TEUTEBERG-Interview: Wir brauchen mehr Konsequenz
Die FDP-Generalsekretärin Linda Teuteberg gab der „Freien Presse“ (Donnerstag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte Alessandro Peduto.
Frage: Frau Teuteberg, in Kassel ist der CDU-Politiker Walter Lübcke ermordet worden. Dringend tatverdächtig ist ein Rechtsextremist. Was sagt dieses Verbrechen über die politische Stimmung im Land?
Teuteberg: Es ist eine schreckliche Tat und es ist gut, dass der Generalbundesanwalt die Ermittlungen an sich gezogen hat. Das zeigt, dass die politische Tragweite der Tat erkannt wird. Wir haben eine Sondersitzung des Innenausschusses beantragt, um über Details informiert zu werden. Ich bin jedoch vorsichtig, bereits jetzt Schlussfolgerungen aus einem Fall zu ziehen, bei dem die Ermittlungen noch laufen. Richtig ist, dass es in Deutschland seit geraumer Zeit eine sehr polarisierte, aufgeheizte Debatte gibt. Gewalt darf aber niemals Mittel der politischen Auseinandersetzung sein.
Frage: Es gab in der Vergangenheit mehrere Versuche von Rechtsextremen, Politiker zu töten. Ist der Mord an Walter Lübcke der Tiefpunkt einer anhaltenden Verrohung der Gesellschaft?
Teuteberg: Wir nehmen den Fall in Kassel sehr ernst. Es stimmt, Drohungen, Beschimpfungen und Diffamierungen haben in der politischen Auseinandersetzung spürbar zugenommen. Das gilt besonders für das Internet, wo anonyme Äußerungen leichter möglich sind. Der Ton verroht, besonders wenn es um Themen wie Migration geht. Doch es ist keine Option, kontroverse Themen auszusparen. Es muss in einer Demokratie möglich sein, auch strittige Dinge auf eine zivilisierte Art zu diskutieren, ohne dass es zu persönlichen Herabwürdigungen oder gar zu Gewalttaten kommt. Daran müssen wir unbedingt und mit aller Kraft festhalten.
Frage: Das Thema Migration hat die Gesellschaft zuletzt stark aufgewühlt. Wie lässt sich die Situation befrieden?
Teuteberg: Wir brauchen einen Migrationskonsens der Mitte. Bund, Länder und Kommunen müssen sich bei einem nationalen Migrationsgipfel zusammensetzen, um rechtliche und organisatorische Verbesserungen zur Steuerung von Migration und Integration zu erreichen. Wir wollen das Grundrecht auf Asyl erhalten. Gerade deshalb müssen wir konsequent darin sein, die Ausreisepflicht durchzusetzen, wenn kein Anspruch auf Asyl besteht. Zugleich fordern wir schon seit über 20 Jahren ein Einwanderungsgesetz, um legale Einwanderung dringend benötigter Fachkräfte klar zu regeln.
Frage: Ihr Ansatz klingt recht technisch. Für viele ist Migration ein emotionales, angstbesetztes Thema. Lassen sich mit diesem Konzept Ängste beseitigen?
Teuteberg: Wenn wir beim Thema Migration das Vertrauen in den Rechtsstaat und die Verlässlichkeit seiner Verfahren stärken, ist das ein wichtiger Beitrag. Statt Beliebigkeit muss es einen Unterschied machen, wie ein rechtsstaatliches Verfahren ausgeht. Das schafft Orientierung und stärkt das Vertrauen. Was dagegen nicht hilft, ist ein Überbietungswettbewerb in der verbalen Schärfe oder die Diffamierung von Konsequenz als Härte. Wir brauchen mehr Nüchternheit und Konsequenz.
Frage: Im Herbst finden in Sachsen, Brandenburg und Thüringen Landtagswahlen statt. Die FDP steht für Wettbewerb und Eigenverantwortung. Für viele im Osten klingt das eher danach, dass der Staat sie im Stich lässt.
Teuteberg: Zur Freiheit gehört Verantwortung, und zwar für sich und für andere. Viele Menschen im Osten Deutschlands übernehmen solche Verantwortung. Viele haben dort Eigeninitiative bewiesen und sich beruflich völlig neu orientiert. Die wollen wir ansprechen. Ich finde, der Osten kann aus seinen Stärken noch viel mehr machen. Das gilt für den wirtschaftlichen Mittelstand wie für die Universitätsstandorte. Wir haben dort viele junge Menschen. Wenn wir es schaffen, dass sie dort bleiben und ihre Zukunft sehen, können sich daraus eine Menge Chancen für die Entwicklung Ostdeutschlands ergeben.
Frage: Gerade im Wahljahr wird der Osten gern als Sonderzone dargestellt, die besonderer Zuwendung bedarf. Ist das zeitgemäß?
Teuteberg: Natürlich braucht es eine spezielle Kenntnis der Verhältnisse im Osten. Es gibt dort andere Prägungen und große Strukturbrüche. Viele Menschen haben Härten erlebt. Ich finde es aber wichtig, Ost und West nicht gegeneinander auszuspielen und die Potenziale zu erkennen, statt nur über Schwierigkeiten zu sprechen. Debatten über Ost-Quoten, Verschwörungstheorien und Untersuchungsausschüsse helfen nicht weiter.
Frage: Sie spielen auf den Treuhand-Untersuchungsausschuss an, den die Linke im Bundestag will.
Teuteberg: Genau. So ein Untersuchungsausschuss würde nichts befrieden und keinen Arbeitsplatz zurückbringen. Er wäre rückwärtsgewandt und ist gedacht, um das Thema zum eigenen parteipolitischen Vorteil zu bewirtschaften und die Treuhand zur erinnerungspolitischen Bad Bank zu machen. Wir wollen hingegen eine wissenschaftliche Untersuchung der Tätigkeit der Treuhand. Da muss es auch um Fehler im damaligen Umbruchsprozess gehen. Diese Notwendigkeit sehe ich. Das ändert aber nichts daran, dass die Ursachen für die wirtschaftlichen Probleme in Ostdeutschland zuallererst vor 1989 liegen und nicht in der Zeit danach.
Frage: Fehlt Optimismus in der Diskussion über den Osten?
Teuteberg: Ich kann in der Tat mit diesem paternalistischen, fürsorglichen Ansatz in Bezug auf Ostdeutschland wenig anfangen. Es wird immer so getan, als bestehe der Osten nur aus Problemen und brauche milde Gaben. Ich finde, wir müssen uns ganz pragmatisch mit den besonderen Bedingungen dort auseinandersetzen und schauen, wo Politik etwas tun kann für mehr Chancen für mehr Menschen. Die Aufarbeitung der Vergangenheit ist wichtig. Aber nicht als Selbstzweck, sondern um geschichtsbewusst Gegenwart und Zukunft zu gestalten.