30.09.2012FDP, FDP-FraktionEuropapolitik

RÖSLER-Grundsatzbeitrag für das FDP-Mitgliedermagazin "elde"

Berlin. Der FDP-Bundesvorsitzende DR. PHILIPP RÖSLER schrieb für das aktuelle FDP-Mitgliedermagazin "elde" den folgenden Gastbeitrag:

Wir bauen auf Vertrauen
Die Liberale Europapolitik

Der Beginn der europäischen Staatsschuldenkrise lässt sich exakt datieren: Es war der 12. Oktober 2003, als der französische Präsident Jacques Chirac und Bundeskanzler Gerhard Schröder bei einem Abendessen im Elysee-Palast die Aufweichung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes vereinbarten. Der Elysee-Beschluss wurde dann von Schröder in Deutschland und Europa mit Brachialgewalt durchgesetzt. Das Stabilitätsversprechen von Maastricht wurde kassiert, damit die Schuldenspirale sich ungebremst weiter drehen konnte. Und gleichzeitig verfehlte die EU spektakulär das im Jahr 2000 selbst gesteckte Ziel, der wettbewerbsfähigste und dynamischste Wirtschaftsraum der Welt zu werden.

Die Schuldenkrise von heute ist die Folge dieses jahrelangen politischen Versagens. Europa hat, im wahrsten Sinne des Wortes, seinen Kredit an den Finanzmärkten verspielt. Der jahrelange fortgesetzte Wortbruch, die offenbare Unfähigkeit Europas zu sparen und sich zu reformieren hat das Vertrauen erschüttert, dass wir Europäer es schaffen können.

Damit Europa aus der selbst verschuldeten Wachstums- und Schuldenkrise heraus findet, müssen wir unsere eigenen Fehler korrigieren und die tieferen Ursachen bekämpfen.

Fehler der Vergangenheit heilen

Kurz- und mittelfristig bedeutet dies vor allen Dingen: starkes Wachstum, weniger Schulden und vor allem mehr Verlässlichkeit der europäischen Politik. Die Aufweichungspolitik der Vergangenheit muss dauerhaft durch eine Politik der Stabilität und Verlässlichkeit abgelöst werden.

Europa kann die gegenwärtige Krise nur durch die Mittel der Politik lösen, nicht durch dauerhafte Spekulation gegen die Märkte. Wir haben deshalb in der Bundesregierung stets darauf hingewiesen, dass die so genannten Rettungsschirme nicht das Mittel zur Lösung der Krise sind. Wir haben uns mit diesen Maßnahmen nur Zeit erkauft.

Und Europa braucht Zeit für eine nachholende politische und wirtschaftliche Integration. Diesem Zweck dienen die haushalts- und wirtschaftspolitischen Vereinbarungen des Euro-Plus-Paktes und des so genannten Six Packs. Und diesem Zweck dienen auch die Regeln der Rettungsschirme, die Solidarität der europäischen Partner mit klaren Reformzielen verknüpfen.

Unser Weg zeigt erste Erfolge. Portugal und Irland sind auf dem Weg zu mehr Wettbewerbsfähigkeit und stabilen Finanzen bereits weit vorangekommen. Und Spanien und Italien unternehmen überzeugende Anstrengungen, um ihre Haushalte in den Griff zu bekommen. Diesen Weg müssen wir, gemeinsam mit unseren Freunden in Europa, weiter gehen.

Wir sind bereit, mehr zu tun

Wir Liberalen sind dabei jederzeit bereit, in dem durch das Grundgesetz gesteckten Rahmen mehr für Europa zu tun. Denn für uns hat Europa nicht nur einen Preis, sondern vor allem auch einen Wert.

Der Gedanke, "als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen", hat das Grundgesetz und hat die deutsche Politik seit Jahrzehnten geprägt. Nicht zuletzt die FDP von Theodor Heuss, Thomas Dehler, Walter Scheel und Hans-Dietrich Genscher hat in diesem Sinne Deutschland und Europa mitgestaltet. Das ist liberale Tradition und liberale Verantwortung auch in der Gegenwart. Gerade im europäischen Geist unserer Verfassung gibt es daher einen Auftrag für uns Liberale, alles in unserer Macht Stehende zu tun, um die Krise zu überwinden.

Doch das bedeutet nicht, alles Beliebige zu tun. Jeder weitere Integrationsschritt, jede weitere Diskussion über eine stärkere Einbeziehung Deutschlands muss auch begleitet sein von der Frage, wie wir Verlässlichkeit schaffen und Europa wieder auf den Weg von Maastricht zurück führen.

