31.05.2008FDP

Rede von Dr. Guido Westerwelle auf dem 59. Ord. FDP-Bundesparteitag in München

R E D E

von

DR. GUIDO WESTERWELLE, MdB
Bundesvorsitzender der FDP

auf dem 59. Ord. FDP-Bundesparteitag

am 31. Mai 2008 in München

Es gilt das gesprochene Wort!

Anrede,

viel zu vielen in Deutschland ist die Freiheit selbstverständlich geworden.

Karl Hermann Flach, der erste Generalsekretär der FDP, hat der schleichenden Gewöhnung an Freiheitsverlust die Erkenntnis entgegen gehalten: "Die Freiheit stirbt zentimeterweise."

Die letzten zehn Jahre waren keine guten Jahre für die Freiheit in unserem Land. Dabei ist die Freiheit wie die Luft zum Atmen. Erst wenn sie fehlt, merkt man, dass man sie braucht. Ich meine nicht die Freiheit, nach Mallorca fliegen zu dürfen. Und wir meinen auch nicht die Freiheit von Verantwortung, sondern wir meinen die Freiheit zur Verantwortung. Wir meinen die gefühlte und gelebte Freiheit zur Verantwortung für sich selbst und seine Nächsten.

An was haben wir uns gewöhnt? Da heißt es, wenn von Steuersenkungen die Rede ist: Das seien Steuergeschenke. Der Staat könne sich Steuergeschenke nicht leisten. Die Sprache verrät das Denken. Eine Regierung, die Steuersenkungen als Steuergeschenke bezeichnet, macht sich selbst zum Herrscher und den Bürger zum Untertanen. Das Brutto gehöre sozusagen dem Staat, das Netto werde dem Bürger gnädig zugeteilt. Politiker, die so reden, leben in der Gedankenwelt des Obrigkeitsstaates, Bürger, die sich solche Reden gefallen lassen, machen sich selbst zum Taschengeldempfänger. Unser freiheitliches Immunsystem funktioniert nicht mehr ausreichend. Politik ist der Treuhänder der vom Bürger anvertrauten Mittel. Und deswegen ist die Steuerlast nicht bloß eine Frage der Technik und der Wirtschaft. Es ist auch und zuerst ein Freiheitsthema.

Nicht der Staat gewährt den Bürgern Freiheit, sondern die Bürger gewähren dem Staat Einschränkung ihrer Freiheit, damit wir alle in einer freien und fairen Gesellschaft leben können.

Es hat, wenn ich von der Zeit der Notstandsgesetzgebung in der ersten Großen Koalition vielleicht absehe, in der Geschichte unserer Republik noch nie eine so lange und dramatische Phase des Abbaus von Bürgerrechten gegeben. Die Telefonüberwachungen nehmen drastisch zu, in Teilen haben sie sich verfünffacht.
Das Bankgeheimnis ist in wesentlichen Teilen faktisch aufgehoben. Allein im Jahr 2007 hat es Millionen Zugriffe auf die Stammdaten der Kreditinstitute gegeben. Die Vorratsdatenspeicherung gibt es und den "gläsernen Patienten" bald auch. Wer im Internet sucht, muss damit rechnen, selbst durchsucht zu werden. Wenn man in die USA reist, werden persönliche Daten der Passagiere an die Behörden in den USA gleich mitverschickt. Und jetzt hat die Bundesregierung ein Abkommen mit den USA vorbereitet. Danach sollen sogar im Namen der angeblichen Verbrechensbekämpfung Bürgerdaten von der sexuellen Orientierung bis zur Gewerkschaftsmitgliedschaft weitergegeben werden. Natürlich kämpfen wir als Liberale dagegen, im Parlament und auf den Plätzen. Aber die schleichende Gewöhnung an diesen Verlust von Freiheit macht mir große Sorge.

Zehn Jahre ist die FDP nicht mehr in der Bundesregierung. Und die Bilanz lautet: Der gläserne Bankkunde, der gläserne Telefonnutzer, der gläserne Steuerzahler, der gläserne Patient, der gläserne Fluggast, der gläserne Computer. Und demnächst vermutlich auch der gläserne Autofahrer.

