SUDING-Interview: Einer betreut, der andere zahlt, das kann nicht mehr gelten
Die stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende Katja Suding gab der „Welt“ (Dienstag-Ausgabe) und „Welt.de“ das folgende Interview. Die Fragen stellte Sabine Menkens:
Frage: Sie haben auf dem Parteitag am vergangenen Wochenende einen Leitantrag beschlossen, der im familienpolitischen Teil eine kleine Revolution enthält. Sie fordern, dass Scheidungskinder nach der Trennung zu gleichen Teilen von Mutter und Vater betreut werden sollen, im sogenannten Wechselmodell. Was hat Sie dazu bewogen, dafür zu kämpfen?
Suding: Es ist anders: Wir fordern nicht, dass künftig alle Trennungskinder im Wechselmodell betreut werden. Es geht nur um die Fälle, die vor Gericht landen. Alle Eltern, die sich gütlich untereinander auf ein Betreuungsmodell einigen, sollen das auch weiter tun. Da würden wir uns niemals einmischen. Aber es gibt auch die Fälle, in denen Vater und Mutter sich nicht einigen können. Hier möchten wir, dass das Gericht in Zukunft als Regelfall die Doppelresidenz annimmt. Davon kann und muss es natürlich auch Ausnahmen geben – die Doppelresidenz funktioniert ja nicht in allen Fällen. Wenn Eltern zu weit auseinanderwohnen, wenn Missbrauch oder Drogen im Spiel sind, wird ein solches Modell nicht infrage kommen. Der Unterschied zu der bisherigen Rechtslage ist aber, dass man künftig begründen muss, warum man von diesem Regelfall abweicht – und nicht andersherum. Es ist die logische Fortsetzung des gemeinsamen elterlichen Sorgerechtes, dass Kinder nach einer Trennung auch bei beiden Eltern leben.
Frage: Halten Sie das klassische Residenzmodell – die Mutter betreut, der Vater zahlt Unterhalt – für überholt? Die übergroße Mehrheit der Trennungsfamilien lebt dieses Modell ja nach wie vor …
Suding: Nein, auf keinen Fall. Es ist für viele Familien ein gutes Modell. Aber leider können sich Eltern manchmal nicht über den Aufenthaltsort ihrer Kinder einigen oder wollen dem anderen den Umgang mit dem Kind verwehren. Für diese Fälle möchten wir, dass der Gesetzgeber davon ausgeht, dass Kinder ein Recht auf Betreuung durch beide Elternteile haben. Damit werten wir die anderen Modelle nicht ab. Wir wollen aber auch nicht, dass der Staat im Streitfall die Rollen in der Familie so festlegt, dass ein Elternteil, in der Regel die Mutter, die hauptsächlich Erziehende ist und der Vater die Rolle des zahlenden Ernährers erhält, der allenfalls noch eine Nebenrolle im Leben der Kinder spielt. Das wollen wir aufbrechen. Wir sagen: Mutter und Vater sind gleichwertig.
Frage: Das Wechselmodell hat viele Gegner. Viele sagen, es sei ein reines Unterhaltssparmodell für Väter.
Suding: Ich finde es zynisch, einem liebenden Elternteil zu unterstellen, dass er die Kinder nur bei sich haben will, um keinen Unterhalt zahlen zu müssen. Ich unterstelle einer Mutter ja schließlich auch nicht, dass sie in Wahrheit nur auf das Geld aus ist und die Kinder deshalb bei sich haben will.
Frage: Muss das Unterhaltsrecht denn verändert werden, wenn Vater und Mutter künftig ähnlich viel Zeit mit ihren Kindern verbringen?
Suding: Klar, das müssen wir dann auch lösen. Einer betreut, der andere zahlt, das kann dann nicht mehr gelten.
Frage: Können Kinder nicht auch darunter leiden, wenn sie keinen klaren Lebensmittelpunkt haben und ständig zwischen Vater und Mutter hin- und herziehen?
Suding: Internationale Studien belegen, dass das Wechselmodell förderlich ist für das Wohlbefinden von Trennungskindern. In Skandinavien und in Belgien ist das Modell gang und gäbe. Eine intensive Bindung zu beiden Elternteilen ist für Kinder gut.