Gemeinsamkeiten erhalten und stärken

Mehr zu tun für Europa, die Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern, die Haushaltskonsolidierung voran zu treiben, unsere Währung zu stabilisieren - das ist die Notwendigkeit der Gegenwart. Darüber dürfen wir jedoch nicht vergessen: Europa ist mehr als der Euro. Europa ist gegründet auf gemeinsamen Werten und Überzeugungen. Und diese Gemeinsamkeit ist heute ebenso in Gefahr wie unsere Währung.

Das stellt unsere Europapolitik vor eine besondere Herausforderung. Wir müssen einerseits das Notwendige tun, um Stabilität, Wachstum und Verlässlichkeit nach Europa zurück zu bringen. Und andererseits dürfen wir nicht aus dem Blick verlieren, alles uns Mögliche zu tun, um trotz dieser unvermeidbaren Spannungen die Gemeinsamkeit Europas zu erhalten und zu stärken. Und bei allen unübersehbaren Schwierigkeiten: Die Krise bedeutet auch eine Chance, um die Prioritäten Europas neu zu ordnen.

Globalisierung erfordert neue Prioritäten

Kritiker Europas haben es in der Krise heute einfacher denn je. Die EU dafür zu kritisieren, dass sie sich überall in Dinge einmische, die vor Ort besser geregelt wären, gehört inzwischen beinahe zur politischen Folklore. Und es ist in der Tat auch nicht zu bestreiten, dass die europäische Bürokratie zahlreiche - sehr kritikwürdige - Blüten treibt. Das Prinzip der Subsidiarität, dass Aufgaben nur dann von der nächsten Ebene übernommen werden, wenn diese auf der darunter liegenden Ebene nicht bewältigt werden können, wird von der EU nur allzu oft gering geschätzt.

Allerdings gilt eben auch, dass immer noch zahlreiche Aufgaben durch die Nationalstaaten wahrgenommen werden, die im Zeitalter der Globalisierung von diesen eigentlich nicht mehr alleine bewältigt werden können. Das gilt erkennbar für die Außen- und Sicherheitspolitik. Das gilt in Zeiten globalisierter Finanzmärkte aber auch in besonderer Weise für die Finanzmarktregulierung.

Die Schuldenkrise Europas ist nun die Chance und Herausforderung, Werte und Gemeinsamkeiten der Völker Europas neu zu bestimmen und die Prioritäten Europas neu zu ordnen. Europa muss dort stärker werden, wo die Nationalstaaten schwach sind - und sich dabei gleichzeitig stärker demokratisieren. Und Europa muss sich dort kleiner machen, wo die Mitgliedsländer, wo Regionen, Städte, Kommunen oder Bürger ihre Probleme selbst besser lösen können.

Wir Liberalen wollen den europäischen Bundesstaat, so haben wir es auch in unserem neuen Grundsatzprogramm, den Karlsruher Freiheitsthesen, festgeschrieben. Wir wollen, dass Europa den Weg der Vertiefung weitergeht, hin zu einer echten Gemeinschaft. Aber Schritt für Schritt! Zuerst gilt es, das gemeinsame Wertefundament weiter zu stärken und zu festigen. Indem wir zum Beispiel aus dem Nukleus des Fiskalvertrages und des Euro-Plus-Paktes eine echte Fiskal- und Wirtschaftsverfassung entwickeln. Und so wollen wir, Schritt für Schritt, auch in anderen Bereichen voran gehen: Für ein föderales und freies Europa der Demokratie und Rechtsstaatlichkeit.

Für ein Europa der Regeln und Werte

Es ist und bleibt deshalb die Schlüsselaufgabe unserer Europapolitik: Neues Vertrauen in Europa zu schaffen. Ohne neues Vertrauen werden wir weder die Schuldenkrise überwinden noch Europa auf Dauer neu gestalten können. Für die Zukunft Europas ist es deshalb unabdingbar, dass wir in Europa beweisen, dass Regeln, dass Verträge und Vereinbarungen am Ende auch eingehalten werden.

Wir sagen in aller Deutlichkeit: Wir wollen mehr Europa. Wir sind bereit, mehr zu tun. Wir werden niemanden im Stich lassen. Aber das muss auch für alle anderen Mitgliedstaaten gelten: Kein Mitgliedsland darf die Gemeinschaft im Stich lassen. Und fortgesetzter Wortbruch darf nicht ohne Folgen bleiben. Das verlangt Konsequenz und im Zweifel auch schwierige und schmerzhafte Entscheidungen. Doch es ist und bleibt notwendig.

Der Bruch des Vertrags von Maastricht durch Schröder und Chirac hat am Ende ganz Europa in Mitleidenschaft gezogen. Europa aus diesem Tief heraus zu führen, das kann nur gelingen, wenn wir mit dieser Aufweichungspolitik dauerhaft brechen und Regeln, Werte, Verlässlichkeit wieder zum Maßstab unseres Handelns machen.

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