29.02.2016FDPFDP

RÜLKE-Interview: Dann bleibe ich lieber in der Opposition

Berlin. Der FDP-Spitzenkandidat für die Landtagswahl Baden-Württemberg DR. HANS-ULRICH RÜLKE gab dem „Badischen Tageblatt“ (Montag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte VOLKER NEUWALD:

Frage: Herr Rülke, der Wahlkampf geht in den Endspurt. Es gibt eine starke Polarisierung, aber auch viele Wählerinnen und Wähler, die noch nicht wissen, wo sie ihr Kreuzchen setzen sollen. Wie will die FDP diese Unentschlossenen überzeugen?

RÜLKE: Mit unseren Inhalten. Wir machen vor allem beim Flüchtlingsthema deutlich, dass wir eine differenzierte Position haben zwischen der naiven Einladungspolitik der Bundeskanzlerin und den dumpfen Parolen der Rechtsradikalen. Wir wollen jene schützen, die schutzbedürftig sind. Wir wollen diejenigen integrieren, die eine gute Bleibeperspektive haben und die wir für unseren Arbeitsmarkt gebrauchen können. Wir wollen aber die zurückweisen, die ohne Bleibeperspektive zu uns kommen. Wir sind der Meinung, dass die Kanzlerin mit falschen Signalen und mit der Aussetzung des Dublin-III-Abkommens eine nicht mehr beherrschbare Flüchtlingsflut ausgelöst und mit ihren Alleingängen die europäischen Partner verprellt hat. Interview

Frage: Sie sprechen von einer „nicht mehr beherrschbaren Flüchtlingsflut“. Ist diese Wortwahl angemessen gegenüber Schutzsuchenden, die aus Syrien nach Europa fliehen?

RÜLKE: Die FDP will Menschen Schutz bieten, die auch schutzbedürftig sind. Wenn sie zum Beispiel aus Syrien kommen, wollen wir sie zumindest vorübergehend unter besonderen Schutz stellen. Das hat unsere Partei schon im November 2015 vorgeschlagen, mittlerweile steht es im Asylpaket II. Dieser vorübergehende Schutz beinhaltet, dass ein Flüchtling wieder zurückkehrt, wenn der Fluchtgrund entfallen ist. Und er ermöglicht auch, den Familiennachzug zu begrenzen. Das ist notwendig, damit die Zahlen nicht aus allen Fugen geraten. Aber wir wollen nicht jene aufnehmen, die keinen Schutzstatus haben, zum Beispiel aus den nordafrikanischen Maghreb-Staaten. Und deshalb ist es auch notwendig, dass der Ministerpräsident nicht hin und her wackelt, sondern klipp und klapp sagt, dass er im Bundesrat die Ausweisung der Maghreb-Staaten als sichere Herkunftsländer nicht blockiert.

Frage: Mit welchen anderen Themen will die FDP Wähler überzeugen?

RÜLKE: Mit der Bildungspolitik zum Beispiel. Wir sind für ein vielfältiges und differenziertes Schulsystem. Die Gemeinschaftsschule kann es ergänzen, sie kann es nicht ersetzen. Die Gemeinschaftsschule soll eine faire Chance bekommen, aber ohne die Privilegierung, die die jetzige Landesregierung ihr zuteilwerden lässt. Für uns ist es wichtig, dass auch das berufliche System erhalten bleibt. Dafür brauchen wir eine starke Realschule.

Frage: Wo liegen in der Wirtschaftspolitik die Schwerpunkte?

RÜLKE: Vor allem in der Entbürokratisierung. Wir müssen den Mittelstand entlasten und dürfen nicht immer neue Gesetze beschließen, die ihn belasten. Beispielsweise das Bildungszeitgesetz, das Grün-Rot umgesetzt hat. Die Wirtschaft braucht eine leistungsfähige Infrastruktur: Nicht nur Radwege, sondern Straßen und ein leistungsfähiges Breitband-Infrastrukturnetz.

Frage: Was schlägt die FDP im Bereich der inneren Sicherheit vor?

