05.04.2003FDP

Rede DR. Guido Westerwelle auf dem Landesparteitag Bremen am 5. April 2003

REDE

von

DR. GUIDO WESTERWELLE, MdB
FDP-Bundesvorsitzender,

auf dem Landesparteitag Bremen

am 05. April 2003 in Bremen

Es gilt das gesprochene Wort!

Anrede

Der Krieg im Irak bewegt uns alle tief. Wir denken an das irakische Volk, das jahrelang das Terrorregime Saddam Husseins ertragen musste. Wir denken aber genauso an die Soldatinnen und Soldaten, die sich jetzt im Einsatz befinden.

Wir alle haben Sorgen, Ängste und Befürchtungen angesichts der Ereignisse im Irak. Wir müssen deshalb auch an unsere Bürger denken. An ihre Sorgen und Ängste, aber auch an ihre Sicherheit.

Die Ursache für den Krieg ist der irakische Diktator Saddam Hussein. Er ist Täter, nicht Opfer. Er hat gegen 17 Resolutionen der Vereinten Nationen verstoßen. Er hat vielfach das Völkerrecht gebrochen. Er hat in der Vergangenheit Giftgas gegen seine eigene Bevölkerung eingesetzt und sein Land mit Terror überzogen. Und schon wieder droht er der kurdischen Bevölkerung im Nordirak mit schlimmstem Terror. Hätte Saddam Hussein eingelenkt, hätte ein Krieg vermieden werden können.

Die FDP hat die Empfindungen des amerikanischen Volkes nach den Terroranschlägen des 11. September geteilt. Der Weg eines militärischen Konfliktes, ohne Beschlussfassung des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen, wie ihn die amerikanische Regierung beschritten hat, findet nicht die Billigung der FDP.

Die FDP hat die deutsch-amerikanische Freundschaft stets als entscheidende Achse unserer Außenpolitik angesehen. In dieser Tradition sehe ich mich persönlich auch, geprägt durch persönliche Freundschaften und zahllose Besuche in den USA seit meiner Studienzeit. Als ein Anhänger der transatlantischen Partnerschaft sage ich aber: Ein Wort der Kritik unter Freunden ist nicht nur zulässig, sondern angebracht. Die Amerikaner bleiben unsere Freunde, aber diese militärische Aktion ohne UN-Mandat kann die deutsche Politik nicht billigen.

Die Freien Demokraten halten unverändert daran fest, dass in Konfliktfällen das Gewaltmonopol der Vereinten Nationen gewahrt werden muss. Nur so kann eine internationale Rechtsordnung entstehen, die in der gesamten Völkergemeinschaft Respekt genießt. Die Verantwortung für das Scheitern einer Mandatierung des militärischen Konfliktes liegt auf beiden Seiten des Atlantiks. Wenn uns heute UN-Waffeninspekteure berichten, dass die Kooperationsbereitschaft der irakischen Stellen in der Vorkriegsphase jedes Mal drastisch abnahm, wenn im Weltsicherheitsrat die Geschlossenheit der Staatengemeinschaft erkennbar Risse bekam, muss uns das zu denken geben.

Die FDP wird erneute Anstrengungen in der Europäischen Union zu einer gemeinsamen Sicherheits- und Außenpolitik unternehmen. Die Vereinten Nationen müssen gestärkt werden. Sie sind der Ort für nationale Konfliktlösungen.

Jetzt stellen sich folgende Fragen: Wie kann die Rolle der Vereinten Nationen wieder ausgebaut werden? Was müssen wir uns vornehmen? Welche Initiativen in Europa startet die deutsche Bundesregierung? Dabei reicht es nicht aus, sich für das Amt eines europäischen Außenministers auszusprechen. Über diese Erkenntnis haben wir schließlich schon oft genug gesprochen.

Die Frage, die wir beantworten müssen, ist: Welche Rolle soll künftig Europa in den Vereinten Nationen wahrnehmen? Wir haben festgestellt, dass eine Struktur, in der die Vereinten Nationen von ihren Mitgliedstaaten infrage gestellt werden, die sie nutzen und benutzen, bis sie glauben, sie nicht mehr zu brauchen, auf Dauer nicht positiv ist. Es ist die eigentliche Aufgabe der deutschen Politik " das ergibt sich auch aus der Historie unserer bisherigen Außenpolitik -, die Stärkung Europas in den Vereinten Nationen voranzubringen, damit dort nicht europäische Nationalstaaten handeln, sondern damit Europa in den Vereinten Nationen handelt. Deswegen wäre es jetzt an der Zeit, dass die deutsche Politik die Initiative für einen Sitz der europäischen Union im Weltsicherheitsrat ergreift.

