Rede von Dr. Guido Westerwelle
Rede von Dr. Guido Westerwelle
zur Regierungserklärung der Bundeskanzlerin zum
Europäischen Rat am 11./ 12. Dezember 2008
Rede im Deutschen Bundestag am 4. Dezember 2008
(Stenographisches Protokoll)
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Bundeskanzlerin, Sie haben in Ihrer Regierungserklärung davon gesprochen, dass Sie Deutschland als eines der führenden Länder bei der Bewältigung der Finanz- und Wirtschaftskrise betrachten. Das ist, wenn man sich in Europa umhört - mit Verlaub gesagt -, eine interessante Selbsttäuschung. Denn Tatsache ist, dass Sie ganz andere Noten in der Europäischen Union bekommen, als Sie sich hier selber geben.
(Beifall bei der FDP)
Ihre Politik des Abwartens wird in Italien ängstlich und versteinert genannt,
(Lachen bei der SPD)
in Frankreich mutlos und unsichtbar; und in Großbritannien nennt man das, was Sie tun, eine schwindsüchtige Reaktion auf die Finanzkrise.
Frau Bundeskanzlerin, Sie sagen, Sie wollten keinen Wettlauf um Milliarden.
(Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich denke, Sie verstehen sich so gut!)
Es geht nicht um einen Wettlauf um Milliarden, es geht ganz einfach um die Frage: Ist es nicht klüger, jetzt in Steuersenkungen zu investieren,
(Zurufe von der SPD: Oh!)
anstatt später mit Milliardenbeträgen Arbeitslosigkeit zu finanzieren? Das ist die eigentliche Weichenstellung, vor der wir stehen.
(Beifall bei der FDP)
Das Entscheidende ist, dass Sie den Eindruck erwecken, als habe sich Deutschland mehr oder weniger mit der Rezession bereits abgefunden. Wenn Sie lediglich reagieren, dann mag das in der Großen Koalition für Sie bequemer sein. Aber es ist für unser Land schlecht. Sie wollen im nächsten Jahr über Steuersenkungen entscheiden. Das hat nichts mit deutschem Interesse zu tun, sondern das entspringt dem Wahlkampfinteresse der beiden Regierungsparteien.
(Beifall bei der FDP)
Sie von der Großen Koalition wollen das Thema Steuersenkungen im Wahlkampf. Aber Deutschland braucht Steuersenkungen jetzt; denn regieren heißt nicht reagieren, sondern regieren heißt, unser Land so zu lenken, dass man eine Krise, die man mit bloßen Händen greifen kann, verhindert, in jedem Fall aber abmildert. Das ist die patriotische Verantwortung, die Sie heute haben.
(Beifall bei der FDP)
Man muss ja nicht mit allem einverstanden sein, was Präsident Sarkozy oder Premierminister Brown vorschlagen; aber der deutsche Beitrag kann nicht sein, in Lethargie zu verfallen und sich gar nicht zu Wort zu melden. Das sagen übrigens der Internationale Währungsfonds, die Weltbank, die OECD, die EU-Kommission und unsere anderen Partner in Europa, und der zukünftige US-Präsident Obama wird seine Amtszeit mit einem gigantischen Maßnahmenpaket beginnen. Ihre Antwort ist es, abzuwarten und ein bisschen kosmetische Salbe zu verteilen. Mehr ist es nicht, wenn Sie es allen Ernstes als Beitrag für unsere Konjunktur ansehen, wenn beim Kauf eines Neuwagens 100 Euro von der Kfz-Steuer nachgelassen werden. Das ist keine vernünftige Politik.
Sie wissen doch auch von Ihrem eigenen Parteitag und von Ihrer Schwesterpartei, der Partei von Herrn Seehofer, dass wir Steuersenkungen in Deutschland brauchen. Sie werden hier Steuersenkungen beschließen, weil Sie dem Druck nicht dauerhaft standhalten können und weil die Krise kommen wird. Das wissen wir alle, und jeden Tag können wir das lesen. Deshalb ist es besser, jetzt zu handeln, als zu warten, bis die Katastrophe da ist. Vorsorgendes Regieren ist besser, als später hinterherzulaufen. Darum wird es auch auf dem Gipfel gehen.
(Beifall bei der FDP - Gerd Andres (SPD): Kassandra!)
