THEURER-Interview: Da geht es um die Frage der Würde in der Politik
Das FDP-Präsidiumsmitglied Michael Theurer gab der „Stuttgarter-Zeitung.de“ das folgende Interview. Die Fragen stellte Christopher Ziedler.
Frage: Herr Theurer, Sie kennen Martin Schulz noch gut aus gemeinsamen Brüsseler Zeiten. Tut er Ihnen gerade leid?
Theurer: Bei Martin Schulz lässt sich gut beobachten, wie hart und brutal das Berliner Geschäft ist.
Frage: Was schätzen Sie denn besonders an ihm?
Theurer: Er ist nicht nur ein feiner Kerl mit einem schön trockenen Humor, sondern auch ein verlässlicher Gesprächspartner, der eine einmal gegebene Zusage auch einhält. Er hat zwar selbst auch Fehler gemacht, die doppelte Absage an die große Koalition etwa oder die Ankündigung, nicht in ein Merkel-Kabinett gehen zu wollen. Aber die Häme, die ihm nun entgegenschlägt, hat er nicht verdient. Da geht es auch um die Frage der Würde in der Politik.
Frage: Sie sprechen strategische Fehler an, es gab zuletzt allerdings auch als schwach empfundene Auftritte und Reden.
Theurer: Martin Schulz scheint derzeit nicht in Topform zu sein. Im Europäischen Parlament hat ihn sein mutiges und klares Auftreten ausgezeichnet, gegenüber rechtsextremen Abgeordneten, der EU-Kommission oder auch Staats- und Regierungschefs - das fehlt im Moment völlig. Ich habe den Europaparlamentspräsidenten Schulz als jemanden erlebt, der ein Gespür hat für politische Themen, die in der Luft liegen, der auch ausgetretene Pfade verlassen hat, indem er zum Beispiel einmal direkt nach Athen zum damals neuen Premier Tsipras gereist ist, der aber genauso deutlich einem Herrn Erdogan die Leviten gelesen hat. Den Martin Schulz, den ich aus Brüssel kenne, erkenne ich in Berlin nicht wieder.
Frage: Sind die Brüsseler also zu weich für das harte Berliner Geschäft?
Theurer: Ich glaube schon, dass Europapolitiker in Berlin reüssieren können – sonst wäre ich ja nicht hergekommen. Sahra Wagenknecht und Cem Özdemir zum Beispiel sind doch bundespolitisch erfolgreich. In Brüssel gibt es aber weniger mediales Dauerfeuer und ganz sicher weniger Heckenschützen aus den eigenen Reihen. Tragisch finde ich zum Beispiel, dass ausgerechnet die Jusos, die den Schulz-Hype ausgelöst haben, beim ersten Gegenwind die Seite gewechselt haben. Und dann gibt es da noch die Büchsenspanner aus der CSU, die mit überzogenen Forderungen ihr eigenes Süppchen kochen, das Martin Schulz nun auslöffeln soll. Und nicht zuletzt gehört es zu Angela Merkels Regierungsmethode, den jeweiligen Spitzenmann des Koalitionspartners klein zu machen, natürlich ohne dabei selbst in Erscheinung zu treten. Eine solche Rücksichtslosigkeit gibt es in Brüssel tatsächlich nicht.
Frage: Nicht zuletzt ihre eigene Partei hat zum Dilemma beigetragen, in dem Martin Schulz nun steckt. Hätten Sie die Jamaika-Gespräche mit Union und Grünen nicht verlassen…
Theurer: Jeder muss für sein eigenes Handeln die Verantwortung übernehmen. Die FDP übernimmt die Verantwortung dafür, dass wir in die Opposition und nicht in die Regierung gehen. Die Verantwortung für die Formschwäche der SPD müssen die Sozialdemokraten deshalb schon selber übernehmen. Interesse an einer schwachen SPD haben wir aber nicht, im Gegenteil: Die Freien Demokraten wollen eine starke Sozialdemokratie – eine alternative linke Bewegung à la Wagenknecht / Lafontaine wäre schlecht für Deutschland, eine realpolitische SPD ist für die FDP anschlussfähig. Wir sehen ja auch mit Interesse den Liberalen Emmanuel Macron, der in Frankreich Positionen vertritt, für die auch die deutsche Sozialdemokratie steht.
Frage: Schaden Sie Martin Schulz nicht noch mehr, wenn er jetzt Zuspruch ausgerechnet von einem FDP-Mann bekommt?
Theurer: Soll ich denn auch noch auf ihn einprügeln? Nein, wir waren schon zuvor politisch befreundet, weshalb ich hoffe, dass er bald zu alter Stärke zurückfindet. Inhaltlich setze ich mich hart mit bestimmten Positionen auseinander, die er vertritt, andere finde ich gut. Ich sähe es zum Beispiel sehr gern, wie er mit seiner europäischen Erfahrung manche Rituale der Bundespolitik aufbrechen würde.
Frage: Welche meinen Sie?
Theurer: Die scheinbar unüberwindbaren Parteigrenzen, wie wir sie aus der Bundespolitik kennen, gibt es in Brüssel nicht. Dass ein Vorschlag nur deshalb schlecht ist, weil er aus einer anderen Partei kommt, sollte möglichst schnell der Vergangenheit angehören – da brauchen wir einen anderen Stil. Eine an der jeweiligen Sache orientierte Zusammenarbeit wäre eine Chance für eine Stärkung des Bundestags - hierbei könnte das Experiment einer Minderheitsregierung helfen.
Frage: Dazu müsste die avisierte GroKo scheitern und mit ihr auch Martin Schulz, den Sie einen Freund nennen. Wollen Sie doch, dass er scheitert?
Theurer: In der SPD gab es selbst starke Stimmen für eine Minderheitsregierung. Von Malu Dreyer etwa. Es wäre kein Scheitern von Martin Schulz, wenn sich diese Sicht bei den Sozialdemokraten durchsetzen würde. Wir als Freie Demokraten haben jedenfalls die wichtige Oppositionsrolle angenommen.