Für uns stehen auch der Schutz und die Sicherheit der in der Krisenregion stationierten deutschen Bundeswehrsoldaten im Vordergrund der Politik. Wir werden nichts unterlassen, um unsere Soldaten zu schützen. Wir sind nach Karlsruhe gegangen, weil wir Sicherheit für die Soldaten wollen und weil wir wollen, dass die Bundeswehr eine Parlaments- und keine Regierungsarmee ist.

Wenn uns in der Türkei stationierte deutsche Mitglieder der AWACS-Truppen schreiben und sich für unseren Einsatz in Karlsruhe ausdrücklich bedanken, dann ist das mehr als ein Beweis dafür, dass wir auf dem richtigen Weg sind.

Und wir halten uns nach dem Karlsruher Urteil, das im Übrigen die Bedenken der FDP in dieser Frage grundsätzlich geteilt hat, die Option offen, erneut das Bundesverfassungsgericht anzurufen. Dabei werden wir zunächst im Bundestag die Chancen einer politischen Lösung ausloten, aber weiterhin auf die Verabschiedung eines Entsendegesetzes drängen. Wir sind zu einer fraktionsübergreifenden Lösung für die Frage, in welcher Form das Parlament künftig an der Entsendung der Bundeswehr beteiligt wird, bereit.

Es darf nicht sein, dass der Bundestag vor derartigen Einsätzen unserer Bundeswehrsoldaten nicht befragt wird. Die in der Verfassung klug gesetzte hohe Schwelle für die Beteiligung der Bundeswehr bei militärischen Konflikten darf nicht abgesenkt werden. Nach wie vor sehen wir die dringende Notwendigkeit, die vom Bundesverfassungsgericht aufgeworfenen Fragen der Kompetenzverteilung zwischen Bundesregierung und Bundestag politisch oder juristisch zu klären.

In Abhängigkeit von den politischen Beratungen werden wir zu einem angemessenen Zeitpunkt über unser weiteres Vorgehen entscheiden. Bundeswehrsoldaten im Auslandseinsatz müssen sich auch künftig darauf verlassen können, dass ihr Einsatz von einer breiten Mehrheit im Parlament unterstützt und gedeckt wird. Wir wollen nicht, dass eine Regierung gleich welcher Farbe nach parteipolitischer Opportunität über den Einsatz von Bundeswehrsoldaten entscheiden kann.

Diese Bundesregierung hat Deutschland nicht nur außenpolitisch geschadet, sondern auch innenpolitisch ruiniert. 4,6 Millionen Arbeitslose sind ein Offenbarungseid. Wir werden bei unserer Kritik an den Gewerkschaftsfunktionären bleiben. Da gibt es nicht abzuschwächen oder schönzureden. Die Politik der Gewerkschaftsfunktionäre ist eine Plage für unser Land.

Wenn es Gewerkschaftsfunktionäre fertig bringen, ein Angebot der Arbeitgeberseite für eine Ausbildungsplatzgarantie für Jugendliche innerhalb von 74 Minuten ohne Gespräch und per Pressemitteilung zurückzuweisen, dann ist das ein Skandal.
Die Totalverweigerung der Gewerkschaftsfunktionäre gegenüber jedem noch so winzigen Reformansatz ist reflexhaft geworden, gleich, ob es um Tarifvertragsrecht oder Kündigungsschutz geht.

Die FDP ist seit jeher für starke Tarifparteien. Aber sie ist gegen Funktionäre, die sich im Ledersessel bequem eingerichtet haben und deren Politik keinem einzigen Arbeitsplatz suchenden Menschen in unserem Land hilft.

Niemand will das Tarifvertragsrecht abschaffen oder aufheben. Aber das starre Flächentarifvertragsrecht passt nicht mehr in eine moderne Dienstleistungsgesellschaft. Wenn sich die große Mehrheit eines Betriebes auf etwas verständigt hat, dann sollen nicht Gewerkschaftsfunktionäre kommen und den berühmten roten Strich durch die Rechnung machen. Wir meinen, dass das, was 75 Prozent einer Belegschaft mit der Betriebsführung vereinbart haben, dann auch gelten darf.

Selbstverständlich setzt sich die FDP für eine Reform des Kündigungsschutzes ein.
Die bestehenden Regelungen stellen nach Auffassung sämtlicher unabhängiger Experten ein Einstellungshemmnis dar. Sie verfehlen ihre soziale Schutzfunktion, da sie nur zu einer Vielzahl an Arbeitsgerichtsprozessen führen, die in aller Regel nicht den Arbeitsplatz erhalten, sondern ohnehin in Abfindungsregeln münden.

