FDPDas aktuelle Interview

Schwarz-rote Rentenpläne sind verantwortungslos

Christian LindnerChristian Lindner zeigt sich vom Zustand der Bundesregierung besorgt
20.04.2016

Im ausführlichen "Focus"-Interview hat FDP-Chef Christian Lindner die Rentenerhöhungspläne der Bundesregierung ins Visier genommen. "Sigmar Gabriel sagt ja sehr offen, dass er die Rente zum Wahlkampfthema machen will. Gegen die Not der SPD will er aus der Rentenkasse ein paar Stimmen kaufen", kritisierte der Freidemokrat. Dabei stehe das Rentensystem durch den demografischen Wandel bereits massiv unter Druck. "Es ist verantwortungslos, so zu tun, als könnte man da noch neue Leistungen draufsatteln", verdeutlichte Lindner.

Besser wäre es aus Sicht des Freidemokraten, die private Vorsorge zu stärken – vor allem das selbst genutzte Wohneigentum. "Private Vorsorge sollte nicht mehr wie jetzt voll auf die Grundsicherung angerechnet werden. Das wäre ein Anreiz, auch für Geringverdiener, und würde Altersarmut effektiv reduzieren", gab Lindner zu bedenken.

Insgesamt besorge ihn der Zustand der Regierung, so der FDP-Bundesvorsitzende weiter: "CSU-Chef Seehofer sagt, dass er vom Koalitionsgipfel nichts mehr erwartet. Wolfgang Schäuble nennt Gabriels Vorschläge erbarmungswürdig. Herr Gabriel nennt die Flüchtlingspolitik seiner Regierung chaotisch." Union und SPD regierten längst nicht mehr wirklich, sondern rannten lediglich ihren Versäumnissen hinterher, monierte Lindner. "Wenn es mit der Großen Koalition so weitergeht, wird aus der Regierungskrise bald eine Deutschlandkrise", warnte er.

Für mehr internationale Steuergerechtigkeit

Außerdem sprach Lindner über den Fall Jan Böhmermann, die Nullzinspolitik der EZB und die Steuerpolitik der Großen Koalition. Der FDP-Chef prangerte den Zustand an, dass global agierende Internetkonzerne wie Google und Facebook Steuerschlupflöcher strategisch ausnutzen können. "Es wäre Aufgabe der europäischen Politik und der G-20-Staaten, dass Unternehmen dort Steuern zahlen, wo sie die Infrastruktur nutzen und ihre Gewinne erwirtschaften", forderte er.

Lesen Sie hier das gesamte Interview.

Herr Lindner, hat die Bundesregierung im Fall Böhmermann korrekt gehandelt?

Nein, die Bundeskanzlerin hat durch ihre Äußerungen erst daraus ein politisches Thema gemacht. Dabei wäre das ein Fall für die unabhängige Justiz. Der Weg des Rechtsstaats steht in Deutschland auch türkischen Präsidenten offen, die in ihrer Heimat den Rechtsstaat untergraben. Herr Erdogan kann sich nach deutschem Recht dagegen wehren, wenn er sich beleidigt fühlt, oder aber an den ZDF-Fernsehrat wenden. Es ist keine Angelegenheit der Bundesregierung.

Was dann?

Es ist eine Peinlichkeit der Bundesregierung und von Angela Merkel. Aber in Wahrheit erleben wir doch gerade, dass die Bundesregierung in diesen Fragen nicht frei und unabhängig entscheiden kann. Frau Merkel hat bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise Deutschland von der Türkei abhängig gemacht. Erst hat Herr Erdogan Milliarden und Zugeständnisse zum EU-Beitritt seines Landes regelrecht erpresst, jetzt will er der Bundesregierung die Lesart unserer Grundrechte vorgeben. Ich halte diese Abhängigkeit von der Laune eines autoritären Regenten wie Erdogan für brandgefährlich.

Ist Böhmermann Kunst?

