TEUTEBERG-Interview: Peinlichkeit war keine Kategorie
Die FDP-Generalsekretärin Linda Teuteberg gab der „Zeit“ (heutige Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte Peter Dausend. (In dieser Rubrik werden Politikern und Prominenten die stets selben 30 Fragen gestellt, aber auch sich eventuell ergebende Nachfragen.)
Frage: Welches Tier ist das politischste?
Teuteberg: Aktuell das Känguru, das mit leerem Beutel große Sprünge macht.
Frage: Meinen Sie damit jetzt die große Koalition oder die Grünen?
Teuteberg: Die Aktualität ist selbsterklärend.
Frage: Welcher politische Moment hat Sie geprägt—außer dem Kniefall von Willy Brandt?
Teuteberg: Der Mauerfall. Weil er gezeigt hat, dass sich Dinge, die viele für unveränderbar halten, doch sehr schnell und tiefgreifend ändern können.
Frage: Sie waren damals acht Jahre alt. Welche Erinnerung haben Sie daran?
Teuteberg: Ich war zu Hause bei meinen Eltern in einem kleinen Dorf bei Königs Wusterhausen. Ich erinnere mich vor allem an den 10. November 1989. Da sind meine Eltern mit meinem Bruder und mir im Trabant nach West-Berlin gefahren, über Schönefeld und Rudow ging es nach Neukölln zu Verwandten und zum Karstadt am Hermannplatz. Am Grenzübergang gab es Eiskonfekt, und an jeder Ampel haben die Leute einem zugewinkt. Ein Passant hat meinen Eltern zehn D-Mark zugesteckt und gesagt: Kaufen Sie mal was für Ihre Kinder. Da war eine unglaubliche Freude und Euphorie zwischen eigentlich fremden Menschen. Eine Stimmung, die ich nie vergessen werde.
Frage: Was ist Ihre erste Erinnerung an Politik?
Teuteberg: Dass ich als Kind in der Schule nicht über alles sprechen konnte, worüber wir zu Hause geredet haben. Meine Eltern hatten mir das nicht extra aufgetragen. Aber schon als Sechs- oder Siebenjährige habe ich intuitiv gespürt, dass ich mich da besser zurückhalte.
Frage: Wann und warum haben Sie wegen Politik geweint?
Teuteberg: Noch nie.
Frage: Noch nicht einmal, als die FDP 2013 aus dem Bundestag geflogen war?
Teuteberg: Natürlich war das sehr bitter. Tränen sind bei mir aber eher etwas für Filme. Das letzte Mal war das bei „Das Leben ist schön“ von Roberto Benigni der Fall. Wenn mich die Realität aufwühlt, dann will ich etwas unternehmen, und so hat mich die Erfahrung von 2013 dazu veranlasst, mich noch aktiver einzubringen.
Frage: Haben Sie eine Überzeugung, die sich mit den gesellschaftlichen Konventionen nicht verträgt?
Teuteberg: Ich bin Christin und Liberale. Viele Menschen meinen, das sei ein Gegensatz. Der Meinung bin ich nicht. Die Aufklärung zum Beispiel war einerseits Gegner einer christlich-jüdischen Tradition. Sie hat andererseits zugleich ihre Wurzeln in dieser Geistesgeschichte, ihr Menschenbild ist davon geprägt. Daher geht es vielmehr um ein Spannungsverhältnis als um einen einfachen Gegensatz.
Frage: Wann hatten Sie zum ersten Mal das Gefühl, mächtig zu sein?
Teuteberg: Das Gefühlkenne ich noch nicht. Aber ich kenne das Gefühl der Demut und zugleich der Freude - über die Möglichkeit, mit dem, was man sagt, gehört zu werden.
Frage: Von einer Generalsekretärin wird erwartet, die eigenen Reihen zu schließen und den politischen Widersacher kraftvoll zu attackieren. Braucht man hierfür nicht Macht?
Teuteberg: Ich habe in dieser Funktion mehr Einfluss und auch mehr Verantwortung als früher, das ist klar. Aber alles, was ich als Generalsekretärin mache, kann nur dann wirken, wenn ich authentisch bleibe. Wenn ich aus taktischen Gründen eine Sprache wählen würde, die nicht zu meinem Temperament passt, dann wirkte das nicht machtvoll, sondern unglaubwürdig.
Frage: Und wann haben Sie sich besonders ohnmächtig gefühlt?
Teuteberg: Wenn ich Bilder sehe von Menschen in verzweifelten Situationen, von Kindern im Krieg in Syrien etwa.
Frage: Wenn die Welt in einem Jahr untergeht, was wäre bis dahin Ihre Aufgabe? Sie dürfen allerdings keinen Apfelbaum pflanzen.
