01.09.2005FDP

Rede von Dr. Guido Westerwelle beim FDP-Wirtschaftskongreß am 1.9.2005

Es gilt das gesprochene Wort!

Anrede,

wir sind am Ende vieler Diskussionen angekommen. Wir stehen aber erst am Anfang von durchgesetzter Reformpolitik. Die FDP will eine neue Wende. Wir brauchen Mut zum großen Wurf statt Klein-Klein. Wir wollen eine Reformpolitik, die nicht einfach kürzt und beschneidet. Wir wollen eine Wachstumspolitik, die klare Ziele verfolgt.

Deutschland ist Schlußlicht beim Wachstum in der EU mit einer Prognose von weniger als einem Prozent für dieses Jahr. Selbst Frankreich kommt auf 1,9 Prozent, Großbritannien auf 2,8 Prozent. Jede Viertelstunde geht eine Firma in Deutschland pleite. Der Bundeswirtschaftsminister verkündet zwar: Der Aufschwung kommt. Das Stück der Bundesregierung "Der Aufschwung kommt" erinnert an das Warten auf Godot von Samuel Beckett.

Ich freue mich darüber, daß der Economist die Produktivitätsfortschritte der deutschen Wirtschaft positiv bewertet. Allerdings lohnt die Lektüre des ganzen Artikels, nicht nur der Überschrift. Ich zitiere daraus: "Deutschlands öffentliche Finanzen sehen gräßlich aus, doch es ist zu früh, von Steuererhöhungen als Problemlösung zu reden. Unternehmens- und Einkommenssteuer müssen gesenkt und nicht angehoben werden."

Der Economist sieht auch die Zurückhaltung beim privaten Konsum als Hauptproblem. Da wundert es schon, daß in den Wahlprogrammen von CDU, CSU, SPD, Grünen und PDS jeweils verschiedene Steuererhöhungen vorgeschlagen werden.
Steuererhöhungen sind keine Lösung, sondern Teil des deutschen Problems.

Anrede,

Ich bin optimistisch für Deutschland: Wenn fast alle anderen in Europa besser dastehen als Deutschland, dann heißt das: Wir können es auch schaffen.

Österreich hat eine Arbeitslosenquote, die halb so hoch ist wie die in Deutschland. Ich höre dann in den Fernsehdiskussionen: Man könne das nicht vergleichen. Ich sage: man muß das vergleichen. Genau das tun Unternehmen und inzwischen auch viele Steuerzahler. Sie vergleichen die Standorte. Manche nennen das Globalisierung.

In Österreich gibt es keinen besonderen Kündigungsschutz, es gibt keine Gewerbesteuer und eine Körperschaftssteuer von 25 Prozent. Die Unternehmenssteuern in Deutschland sind mit 38,7% die höchsten in der EU.

Ich sage: Man muß vergleichen: das gilt besonders für das Klima für Forschung und Innovation. Die Schweizer haben am 28. November 2004 ein forschungsfreundliches Stammzellenforschungsgesetz mit zwei Dritteln in einer Volksabstimmung angenommen. Die Schweizer haben sich in der Abwägung von Chancen und Risiken für die Chancen entschieden.

In Brandenburg mußten vor einem Monat 280 Polizisten ein Maisfeld gegen Demonstranten der Aktion "Gendreck weg" aus Baden-Württemberg verteidigen. Trotz Polizeischutz wurden Teile des Feldes zerstört. Dort hatte der Bauer eine gentechnisch verbesserte Maissorte angebaut, die in der EU zugelassen ist und bereits großflächig zum Beispiel in Spanien angebaut wird.

Und wenn Sie sich fragen, woher wissen die Demonstranten, wo ein Feld mit gentechnisch veränderten Pflanzen ist? Frau Künast veröffentlicht das im Internet. Das ist Bestandteil des Gentechnikgesetzes von Rot-Grün. Der DFG Präsident Professor Winnacker sagt dazu: "Das wird Auswirkungen auf den Standort haben. Es spricht sich herum, daß man in Deutschland keine Pflanzenforschung mehr mit Gentechnik machen kann".

Wir werden in einer neuen Bundesregierung ein forschungsfreundliches Gentechnikgesetz als Sofortmaßnahme erlassen. Wir wollen Forschung und Innovation nach Deutschland einladen, wir wollen die Auswanderung von Forschern und das Abwandern von Innovationen beenden.

Ich sage: man muß vergleichen: Deutschland hat die zweithöchsten Strompreise in der EU. 40 Prozent des Strompreises verursacht der Staat. Und auch die Spritpreise sind nicht nur durch die Ölpreise gestiegen. 18 Milliarden Euro zahlen die Autofahrer zusätzlich beim Tanken zusätzlich jedes Jahr durch die Ökosteuer von Rot-Grün.

Was mich betroffen macht, ist die energiepolitische Antwort des derzeitigen Umweltministers auf die hohen Spritpreise: Zitat, Bild 27. 08 2005:"defensiver fahren" "und ab und zu das Auto stehen lassen". So redet nur jemand, der ein Auto nicht als Transport für Arbeit und Familie braucht, sondern für den Weg von der Altbauwohnung in der Großstadt zum Reformhaus.