Sie sagen "Kassandra". Was bei Ihnen diskutiert wird, sind Konsumgutscheine. Das ist das, was Sie als Beitrag zur Krise vorschlagen. Was soll das allen Ernstes bringen? Das ist nicht mehr als ein Strohfeuer. Besser, als zu Weihnachten irgend-welche Konsumgutscheine unters Volk zu bringen, wäre es, dafür zu sorgen, dass die Familien, die Bürger und die mittelständischen Unternehmer in dieser Republik durch Steuersenkungen dauerhaft entlastet werden.
(Thomas Oppermann (SPD): Sie wollen Konsumgutscheine auf Dauer!)
Das ist die Aufgabe, vor der wir jetzt stehen.
(Beifall bei der FDP)
Wir wissen, dass die anderen Länder sich nicht so verweigern, wie Sie es tun. Deutschland wartet ab. In Großbritannien senkt der Premierminister die Mehrwertsteuer. In Frankreich und Italien kündigt man eine Senkung der Unternehmensteuer und eine entsprechende Entlastung der Bürgerinnen und Bürger an. In Spanien werden die Steuern reduziert und zum Teil abgeschafft. In Österreich werden Freibeträge erhöht, die Steuertarife gesenkt und Familien steuerlich entlastet. Wie oft hat man, auch als Opposition, der deutschen Regierung vor einem europäischen Gipfel viel Erfolg gewünscht! Es ist meines Wissens das erste Mal, dass ich in meiner Antwort auf eine Regierungserklärung der Bundeskanzlerin aufgrund Ihrer zögerlichen Verhandlungstaktik nicht Ihnen Erfolg wünsche, sondern den restlichen europäischen Staaten. Möge sich Europa gegen Sie beim Thema Steuersenkungen durchsetzen, Frau Bundeskanzlerin! Möge es anders kommen, als Sie es sich vorstellen!
(Beifall bei der FDP)
Wenn Sie das der FDP nicht abnehmen, darf ich Sie auf das aufmerksam machen, was Ihnen unser Bundestagskollege Friedrich Merz wörtlich gesagt hat:
Die Vorsitzende der CDU sollte nicht die Letzte auf der Welt sein, die zu der Einsicht gelangt, dass eine solche Krise auch im Bereich der Steuer- und Abgabenbelastung eine Korrektur erfordert.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP)
Sie werden drei Punkte auf der Tagesordnung haben. In zwei Punkten sind wir sehr nah beieinander; das gilt insbesondere für die Fragen, die die deutsche Staatsräson angehen, was also zum Beispiel den Lissabon-Vertrag angeht. In der Tat ist es auch richtig, dass Sie mit Blick auf die Automobilindustrie deutsche Interessen vertreten. Das ist vernünftig, und das will ich hier ausdrücklich noch einmal zu Protokoll geben. Es ist richtig, dass Sie auf Abschluss setzen.
Bei dem Kernanliegen, um das es nächste Woche in Wahrheit gehen wird dem Thema, wie wir auf die Wirtschafts- und Finanzkrise reagieren , liegen Sie allerdings völlig falsch, Frau Bundeskanzlerin.
(Beifall bei der FDP)
Nicht die anderen täuschen sich, sondern Sie sind in Europa der Geisterfahrer. Die deutsche Bundesregierung wendet sich in Europa gegen ein mutiges und entschiedenes Handeln. Wir brauchen jetzt kein Klein-Klein, keine mutlosen Kleinstpakete; vielmehr bräuchten wir eine gestaltende Regierung, eine führende Regierung, die mutig bei einer Entlastung der Bürgerinnen und Bürger ansetzt. Das ist aus unserer Sicht das, was in Europa jetzt getan werden müsste.
Frau Bundeskanzlerin, wir bedauern es, dass Sie sich für einen anderen Weg entschieden haben, und wir bedauern es nachdrücklich, dass Sie nur deshalb se-henden Auges zusehen, wie Arbeitsplätze in Deutschland verschwinden, weil Sie als Regierungspartei für den Wahlkampf im nächsten Jahr ein Thema haben wollen.
Frau Bundeskanzlerin, Sie haben gesagt, einer müsste auch einmal gegen den Strom schwimmen. So haben Sie sich auf dem Parteitag erklärt. Es geht nicht darum, ob Sie gegen den Strom schwimmen, Frau Bundeskanzlerin, es geht darum, dass man nicht zusieht, wie in Deutschland die Zahl der Arbeitsplätze den Bach heruntergeht. Das wäre Ihre wirklich wichtige nationale Verantwortung auch in Europa.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der FDP Gerd Andres (SPD): Ist ja unverschämt! Unglaublich!)