Alles nicht so schlimm? Das ist ja alles sicher bei der Regierung? Über 500 Computer sind von 2005 bis 2007 in den Ministerien und Behörden verschwunden. Und dabei habe ich vom privaten Datenmissbrauch noch gar nicht gesprochen. Die Verkäuferin gefilmt, die Manager belauscht, das ist Realität und nicht etwa ein apokalyptisches Horrorgemälde sensibler Liberaler. Mindestens so schlimm wie die Tatsache des Abbaus der Bürgerrechte ist der zu geringe Widerstand der Bürgergesellschaft dagegen.

Wie oft hören wir Liberale den Vorwurf: Wer für Bürgerrechte eintritt, ist ein Sicherheitsrisiko. Wenn man die Bundeswehr nicht zur Hilfspolizei im Innern machen will, dann gefährde man die Fußball-Weltmeisterschaft. Wenn man sich für Menschenrechte einsetzt, dann gefährde man die Beziehungen zu anderen Staaten. Wenn man einen Untersuchungsausschuss einsetzt, um eine Geheimdienstaffäre aufzuklären, dann könne man Washington verärgern. Am schlimmsten aber ist der Satz: "Wer nichts zu verbergen hat, hat auch nichts zu befürchten". Wer so denkt, macht sich zum Untertanen. Wer so regiert, macht sich zur Obrigkeit. Wir Liberale sagen: "Gerade, weil ich nichts zu verbergen habe, verbitte ich es mir, vom Staat wie ein Krimineller unter permanenten Generalverdacht gestellt zu werden."

Es ist gut, dass das Verfassungsgericht unbeirrt die Freiheitsrechte verteidigt. Zuletzt in diesem Monat mit dem AWACS-Urteil, dass auf unsere Klage hin ergangen ist. Es gehört übrigens auch zu den Bürgerrechten, denn es ist nicht nur Sicherheitspolitik, dass die Bundeswehr eine Parlamentsarmee bleibt und keine Regierungsarmee wird.

Anrede,

wer die Bürgerrechte im Innern verteidigt, der will sich auch für die Menschenrechte im Äußeren engagieren.

Zu viele sehen die Globalisierung nur als ökonomischen, weltwirtschaftlichen Vorgang.
Globalisierung ist die große Chance, gerade der ärmsten Länder, an der Weltwirtschaft teilzunehmen. Wir Liberale wollen eine Globalisierung, die auch den ärmeren Ländern eine Chance gibt, ihre Produkte bei uns in Europa anbieten zu können. Wir wollen unsere Kühlschränke, Klimaanlagen und Autos in allen Kontinenten verkaufen. Aber wenn Afrika, Südamerika und Asien uns ihre landwirtschaftlichen Produkte verkaufen wollen, ziehen wir um Europa immer noch einen viel zu hohen Zaun. Deswegen danken wir dem Engagement der Liberalen im Europäischen Parlament unter der Führung von Silvana Koch-Mehrin für den Einsatz für ein Europa im freien und fairen Welthandel.

Wir haben in diesem Jahr den EU-Lissabon-Vertrag verabschiedet. Eine Verfassung mit einer Volksabstimmung wäre uns lieber gewesen. Aber es gilt die Erkenntnis in der Europapolitik: Wenn man das Beste nicht erreichen kann, muss man das Zweitbeste tun. Wenn Europa nicht mehr gebracht hätte, als 60 Jahre Frieden, es hätte sich schon gelohnt. Und Europa, es ist auch mit seinem großen Binnenmarkt eine Antwort auf die neuen Herausforderungen durch die Globalisierung.

Die Globalisierung ist die herausragende Chance, demokratische Werte in der Welt zu verbreiten. Globalisierung ist doch auch die Verbreitung von Rechtsstaatlichkeit. Globalisierung befördert das Ideal der Menschlichkeit und die weltweite Gültigkeit der Werte.

Durch die Globalisierung erfahren wir nicht nur von schrecklichen Katastrophen, sondern auch davon, wenn Despoten und Militärdiktaturen in all ihrer Schäbigkeit nicht einmal mehr die Hilfe für die eigene Bevölkerung zulassen. Weil es Globalisierung gibt, konnte der UN-Generalsekretär in Myanmar kleine Schritte in Richtung Menschlichkeit bewirken. Es gibt eben auch eine Globalisierung der Hilfsbereitschaft.

