FDPUkraine-Krise

Politischer Wille in Moskau und Kiew fehlt

Alexander Graf LambsdorffAlexander Graf Lambsdorff sieht mit Sorge die anhaltende Gewalt in der Ukraine
04.03.2016

Der Waffenstillstand zwischen der Ukraine und Russland hat sich als löchrig erwiesen. Seit der Unterzeichnung von Minsk II sind über 3.000 Menschen in den umstrittenen Gebieten durch die immer wiederkehrenden Gewaltausbrüche umgekommen. FDP-Präsidiumsmitglied Alexander Graf Lambsdorff kritisierte im Gespräch mit "SWR2": "Ich vermisse diesen politischen Willen ehrlich gesagt nicht nur in Moskau, sondern inzwischen auch in Kiew."

Bei einem Krisentreffen in Paris soll nun gerettet werden, was noch zu retten ist. Die Arbeit am Friedensabkommen gehe weiter, allerdings ergebe sich bei näherer Betrachtung ein ernüchterndes Bild, so Lambsdorffs Resümee. "Insbesondere was den Abzug der schweren Waffen angeht, gibt es überhaupt keine Fortschritte." Minsk sei ein Versuch, eine Struktur in diese Beziehungen hinein zu bringen, um eine Befriedung zu erreichen – bisher sei dies jedoch nicht gelungen, betonte er.

Russische Diplomatie differenziert betrachten

Mit Blick auf den Waffenstillstand in Syrien, den Russland, die USA und die Bürgerkriegsparteien ausgehandelt hatten, erklärte der Freidemokrat: "Man kann mit Russland über Syrien reden, ohne dass es notwendigerweise in der Ostukraine eine Verbesserung geben muss. Ich würde mir trotzdem wünschen, dass Russland erkennt, dass auf Dauer das Offenhalten eines solchen Konflikts mit Gewalt, mit der Präsenz starker Waffen, starker Verbände, dass das keine Situation ist, in der Europa und Russland sich einander wieder annähern können."

Lesen Sie hier das vollständige Interview.

Frage: Minsk II ist wahrscheinlich gescheitert. Das haben Sie vor etwas mehr als einem Jahr schon gesagt. Wenn Sie heute zum Treffen der Außenminister Deutschlands, Frankreichs, der Ukraine und Russlands auf den Konflikt blicken, wie fällt dann Ihre Bestandsaufnahme jetzt aus?

LAMBSDORFF: Also ich wünschte, ich könnte positiver urteilen. Die Arbeit an Minsk geht weiter, aber wenn man sich die einzelnen Bestandteile des Abkommens und die jeweilige Umsetzung anschaut, dann glaube ich, ist Skepsis angebracht, ob das Verfahren tatsächlich noch so trägt. Insbesondere was den Abzug der schweren Waffen angeht, gibt es überhaupt keine Fortschritte. Wir haben seit Ende Januar jetzt auch wieder ein Aufflammen von Gefechten. Also mit anderen Worten: Minsk ist ein Versuch, eine Struktur in diese Beziehungen hinein zu bringen, um eine Befriedung zu erreichen. Aber wenn man objektiv die Lage betrachtet, muss man sagen, bisher ist das nicht gelungen.

Frage: Was bedeutet das nun für die Gespräche in Paris heute. Ist das auch nur ein Versuch? Ich meine, ein neues Abkommen ist ja wohl wahrscheinlich außerhalb des Möglichen.

LAMBSDORFF: Herr Rudolph, Sie haben da völlig recht. Einen neuen Versuch jetzt sozusagen statt ,Minsk‘  ‚Moskau‘, ‚Paris‘ oder ‚Berlin‘ zu machen, das würde wahrscheinlich nicht funktionieren. Es ist auch richtig, an der Umsetzung des Abkommens weiter zu arbeiten, weiter zu versuchen Fortschritte zu erzielen. Ich glaube, was wirklich wichtig ist, das ist der politische Wille, sowohl in Moskau, als auch in Kiew, hier Fortschritte zu erreichen. Und dieser politische Wille, der ist ausschlaggebend dafür, ob die Gewalt weiter geht, ob die rechtlichen Fragen geklärt werden können, ob auch beispielsweise humanitäre und wirtschaftliche Fragen geklärt werden können. Ich vermisse diesen politischen Willen ehrlich gesagt nicht nur in Moskau, sondern inzwischen auch in Kiew.

Frage: Auf Kiew kommen wir gleich zu sprechen. Russland hat ja zumindest, was Syrien angeht, einigermaßen überraschend mit den USA die Feuerpause ausgehandelt, die seit Samstag auch weitgehend hält. Eine ähnlich konstruktive Rolle Moskaus, auch im Fall der Ostukraine, wäre die zu erwarten?