Wir wollen den besonderen Kündigungsschutz nicht abschaffen. Unsere Kritik bezieht sich auf die Auswüchse, die die Schaffung neuer Arbeitsplätze verhindern. Der Kündigungsschutz soll erst für Betriebe ab 20 Mitarbeiter und erst nach einer zweijährigen Betriebszugehörigkeit des Arbeitnehmers angewandt werden. Dann werden Nachfragespitzen vor allem in kleineren und mittleren Betrieben, in denen zwei Drittel aller Beschäftigten in Deutschland arbeiten, nicht mehr nur durch Überstunden ausgeglichen, sondern auch rasch neue Mitarbeiter eingestellt.

Die Reaktion zahlreicher Gewerkschaftsfunktionäre auf das rot-grüne Minimalprogramm zur Reform des Arbeitsmarktes hat gezeigt, wie notwendig die Forderung der FDP nach einer Entmachtung der Gewerkschaftsfunktionäre ist. Diese Totalverweigerung gegenüber den Reformansätzen zeigt, dass sie es aufgegeben haben, für die Interessen von knapp 5 Millionen Arbeitslosen einzutreten. Statt- dessen haben sie zunehmend den Machterhalt für ihre Organisation im Auge. Hier geht Machterhalt vor Gemeinwohl. Die dringend notwendige Erneuerung der sozialen Marktwirtschaft kann nur Erfolg haben, wenn es gelingt, das Denken in Funktionärs-Kasten zu überwinden, das Deutschland schon viel zu lange lähmt. In einer Zeit in der fast 5 Millionen Menschen einen Arbeitsplatz suchen, ist es die Pflicht der Tarifparteien, alles zu tun, um diesen Menschen zu neuen Beschäftigungsverhältnissen zu verhelfen. Dabei muss jeder Vorschlag diskutiert werden können. Nicht derjenige zerstört den Sozialstaat, der ihn zeitgemäß umgestaltet, sondern derjenige, der sich der Umgestaltung verweigert.

Die Unzufriedenheit mit der derzeitigen Politik kommt aus der Mitte der Gesellschaft. Der Veränderungsdruck kommt aus der Mitte der Gesellschaft. Die Menschen zahlen immer mehr an den Staat. Aber je mehr die Bürger an den Staat zahlen, umso schwächer wird er. Aus dem wohlwollenden Vater Staat ist für viele ein teurer Versager geworden. Bei der inneren Sicherheit und der äußeren Sicherheit, der sozialen Treffsicherheit, dem Bildungssystem, der Verkehrsinfrastruktur oder der kulturellen Vielfalt - in all diesen Kernbereichen wird der Staat immer schlechter, obgleich die Steuern und Abgaben immer weiter steigen.

Dieses ist nicht nur das Grundgefühl der wirtschaftlich Erfolgreichen, die es geschafft haben. Dieses ist das Empfinden von Millionen Menschen in Deutschland, vermutlich sogar der Mehrheit der Menschen in unserem Lande.

So wie die liberale Politik vor wenigen Jahren noch als Turbokapitalismus, als soziale Kälte, als Weg in die Ellbogengesellschaft diffamiert wurde, so gilt unsere Politik heute, auch durch die Erfahrung der rot-grünen Regierungsjahre geprägt, als überzeugender Weg aus der Krise. Wir haben den Kurs gehalten, den wir mit unserem Grundsatzprogramm, den Wiesbadener Grundsätzen 1997 eingeschlagen haben. Aber die Gesellschaft ist heute aufgeschlossener denn je für liberales Gedankengut. Der gesunde Menschenverstand denkt heute liberal. Wir Liberale werden diese Chance nutzen, weil wir unserer Verantwortung in Deutschland ebenso gerecht werden wollen, wie dies zuvor unsere liberalen Schwesterparteien prägend in Europa getan haben.

Das setzt voraus, dass die FDP sich nicht einsperrt in ein Lager mit anderen Parteien und es setzt voraus, dass die FDP sich als Partei für das ganze Volk versteht. Die beiden großen deutschen Volksparteien haben die Demoskopie längst zum Maßstab ihrer Meinung werden lassen. Die FDP als Partei für das ganze Volk ist eine Programmpartei. Ist eine Partei mit präzisen Zielen, charakterstarken Werten und ordnungspolitischen Vorstellungen, die aber weiß, dass ihre Politik gut ist für das ganze Volk und nicht nur für einige wenige. Ludwig Erhardt hat sein Buch einst "Wohlstand für alle" genannt. Und nicht Wohlstand für wenige. Liberale Wirtschaftspolitik ist gut für das ganze Volk und nicht alleine für diejenigen, die es schon geschafft haben. Unsere Steuersenkungspolitik hat doch nicht dickere Portemonnaies für einige Reiche zum Ziel, sondern die Schaffung von Arbeitsplätzen durch mehr Investitionen in Deutschland. Unsere Mittelstandspolitik dient doch nicht der berufsständischen Interessenvertretung, sondern will die wirtschaftliche Kraft unseres Landes verstärken. Unsere liberale Wirtschaftspolitik ist eine bessere Form von Arbeitnehmerpolitik als die ignorante Verkastung gewisser Gewerkschaftsfunktionäre. Liberaler ist sozialer, weil die soziale Leistungsfähigkeit eines Landes stets der ökonomischen Leistungsfähigkeit eines Landes folgt. Wer die ökonomische Basis eines Landes vernachlässigt, verliert beides: Die wirtschaftliche und soziale Gerechtigkeit. Gerechtigkeit im liberalen Sinne ist die soziale Gerechtigkeit für die, die Hilfe brauchen, aber auch die Leistungsgerechtigkeit für die, die diese Hilfe erwirtschaften sollen. Wir wenden uns an die Menschen, die wollen. Leistungsbereitschaft ist nicht das Privileg einer Einkommensklasse, sondern ist eine Haltung zum Leben. Der Liberalismus ist nicht eine Einkommensklasse, sondern in allen Bevölkerungsschichten zuhause. Die Liberalen wenden sich an alle im Volk und nicht nur an eine bestimmte Klientel.