RÜLKE: Zunächst mal halte ich die Polizeireform, wie sie von Innenminister Gall umgesetzt wurde, für verfehlt. Wir brauchen eine Nachjustierung. Zwölf Polizeipräsidien sind zu wenig. Wir haben zwar gesagt, dass wir den Weg der Reduzierung mitgehen, aber nicht auf zwölf, sondern auf eine Größenordnung zwischen 16 und 22. Das wäre angemessen, um nicht solche Giganten zu schaffen wie in Karlsruhe: völlig unführbar mit 2500 Beamten. Gall hat selbst gesagt, 1400 bis 1500 sind die Obergrenze. Auch die Regionen sind zu groß. Der Landesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, Ralf Kusterer, hat dieser Tage sinngemäß gesagt, man habe einen gesunden Mann auf den Operationstisch gelegt und ein kranker Mann sei aufgestanden. So kann man die Polizeireform auf den Punkt bringen. Wenn ich in Reviere komme, erkenne ich nicht, dass die versprochenen zwei zusätzlichen Beamten ausgewiesen sind. Wenn ich die Revierleiter nach den Zweien frage, sagen die mir: Das müssen verdeckte Ermittler sein.

Frage: Herr Wolf fordert 1500 neue Personalstellen bei der Polizei. Was fordert die FDP?

RÜLKE: Die Sicherheitslage hat sich verändert. Die Polizei braucht zusätzliches Personal. Wir schlagen 1000 neue Stellen vor. Der Unterschied zur CDU ist: Wir sagen, wie wir die Stellen finanzieren wollen.

Frage: Und wie?

RÜLKE: Wir wollen bei den vier Regierungspräsidien Stellen abbauen. Das hatten wir bereits mit den Regierungspräsidenten vor Ende der vergangenen Legislaturperiode vereinbart. Das Integrationsministerium ist überflüssig. Man sieht das bei der Flüchtlingskrise: Das Management wurde vom Staatsministerium übernommen. Und Verkehrsminister Hermann hat in seinem Ressort eine neue Abteilung aufgebaut, im Grunde eine Abteilung „Verhinderung von Verkehrsprojekten“. Das sind im Wesentlichen Parkschützer, die er dort beschäftigt, als Lohn für ihren Einsatz gegen „Stuttgart 21“. Wir reden hier über eine Größenordnung von rund 100 Stellen. Der schrittweise Abbau all dieser Stellen und der parallele Aufbau neuer Stellen bei der Polizei ist ein Projekt für die gesamte Legislaturperiode 2016 bis 2021.

Frage: Ist noch mit der Veröffentlichung der Kriminalitätsstatistik 2015 vor der Wahl zu rechnen?

RÜLKE: Offenbar nicht. Der Minister hat das herausgezogen, was ihm passt. Das war die Wohnungseinbruchsstatistik. Die guten Zahlen lässt er vor der Wahl veröffentlichen, die ungünstigen danach. Das ist ein durchschaubarer Rosstäuscher-Trick, den Herr Gall da angewandt hat.

Frage: Wie dramatisch ist die Sicherheitslage im Südwesten?

RÜLKE: Sie ist nicht so dramatisch, dass man Alarm rufen müsste. Aber sie entwickelt sich so, dass man reagieren muss. Im Übrigen wollen wir keine Kennzeichnungspflicht für Polizisten. Das ist eine Misstrauensbekundung gegenüber den Beamten. Sie brauchen Unterstützung und neue Technik, wie Body-Cams zum Beispiel. Das unterstützen wir.

Frage: In einem Online-Kommentar war dieser Tage zu lesen: „Die FDP tritt für die Freiheit ein. Das ist gut. Allerdings kommen die Themen Soziales und Umwelt bei ihr praktisch nicht vor. Da Soziales und Umwelt allerdings absolute Kernthemen für eine gute Zukunft sind, ist die FDP eben für sehr viele keine Alternative.“ Was antworten Sie?

RÜLKE: Das stimmt nicht. Wir haben ein Wahlprogramm mit einem großen Sozialteil. Auch unsere Wahlprüfsteine haben ein Sozialkapitel.

Frage: Können Sie konkreter werden?

RÜLKE: Auf Landesebene geht es zum Beispiel um die Krankenhauspolitik. Es ist aus meiner Sicht notwendig, dass wir uns auf jene Standorte konzentrieren, die zukunftsfähig sind. Die im aktuellen Haushalt für die Krankenhausförderung bereitgestellten Mittel von 360 Millionen Euro sollten dort konzentriert werden. Auf der anderen Seite sollte es mehr Gesundheitszentren, eine Spezialisierung und die Konzentration auf Fachabteilungen geben. Man muss jedoch wegkommen von der Illusion, man könne jedes Krankenhaus im ländlichen Raum als Krankenhaus der Maximalversorgung erhalten.