Teuteberg: Meine Aufgabe wäre es, zu bezweifeln, dass die Welt in einem Jahr untergeht. Diese Annahme ist so unbedingt, dass sie alles Illiberale und Rigorose befeuert. Wenn es gleich ums letzte Gefecht geht, hat man den Kopf nicht frei, um die realen Probleme zu lösen.
Frage: Reden wir jetzt über die Haltung der FDP zum Klimawandel?
Teuteberg: Der Rigorismus apokalyptischer Ahnungen ist mir fremd, ich halte ihn sogar für gefährlich. Weil er in letzter Konsequenz einerseits den Rechtsstaat und die Demokratie infrage stellt. Und weil er andererseits so abschreckend wirkt, dass er seinem Ziel nicht dient. Bei einer globalen Herausforderung muss man möglichst viele Akteure zusammenführen. Wie soll das gelingen, wenn man die Botschaft sendet: Ihr müsst dafür eure Freiheit opfern und tun, was wir für richtig halten?
Frage: Sind Sie lieber dafür oder dagegen?
Teuteberg: Dafür.
Frage: Welche politischen Überzeugungen haben Sie über Bord geworfen?
Teuteberg: Keine.
Frage: Könnten Sie jemanden küssen, der aus Ihrer Sicht falsch wählt?
Teuteberg: Natürlich. Liebe ist überparteilich. Meinen Mann habe ich ja auch weder wegen noch trotz seiner politischen Meinung geheiratet.
Frage: Eine echte Herausforderung war er aber nicht – schließlich ist Ihr Mann ja kein Grüner, sondern auch in der FDP.
Teuteberg: Das ist aber nicht der Grund, weshalb ich ihn liebe. (lacht)
Frage: Haben Sie mal einen Freund oder eine Freundin wegen Politik verloren? Und wenn ja -vermissen Sie ihn oder sie?
Teuteberg: Nein, habe ich nicht.
Frage: Welches Gesetz haben Sie mal gebrochen?
Teuteberg: Murphy’s Law. Alles, was schiefgehen kann, wird auch schiefgehen - für mein Leben gilt das Gott sei Dank nicht.
Frage: Waren Sie in Ihrer Schulzeit beliebt oder unbeliebt, und was haben Sie daraus politisch gelernt?
Teuteberg: Keine Ahnung, wie beliebt ich war. Ich habe auch nie gefragt, was einen beliebt macht. Ich habe mich immer danach ausgerichtet, was ich für richtig hielt. Politisch gelernt habe ich daraus, öffentlich so zu sein, wie ich bin. Und dass es sich lohnt, die Komfortzone zu verlassen.
Frage: Welche politische Ansicht Ihrer Eltern war Ihnen als Kind peinlich?
Teuteberg: Peinlichkeit war keine Kategorie für politische Meinungen in der DDR. Dafür war das politische Reden viel zu existenziell. Es gehört zum Wesen von Diktaturen, dass sie ins persönliche Leben viel tiefer eindringen als ein freiheitlicher Rechtsstaat. Von daher gab es auch viel mehr Anlässe, über Politik zu reden. Bei uns zu Hause war das auch so. Aber peinlich? Den Gedanken, irgendetwas könnte peinlich sein, den gab es da nicht.
Frage: Nennen Sie eine gute Beleidigung für einen bestimmten politischen Gegner.
Teuteberg: Es gibt keine gute Beleidigung. Von Generalsekretärinnen und Generalsekretären wird ja erwartet, dass sie auch angreifen können. Man kann aber in der Sache angreifen, ohne die Person zu beleidigen. Das ist letztlich sogar wirkungsvoller.
Frage: Welche Politikerin, welcher Politiker hat Ihnen zuletzt leidgetan?
Teuteberg: Andrea Nahles. Ungeachtet der unterschiedlichen Überzeugungen habe ich sie als integre und durchsetzungsstarke Politikerin voller Leidenschaft sehr geschätzt. Die Art und Weise, wie Teile ihrer Partei zuletzt mit ihr umgegangen sind, hat sie nicht verdient. Ihr Scheitern empfinde ich daher als tragisch.
Frage: Welche Politikerin, welcher Politiker müsste Sie um Verzeihung bitten?
Teuteberg: Da das nicht zu den Spielregeln der Politikgehört - niemand.
Frage: Welche Politikerin, welcher Politiker sollte mehr zu sagen haben?
Teuteberg: Alle Politiker in Großbritannien, die das Bedürfnis ihrer Bürger nach Sicherheit und Steuerungsfähigkeit ernst nehmen - und trotzdem nicht der Versuchung erliegen, den Menschen zu versprechen, durch den Brexit sei das zu erreichen.