Über Kunst und Geschmack lässt sich streiten. Die Freiheit von Presse und Meinung sind in Deutschland besonders geschützt, aber auch sie sind nicht grenzenlos. Genau diese Grenzfindung ist Aufgabe der Justiz. Der Paragraf des Strafgesetzbuchs zur Beleidigung ausländischer Staatsoberhäupter scheint mir aber aus einer anderen Zeit zu sein. Ihn sollte man ersatzlos streichen. Wie alle Bürger soll sich Herr Erdogan an Gerichte und nicht die Regierung wenden. Umso bedauerlicher, dass die Bundesregierung selbst regelrecht eine Staatsaffäre aus dem Gedicht gemacht hat. Wir leiden schon genug unter vorauseilendem Gehorsam wie beim Verbot sexualisierter Werbung durch SPD-Justizminister Heiko Maas. Das Argument von Herrn Maas, um Männer nicht zu reizen, müssten sich Frauen verhüllen, kennt man ja eher von radikalen islamischen Religionsgelehrten, aber nicht einem deutschen Justizminister.

Amerikanische Pensionsfonds sind zuverlässiger als Andrea Nahles

In der Bevölkerung brodelt es längst wegen der Berliner Regierungs-"Kunst". Nun plant die große Koalition, mehr Geld für die Rente auszugeben. Ist das gerecht?

Das Rentensystem steht durch den demografischen Wandel bereits massiv unter Druck. Es ist verantwortungslos, so zu tun, als könnte man da noch neue Leistungen draufsatteln. Besser wäre es, die private Vorsorge zu stärken – vor allem das selbst genutzte Wohneigentum. Wir haben in den letzten Jahrzehnten doch gesehen, dass Rentner und Beitragszahler der gesetzlichen Rentenkasse ständig unter der Absenkung von Leistungen leiden mussten. So könnte ein privates Unternehmen niemals mit seinen Kunden umgehen. Amerikanische Pensionsfonds sind zuverlässiger als Andrea Nahles.

Altersarmut ist doch ein wachsendes Problem?

In einer alternden Gesellschaft kommen immer mehr Rentner auf weniger Beitragszahler. Altersarmut ist nicht nur ein Problem für die heute betagte Generation. Sondern gerade die heute Dreißig bis Vierzigjährigen sind besonders belastet. Sie bezahlen höhere Beiträge in die Rentenkasse, haben aber zu wenig Spielraum für eine eigene ergänzende private Vorsorge. Private Vorsorge sollte auch nicht mehr wie jetzt voll auf die Grundsicherung angerechnet werden. Das wäre ein Anreiz, auch für Geringverdiener, und würde Altersarmut effektiv reduzieren. Die massiven Leistungsausweitungen der Rentenkasse der letzten Jahre haben die gesamte Situation drastisch verschärft. Die Mütterrente und die Rente mit 63 kosten bis zum Jahr 2030 rund 230 Milliarden Euro. Union und SPD spendieren teure Wahlversprechen, ohne zu sagen, wie das jemals geschultert werden soll.

Sind Rentenerhöhungen gegen Abstiegsängste das richtige Rezept?

Sigmar Gabriel sagt ja sehr offen, dass er die Rente zum Wahlkampfthema machen will. Gegen die Not der SPD will er aus der Rentenkasse ein paar Stimmen kaufen. Und die Union hat ja mit Unterzeichnung des Koalitionsvertrags leider jeglichen ökonomischen Sachverstand abgelegt. Mich besorgt der Zustand der Regierung. CSU-Chef Seehofer sagt, dass er vom Koalitionsgipfel nichts mehr erwartet. Wolfgang Schäuble nennt Gabriels Vorschläge erbarmungswürdig. Herr Gabriel nennt die Flüchtlingspolitik seiner Regierung chaotisch. Die Regierung regiert ja längst nicht mehr wirklich, sondern rennt ihren Versäumnissen hinterher. Wenn es mit der großen Koalition so weitergeht, wird aus der Regierungskrise bald eine Deutschlandkrise.

Wer zahlt – wieder die Mittelschicht?

...und vor allem die jüngere Generation. Denn finanziert wird auf Pump, abgerechnet wird später. Neue Schulden und neue Staatsaufgaben heute sind morgen höhere Steuern und Beiträge.

Würden sie sich in dieser Deutschlandkrise wünschen, dass Joachim Gauck Bundespräsident bleibt?

Ich würde es sehr begrüßen, wenn Joachim Gauck 2017 wieder als Bundespräsident antritt. Die FDP unterstützt eine zweite Amtsperiode. Viele Bürger und auch ich wären dankbar, wenn er die Aufgabe in seiner Lebensphase noch einmal auf sich nähme. Kontinuität an der Spitze wäre in der sensiblen Phase unserer Gesellschaft von großem Vorteil.

