SUDING-Interview: Wir müssen insgesamt ein Bewusstsein dafür entwickeln
Berlin. Die stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende KATJA SUDING gab dem „Deutschlandfunk“ das folgende Interview. Die Fragen stellte BETTINA KLEIN:
Frage: Frau Suding, wie ist das in der FDP? Der Herrenwitz ist ausgestorben?
SUDING: Ich persönlich habe weder damals in der Zeit, als diese Debatte hochkochte, noch heute da wirklich schlimme negative Erfahrungen gemacht, muss ich ganz ehrlich sagen. Ich denke auch mal, dass die Sensibilität gerade bei uns in der FDP seit einiger Zeit da etwas größer geworden ist. Das ist auch gut so. Dennoch wird das sicherlich passieren, es gibt solche Sprüche, die nicht in Ordnung sind, und dagegen darf und muss man sich auch wehren.
Frage: Das heißt, Sie sagen, es ist richtig, dass wir auch jetzt wieder eine Debatte darüber führen und das nicht als ein privates Problem einzelner Frauen behandeln?
SUDING: Die Debatte ist da, das ist gar nicht an mir zu entscheiden, ob die gut und richtig ist. Was mir damals in der Debatte fehlte und was mir auch bisher in der heutigen Debatte allerdings tatsächlich fehlt ist, dass wir dabei vergessen, dass es auch noch viel gravierendere Probleme gibt, dass es tatsächlich auch Übergriffe gibt, dass angetatscht wird, dass missbraucht wird, dass teilweise auch schlimme Dinge passieren, und die fallen in der Debatte so ein Stück weit herunter. Das gefällt mir nicht so sehr. Da, finde ich, wird die Realität dann doch ein bisschen verzerrt.
Frage: Liegt es vielleicht daran, dass solche Übergriffe, die Sie jetzt gerade erwähnt haben, inzwischen ja justiziabel sind und greifbarer sind dahingehend, ein Klima aber, wo es um verbale Anzüglichkeiten geht, so eine Grauzone, die aber auch negative Folgen haben und von der sich gerade jüngere Frauen vielleicht eingeschüchtert fühlen, dass das offenbar schwerer zu greifen ist und auch weniger ein Bewusstsein dafür existiert?
SUDING: Die Grauzone ist da ja sehr, sehr breit und natürlich gibt es Vorfälle, die absolut justiziabel sind. Von denen spreche ich aber nicht, sondern es gibt ja auch auf der Ebene der Grauzone Dinge, die für mich deutlich weniger akzeptabel sind als ein lockerer Spruch, dem ich persönlich einfach begegnen würde mit einer Bemerkung und indem ich darauf hinweise, dass das nicht geht.
Frage: Was sagen Sie denn aber Frauen, die sagen, wir können uns gerade nicht wehren, wir sind nicht so stark, wir haben nicht dieses Standing im Beruf inzwischen, wir sind vielleicht nicht so schlagfertig? Sagen Sie denen, dann habt ihr eben Pech gehabt, auf unsere Solidarität könnt ihr da nicht setzen?
SUDING: Nein, ganz und gar nicht. Natürlich nicht! Frau Behrends hat ja auch gezeigt, dass sie da durchaus in der Lage ist, sich zu wehren. Das war ja eine durchaus mutige Sache, auch diesen Brief zu schreiben. Ich glaube nicht, dass sie ein Problem damit hat, sich zu wehren. Es ist auch völlig okay, wenn Frauen sich da solidarisieren und verbünden, um sich da wehren zu können. Dennoch darf man in der Debatte einfach nicht vergessen, dass es noch andere Fälle gibt, über die wir vielleicht uns auch mal unterhalten sollten, die viel gravierender sind, und die gehen mir einfach unter und das möchte ich einfach verhindern.
Frage: Wir sprechen jetzt über eine Debatte, die jetzt losgetreten wurde, wo sich wiederum viele Frauen gemeldet haben und gesagt haben, genauso geht es mir auch und man muss daran etwas ändern. Deswegen sagen Sie uns noch mal: Was ist denn Ihr Ansatz und wie sieht es in der FDP im Augenblick aus, an diesem Klima, von dem ja inzwischen gesprochen wird, das in Teilen von Politik und Gesellschaft noch herrscht, etwas zu verändern? Was wäre da Ihr Vorschlag?
SUDING: Wenn mir ein dummer Spruch passiert, dann wehre ich mich dagegen. Dann gibt es einen zurück und dann spreche ich die Themen auch an. Ich glaube, dass das wichtig ist. Wer das nicht kann, muss sich mit anderen Männern und Frauen solidarisieren und sich Hilfe suchen. Das ist auch in Ordnung. Ich glaube aber, dass sich da viel getan hat auch in den letzten Jahren. Ich erlebe jedenfalls solche Dinge nicht mehr.
