THEURER-Gastbeitrag: Wachstum statt Umverteilung in Europa
Das FDP-Präsidiumsmitglied Michael Theurer schrieb für „Focus Online“ den folgenden Gastbeitrag:
Am Donnerstag wird die Bundeskanzlerin den französischen Präsidenten Emmanuel Macron empfangen. Dabei sollte sie ein Reformvorhaben ansprechen, das bisher völlig unterbelichtet ist: Die Einführung eines EU-Wirtschaftsministers.
Vor der Einführung des Euro wies der Bundesbank-Präsident darauf hin, dass die Stabilität einer Währungsunion eine politische Union erfordert. Seit der Eurokrise ist ein heftiger Streit darum entbrannt, wie sich die Symptome der fehlenden politischen Union beseitigen lassen. Die einen fordern einen europäischen Finanzminister und ein Eurozonen-Budget – Macron hat sich diese Forderung zu Eigen gemacht. Die anderen malen das Schreckgespenst einer Transferunion an die Wand – ein Fass ohne Boden.
Zahlen oder nicht zahlen – das ist die falsche Frage. Stattdessen müssten die Ursachen der Krise angegangen und langfristig tragfähige Strukturen geschaffen werden. Wirtschaftliche Kohärenz entsteht genau dann, wenn die bisher weniger wettbewerbsfähigen Länder stärker werden: Wachstum statt Umverteilung.
Im Kanzleramt wird nun offenbar darüber nachgedacht, den Eurogruppen-Rat um die Wirtschaftsminister zu ergänzen und einen „Jumbo-Rat“ zu bilden. Dieser Vorschlag scheint innenpolitische Gründe zu haben. Wie wird es wohl Finanzminister Scholz finden, wenn er den Merkel-Vertrauten Wirtschaftsminister Altmaier als Aufpasser beigestellt bekommt?
Es ist fraglich, ob mit diesem Mittel ein gemeinsames Verständnis von Sozialer Marktwirtschaft und ein Fokus auf eine angebotsorientierte Wirtschaftspolitik geschaffen und die Dominanz der Geld- und Fiskalpolitik gebrochen werden kann.
Eine Aufwertung des Rats für Wettbewerbsfähigkeit und ein Europäischer Wirtschaftsminister wären hier die sinnvolleren Mittel. Ein wichtiger Schritt in diese Richtung wäre ein europäischer Wirtschaftsminister. Dieser könnte die Maßnahmen, die für wirtschaftliches Wachstum und Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit getroffen werden koordinieren und die Umsetzung von Reformen in den Mitgliedsstaaten überwachen.
Anzupackende Herausforderungen gibt es genug: Vollendung des Binnenmarkts, Durchsetzung von Freihandel, Stärkung von Forschung und Innovation oder die Umsetzung von industriepolitischen Initiativen. Gerade letztere könnten für eine größere Akzeptanz der europäischen Idee in der Bevölkerung sorgen: Gemeinsame Projekte für den Ausbau der digitalen Infrastruktur, der Entwicklung einer Europäischen Regierungs-Cloud, die Entwicklung und Produktion von Batteriezellen oder der Schaffung von Rahmenbedingungen für autonomes Fahren. Hierfür könnten Mittel aus dem EU-Haushalt und dem Europäischen Fonds für Strategische Investitionen eingesetzt werden, gekoppelt beispielsweise an die Umsetzung der nationalen Reformprogramme und das Einhalten des Stabilitäts- und Wachstumspakts.
Rechtlich wäre das kein Problem, denn im ersten Schritt müssten keine EU-Verträge geändert werden. Notwendig wären lediglich verbindliche Zusagen der Mitgliedsstaaten, um einen Vizepräsidenten der EU-Kommission mit den zusätzlichen Aufgaben zu betrauen. Sollte sich der neue Minister als erfolgreich herausstellen, könnte im zweiten Schritt gegebenenfalls der EU-Rat für Wettbewerbsfähigkeit im Rahmen einer Vertragsänderung aufgewertet sowie die EU-Kommission im Rahmen der Kompetenzbündelung verkleinert werden.
Von einer entsprechenden Ankündigung könnte ein Aufbruchsignal ausgehen: Wir haben verstanden! Der Streit um Umverteilung spaltet Europa, eine gemeinsame Wirtschaft kann Europa einen. Macron ist für derartige Reformen offen. Die Bundesregierung auch?