Frage: Welche politische Phrase möchten Sie verbieten?
Teuteberg: Redeverbote sind nicht mein Ding. Aber ich streiche regelmäßig Begriffe wie „Narrativ“ oder „Partizipation“ aus Vorlagen. Gerade kluge Gedanken müssen verständlich ausgedrückt werden, damit sie auch als solche erkannt werden.
Frage: Und was ist mit der Phrase: „Leistung muss sich wieder lohnen“?
Teuteberg: Warum sollte man das streichen? Dahinter verbirgt sich der Gedanke, dass sozialer Aufstieg möglich sein muss. Und dass derjenige, der sich anstrengt, dafür etwas erhält. Warum man einen Satz, in dem viel Sozialdemokratie drinsteckt, den Liberalen immer wieder als herzlos vorhält, habe ich noch nie verstanden.
Frage: Finden Sie es richtig, politische Entscheidungen zu treffen, auch wenn Sie wissen, dass die Mehrheit der Bürger dagegen ist?
Teuteberg: Unbedingt. Das nennt man repräsentative Demokratie. Und politische Führung. Zu beidem gehört für mich dazu, seine Entscheidungen öffentlich zu erklären.
Frage: Was fehlt unserer Gesellschaft?
Teuteberg: Manchmal Fantasie. Oft auch Zuversicht und Freude an Debatten.
Frage: Welches grundsätzliche Problem kann Politik nie lösen?
Teuteberg: Ziemlich viele, weil Politik nie alles regeln kann. Liebeskummer zum Beispiel. Oder dass die Tage immer zu kurz sind.
Frage: Sind Sie Teil eines politischen Problems?
Teuteberg: Eher Teil einer Lösung.
Frage: Komischerweise sagen das alle Politiker.
Teuteberg: Weil wohl die allermeisten Politiker deshalb Politiker geworden sind, weil sie etwas zum Besseren verändern wollen. Von daher ist die Antwort nicht komisch, sondern nachvollziehbar.
Frage: Nennen Sie ein politisches Buch, das man gelesen haben muss.
Teuteberg: Es gibt nicht die eine politische Bibel, die man gelesen haben muss. Wenn man Politik machen möchte, ist es hilfreich, sich mit menschlichen Abgründen und geschichtlichen Erfahrungen zu beschäftigen. Ein Buch, das ich in diesem Zusammenhang empfehlen möchte, ist „Hammerstein oder Der Eigensinn“ von Hans Magnus Enzensberger.
Frage: Bitte auf einer Skala von eins bis zehn: Wie verrückt ist die Welt gerade? Und wie verrückt sind Sie?
Teuteberg: Die Welt sieben - und ich vier.
Frage: Der beste politische Witz?
Teuteberg: Ich kann mir Witze wirklich schlecht merken. Es gibt aber einen Spruch von Johannes Gross, den ich nicht nur für ziemlich lustig, sondern auch für treffend halte: Das Schlimme an Opportunisten ist ihr mangelnder Sinn für Opportunität.
Frage: Was sagt Ihnen dieses Bild (Foto von Luisa Neubauer)?
Teuteberg: Dass man als junge Frau in kurzer Zeit große Bekanntheit erlangen kann.
Frage: Verkörpert Luisa Neubauer ein Kernproblem der FDP: zu wenig junge Frauen, zu wenig wahrnehmbar in der Klimadebatte?
Teuteberg: Nein. Ich sehe hier ein ganz anderes Problem. Für ein Anliegen einzutreten und dafür Öffentlichkeit herzustellen, zu demonstrieren, Druck zu machen gehört zur offenen Gesellschaft. Aber in der Klimadebatte fehlt mir oft der Respekt für die Aushandlungsprozesse demokratischer Politik und die Regeln des Rechtsstaates. Die sind nämlich weder Selbstzweck noch Schikane, sondern Ausdruck des Respekts vor anderen Menschen und deren Rechten. Es reicht aus gutem Grund nicht, sich moralisch im Recht zu fühlen, um Dinge in seinem Sinne schlagartig verändern zu können. Dafür muss man schon Mehrheiten suchen - und das braucht Zeit und Überzeugungskraft. Wir müssen sehr aufpassen, dass legitimes Engagement nicht umschlägt in Verachtung der Demokratie.
Frage: Wovor haben Sie Angst - außerdem Tod?
Teuteberg: Vor Dummheit.
Frage: Was macht Ihnen Hoffnung?
Teuteberg: Dass es immer wieder Menschen gibt, die in ungleich schwierigeren existenziellen und scheinbar ausweglosen Situationen die Kraft finden aufzubegehren - und die Dinge zum Positiven zu verändern.