RÜLKE-Interview: Das ist kein Ruhmesblatt
Das FDP-Präsidiumsmitglied und Sprecher der FDP-Fraktionsvorsitzendenkonferenz Hans-Ulrich Rülke gab der „Stuttgarter Zeitung“ (Dienstag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellten Christoph Link und Rainer Pörtner.
Frage: Herr Rülke, Sie behaupten seit einiger Zeit, die grün-schwarze Koalition stehe vor dem Aus. Was macht Sie da so sicher?
Rülke: Ich sage nicht, sie steht vor dem Aus. Diese Koalition hat allerdings so viele innere Probleme, dass sie jederzeit zerbrechen kann. Vergleichsweise harmlose Themen wie das Wahlrecht führen dieses Bündnis bereits an den Rand des Abgrunds, selbst bei drängenden Themen wie dem Baurecht brauchen sie Ewigkeiten für eine Verständigung.
Frage: Bisher haben sich Grüne und CDU trotz ihrer Beziehungskrisen immer wieder zusammengerissen…
Rülke: Das ist wohl wahr. Ich kann deshalb auch nicht ausschließen, dass die CDU weitere zweieinhalb Jahre im Schatten der Grünen dahinvegetiert.
Frage: Der CDU-Vorsitzende Thomas Strobl scheint bisher keine große Lust auf eine Koalition mit FDP und SPD zu haben, für die Sie seit einiger Zeit werben. Ist diese Deutschland-Koalition mehr als ein Hirngespinst?
Rülke: Wenn die grün-schwarze Koalition scheitert, ist die FDP jedenfalls bereit über eine andere Konstellation zu verhandeln. Ob Herr Strobl dann noch eine wichtige Rolle spielt, wird sich zeigen.
Frage: Gegen keinen anderen Politiker schießen Sie so hart wie gegen Herrn Strobl. Macht der mehr falsch als Herr Kretschmann?
Rülke: Ja, eindeutig. Kretschmann ist der Landespolitik weit entrückt, er redet eigentlich am liebsten über die Philosophin Hannah Arendt und über Insekten. Was schiefläuft in der Tagespolitik, das wird an den Fachministern festgemacht. Und da ist Herr Strobl der Minister, der am meisten falsch macht. Als Innenminister ist er dafür verantwortlich, dass die Stimmung in der Polizei so schlecht ist wie noch nie. Als Digitalminister verantwortet er Desaster wie bei der Bildungsplattform „Ella“. Und als Stellvertretender Ministerpräsident wird er ständig von den Grünen über den Tisch gezogen – siehe Fahrverbote für Stuttgart.
Frage: Das Kernthema des Innenministers ist allerdings zurzeit die Flüchtlingspolitik. Sind Sie wenigstens da zufrieden?
Rülke: Das wäre ich gerne, kann es aber nicht sein. Nehmen Sie das Beispiel Abschiebungen. Nicht einmal vierzig Prozent der Abschiebungen, die eigentlich von Baden-Württemberg durchgeführt werden müssten, gelingen. Das ist kein Ruhmesblatt.
Frage: Zeigt der Fall des Tunesiers Sami A. nicht eindrücklich, wie schwierig Abschiebungen sind? Er wurde unter äußerst fragwürdigen Umständen aus Deutschland abgeschoben.
Rülke: Natürlich geht es bei Abschiebungen auch um Bundesrecht, hier müssen wir dringend nachsteuern. Herr Strobl ist ständig in Berlin und als CDU-Vize ganz nah dran an der Kanzlerin – da könnte er sich ja mal einsetzen. Die Zahl der sicheren Herkunftsländer sollte weiter erhöht werden. Wir brauchen eindeutige Rechtsgrundlagen für Abschiebungen: es kann nicht weiter so sein, dass das eine Verwaltungsgericht Ja zu einer Abschiebung nach Tunesien sagt und das andere Nein. Und wir müssen unterbinden, dass sich Menschen der Abschiebung ganz einfach dadurch entziehen, dass sie nachts in der Landeserstaufnahmestelle auf einer anderen Matratze schlafen und für die Polizei nicht auffindbar sind.
