30.09.2019FDPFDP

TEUTEBERG-Interview: Das Glück der Freiheit ist nicht selbstverständlich

Die FDP-Generalsekretärin Linda Teuteberg gab der „Heilbronner Stimme“ (aktuelle Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte Hans-Jürgen Deglow. 

Frage: Frau Teuteberg, wenn Sie die Szenen von damals heute betrachten – was geht in Ihnen vor?

Teuteberg: Die Erleichterung und die unbändige Freude über die Freiheit, die diese Worte auslösen, berühren mich immer wieder zutiefst. Dabei wünsche ich mir, dass wir heute das Glück der Freiheit nicht so selbstverständlich nehmen.

Frage: Wofür bewundern Sie die Menschen in der Botschaft, oder die Menschen, die in Leipzig und anderen Städten auf die Straße gingen?

Teuteberg: Vor allem für ihren Mut. Brücken abzubrechen, neues zu wagen. Mit hohem persönlichem Risiko. Niemand in der Botschaft konnte damals wissen, ob dieser Fluchtversuch nicht in der Haft enden würde. Und gerade die Menschen, die zuhause auf die Straße gingen, gingen hohe Risiken ein. Dass diese Revolution eine friedliche bleiben würde, konnte damals niemand wissen. Im Gegenteil, viele Menschen hatten die Bilder vom Juni aus Peking, vom Platz des Himmlische Friedens, vor Augen. Und die Worte von Egon Krenz im Ohr, der im September 1989 Peking besuchte und erklärte, die SED stehe »auf der Barrikade der sozialistischen Revolution« dem gleichen Feind gegenüber. Es gab die begründete Angst, dass es auch in der DDR eine »chinesische Lösung« geben könnte. Dafür hatte die SED auch Vorbereitungen getroffen. Was es bedeutete, gegen dieses Regime auf die Straße zu gehen, ist für viele heute kaum zu ermessen.

Frage: Und wofür bewundern Sie Genscher?

Teuteberg: Der Hallenser hat nie das Ziel der Deutschen Einheit aufgegeben. Vom KSZE-Prozess in den 70er Jahren über den hoch umstrittenen NATO-Doppelbeschluss Anfang der 80er bis zur Perestroika Gorbatschows: Immer stand für ihn die Deutsche Frage auf der Tagesordnung, während andere sich mit der Teilung unseres Landes abgefunden hatten. Wenn Kohl der Kanzler der Einheit war, dann war Genscher der Architekt der Einheit.

Frage: Ist uns heute ausreichend bewusst, dass Freiheit keine Selbstverständlichkeit ist?

Teuteberg: Deutschland ist nicht auf dem Weg in einen Zwangsstaat. Aber Karl-Hermann Flach hat einmal formuliert: Freiheit stirbt zentimeterweise. Wenn ich mir die heutigen Debatten anschaue, muss ich leider sagen: Nein. Mit unserer Freiheit wird sehr leichtfertig umgegangen. Auch weil viele nicht verstehen, dass wirtschaftliche und gesellschaftliche Freiheit zusammengehören. Vorschläge wie ein Mietendeckel oder gar Enteignungen sind Werkzeuge aus der Sozialistischen Mottenkiste. In der DDR wurde darüber gespottet: Ruinen schaffen ohne Waffen. Auch wegen des verheerenden Zustandes der Innenstädte, der Bausubstanz und der Umwelt fassten Menschen damals den Mut, aufzustehen gegen das SED-Regime.

Frage: Hat Genscher wie Kohl den Mantel der Geschichte ergriffen? Oder war der Freiheitsdrang der Ostdeutschen einfach so stark, dass er alle mitgerissen hat?

Teuteberg: Der Mut und Freiheitsdrang der Ostdeutschen war natürlich der entscheidende Treiber. Aber ohne das Zutun von Kohl und Genscher würden wir heute immer noch in einem geteilten Land leben. Die Skepsis gegenüber der Wiedervereinigung war ja nicht nur bei einigen unserer Verbündeten, gerade in Frankreich und Großbritannien, sehr groß, sondern auch bei Grünen und Sozialdemokraten. Mit Oskar Lafontaine, der 1990 Kanzlerkandidat der Sozialdemokraten war, und Joschka Fischer hätte es eine Wiedervereinigung sicherlich nicht gegeben. Und das geschichtliche, das außenpolitische Zeitfenster war kurz.

Frage: Was können wir aus dieser Zeit für heute lernen? Sollten wir unsere Grundwerte, unsere Demokratie, mehr achten?

Teuteberg: Viele Menschen suchen nach Führung und Einfachheit. Die Schichten unserer Demokratie sind dünn, das sehen wir am Erstarken von Parteien, die Probleme rhetorisch verschärfen und bewirtschaften. Es ist Aufgabe der Politik, klarzumachen, was Deutschland braucht. Aber es gibt auch ein Holschuld in der Demokratie. Wer sich von Politik nur abwendet, der wird sehen, dass die stärker werden, die er nicht dort sehen will.

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