Natürlich hat die Globalisierung auch Begleiterscheinungen, die uns beunruhigen. Wenn zum Beispiel Werke, die mit Hilfe von Subventionen in Deutschland aufgebaut werden, nach Ablauf der Haltefrist geschlossen werden, um in einem vermeintlich preiswerteren Land wieder aufgebaut zu werden, dann beunruhigt das die Menschen. Wenn wir auf die Globalisierung mit nationaler Subventionitis reagieren, können wir sie nicht gewinnen, dann zahlt der Steuerzahler immer doppelt. Erst zahlen wir Steuern für die Ansiedlung dieser internationalen Konzerne und wenn die Vertragsfristen abgelaufen sind, zahlen wir ein zweites Mal Steuern bei der sozialen Begleitung der Abwicklung. Vernünftiger wäre es in Zeiten der Globalisierung das Geld der Steuerzahler nicht in Subventionen für den kurzfristigen Effekt zu vergeuden, sondern es langfristig in Infrastruktur und Bildung zu investieren.

Die Globalisierung ist weit mehr Chance als Risiko, gerade für eine Exportnation wie Deutschland.

Die Globalisierung ist die Chance für Demokratie und Freiheit weltweit. Glaubwürdig ist nur der, der bei Freiheitsberaubung auch dann nicht die Augen verschließt, wenn es durch Staaten geschieht, mit denen wir wirtschaftlich zusammen arbeiten wollen, oder mit denen wir in Partnerschaft seit langen Jahrzehnten verbunden sind. Wer Demokratie für Kuba fordert, der darf Guantanamo nicht bauen.

Mit der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit tragen wir Liberale seit nunmehr 50 Jahren die Botschaft der Freiheit, der Menschenrechte, der Demokratie in die Welt. Lieber Wolfgang Gerhardt, nimm Du als Vorsitzender des Vorstandes der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit unsere herzlichen Glückwünsche zu Eurem schönen Jubiläum, das Ihr in diesem Monat in Anwesenheit des Herrn Bundespräsidenten gefeiert habt, entgegen.

Anrede,

gute Außenpolitik fußt auf festen Werten. Gute Außenpolitik orientiert sich aber auch an wohlverstandenen nationalen Interessen. Nach erfreulichem Beginn müssen wir schon zur Mitte der Legislaturperiode feststellen, dass es nicht mehr die Außenpolitik der Bundesregierung gibt. Vielmehr gibt es eine Außenpolitik der Bundeskanzlerin, eine des Bundesaußenministers und seit Neuestem auch eine der Entwicklungsministerin. Wie der groteske, öffentlich ausgetragene Regierungsstreit um den Empfang des Dalai Lama gezeigt hat.

Partnerschaftliche Bindung heißt nie blinde Gefolgschaft. Und wenn unmittelbar vor unserer Haustür eine neue Aufrüstungsspirale in Gang gesetzt wird, liegt es im deutschen Interesse, sich dagegen einzubringen.

Die Pläne der Vereinigten Staaten von Amerika, Raketen in Polen und Tschechien zu stationieren, bergen die große Gefahr der Spaltung Europas und die große Gefahr einer neuen Aufrüstungsspirale, wie wir sie zuletzt Mitte der 80er Jahre erlebt haben. Ich fürchte, die russische Seite wird diese Raketenstationierung teils zum vorgeschobenen, teils zu ernsthaftem Anlass nehmen, zu eigener militärischer Stärke aufzurüsten. Die Nationalisten in Russland werden gestärkt, die liberalen Kräfte werden geschwächt. Diese Raketenstationierung ist nicht die Privatangelegenheit von drei Ländern oder der Nato, sondern ein Thema der ganzen Europäischen Union und vor allem aller unserer Nachbarn - einschließlich Russlands.

Der amerikanische Präsident spricht vom dritten Weltkrieg, der russische Präsident verkündet - wie er es nennt - eine "grandiose Aufrüstung". Die Bundesregierung schweigt. Das liegt nicht im deutschen Interesse.

Mit Walter Scheel, Hans-Dietrich Genscher und Klaus Kinkel war Friedenspolitik stets mit eigenen Abrüstungsinitiativen ein Kernstück deutscher Außenpolitik. Heute fällt Deutschland als Kraft für Abrüstung faktisch aus. Abrüstung mit eigenen deutschen Initiativen wird wieder das Markenzeichen unserer Außenpolitik sein, wenn wir Liberale wieder regieren.