Frage: Das Kultusministerium hat gerade mitgeteilt, dass in den Schulen des Landes in großem Umfang Unterricht ausfällt oder durch Ersatzlehrer gemacht wird. An Gymnasien ist das jede zehnte Unterrichtsstunde, in der kein ordentlicher Unterricht stattfindet. Ist das hinnehmbar?
Rülke: Das ist für ein so reiches Land wie Baden-Württemberg inakzeptabel – insbesondere die Lage an den Gymnasien. Hier haben wir gleichzeitig den größten Unterrichtsausfall und ein gewolltes Abweisen von Lehramtskandidaten. In der Fächerkombination Deutsch und Englisch sowie Deutsch und Geschichte sind die Aussichten von gut ausgebildeten Referendaren so schlecht wie in den 80er Jahren. Da werden Lehramtsabsolventen mit Note 1,2 abgewiesen, weil es heißt, wir brauchen die nicht.
Frage: Vielleicht, weil das Land nicht noch mehr Geld ausgeben will…
Rülke: Dann sollte es Geld an der richtigen Stelle ausgeben, nämlich hier. Kultusministerin Eisenmann muss sich gegen die Finanzministerin Sitzmann durchsetzen. Wir müssen mehr junge Gymnasiallehrer anstellen, die auf der Straße stehen oder in Grundschulen oder Gemeinschaftsschulen geparkt werden.
Frage: Die Landesregierung hat sich entschieden, zur Luftreinhaltung in Stuttgart ab 2019 Fahrverbote für ältere Diesel auszusprechen. Halten Sie solche Verbote noch für vermeidbar?
Rülke: Ja, selbst für Diesel der Euronorm vier und darunter. Die Landesregierung hätte schon früher viel schärfer gegen die Gerichtsurteile vorgehen müssen, um Zeit zu gewinnen. Jetzt verlangt das Stuttgarter Verwaltungsgericht ab 2019 sogar Fahrverbote für Diesel der Euronorm fünf. Wäre ich Verkehrsminister, würde ich dem nicht Folge leisten, sondern das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts in Leipzig hochhalten. Darin steht, dass Fahrverbote angemessen und verhältnismäßig sein müssen. Das sind diese nicht. Ich würde mit dem Verwaltungsgericht streiten und gegebenenfalls gegen ein Zwangsgeld in der höheren Instanz in Beschwerde gehen.
Frage: Sie setzen also auf Zeitgewinn, auf Aussitzen?
Rülke: Die Luft wird doch Monat um Monat besser. Selbst der Ministerpräsident hat vergangene Woche im Landtag erklärt, die Werte seien noch zu hoch, wir werden es aber schaffen. Dann aber ist es zumutbar, noch etwas Zeit ins Land gehen zu lassen, um Verbote zu vermeiden. Den ganzen Unsinn dieser Verbote kann man schon daran erkennen, dass ganz alte Diesel, die eine schwarze Rußwolke hinter sich herziehen, weiterhin fahren dürfen, wenn sie ein Oldtimer-Kennzeichen haben.
Frage: Geht es nach Herrn Kretschmann, dann sollen Aufkleber hinter der Windschutzscheibe des Autos der Polizei bei der Kontrolle helfen, wer in die Stadt darf und wer nicht. Kann das funktionieren?
Rülke: Als er auf diese Idee kam, hat Herr Kretschmann offensichtlich schlecht geträumt. Bundesverkehrsminister Scheuer hat immer gesagt, er wolle die Blaue Plakette nicht. Jetzt hat sie Kretschmann doch angekündigt, er will sie nur anders nennen. Diese Ankündigung war reine Fake News, Scheuer hat dem schon widersprochen.
Frage: Kann ein Fahrverbot überhaupt kontrolliert werden?
Rülke: Nein, das ist ja das Problem. Man schafft eine Situation, die gar nicht beherrschbar ist. Die Polizei müsste jedes Auto anhalten und in die Fahrzeugpapiere schauen. Das brächte Staus bis Esslingen, Tübingen und Heilbronn – ein Irrsinn.