FDPSicherheit und Freiheit

Terroristen wollen Krieg der Zivilisationen

Alexander Graf Lambsdorff warnt davor, nach Terroranschlägen Freiheitsrechte einzuschränkenAlexander Graf Lambsdorff warnt davor, nach Terroranschlägen Freiheitsrechte einzuschränken
20.07.2016

Erneut trauert Europa um die Opfer eines Terroranschlags. Nach dem Attentat in Nizza warnt Alexander Graf Lambsdorff jedoch davor, aus Angst den Extremisten in die Hände zu spielen. "Wir wissen, dass die islamistischen Terroristen die Radikalisierung westlicher Gesellschaften wollen. Ihr Ziel ist der Krieg der Zivilisationen", betonte der Vizepräsident des EU-Parlaments im Interview mit dem Bonner "General-Anzeiger". Dabei nutzten sie die Tatsache aus, "dass in einem wichtigen Land der EU der Populismus mit Marine Le Pen bereits stark verwurzelt ist", hob er hervor. Ließe sich die Gesellschaft weiter spalten, hätten die Terroristen ihr Ziel erreicht, mahnte der Freidemokrat.

"Die Terroristen sehen sich als die einzigen Gläubigen in einem Ozean von Dekadenz, Unglauben und Gotteslästerung. Sie hassen unsere offene Gesellschaft, sie verabscheuen Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit", erläuterte Lambsdorff. Deswegen wollten die Radikalen kein friedliches Zusammenleben verschiedener Gruppen, sondern eine Verrohung der Gesellschaft und einen Konflikt der Kulturen.

Es gibt keine hundertprozentige Sicherheit

Forderungen nach schärferen Gesetzen wies Lambsdorff als nicht zielführend zurück. "Es gibt keine hundertprozentige Sicherheit. Das klingt schrecklich, ist aber leider wahr. Wir können unsere offene Gesellschaft nicht vollständig vor solchen Anschlägen schützen", konstatierte er. Das beste Mittel sei eine effektivere polizeiliche und nachrichtendienstliche Arbeit auf Basis der existierenden Gesetze.

Dieser Einschätzung schloss sich FDP-Chef Christian Lindner im "Deutschlandfunk" an. "Guantanamo in den USA – das war ein Sieg des Islamismus, weil diese Kräfte sagen konnten: 'Schaut her in den Westen. Sie sprechen über Menschenrechte. Sie sprechen über liberale Verfassungen. Aber jetzt machen sie Guantanamo.'" Deshalb wäre es jetzt falsch, die eigene Lebensart zu verändern und bürgerliche Freiheitsrechte einzuschränken, verdeutlichte er. "Falsch wäre es auch, wenn wir plötzlich Islamismus und Islam gleichsetzen würden und diskriminieren würden, weil dann geben wir diesen Radikalen Auftrieb, die nichts anderes wollen, als einen religiösen Großkonflikt."

Lesen Sie hier das gesamte "General-Anzeiger"-Interview mit Alexander Graf Lambsdorff.

Graf Lambsdorff, wieder Frankreich. Ein Anschlag am Nationalfeiertag auf dem Prachtboulevard von Nizza nach einer EM ohne Terroranschlag. Wie erklären Sie sich das?

Frankreich ist einer der Schlüsselstaaten Europas und der EU, aber es ist sowohl wirtschaftlich als auch politisch geschwächt. Auch der soziale Zusammenhalt der Gesellschaft ist stark beeinträchtigt. Die Terroristen machen sich das offenbar zunutze. Sie wollen Frankreich noch weiter verunsichern.

In Nizza gab es zahllose Antiterror-Übungen vor der EM. Sind die Bemühungen um mehr Sicherheit ausgereizt?

Ja und nein. Es gibt keine hundertprozentige Sicherheit. Das klingt schrecklich, ist aber leider wahr. Wir können unsere offene Gesellschaft nicht vollständig vor solchen Anschlägen schützen. Deswegen ist auch der Ruf nach schärferen Gesetzen nicht zielführend. Das beste Mittel ist konsequente polizeiliche und nachrichtendienstliche Arbeit. Die muss sich immer weiter verbessern, das ist nie ausgereizt.

Frankreich steht 2017 vor Präsidentschaftswahlen. Sehen Sie einen Zusammenhang mit dem Attentat von Nizza?

Wir wissen, dass die islamistischen Terroristen die Radikalisierung westlicher Gesellschaften wollen. Ihr Ziel ist ja der Krieg der Zivilisationen, der Konflikt der Religionen. Sie nutzen die Tatsache aus, dass in einem wichtigen Land der EU der Populismus mit Marine Le Pen bereits stark verwurzelt ist. Die weitere Radikalisierung durch solche Anschläge ist genau das, was die Terroristen erhoffen. Wenn wir uns auf diese tödliche Logik einlassen, erreichen sie ihr Ziel.

Mit anderen Worten: Die Terroristen besorgen das Geschäft des Front National?

Die Terroristen sehen sich als die einzigen Gläubigen in einem Ozean von Dekadenz, Unglauben und Gotteslästerung. Sie hassen unsere offene Gesellschaft, sie verabscheuen Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Sie wollen einen Großkonflikt, deswegen wollen sie einen Sieg von Le Pen, die ja so einfache wie gewaltsame Antworten verspricht.

Was passiert, wenn diese Strategie der Radikalisierung aufgeht und Le Pen im Mai gewinnt?

Ich hoffe, dass es nicht so kommt.

Und wenn Marine Le Pen doch gewinnt?

Das wäre der Anfang vom Ende der französischen Republik, wie wir sie kennen. Und weil Frankreich mit Deutschland eines der beiden Schlüsselländer der EU ist, wäre auch die EU dann in existenzieller Gefahr.

Schießen die Terroristen Frankreich sturmreif, und ist das die Erklärung, warum es in Deutschland bisher relativ ruhig geblieben ist?

Frankreich verfolgt seit Jahren eine linke Wirtschaftspolitik, die an der hohen Arbeitslosigkeit überhaupt nichts ändert. Unternehmertum gilt als nahezu unanständig, deshalb gibt es viel zu wenig neue Jobs. Zur wirtschaftlichen Schwäche kommen ein Präsident mit extrem niedrigen Zustimmungswerten und eine Opposition, die sich vor allem mit sich selbst beschäftigt. Und drittens ist es in Frankreich noch viel weniger als bei uns gelungen, die Zuwanderer erfolgreich zu integrieren.

Die Frage richtete sich auf Deutschland…

Bei uns ist auch nicht alles perfekt, aber wir haben dank richtiger wirtschaftspolitischer Weichenstellungen in der Vergangenheit nahezu Vollbeschäftigung. Die Zuwanderer der letzten Jahrzehnte sind meist besser integriert als die Jugendlichen in den französischen Vorstädten. Und es gibt einen breiten Konsens, dass unsere Demokratie funktioniert, bei aller Kritik in Einzelfragen. Deutschland steht also derzeit besser da, aber das darf uns nicht veranlassen, von oben auf unseren großen Nachbarn zu schauen. Wir brauchen wieder ein starkes, stabiles und sicheres Frankreich. Das ist in unserem eigenen Interesse und im Interesse ganz Europas.

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