Wir sind keine weltfremden Pazifisten, sondern wir sind Anhänger der wehrhaften Demokratie im Innern wie im Äußeren. Es ist notwendig, dass der Wiederaufbau in Afghanistan militärisch gesichert wird. Würden wir uns dort unserer Verantwortung entziehen, am Tag danach wäre Kabul die Hauptstadt der Terroristen in der Welt. Und deswegen danke ich allen Soldatinnen und Soldaten, allen Aufbauhelfern, allen Diplomaten, allen, die in Afghanistan ihre Arbeit leisten: Ihr Einsatz ist gefährlich, aber er ist notwendig und Sie sollen wissen: Wir sind stolz auf diese Leistung!

Der Einfluss deutscher Außenpolitik bemisst sich zuerst an unserer Hilfsbereitschaft, am diplomatischen Geschick und nicht zuletzt an unserer wirtschaftlichen Stärke.

Beim weltweiten Vergleich der Pro-Kopf-Einkommen wird Deutschland immer schneller nach hinten durchgereicht: In der Zeit, als unser Ehrenvorsitzender Graf Lambsdorff Wirtschaftsminister war, da war Deutschland beim Wohlstandsvergleich der Nationen stets ganz vorne mit dabei. Im vergangenen Jahr lag Deutschland nur noch auf dem 18. Platz von 30 vergleichbaren Nationen.

Wir Freie Demokraten freuen uns über bessere konjunkturelle Daten. Aber wenn die Regierung nicht in guten Zeiten vorsorgt, wie will es ihr in schlechten Zeiten gelingen?

Diese Bundesregierung hat eine große Mehrheit. Sie hatte eine hervorragende Weltkonjunktur, und sie hatte gute Wachstumsdaten. Jetzt wird das Wachstum schwächer. Die Regierungsmehrheit ist nicht mehr handlungsfähig. Der Aufschwung ist vorbei, bevor er bei den Bürgern wirklich ankam. Es ist eine Regierung der verpassten Chancen. Diese Regierung hat wegen ihrer Uneinigkeit die historische Chance vertan, mit einer mutigen Politik, unser Land in guten Zeiten für schlechtere Zeiten zu wappnen.

Das ist nicht politische Theorie, sondern das hat handfeste Folgen für unsere Gesellschaft: Die Mittelschicht in Deutschland schrumpft. In den zehn Jahren, in denen die FDP nicht mehr regiert, wurde die Mittelschicht immer dünner. Zu unseren Regierungszeiten machte die Mittelschicht etwa zwei Drittel der Bevölkerung aus. Heute beträgt sie noch etwas mehr als die Hälfte. Das heißt: In den letzten Jahren sind fünf Millionen Menschen aus der Mittelschicht herausgerutscht.

Wenn Liberale nicht regieren, dann schrumpft die Mitte. Und wenn die Mitte schrumpft, dann wächst die Ungerechtigkeit in unserem Land. Die Mitte in Deutschland sind die ganz normalen Familien. Das sind diejenigen, die morgens aufstehen, ihre Kinder versorgen und zur Arbeit gehen. Es sind diejenigen, die sich anstrengen, um für sich und ihre Familien etwas auf die Beine zu stellen. Es sind diejenigen, die, wenn sie keine Arbeit haben, Arbeit suchen. Es sind diejenigen, die nach einem Leben harter Arbeit im Alter nun auch die Früchte genießen wollen.

Die anderen Parteien kümmern sich nur noch um ganz oben und ganz unten. Die Mehrheit der Deutschen steht morgens noch auf, auch wenn man das in den Fernseh-Talkshows am Nachmittag auf den ersten Blick nicht vermuten möchte.

Es ist diese Mitte, die mit ihren Steuern und Abgaben unser Land trägt. Alle sprechen von sozialer Gerechtigkeit, wer redet eigentlich noch von Leistungsgerechtigkeit. Die Hälfte aller Steuerzahler kommt heute für etwa 94 Prozent der gesamten Einkommenssteuerlast des Staates auf.

Schwarz-Rot hat durch die größte Steuer- und Abgabenerhöhung in der Geschichte unserer Republik das Leben für die Familien in Deutschland noch teurer gemacht. Insgesamt hat die Bundesregierung 19 Steuererhöhungen in diesen 2,5 Jahren beschlossen. Jede übrigens mit den Stimmen der CSU - soviel zur Glaubwürdigkeit der frisch lackierten "Steuersenkungspartei CSU".