LAMBSDORFF: Man kann sich das wünschen. Ich hab immer gesagt, mit der russischen Diplomatie muss man  sehr differenziert umgehen. Auch zum Beispiel bei den Verhandlungen über das iranische Nuklearprogramm war Russland ja noch zu einem Zeitpunkt konstruktiv, als es wegen der Ukraine-Situation schon Sanktionen gegen sich hatte. Das heißt, man kann mit Russland über Syrien reden, ohne dass es notwendigerweise in der Ostukraine eine Verbesserung geben muss. Ich würde mir trotzdem wünschen, dass Russland erkennt, dass auf Dauer das Offenhalten eines solchen Konflikts mit Gewalt, mit der Präsenz starker Waffen, starker Verbände, dass das keine Situation ist, in der Europa und Russland sich einander wieder annähern können. Und ich glaube, dass gerade die russische Wirtschaft gut daran täte, wenn sie die Politik in Moskau zu beeinflussen versuchte, dass diese Annäherung wieder stattfinden kann. 

Frage: Herr Lambsdorff, Sie haben als einen Hemmschuh auch den innenpolitischen Zwist in Kiew genannt. Das bremst die Umsetzung von Reformen. Die Verfassungsreform etwa, lokales Wahlgesetz für die Ostukraine – nun, wie erzeugt die EU denn da nötigen Druck, damit auch die Ukraine ihre Hausaufgaben macht?

LAMBSDORFF: Es gibt regelmäßige Treffen. Man muss sich das ganz praktisch vorstellen. Das ist ja nicht abstrakt, die Ukraine auf der einen Seite und auf der anderen Seite Europa, sondern ganz konkret treffen sich da der deutsche Außenminister, der französischen Außenminister mit dem ukrainischen Gegenüber und sagen ganz deutlich, was zu geschehen hat. Das Gleiche gilt auch für die OSZE. Da gibt es eine Institution in Warschau, die kümmert sich darum. Das ist das Büro für demokratische Institutionen und Menschenrechte. Hier finden ständig Treffen statt, mit denen versucht wird, Druck auf die Ukraine auszuüben - insbesondere was die Verfassungsreform angeht, die Sie erwähnt haben, die ist ja zurzeit stecken geblieben, weil es keine Zweidrittelmehrheit im Moment im Parlament gibt, voranzubringen. Und das Gleiche gilt auch für die lokalen Wahlgesetze, denn wenn es im Donbass und in Luhansk voran gehen soll, was die politische Autonomie angeht, dann wird man eine Regelung für eine Lokalwahl brauchen, und auch hier wird Druck gemacht auf die ukrainische Seite, ihren Teil des Abkommens zu erfüllen.

Frage: Gibt es da denn irgendwas Konkretes? Herr Steinmeier hat ja beispielsweise IWF-Mittel in Frage gestellt.

LAMBSDORFF: Nun, IWF-Mittel kann man in Frage stellen. Die Ukraine ist natürlich wirtschaftlich in einer äußerst schwierigen Situation. Das heißt, man kann von außen auch Druck machen. Ich halte das übrigens auch für richtig, das will ich deutlich sagen, auch als FDP-Politiker, der in der Opposition ist, dass Herr Steinmeier denn Druck jetzt erhöht. Denn es ist ganz klar, noch ist Winter in der Ostukraine. Trotzdem gehen die Gefechte schon wieder los. Wenn der Frühling kommt und weitere Gefechte sich ausbreiten, dann wird es für die Menschen in der Region noch schlimmer, noch schwieriger. Wir dürfen nicht vergessen, es hat über 5000 Tote gegeben in diesem Konflikt. Jeder Tote ist einer zu viel, und wenn der Druck von außen helfen kann zu vermeiden, dass es weiterhin Tote und Verletzte gibt, dann ist das genau die richtige Maßnahme.

Frage: Herr Lambsdorff, andersherum gibt es Skepsis in Kiew, ob die EU weiter zu den Russland-Sanktionen steht und sie im Juli noch einmal verlängert. Wo sehen Sie die Gemeinschaft da?

LAMBSDORFF: Also ich glaube, das ist ein Prozess, der in der Diskussion ist. Ich weiß aus Brüssel, dass es einzelne Länder gibt, die jetzt schon anfangen so zu tun, als ob man Russland gegenüber bei den Sanktionen entgegen kommen könnte.

Frage: Auch bei uns in Deutschland Herr Seehofer.

LAMBSDORFF: Nun, Herr Seehofer, den würde ich hier jetzt mal als eine politisches Irrlicht betrachten. Der spielt in der Frage, glaube ich, nicht die wirklich entscheidende Rolle. Wenn Länder wie Italien oder Ungarn in Brüssel darauf hinweisen, dass man bei der einen oder anderen Sanktion doch erleichtern könnte, dann ist das deswegen wichtig, weil die Sanktionen ja immer einstimmig verlängert werden müssen. Und wenn ein Land alleine sagt: "Wir verlängert nicht mehr mit", dann sind die Sanktionen am Ende. Ich finde, das muss man auch mal sagen. Es ist ja bisher ganz positiv, ganz bemerkenswert, dass an dieser Stelle die Europäische Union wirklich mit einer Stimme gesprochen hat und das jetzt schon eine ganze Weile tut. Ich würde mir wünschen, dass das im Juli genauso weiter geht. Es sei denn, das wäre natürlich noch besser, wir kämen zu ernsthaften Fortschritten im Minsk-Prozess. Vielleicht sogar zu einer Umsetzung des Protokolls in all seinen Bestandteilen. Dann könnten die Sanktionen auch hinfällig werden.

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