Deswegen geht es bei den Wahlen zuerst um einen Mentalitätswechsel in der Politik in Richtung: Vorfahrt für Arbeit.

Zehn Punkte für Vorfahrt für Arbeit möchte ich Ihnen nennen, die nach dem 18. September Regierungsprogramm werden sollen:

1. Steuern runter, Arbeit rauf

Wir brauchen eine Steuerreform, die Mut macht für neue Investitionen und privaten Konsum. Deswegen muß eine grundlegende Steuerreform unser Steuersystem drastisch vereinfachen und die Steuern deutlich senken. Dazu gehört der bekannte Drei-Stufen-Tarif mit 15, 25 und 35 Prozent Besteuerung. Wir wollen, daß Kinder fairer behandelt werden (mit einem Freibetrag von 7.700 Euro). Übrigens hat Professor Paul Kirchhoff bei seiner Rede auf dem FDP Bundesparteitag im Mai diesen Jahres das Solms-Steuermodell kommentiert: "ein imponierendes Konzept?großartig." Zitat Ende.

Wir wollen eine unbürokratische Zinsabgeltungssteuer von 25 Prozent, die auch international das Kapital wieder nach Deutschland lockt. Die ausgesetzte Vermögenssteuer muß endgültig abgeschafft werden, und Eigenkapitalbildung gestärkt werden.

2. Lohnzusatzkosten senken

Die Lohnzusatzkosten von über 40 Prozent wirken wie eine gigantische Sondersteuer auf Arbeitsplätze im internationalen Wettbewerb. Deswegen müssen die Bismarckschen Sozialversicherungen abgelöst werden.

Die Lohnanbindung des Gesundheitssystems muß aufgehoben werden. Wir brauchen ein Gesundheitssystem, das den Veränderungen beim demographischen Wandel und dem Arbeitsmarkt gerecht wird. Deswegen wollen wir aus der Pflichtversicherung der Gesetzlichen Krankenversicherung eine Pflicht zur Versicherung machen, in der die Bürgerinnen und Bürger selber entscheiden können, wie sie sich versichern.

3. Pflege

Bereits 2006, also ungefähr 10 Jahre nach der Einführung der Pflegeversicherung, werden die gesetzlich vorgeschriebenen Reserven unterschritten sein. Die Pflegeversicherung ist deswegen in ein Kapitaldeckungsverfahren zu überführen. Jeder Versicherte soll sich bei freier Wahl der Versicherung mindestens in dem bestehenden Umfang der jetzt gesetzlich festgelegten Leistungen selbst versichern. Denn sonst wird das wachsenden Pflegerisiko in einer alternden Gesellschaft immer mehr Lohnkosten bringen und damit immer mehr Arbeitslosigkeit. Deswegen ist die Abkoppelung von den Löhnen und Gehältern dringend geboten.

Natürlich wird in beiden Systemen der soziale Ausgleich über das Steuer- und Transfersystem erfolgen. Ich bin aber im Unterschied zu anderen der Auffassung: Wer den Menschen die Entscheidung zurückgeben will, wie sie ihre Lebensrisiken versichern, der muß Ihnen auch ein Stück mehr Entscheidungsfreiheit über ihr Einkommen geben. Deswegen gehören Steuersenkungen und die Reform der sozialen Versicherungssysteme zusammen.

4. Rente

Das Rentensystem muß zukunftsfest gemacht werden. Ältere sollen ihre durch ihren Fleiß erworbenen Ansprüche erhalten. Jüngere soll nicht in ein System einzahlen, das ihnen immer weniger soziale Sicherheit auszahlt. Deswegen muß die private Vorsorge leichter gemacht werden und die betriebliche Altersvorsorge gestärkt werden. Es ist nicht richtig, das gesetzliche Renteneintrittsalter nach hinten immer weiter zu verlängern. Darüber soll nicht die Rentenkasse entscheiden. Viel wichtiger ist die tatsächliche Lebensarbeitszeit. Auch darum brauchen wir ist eine gute Bildungspolitik, die mehr junge Menschen früher in den Beruf bringt.

5. Sanierung der Staatsfinanzen

Die Zielplanung des Finanzministers lautete: Rückführung der Neuverschuldung auf Null bis 2006. Die derzeitige Bundesregierung erreichte statt dessen eine Neuverschuldung auf Rekordhöhe. Das Scheitern der Haushalts- und Finanzpolitik liegt nicht darin, daß der Finanzminister keine guten Absichten hätte. Nur Ausgabenkritik beginnt mit der Aufgabenkritik. Rund 445 Milliarden Euro nimmt der Staat, Bund, Länder, Gemeinden in diesem Jahr voraussichtlich ein. Die Staatseinnahmen steigen seit Jahren. Wer von Steuerausfällen redet, meint eigentlich Ausgabensteigerungen. Wir haben in Deutschland keine Steuerausfälle. Die Politik hat zu viele Ausgabeneinfälle.
Nur weniger Staat, d.h. Privat vor Staat, saniert den Haushalt.