Aber es gibt in Deutschland auch Steuererhöhungen ganz ohne Beschluss im Deutschen Bundestag. Einfach durch Untätigkeit. Das ist die kalte Progression. Wissen Sie warum man dieses Phänomen kalte Progression nennt? Weil auf den warmen Regen von mehr Einkommen die eiskalte Dusche von noch höheren Abzügen folgt. Am Ende ist das Portemonnaie leerer als vorher. Die Einkommensschwellen für die Steuerklassen sind über die Jahre in Deutschland nicht angepasst worden. 1961 zahlte ein Bürger den Spitzensteuersatz bei einem Einkommen, das 17 Mal so hoch war wie das Durchschnittseinkommen. Heute zahlt man schon den Spitzensteuersatz, wenn man 1,4 Mal soviel verdient, wie der Durchschnitt. Der Spitzensteuersatz trifft längst auch die Mitte in unserem Land.

Unser liberaler Steuertarif ist einfach, niedrig und gerecht: Er passt sich an die Entwicklung an. Unser Nettokonzept ist die Verbindung des Steuersystems mit dem Sozialsystem.

Es wurde viel geschrieben über unterschiedliche Steuermodelle der FDP im Vorfeld dieses Bundesparteitages. Und das werden wir hier alles entscheiden. Aber eins haben alle diese Modelle gemeinsam, nämlich dass wir damit die erste Partei sind, die ein faires Steuersystem mit einem fairen Sozialsystem verbindet: unserem Bürgergeldkonzept.
Durch die Grundfreibeträge für Kinder und Erwachsene in unserem Modell werden die Familien endlich anständig behandelt. Familienpolitik ist nicht nur eine Angelegenheit des Familienministeriums. Gute Familienpolitik beginnt im Finanzministerium - beim Steuerrecht.

Bei den Umverteilern gilt die Mittelschicht in Deutschland inzwischen als reich. Die Mitte - das sind diejenigen, die weniger haben als die, die alles haben. Und anders, als die, die alles haben, kann sich die Mitte nicht die Regierung aussuchen, unter der sie leben möchte.

Deswegen ist die Erbschaftssteuerreform auch ein Mittelschichtthema. Die großen Vermögen werden doch nicht in Deutschland vererbt und versteuert. Nein, die Mittelschicht zahlt die Erbschaftssteuer. Dabei ist alles, was man am Ende eines Lebens vererben will, im Laufe eines Lebens schon X-Mal versteuert worden.

Die Mittelschicht hat nicht nur weniger, als die, die alles haben. Sie hat auch mehr, als diejenigen, die nichts haben. Und deswegen erwartet die Mittelschicht von der Politik auch keine staatlichen Wohlfühlprogramme, aber sie erwartet zu Recht, dass die Politik ihnen ihr Leben nicht immer noch schwerer macht.

Seitdem Schwarz-Rot an der Macht ist, sind die Steuereinnahmen um über 100 Milliarden Euro angestiegen. Gerade mal 16 Milliarden Euro sind netto insgesamt bei den Deutschen angekommen. Der Staat hat acht Mal mehr an der konjunkturellen Erholung verdient als die Bürgerinnen und Bürger, die sie erarbeitet haben. Ja, es gibt eine Gerechtigkeitslücke, aber sie wurde genau von den Umverteilungspolitikern gemacht, die sie heute beklagen. Es ist die Lücke zwischen Brutto und Netto.

Eine aktuelle OECD-Studie zeigt: Deutschland hat den dritthöchsten Anteil in der Welt an Steuern und Abgaben am Arbeitseinkommen. Das heißt für jeden Einzelnen ganz konkret: Von 100 Euro Arbeitseinkommen kommen am Ende im Durchschnitt 47,80 Euro an. Deshalb wollen wir mehr Netto vom Brutto. Die Netto-Frage ist die wahre soziale Frage - jedenfalls für diejenigen, die den Karren ziehen.

Wenn sich Leistung nicht für diejenigen lohnt, die leisten können, dann wird nicht das erwirtschaftet, was wir für diejenigen brauchen, die wirklich bedürftig sind.

Was nutzt ein Brutto-Mindestlohn auf dem Papier, wenn der Staat den Bürgern Netto immer weniger belässt! Vom Brutto-Lohn auf dem Papier kann man sich nichts kaufen. Entscheidend ist, was Netto in der Tasche übrig bleibt. Das Ende der Belastungen durch die Bundesregierung ist noch nicht einmal in Sicht - aller Regierungsrhetorik zum Trotz.

Die Bundesregierung hat mit dem Gesundheitsfonds die Planwirtschaft im Gesundheitswesen eingeführt. Mit dem Ergebnis, dass alles teurer, aber nichts besser werden wird.

