegen, wenn wir die Gefühle der Menschen erreichen wollen. Die FDP hat ja mit den Freiburger Thesen einst den Umweltschutz erfunden, aber dieses Profil ist leider in den vergangenen Jahren nicht klar genug herausgearbeitet worden. Kern unserer Klimaschutzpolitik ist ein CO2-Deckel, der mit einem Emissionshandel die Pariser Ziele erreicht, Wohlstand und Arbeitsplätze erhält und marktwirtschaftliche Anreize setzt, auf diese enorme Herausforderung die technologisch besten Lösungen zu finden.
Frage: Die FDP schaffte mit der auf ihren Bundesvorsitzenden fixierten „Lindner-Show“ den Wiedereinzug in den Bundestag. Reicht das auf Dauer?
Theurer: Christian Lindner selbst setzt auf Teamgeist. Wir als Südwestliberale sind selbstbewusst, denn wir haben bei der Bundestagswahl mit 12,7 Prozent das bundesweit zweitbeste und bei der Europawahl mit 6,8 Prozent das beste Ergebnis beigesteuert. Das spiegelt sich im Machtgefüge der FDP wider. Wichtige inhaltliche Impulse kamen aus der Südwest-FDP: die Amtszeitbegrenzung für Bundeskanzler, ein Konzept zur ökologischen Marktwirtschaft, die proeuropäische Positionierung im innerparteilichen Streit um den Europäischen Stabilitätsfonds ESM, die Streichung von Artikel 15 oder die Klage gegen den Soli.
Frage: Wie bewerten Sie die Absage an eine Jamaika-Koalition aus heutiger Sicht? Sie haben mal für das Koalitionsangebot Jamaika 2.0 geworben.
Theurer: Damals war Jamaika nicht möglich. Heute wie damals wäre eine solche Koalition für das Land ein Segen, wenn unsere Kernforderungen erfüllt würden. Neben der vollständigen Abschaffung des Soli brauchen wir dringend eine Unternehmensteuerreform, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Immenses Potential liegt in der konsequenten Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung. Wenn wir hier das Niveau Estlands erreichten, ließen sich über 70 Milliarden Euro jährlich sparen. Geld, das wir dringend in Bildung und Infrastruktur investieren sollten.
Frage: Besser nicht zu regieren als schlecht zu regieren – war der Satz richtig?
Theurer: Etwas Falsches zu unterlassen ist richtig. Besser, als schlecht regiert zu werden, ist natürlich selbst gut zu regieren.
Frage: Sie werben für die Landtagswahl Anfang 2021 mit einer Koalitionsoption Grün-Gelb um grüne Wähler in der Mitte. Christian Lindner wiederum erklärte kürzlich, dass die FDP die Nachfolgepartei einer modernen, an der Mitte orientierten SPD werden könnte. Wie passt das eigentlich zusammen?
Theurer: In Baden-Württemberg liegt die SPD in Umfragen bei zehn Prozent, im Bund in der Sonntagsfrage bei 15 Prozent. Ob für die FDP da viel zu holen ist? Die FDP ist die Partei der Mitte, der sozialen und ökologischen Marktwirtschaft und der Bürgerrechte. Wir machen allen Wählern dieses Angebot. Teile der Grünen sind für diese Grundwerte offen, deshalb schließen wir eine Koalition mit den Grünen im Südwesten mittlerweile nicht mehr aus. Das ist keine Wunschkoalition und keine Koalitionsaussage. Wir sind verhandlungsbereit, aber nicht zu jedem Preis: Die Grünen müssten sich beim Thema Strukturwandel der Automobilindustrie technologieoffen zeigen, das heißt, es muss eine Abkehr von der einseitigen Förderung batterieelektrischer Mobilität geben. Wasserstoff und synthetische Kraftstoffe brauchen dringend eine ebenso starke politische Unterstützung.
Frage: Vermögensteuer, Tempolimit, Grundrente, Dieselfahrverbote – legen diese Diskussionen die FDP nicht auf ihre klassische Rolle fest?
Theurer: Diese Diskussionen zeigen, dass ein starkes liberales Gegengewicht dringend erforderlich ist. Durch Verzichts- und Verbotsideologie erreichen wir die Klimaschutzziele nicht, aber vernichten Arbeitsplätze und Wohlstand. Die neue Führung der SPD zündelt in der großen Koalition weiter, Belastungsgrenzen werden ausgereizt, der Mut zu einem Neuanfang fehlt. Deutschland muss aus der sozialdemokratischen Geiselhaft befreit werden. Die FDP steht für Gespräche zur Duldung einer Minderheitsregierung zur Verfügung wie für Gespräche für Jamaika 2.0. Die sauberste Lösung wären allerdings Neuwahlen.
Frage: Die CO2-Flottengrenzwerte der EU zwingen die Automobilindustrie dazu, stark auf batteriegetriebene Autos zu setzen. Wie gefährlich ist das für den Standort Baden-Württemberg?
Theurer: Dem Standort Deutschland droht ein ökonomischer Strukturbruch, wenn die Automobilindustrie in die Knie gehen sollte. Das kann Millionen Arbeitsplätze kosten. Deshalb fordert die FDP eine Veränderung der EU-Flottengrenzwerte, so dass endlich Technologieoffenheit gewährleistet wird. Vor allen Dingen müssen synthetische Kraftstoffe, die aus erneuerbaren Energien hergestellt werden, steuerlich fair und gleichwertig behandelt werden, damit Verbrennungsmotoren in Zukunft noch betrieben werden können. Denn der Betrieb eines Verbrennungsmotors mit E-Fuels ist praktisch klimaneutral. Es ist zudem widersinnig, dass Wasserstoff, der aus der Stromüberproduktion gewonnen wird, der EEG-Umlage und der Mehrwertsteuer unterliegt und dadurch künstlich verteuert wird.