Frage: Wir sprechen ja mit Ihnen jetzt nicht, Frau Suding, als Privatperson Katja Suding, sondern mit Ihnen als Politikerin einer Partei, die auch relativ neu in der Hamburger Bürgerschaft ist. Sie sind FDP-Fraktionsvorsitzende. Die Frage ist ja: Sehen Sie als Politikerin da Handlungsbedarf, um daran etwas zu verändern und zu verbessern, was inzwischen fast alle beklagen?
SUDING: Sicherlich nicht vonseiten der Politik. Einen Handlungsbedarf haben wir nicht vonseiten der Politik, das bestimmt nicht. Die Debatte hat ja auch gezeigt, dass solche Vorfälle in der Wirtschaft, in Verbänden, insgesamt in der Gesellschaft vorkommen. Deswegen ist es, wenn wir etwas verändern wollen, wichtig, dass wir insgesamt ein Bewusstsein dafür entwickeln, dass Frauen auch das Bewusstsein entwickeln, da auch Grenzen zu setzen, dass Männer das Bewusstsein dafür entwickeln, dass bestimmte Dinge, die sie öfter nicht so meinen, wie sie vielleicht adressiert sind, dass sie merken, dass das nicht akzeptabel ist, dass das auch nicht witzig ist, und sich entsprechend dann in Zukunft auch verhalten. Das kann eine solche Debatte sicherlich auch bewirken.
Frage: Jetzt waren Sie selber auch Gegenstand einmal der Berichterstattung, als man dem Fernsehen vorgeworfen hat, bei einer TV-Debatte, als es um die Hamburger Wahl ging, zu lange eine Einstellung gebracht zu haben, auf der vor allen Dingen Ihre Beine zu sehen waren. Sie haben sich dazu auch öffentlich geäußert. Wie sind Sie denn damit umgegangen damals?
SUDING: Herr Gniffke, der „Tagesschau“-Chef, hat sich ja direkt nach der Sendung für diese Einstellung entschuldigt. Für mich war damit auch die Sache erledigt.
Frage: Auf der anderen Seite wirft man dann auch Frauen vor – das war bei Ihnen, glaube ich, auch der Fall –, dass sie bewusst oder unbewusst ihre Äußerlichkeiten, Schönheit, Scham und ihre Reize einsetzen, und da dürften sie sich dann auch nicht allzu sehr bei Übergrifflichkeiten beklagen. Folgen Sie dieser Argumentation?
SUDING: Ich finde nicht, dass man in irgendeiner Weise sagen kann, dass eine Frau durch welche Kleidung, durch welches Auftreten auch immer provoziert, dass ein Mann übergriffig wird. Auf gar keinen Fall! Diese Argumentation kann man so und darf man so nicht stehen lassen.
Frage: Unter dem Strich: Was sollen dann Ihrer Meinung nach Frauen, auch Politikerinnen, die vielleicht neu im Geschäft sind und sich dort behaupten müssen, was sollen die daraus jetzt mitnehmen, aus den aktuellen Fällen, die wir diskutiert haben?
SUDING: Mich würde es freuen, wenn junge Frauen, übrigens gilt das auch für junge Männer, überhaupt für Menschen, die in solche Situationen geraten, ein Selbstbewusstsein entwickeln, sich zu wehren, zu wissen, dass man das darf, dass man da auch Grenzen setzen darf und muss, und sich notfalls auch Hilfe suchen. Ich glaube, dann wären wir schon einen ganzen Schritt weiter. Und wenn dann auch noch die Männer verstehen würden, dass sie sich in bestimmten Situationen einfach mal zurückhalten, ich glaube, dann kommen wir da auch schon einen ganzen Schritt weiter.
Frage: Aber es gibt ja offenbar die Hemmschwelle, die auch damit zu tun hat, dass man vielleicht Angst hat, man wirkt einfach nicht mehr so attraktiv, und es gibt ja offensichtlich ein Hemmnis, darüber öffentlich zu sprechen. Wie kann denn da ein Klima der Öffentlichkeit, der Offenheit hergestellt werden, wo das nicht mehr greift und wo man sich dann auch mutig und selbstbewusst dagegen zur Wehr setzt?
SUDING: Ich glaube, das bewirkt eine solche Debatte auch schon, indem sie Betroffenen zeigt, dass es sehr wohl okay ist und akzeptabel ist und dass andere es auch tun, darüber zu sprechen und da auch Grenzen zu setzen. Ich glaube, das hilft, diese Öffentlichkeit dann auch herzustellen, um eine solche Grenze dann auch zu setzen.