Für eine echte Rentenstrukturreform fehlt dieser Regierung die Kraft. Und deswegen werden die Rentenbeiträge weiter steigen und ein Keil zwischen die Generationen in unserem Land durch die Politik getrieben.

Beitragserhöhungen bei der Pflege, bei der Rente, bei der Krankenkasse sind Ausdruck des Irrglaubens, dass ein Staat umso sozialer sei, je mehr Geld er umverteilen kann.

Seitdem die FDP nicht mehr regiert, stiegen die Sozialausgaben um etwa 100 Milliarden Euro auf 700 Milliarden Euro aktuell. Der Anteil der Sozialausgaben am gesamten Bundeshaushalt wuchs in dieser Zeit von 39 Prozent auf fast 50 Prozent. Und trotzdem hat sich die Kinderarmut verdoppelt.

Eine Politik, die zu solchen Ergebnissen führt, kann gar nicht sozial sein. Wir Liberale setzen der Politik der besten sozialen Absichten eine Sozialpolitik der besten Ergebnisse entgegen. Eine Verteilungspolitik, die viel kostet, aber wenig bringt, ist unsozial.

Anrede,

die Regierung selbst ist der größte Preistreiber der Republik. Seit dem Jahr 2000 sind die Energiekosten um etwa 50 Prozent gestiegen. Und bis zu zwei Drittel der Energiepreise sind von der Regierung selbst gemacht. Die Stromsteuer, die Ökosteuer, die Zwangsbeimischung, die erhöhte Mehrwertsteuer, das alles sind staatliche Maßnahmen, die die Menschen teuer zu stehen kommen.

Die Kosten für Energie sind der Brotpreis des 21. Jahrhunderts. Energie darf kein Luxus werden. Der Mensch will nicht nur essen und trinken. Er will auch nicht frieren. Und die allermeisten Menschen brauchen das Auto, um ihren Arbeitsplatz zu erreichen.

Die gestiegenen Weltmarktpreise können auch wir Liberale nicht bekämpfen. Die gestiegenen Steuern in Deutschland schon. Bei einem Preis von 1,50 Euro/ Liter beträgt der Steueranteil bei Benzin über 89 Cent.

Deshalb sind wir dafür, dass die Steuern auf Energie gesenkt werden. Zumal die ökologische Lenkungswirkung, die damit seinerzeit beabsichtigt wurde, schon längst um ein Mehrfaches übererfüllt ist.

Anrede,

aber Steuersenkungen allein werden langfristig nicht ausreichen. Es geht darum, dass wir die Umwelt und Energiepolitik von der Dominanz des Irrationalen befreien.

Immer mehr Menschen auf der Welt wollen ihren Anteil am Wohlstand. Die vorhandenen Ressourcen nur neu zu verteilen, wird niemanden zufriedenstellen. Wir müssen Neues erschließen.

Die Steinzeit ist nicht zu Ende gegangen, weil den Menschen die Steine ausgegangen sind. Die Bronzezeit nicht, weil es an Bronze fehlte. Und das Erdöl-Zeitalter wird auch nicht enden, weil es kein Erdöl mehr gibt, sondern weil es einfach zu teuer sein wird, Öl nur zu verbrennen.

Wir brauchen mehr Energieforschung. Die Möglichkeiten neuer Energiegewinnungsformen, wie die der Solarenergie oder beispielsweise der Gezeitenkraftwerke - sie sind noch nicht annähernd erforscht, geschweige denn ausgeschöpft. Weltweit stammen die meisten Erfindungen in der Energie- und Umweltschutztechnik aus unserem Land. Das soll auch so bleiben.

Es ist weder ökonomisch noch ökologisch sinnvoll, aus der modernen und sicheren deutschen Kernenergie auszusteigen. Es würde, erstens, die Energie in Deutschland weiter verteuern und, zweitens, würde es den Klimaschutz verschlechtern.

Intelligente Umweltpolitik verlangt von uns keine Aussteigermentalität. Der Klimaschutz braucht ein Einsteigerdenken in Fortschritt und Technologie. Viele reden ständig vom Abschalten: Kohle, Kernkraft. Wir sind diejenigen, die nicht vom Abschalten, sondern vom Einschalten reden, nämlich vom Einschalten des Verstandes.

Nicht der Fortschritt ist das Risiko, sondern der Stillstand. Fortschritt findet neue Energiequellen. Fortschritt entwickelt heilende Medikamente. Fortschritt sichert weltweit Ernten gegen den Hunger.