Auch die Mitgliederentwicklung der FDP zeigt, wie richtig der Kurs der Liberalen ist. Seit Mai 2001 haben wir mehr als 14.000 neue Mitglieder gewinnen können. Fast die Hälfte davon ist unter 35 Jahre alt. Damit ist die FDP die einzige im Bundestag vertretene Partei, die Zuwächse verzeichnen konnte. Und wir wachsen weiter, denn bereits in den ersten 3 Monaten dieses Jahres sind über 1.500 neue Mitglieder in die FDP eingetreten.

Den Weg einer eigenständigen und unabhängigen Partei für das ganze Volk werden wir fortsetzen. Er ist richtig und bleibt richtig, auch wenn wir bei der Bundestagswahl unter unseren Erwartungen geblieben sind. Wir haben, seitdem wir uns so neu aufgestellt haben, bei jeder Wahl hinzugewonnen.

Die Kommunalwahlen in Schleswig-Holstein Anfang März waren der zehnte Wahlerfolg der FDP in Serie. Die FDP ist in den letzten beiden Jahren in 4 Landtage und unzählige Gemeinderäte und Kreistage zurückgekehrt. Diese beiden Jahre waren die erfolgreichsten Jahre für die FDP seit der Deutschen Einheit.

In Hamburg waren wir acht Jahre nicht dabei. Kaum jemand hat uns 2001 eine Chance gegeben. Jetzt sitzen starke Liberale in der Bürgerschaft. In Berlin hat angesichts der Übermacht von Rot-Grün-Rot niemand mit uns gerechnet. Doch wir haben mit 9,9% das beste Ergebnis seit 1954 erzielt.

In Sachsen-Anhalt haben die Kommentatoren keinen Pfifferling auf uns gegeben. Wir haben mit 13,3% das beste Wahlergebnis seit der deutschen Einheit erreicht. In Niedersachsen waren die Freien Demokraten neun Jahre nicht im Landtag. Jetzt sind wir mit 8,1%, dem besten Wahlergebnis seit 40 Jahren, in den Landtag zurückgekehrt und beteiligen uns an der Regierung.

Diesen Kurs setzen wir fort. Als nächstes bei der Bürgerschaftswahl hier in Bremen mit Claus Jäger an der Spitze. Denn was uns in Hamburg, Berlin, Sachsen-Anhalt und Niedersachsen gelungen ist, das wird uns auch in Bremen gelingen, weil viele Menschen nach einer Alternative suchen. Einer Alternative, sowohl zur Stillstandspolitik der Großen Koalition hier in Bremen als auch zur ruinösen Politik von Rot-Grün auf Bundesebene. Hierfür ist eine starke FDP in Bremen die Lösung.

Wer nach 58 Jahren SPD an der Spitze endlich den Wechsel zu neuer Dynamik will, hat nur die FDP als Partner, da sowohl Grüne als auch CDU sich nur noch als Steigbügel für die SPD verstehen.

Wie schädlich Große Koalitionen für die wirtschaftliche Entwicklung sind, sieht man jetzt an den Steuererhöhungsvereinbarungen der Ministerpräsidenten Koch und Steinbrück. Nur die FDP bleibt beim Steuersenkungskurs. Weil nur so neue Arbeitsplätze entstehen. Und weil es gesunde Staatsfinanzen nur durch Wirtschaftswachstum gibt. Wirtschaftswachstum braucht Steuersenkungspolitik.

Für den Erfolg in Bremen werden wir kämpfen. Bremen braucht starke Liberale in der Bürgerschaft, weil wir für wirtschaftliche Vernunft und eine intelligente Bildungspolitik stehen. Ich rufe alle Freunde der Liberalen auf, uns bei diesem Kampf zu unterstützen.

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