War Gauck für Sie ein Anwalt für Freiheit und Andersdenkende?

Er ist ein freier Demokrat und unabhängiger Kopf. Er spricht Defizite bei Demokratie, Menschenrechten und Pressefreiheit im Ausland kritisch an. Auch in der deutschen Innenpolitik hat er Weckrufe gesetzt. Er ist ein Botschafter der Freiheit in einem Land, in dem viele Gleichheit gerne vor Freiheit setzen würden.

Umverteilungspolitik beenden

Europas Geldpolitik beschneidet gerade die Freiheit der Bürger. Ist die Nullzins-Politik von EZB-Chef Mario Draghi ein Angriff auf deutsche Tugenden wie das Sparen?

Ja, denn es ist die größte Umverteilung der Geschichte zwischen Staat und privaten Sparern. Die Sparer bekommen kaum Zinsen für Guthaben, der Staat zahlt kaum Zinsen für seine Schulden. Große Vermögen aber berührt das kaum: Kunst, Oldtimer und Immobilien steigen durch den Niedrigzins. Finanzminister Schäuble spart bei den Zinsen rund 15 Milliarden Euro ein. Schäuble muss wenigstens den Zinsvorteil an die Bürger zurückgeben, indem er auf den Solidaritätszuschlag verzichtet. Denn der macht jährlich genau die 15 Milliarden Euro Zinsvorteil des Staates aus. Helmut Kohl und die gesamte deutsche Politik hatten versprochen, dass der Soli mit Ende des Solidarpakts 2019 ausläuft. Die Politik muss Wort halten! Es kann doch nicht sein, dass der Staat sich auf Kosten der Mittelschicht saniert.

Wie findet es die Mittelschicht, wenn Superreiche nach Panama flüchten?

Niemand kann das dem Handwerksmeister aus dem Sauerland, der ehrlich seine Steuern zahlt, erklären.

Warum gilt die Steuerpflicht nicht für globale Internet-Konzerne?

Eine große Ungerechtigkeit! Es wäre Aufgabe der europäischen Politik und der G-20-Staaten, dass Unternehmen dort Steuern zahlen, wo sie die Infrastruktur nutzen und ihre Gewinne erwirtschaften.

Focus titelte mit einem Digital- und Disruptions-Thema, nämlich der Faszination Tesla und der Frage: Was wird aus dem deutschen Auto? Herr Lindner, wie wird die digitale Revolution die Autoindustrie treffen?

Die Disruption bei der Autoindustrie sehe ich beim autonomen Fahren und nicht beim Antrieb. Ich könnte meinen Beruf in einem Auto mit 350 Kilometer Reichweite gar nicht ausüben. Wir fahren teilweise 1000 Kilometer an einem Tag. Wann soll ich das Auto aufladen? Der Autofahrer steht in Zukunft vor folgender Frage: Kaufe ich weiter meine Stammmarke mit gewohntem Ledergeruch aus Deutschland oder ein Auto aus Kalifornien, das mich nach zwei Glas Wein autonom nach Hause fährt? Die Software macht künftig den Unterschied. Hier muss Deutschland in Führung bleiben.

Was muss der Staat dafür tun?

Digitalisierung wird für die deutsche Industrie zum Gewinnerthema, wenn der Staat bessere Voraussetzungen dafür schafft. Neue Märkte können wir nur durch eine digitale Infrastruktur auf Champions-League-Niveau erreichen. Wir liegen gegenwärtig im Bereich von Rumänien – Platz 20 im OECD-Bereich. Wir brauchen eine viel bessere digitale Infrastruktur, nicht nur monopolistische Kupferkabel von der Deutschen Telekom. Monopole sind falsch, Wissen und Erfindungen entstehen durch Freiheit. Davon haben wir zu wenig.

Wie wird Deutschland digital besser?

Ein Ansatz wäre, das Altersvorsorgevermögen von zwei Billionen Euro zu mobilisieren. Das sind Lebensversicherungen und Versorgungswerke, die überwiegend nur in Beton und Staatsanleihen anlegen dürfen. Der Bund sollte ihnen gestatten, bis zu drei Prozent der verwalteten Altersvermögen in Infrastruktur zu investieren oder sich an innovativen Unternehmen zu beteiligen – wie in den USA. Doppelter Nutzen: Investitionsschub plus sichere Altersvorsorge.

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