Wer Fortschritt will, muss Forschung fördern. Mit unserer Initiative für mehr Forschungsfreiheit in Deutschland legen wir die Grundlage für den Wohlstand heute und die nächsten Generationen.

Jeder Forscher beginnt als Schüler. Deutschland fällt zurück hinter die Zeit, in der wir Liberale Bildung als Bürgerrecht durchgesetzt haben. Ja, wir wissen, dass gute Bildung teuer ist. Nur eins kostet noch mehr: Schlechte Bildung. Erst werden wir Mittelmaß, dann sind wir Schlusslicht. Unsere Jugend hat Besseres verdient.

Eine OECD-Studie zeigt, dass in keinem vergleichbaren Land die soziale Herkunft stärker darüber entscheidet, welche Bildungschancen ein junger Mensch hat als in Deutschland. Das ist die wahre soziale Schieflage in unserem Land.

Armut bekämpft man am besten durch Bildung. Und Bildung ist die Voraussetzung für Wohlstand für alle. Für jeden ganz persönlich ist der Zugang zur Bildung die entscheidende Aufstiegsfrage. Es muss jedem jungen Menschen möglich sein, sich mit eigenem Fleiß den Erfolg zu erarbeiten. Die Sozialdemokraten verwechseln regelmäßig Chancengleichheit am Start mit Ergebnisgleichheit am Ziel. Die Konservativen sagen - zugespitzt formuliert - : Wo einen der Herrgott hinsetzt, da hat man auch zufrieden zu sein.

Ich selbst bin zunächst auf der Realschule gewesen. Diese habe ich mit der mittleren Reife abgeschlossen und durfte dann weiter auf das Gymnasium gehen und schließlich ein Studium an der Universität in Bonn aufnehmen. Die Durchlässigkeit des Bildungssystems bestimmt über die Durchlässigkeit der Gesellschaft. Nicht Ergebnisgleichheit am Ziel, sondern Chancengleichheit am Start ist das Markenzeichen unserer liberalen Bildungspolitik. Die Bildungsfrage ist die größte Gerechtigkeitsfrage der Republik.

Wenn wir an Probleme in der jungen Generation denken, so sage ich Ihnen, die Politik sollte weniger über die Ausstattung von Gefängnissen und mehr über die Ausstattung von Schulen reden.

Anrede,

die gegenwärtige Regierungskoalition wird nur noch durch die gemeinsame Angst vor dem Wähler zusammengehalten. Aber eine Regierung im Leerlauf kann sich unser Land nicht leisten.

Die Koalitionskrise ist auch eine Zumutung für das Amt des Bundespräsidenten.

Ich möchte auch auf diesem Bundesparteitag im Namen der Freien Demokratischen Partei dem amtierenden Bundespräsidenten, Professor Horst Köhler, für seine unabhängige und überzeugende Amtsführung danken. Wir Liberale haben uns einstimmig dafür ausgesprochen, dass er seine Arbeit fortführen kann.

Sozialdemokraten, Grüne und Linke wollen den amtierenden Bundespräsidenten abwählen.
Bürger, hört die Signale!
Wenn SPD, Linkspartei und Grüne bereit sind, das höchste Staatsamt gemeinsam zu besetzen, dann werden sie auch bereit sein, eine Regierung gemeinsam zu bilden, wenn es der Wähler zuließe. Ob die SPD etwas anderes beschließt, es notariell beglaubigen lässt und anschließend an jede Kirchentür nagelt: Es wird ihr die Glaubwürdigkeit nicht wiederbringen. Die Bürger haben längst Klarheit. Und deswegen sagen wir den Bürgern: Der beste Schutz vor links ist liberal.

Anrede,

wir Liberale haben bei den Wahlen der letzten 12 Monate mit einer Ausnahme hervorragend abgeschnitten. In Hamburg haben wir zwar zugelegt und alle Kommunalparlamente erobert, aber es hat knapp nicht gereicht. Da gibt es nichts zu beschönigen.

