THEURER-Gastbeitrag: Die Corona-Krise weckt autoritäre Elemente
FDP-Präsidiumsmitglied Michael Theurer schrieb für die „Rheinische Post“ (Mittwoch-Ausgabe) den folgenden Gastbeitrag.
Haben Liberale kapituliert? Zeigt die aktuelle Krise, dass der Markt versagt? Dass autoritäre Regime Herausforderungen besser meistern als offene Gesellschaften? Sind die Ideen der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Freiheit, der liberalen marktwirtschaftlichen Demokratie am Ende? Mitnichten!
Eine globale Pandemie einer gefährlichen Krankheit wie Covid-19 ist eine existenzielle Bedrohung. Ihre Bekämpfung erfordert Maßnahmen, welche tief in individuelle Grundrechte eingreifen. Allgemeine Handlungsfreiheit, Freizügigkeit, Versammlungsfreiheit, Vertragsfreiheit und andere Formen der unternehmerischen Freiheit, ja sogar die Religionsfreiheit sind derzeit starken Einschränkungen unterworfen. In der Abwägung hat die große Mehrheit der Bundestagsabgeordneten befunden, dass zumindest aktuell der Schutz von Menschenwürde und körperlicher Unversehrtheit das verlangt. Die Abwägung unter größter Unsicherheit lastet brutal auf den Entscheidungsträgern und muss immer wieder neu getroffen werden. Die Unfreiheit, welche damit einhergeht, empfinden auch viele jener Menschen als belastend, die den Maßnahmen zustimmen.
Die Pandemie ist nicht nur Ursache für, sondern auch Folge von Unfreiheit - nämlich jener in der Volksrepublik China. Denn Ärzte, die vor dem Virus warnten, wurden mundtot gemacht oder sind gar spurlos verschwunden. Hier zeigt sich die Schwäche eines autoritären Systems. Jeder Fehler ist ein drohender Gesichtsverlust des Staatsapparates. Die Propaganda über eine angebliche Überlegenheit des chinesischen Systems führte dazu, dass Probleme nicht oder sehr spät eingestanden wurden. Die globale Verbreitung von Covid-19 wurde hierdurch zumindest erleichtert.
In der daraus entstandenen Krise gerät vieles durcheinander. Da machen sich Leute darüber lustig, der Markt könne wohl doch nicht alles regeln, wenn Unternehmen beim Staat nach Hilfe riefen. Doch es ist nicht der Markt, sondern der Staat, der das Herunterfahren der wirtschaftlichen Aktivitäten verfügt hat. Daraus folgt eine Interventionsspirale, der Staatseingriff macht weitere Staatseingriffe nötig. Wenn etwa der Staat den Kneipen ihren Betrieb untersagt, ist das kein Risiko, das individuell einkalkuliert werden konnte. Folglich sollte es hier für direkt betroffene Unternehmen nicht nur Kredite und Liquiditätshilfen geben, sondern sogar Entschädigungen.
Andere kritisieren den Kapitalismus dafür, dass mehrere Unternehmen eine staatliche Regelung zur Mietstundung ausnutzen. Auch hier ist jedoch der handelnde Akteur der Staat, der einvernehmlich abgeschlossene Verträge kurzerhand für nicht so wichtig erklärt hat. Im Gegenteil ist es gerade eine Errungenschaft des Marktes, dass jeder den betroffenen Unternehmen durch Boykott sagen kann, was er von solchen Geschäftspraktiken hält. Adidas hat bereits eingelenkt.
Es gibt gute Gründe, manche Fragen als staatliches Kollektiv zu entscheiden. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn sich sehr viele Menschen hinter einem gemeinsamen Ziel, etwa der Bekämpfung einer existenziellen Bedrohung, versammeln können und wollen. Typisch hierfür ist der Verteidigungsfall, doch in einer Pandemie verhält es sich ähnlich. Beispiel Schutzmasken: Auf einem funktionierenden Markt führt die gestiegene Nachfrage zu einem höheren Preis. Dies signalisiert gestiegene Knappheit und führt dazu, dass die Anbieter ihre Produktion ausweiten, auch wenn sie dafür Wochenendzuschläge zahlen müssen oder in neue Anlagen investieren müssen. Auch neue Anbieter kommen auf den Markt. Das wertvolle Steuerungsinstrument Preis funktioniert auch gegenwärtig.
Doch wenn großflächig Unternehmen geschlossen werden oder Transporte an Grenzen konfisziert werden, kommen wir in große Schwierigkeiten. Dass hier global die meisten Produzenten in China saßen, war ein Risiko, das zu lange ignoriert wurde.
In der Krise haben wir nicht nur ein gemeinsames Interesse, Schutzmasken zu bekommen, sondern auch ein Interesse, sie sofort zu bekommen. Dies sicherzustellen, klappt tatsächlich besser, wenn es der Staat flankiert – etwa mit Abnahmegarantien beim Aufbau einer vergleichsweise teuren inländischen Produktion oder mit einer Luftbrücke nach China, damit die Waren auch wirklich ankommen.
Es wäre jedoch fatal, die Logik der Krisenwirtschaft nach der Krise beizubehalten. Die Menschheit besteht aus Individuen mit ganz unterschiedlichen Träumen, Zielen und Wünschen. Die Behauptung, Politiker wüssten besser, was die Menschen wollen, als diese selbst, widerspricht jeder Lebenserfahrung. Doch die politische Linke mit ihrer Gemeinwirtschaft und die politische Rechte mit dem angeblichen Volkswillen stehen schon in den Startlöchern, genau dies als Folge der Krise wieder flächendeckend zu propagieren. Da hier ein angeblicher Kollektivwille die individuellen Bedürfnisse übertrumpfen soll, führt eine solche Denke zwingend in autoritäre Herrschaft und Unterdrückung.
Wenn wir also mit Schrecken sehen, wie Möchtegerndiktatoren auf der ganzen Welt die Krise nutzen, um ihre Entscheidungsgewalt massiv auszuweiten, sollten wir gleichzeitig auch das autoritäre Element linker und rechter Kapitalismuskritiker genau benennen.
Der Wiederaufbau nach der Krise muss genau andersherum geschehen. Die Antwort auf die Vernichtung von Wohlstand durch den Shutdown muss sein, wieder mehr auf jene Ordnung zu setzen, die am besten dafür geeignet ist, neuen Wohlstand zu schaffen. Mehr Marktwirtschaft wagen!