Frage: Wie viel Widerstand schlägt Ihnen entgegen?
Suding: Das Thema wird in allen Parteien diskutiert – stets kontrovers. Es geht um einen gesellschaftlichen Paradigmenwechsel, und es wird vermutlich auch eine Weile dauern, bis er sich durchsetzt. Die Vorstellung, dass die Kinder nach einer Scheidung automatisch bei der Mutter leben, ist althergebracht. Wir setzen auf eine moderne Familienpolitik.
Frage: Sie sind auf dem FDP-Parteitag als stellvertretende Vorsitzende wiedergewählt worden. Was war für Sie das wichtigste Signal dieses Parteitages?
Suding: Die Partei ist selbstbewusst, motiviert und geschlossen. Wir wissen, dass wir seit dem Herbst 2013 den richtigen Weg eingeschlagen haben. Wir sind aber auch demütig. Wir haben noch viel Arbeit vor uns bis September.
Frage: 2017 ist für die FDP das entscheidende Jahr. Wird die Partei den Wiedereinzug in den Bundestag schaffen?
Suding: Ja, davon gehen wir fest aus. Und dafür tun wir auch alles Notwendige. Unser Wahlprogramm belegt, dass wir die letzten vier Jahre dazu genutzt haben, uns auf das zu besinnen, was die Freien Demokraten ausmacht. Mit den Schwerpunkten auf Bildung und Digitalisierung wollen wir unser Land fit für die Zukunft machen.
Frage: Dem Wähler fällt es aber schwer einzuschätzen, ob Sie wirklich Verantwortung übernehmen wollen, wenn Sie Koalitionsoptionen im Voraus ausschließen.
Suding: Wir haben für den Bund keine Koalitionsoption ausgeschlossen – außer mit AfD und Linkspartei. Alles andere ist denkbar. Wir werden uns aber nicht an Farbenspielen beteiligen, wenn man noch nicht einmal weiß, welche Programme hinter den Parteien stehen, wie etwa bei der SPD. Vor der Wahl werden wir Projekte definieren, von denen die Wähler erwarten können, dass wir sie in einer Koalition auch umsetzen. Wenn das nicht gelingt, dann gehen wir in die Opposition und kämpfen von dort aus für unsere Positionen.
Frage: Für Nordrhein-Westfalen hat Parteichef Christian Lindner eine Ampel aber bereits ausgeschlossen. So viel zur Farbenlehre …
Suding: In NRW liegen die Wahlprogramme ja auch vor. Da können wir klar sagen, dass wir uns nicht als Mittel zur Verlängerung der völlig erfolglosen rot-grünen Koalition hergeben. Man muss das aber in jedem Bundesland anders betrachten. In Rheinland-Pfalz zum Beispiel regieren wir sehr erfolgreich in einer Ampel. Da konnten wir mehr Geld für Bildung und mehr Investitionen in die Infrastruktur durchsetzen. In Baden-Württemberg wäre das nicht möglich gewesen, deshalb sind wir in die Opposition gegangen. Wir machen unsere Haltung strikt an der Realisierung unserer inhaltlichen Positionen fest. Das ist auch für den Wähler das Beste.
Frage: Dann müssen Sie die Dinge, die Sie versprechen, allerdings anschließend auch umsetzen. Nicht so wie in der letzten schwarz-gelben Koalition.
Suding: Daraus haben wir gelernt, das passiert nicht noch einmal.
Frage: In Ihrem aktuellen Werbespot stilisiert sich Ihr Parteivorsitzender geradezu als Märtyrer im aufopferungsvollen Dienst am Land.
Suding: Der Spot ist sehr erfolgreich. Er hat genau die Zielgruppe erreicht. Alles richtig gemacht! Im Übrigen ist die Kernaussage ja eine ganz andere. Nämlich die, dass wir zu unseren Positionen stehen. Wir haben uns in der Opposition die Freiheit genommen, uns aus unseren eigenen Überzeugungen klar zu definieren. Das war unglaublich befreiend. Und das ist es auch, was die Liberalen so selbstbewusst macht.