Aber Jörg-Uwe Hahn und sein Team haben mit 9,4 Prozent das beste Ergebnis in Hessen seit 38 Jahren erreicht. Die niedersächsischen Liberalen können unter der Führung von Philipp Rösler mit 8,2 Prozent ihre erfolgreiche Regierungsarbeit in Niedersachsen fortsetzen. Das Kommunalwahlergebnis in Bayern vor einigen Wochen war das Beste seit Gründung der Republik. Mit Sabine Leutheusser-Schnarrenberger und Martin Zeil hat die FDP am 28. September bei der Landtagswahl in Bayern alle Chancen, ein hervorragendes Ergebnis zu erreichen. Es ist gut, wenn auch in Bayern die Zeit des Absolutismus zu Ende geht.

Am letzten Sonntag haben die Liberalen in Schleswig-Holstein mit Jürgen Koppelin an der Spitze bei der Kommunalwahl das beste Ergebnis seit 1966 erreicht.

Das liegt an unserer Unverwechselbarkeit. Das liegt an unserem liberalen Programm für Freiheit zur Verantwortung, das sich von allen anderen Parteien unterscheidet. Das liegt an unserer Klarheit. Das liegt an der Fülle von liberalen Persönlichkeiten, Junge und Ältere, Frauen und Männer. Und: Das liegt an unserer Geschlossenheit. Für manchen ist Geschlossenheit langweilig, aber in jedem Fall ist sie erfolgreich. Wir haben wegen unserer Geschlossenheit vielleicht weniger Schlagzeilen, aber in jedem Fall mehr Sympathie, bessere Wahlergebnisse, mehr Anhänger und Tausende neue Mitglieder. Wir zählen jetzt etwa 6000 Kommunalpolitiker. Allein seit Anfang des Jahres sind 2500 neue Mitglieder dazu gekommen. Sie alle prägen das Gesicht unserer Partei.

Einige unserer Mitglieder sind 60 Jahre dabei. Ihrer Treue zur liberalen Sache über alle Stürme der Zeit hinweg gilt der Dank der ganzen FDP. Wir sind erfolgreich, wenn wir und weil wir Kurs halten. Wenn alle anderen Parteien sagen, wir müssten im Namen der angeblichen sozialen Gerechtigkeit mehr staatliche Umverteilung organisieren, dann müssen wir das nicht nachreden. Und wir müssen uns auch nicht jede Kritik an der liberalen Sache selber einreden. Wir sollten dagegen halten: Inzwischen wird den Bürgern in der Mitte der Gesellschaft so viel im Namen dieser angeblichen sozialen Gerechtigkeit abgeknöpft, dass die sozialen Probleme in der Mitte der Gesellschaft immer größer werden. Nächstenliebe ist aber keine staatliche Dienstleistung. Nächstenliebe ist zuerst die Hinwendung des Menschen zum Menschen. Welchen Sinn macht es, den Bürgern erst das Geld in Form von Steuern und Abgaben abzunehmen, um es beim Staat mit all den Streuverlusten zu verwalten und teuer anschließend in Form von Sozialleistungen wieder zurückzugeben?

Der Sozialstaat ist für diejenigen da, die sich selbst nicht helfen können, nicht für die Findigen und nicht für die Faulen, sondern für die Bedürftigen. Das ist soziale Politik. Überlassen wir die Gefälligkeitspolitik denen, die allen alles versprechen. Diesem Zeitgeist rennen wir nicht hinterher. Wenn alle anderen nach links gehen, wir Freie Demokraten bleiben in der Mitte. Und deswegen befinden wir uns auch nicht in einem Lager mit einer anderen Partei. Wir sind nicht zuerst Koalitionspartner, sondern wir sind zuerst die einzige liberale Partei in Deutschland. Wir wenden uns an das ganze Volk, weil liberale Politik gut ist für das ganze Volk. Für diejenigen, die leisten, für diejenigen, die leisten wollen, aber auch für diejenigen, die bisher keine Chance hatten. Wir werden jedem helfen, der sich selbst nicht helfen kann. Aber wer auf Kosten anderer leben will, obwohl er selbst leisten könnte, der darf bei uns mit Steuergeldern nicht rechnen.

Der Liberalismus ist eine Haltung zum Leben. Wir wollen eine Gesellschaft von selbstbewussten Staatsbürgern, aber nicht von abhängigen Staatskunden. Und deswegen rufen wir unserem Volk zu: Seien Sie nicht nur Zuschauer der Demokratie. Seien Sie Mitmacher!

Das ist nicht das Land von Angela Merkel. Das ist auch nicht das Land von Kurt Beck. Es ist auch nicht das Land von Guido Westerwelle. Es ist Ihr Land! Und es lohnt sich, dass Sie sich für Ihr Land engagieren.

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