Zur Haushaltssanierung muß eine unmittelbare lineare Subventionskürzung von 20 Prozent eingeführt werden. Alle finanzrelevanten Beschlüsse müssen degressiv gestaltet werden und nach fünf Jahren auslaufen. Wenn sie verlängert werden sollen, brauchen sie dann eine neue parlamentarische Mehrheit. Staatsbeteiligungen müssen weiter konsequent privatisiert werden.

Die Schulden von heute sind die Steuern von morgen. Deswegen ist Haushaltssanierung Priorität Nummer Eins. Bei Kürzungen des Staates darf es keine Tabus geben, nur eine Priorität: Bildung, Ausbildung, Wissenschaft und Forschung.

6. Arbeitsmarkt

Bei der Verwaltung von Arbeitslosigkeit haben die Hartz-Reformen neue Strukturen gebracht. Bei der Schaffung neuer Arbeitsplätze gibt es aber unverändert erhebliche Einstellungshindernisse.

Die FDP will das Tarifrecht zurück an die Betriebe bringen. Das Günstigkeitsprinzip in §4, Abs. 3 des Tarifvertragsgesetzes muß neu definiert werden. Künftig kann auch ein geringerer Lohn oder eine längere Arbeitszeit für den Erhalt oder Schaffung eines Arbeitsplatzes günstiger sein, wenn 75 Prozent der abstimmenden Mitarbeiter des Unternehmens dem zustimmen. Der Kündigungsschutz muß gelockert werden. Die betriebliche Mitbestimmung wird reformiert. Sie muß näher an die Betriebe. Sonderkonditionen in Tarifverträgen für Gewerkschaftsmitglieder führen im Grunde dazu, daß jeglicher Allgemeinverbindlichkeitsanspruch aufgehoben wird.

Die FDP hat im Sommer Vorschläge für die Reform der paritätischen Mitbestimmung vorgelegt. Kein anderes Land kennt solch eine Mitbestimmung. Wir wollen hin zu einer Drittelparität.

7. Bildung und Ausbildung

Die Bildungseinrichtungen brauchen neue Ideen und neues Geld. Deswegen ist allen Bildungseinrichtungen ein Höchstmaß an Autonomie zu geben. Sie sollen selber über ihre Strukturen, ihre Inhalte und ihr Personal entscheiden. Der Bund soll sein bisheriges Hochschulrahmengesetz abschaffen.
Wenn Hochschulen Studiengebühren einführen wollen, dann sollen sie dies auch dürfen. Wir brauchen auch keine zentrale Vergabestelle von Studienplätzen, die darüber entscheidet, welcher Student im Norden und welcher Student im Süden studiert. Die Hochschulen sollen sich ihre Studenten aussuchen können und die Studenten ihre Hochschulen. Wir brauchen ein Hochschulunabhängigkeitsgesetz.

8. Forschung und Wissenschaft

Eine Bundesregierung unter Beteiligung der FDP wird den Zukunftstechnologien Vorrang einräumen.
Neue Technologien vom Transrapid bis zur Bio- und Gentechnologie brauchen einen heimischen Markt. Das bisherige Gentechnik-Gesetz ist abschreckend. Deutschland braucht die Chancen sowohl in der humanen Gentechnik als auch in der grünen Gentechnik. Deswegen sind wir für eine Gesamtstrategie, die den Zukunftsbereich der Bio- und Gentechnologie nach Deutschland lockt anstatt ihn ins Ausland zu vertreiben.

9. Bürokratie abbauen

Bei einer Staatsquote von deutlich über 50 Prozent ist die Soziale Marktwirtschaft Ludwig Erhards auf dem Weg in die ungeplante Planwirtschaft. Wer heute einen Betrieb eröffnen will, muß hunderte von Vorschriften beachten. Man muß den Wildwuchs der Bürokratie an der gesetzgeberischen Wurzel packen.

Aus den Genehmigungsverfahren müssen Anmeldeverfahren werden. Erteilt eine Behörde einem Antrag innerhalb einer gewissen Frist keinen Bescheid, gilt der Antrag als genehmigt. Wirtschaftlenkende Gesetze brauchen ein Verfallsdatum.

10. Reform des politischen Systems

Nach der Wahl muß ein Föderalismuskonvent einen neuen Anlauf nehmen.

Wir brauchen eine Föderalismusreform .Wir wollen die Ebenen des Staates trennen. Trennung heißt klare Aufgabenteilung und damit auch Schluß mit der Mischfinanzierung. Wir brauchen entscheidungsfreudigere Strukturen.

Deutschland braucht eine Politik für mehr Wachstum. Dabei setzt die FDP auf die Erneuerung der Sozialen Marktwirtschaft. Wir müssen wegkommen vom alten Vorurteil:
"wirtschaftsfreundlich gleich arbeitnehmerfeindlich".
Sozial ist, was Arbeitsplätze schafft. Dafür brauchen wir einen Politikwechsel. Die FDP will den Regierungswechsel nicht als Selbstzweck. Wir wollen den Regierungswechsel als Vorraussetzung für den Politikwechsel.

Social Media Button