Frage: Und wie hält es die FDP mit der Umweltpolitik?

RÜLKE: In der Umweltpolitik dreht sich im Kern eigentlich alles um die Energiewende. Ich bin für eine vernünftige Energiewende. Das bedeutet nicht, dass man in Baden-Württemberg massenweise Windräder dort aufstellt, wo kein Wind weht. Wir müssen uns um Backup-Kapazitäten kümmern. Wenn wir keine Kernkraftwerke wollen und keine Kohlekraftwerke, dann müssen wir hocheffektive und hochflexible Gaskraftwerke bauen. Das geht mit dem derzeitigen Erneuerbare-Energien-Gesetz nicht. Das EEG muss radikal reformiert werden, eigentlich muss es ganz verschwinden.

Frage: Am Nationalpark im Schwarzwald haben Sie sich in den vergangenen Jahren abgearbeitet. Wollen Sie das Schutzgebiet abschaffen oder weiterentwickeln?

RÜLKE: Der Nationalpark ist eine Tatsache. Wir wollen ihn nicht rückabwickeln, sondern weiterentwickeln. Insgesamt sollte die Fläche reduziert werden. Auch die fast 100 Personalstellen halte ich für maßlos überzogen. Vor allem sollten wir aber wieder in den Dialog mit den Bürgern vor Ort eintreten. Artenschutz funktioniert in Bannwäldern besser. Dort kann man flexibel reagieren. Zum Beispiel bei Orkanschäden. Ich bezweifle, dass das Borkenkäfermanagement funktioniert, wenn der nächste Orkan über das Land gefegt ist.

Frage: Werfen wir einen Blick in die Glaskugel. Wie wird die Wahl am 13. März ausgehen?

RÜLKE: Reinhold Maier (FDP, erster Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Anm. d. Red.) hat gesagt: Eine Sau kann man schätzen, eine Wahl nicht. Ich bin zuversichtlich, dass die FDP ein gutes Ergebnis einfahren wird. Das deckt sich mit der Stimmung in den Wahlkreisen.

Frage: Mit welcher Koalition rechnen Sie nach der Wahl?

RÜLKE: Ich gehe davon aus, dass eine schwarz-rot-goldene Koalition eine Mehrheit haben kann. Ein solches Bündnis ist rechnerisch und politisch möglich. Bei der SPD gibt es keine unüberwindbaren Hindernisse.

Frage: Die SPD will ihre Mitglieder nach der Wahl befragen, welcher Koalition sie beitreten soll.

RÜLKE: Eine solche Befragung kann ich mir bei uns auch sehr gut vorstellen.

Frage: Wären Sie auch bereit, Ihre Mitglieder über eine Ampel abstimmen zu lassen oder schließen Sie eine solche Konstellation kategorisch aus?

RÜLKE: Ich schließe eine Ampel aus, das kommt für uns nicht infrage. Entscheidend ist, was beim FDP-Parteitag beschlossen wurde. Ich glaube auch nicht, dass wir die Mitglieder vor Koalitionsverhandlungen befragen sollten. Es ist ja sinnvoll, erst Verhandlungen zu führen und die Mitglieder dann über die Ergebnisse abstimmen zu lassen. Wie gesagt: Vieles hängt von der SPD ab.

Frage: Aber die FDP hat es doch auch in der Hand! Derzeit stellt die Partei weder im Bund noch in den Ländern einen Minister. Sie könnten Wirtschaftsminister werden, wenn Sie mit Grünen und SPD koalieren. Wäre das nicht ein starkes Signal für Berlin und die Bundestagswahl 2017?

RÜLKE: Man hat in den vergangenen Jahren über mich gesagt, dass ich der eigentliche Oppositionsführer im Stuttgarter Landtag gewesen sei. Deshalb kann ich mir eine Zusammenarbeit mit den beiden Parteien in einer Regierung nur vorstellen, wenn beide zu einem Politikwechsel bereit sind. Der Ministerpräsident hat aber deutlich gemacht, dass ein Politikwechsel für ihn ein zu hoher Preis wäre. Ich bin nicht bereit, meine Glaubwürdigkeit und meine Überzeugungen für einen Ministerposten einzutauschen. Dann bleibe ich lieber in der Opposition.

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