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Referendum darf nicht zum Neverendum werden

Alexander Graf LambsdorffAlexander Graf Lambsdorff spricht über die nächsten Schritte für UK und EU nach dem Brexit-Votum
30.06.2016

Die politische Führung Großbritanniens ist nach dem Brexit-Votum in Deckung gegangen. "Aus dem Referendum darf kein Neverendum werden", mahnte Alexander Graf Lambsdorff mit Blick auf die politische Paralyse der Briten. Spätestens bis zur Europawahl 2019 müsse Großbritannien auch formell die EU verlassen haben, sagte der Vizepräsident des EU-Parlaments der "Passauer Neuen Presse". Eine weitere Europawahl auf der Insel sei nicht vorstellbar. Dennoch müsse es einen fairen Umgang mit den Briten bei den Verhandlungen geben. Mit Blick auf den jüngsten Terroranschlag in der Türkei plädierte Lambsdorff außerdem für eine Reform der europäischen Sicherheitsarchitektur.

Wichtig sei, dass bei den Brexit-Verhandlungen das Prinzip Fair Play greife, betonte der Freidemokrat. Großbritannien sollte letztendlich auch in Zukunft ein enger und verlässlicher Partner bleiben. "Die Briten haben sich für den Austritt aus der EU entscheiden, aber das Land bleibt in Europa. Inhaltlich wäre in Zukunft etwa eine Zollunion der Briten mit der EU vorstellbar, man kann auch über Assoziierungs- oder Freihandelsabkommen reden", erklärte er. Klar sei aber: Einen Rabatt in Form einer bevorzugten Behandlung könne Großbritannien nicht erwarten.

Lambsdorff verwies außerdem auf die Chancen für eine Weiterentwicklung europäischer Strukturen, die der Austritt Großbritanniens biete. So hätten die Briten verschiedene Reformvorhaben in der Vergangenheit massiv blockiert, gab er zu bedenken. "Die nationalen Behörden tun sich oft schwer, rechtzeitig Informationen an die zuständigen Stellen in anderen Ländern weiterzugeben. Deshalb brauchen wir ein europäisches Terrorabwehrzentrum mit eigenen Ermittlungskräften. Europol sollte zu einer Art europäischem FBI weiterentwickelt werden, das den internationalen Terrorismus effektiver bekämpfen kann", erläuterte er.

Lesen Sie hier das gesamte Interview.

Erneut trifft der Terror die Türkei: Selbstmordanschläge auf dem Istanbuler Flughafen fordern viele Opfer. Sind wir machtlos gegen solche Angriffe auf die Freiheit?

Dieser Anschlag ist erschütternd und unsere Gedanken sind bei den Opfern und ihren Familien in der Türkei. Natürlich gibt es keine hundertprozentige Sicherheit. Aber wir müssen unsere Sicherheitsarchitektur verbessern. Die nationalen Sicherheitsbehörden tun sich immer noch zu oft zu schwer, rechtzeitig Informationen an die zuständigen Stellen in anderen Ländern weiterzugeben. Deshalb brauchen wir ein gemeinschaftliches europäisches Terrorabwehrzentrum mit eigenen Ermittlungskräften. Europol sollte zu einer Art europäischem FBI weiter entwickelt werden, das den internationalen Terrorismus effektiver bekämpfen kann.

Kanzlerin Angela Merkel hält den Austritt der Briten aus der Europäischen Union für unumkehrbar. Gibt es keinen Rückzieher vom Brexit?

Wir müssen zwischen der rechtlichen und der politischen Dimension unterscheiden. Die Briten haben es rechtlich selbst in der Hand, wann sie ihr Ersuchen nach einem Ausscheiden aus der EU nach Artikel 50 des Vertrags über die Europäische Union stellen wollen. Politisch ist aber glasklar: Die Brexit-Befürworter auf der Insel hatten mehr als eine Million Stimmen mehr als die Gegner des Ausstiegs. Damit muss die Regierung auch den mehrheitlichen Willen des Volkes umsetzen. Ein solches demokratisches Votum kann man nicht einfach ignorieren oder es umkehren.

Unter den Briten wird der Ruf nach einem erneuten Referendum laut. Halten Sie das für denkbar?

Aus dem Referendum darf kein Neverendum werden. Man kann bei einer derart entscheidenden Grundsatzfrage die Bevölkerung nicht so lange abstimmen lassen, bis einem das Ergebnis auch passt. Natürlich kann man darüber streiten, ob das Referendum und eine so niedrige Hürde einer einfachen Mehrheit überhaupt sinnvoll waren. Jetzt haben wir aber ein Ergebnis und das ist zu akzeptieren.

Sollte es jetzt einen schnellen Austritt der Briten aus der EU geben, oder sollte man in Ruhe über die Konsequenzen des Referendums beraten und sich mit den Brexit-Verhandlungen Zeit lassen?

Der Streit über den Beginn der Verhandlungen mit den Briten ist völlig übertrieben. Entscheidend für Zeitplan und Verfahren ist doch nur eines: Bis zur Europawahl 2019 muss Großbritannien auch formell die Europäische Union verlassen haben. Es ist nicht vorstellbar, dass auf der Insel noch einmal eine Europawahl stattfinden wird. Ob man im Juli, im August oder im September 2016 mit den Verhandlungen beginnt, ist dafür nicht entscheidend. Wichtig ist, dass es bei den Verhandlungen Fair Play, einen fairen Umgang mit den Briten gibt. Großbritannien muss auch in Zukunft ein enger und verlässlicher Partner bleiben. Viele deutsche Unternehmen machen dort gute Geschäfte. Deutsche Studenten sind dort an den Unis. Es ist ein attraktiver Urlaubsort. Wir sind in der NATO Alliierte. Die Briten haben sich für den Austritt aus der EU entscheiden, aber das Land bleibt in Europa, die Entfernung zwischen Dover und Calais ist ja nicht größer geworden. Inhaltlich wäre in Zukunft etwa eine Zollunion der Briten mit der EU vorstellbar, man kann auch über Assoziierungs- oder Freihandelsabkommen reden. Es ist an den Briten, jetzt zu sagen, was sie sich vorstellen. Klar ist aber: Einen Rabatt, eine bevorzugte Behandlung kann Großbritannien nicht erwarten.

Droht jetzt ein Dominoeffekt und der Austritt auch anderer EU-Mitglieder?

Damit rechne ich nicht. Die meisten EU-Staaten, auch kritische, würden im Traum nicht daran denken, die Union zu verlassen.

Einmal mehr wird der Ruf nach Reformen laut: Wie muss das Europa der Zukunft gestaltet werden?

Der Austritt Großbritanniens bietet auch Chancen. Die müssen wir jetzt nutzen. Die Menschen erwarten mehr Sicherheit. Die Außengrenzen müssen besser geschützt werden. Europa braucht eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik. Die Briten haben manche Reform in der Vergangenheit massiv blockiert. Natürlich müssen jetzt auch die Europäischen Verträge reformiert werden. Dafür brauchen wir einen Konvent, der nicht nur hinter verschlossenen Türen tagt. Wir sollten jetzt aber nicht Erwartungen wecken, die Europa nicht erfüllen kann. Die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit ist eine nationale Aufgabe. Es darf auch keine Abkehr von der Spar- und Konsolidierungspolitik und eine Rückkehr zur immer höheren Staatsverschuldung geben, wie sie SPD-Chef Gabriel jetzt fordert.

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