16.01.2003FDP

Pieper-Interview für "Oberhessische Presse"

Berlin. FDP-Generalsekretärin CORNELIA PIEPER gab der "Oberhessischen Presse" (Donnerstag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellten TILL CONRAD und DIRK SCHÄFER:

Frage: Ihren Worten beim FDP-Neujahrsempfang in Marburg war zu entnehmen, dass Sie sich sicher sind, dass die FDP weiter wachsen wird. "10 Prozent mit starken Frauen an der Spitze" versprachen Sie den Parteikollegen.

PIEPER: Richtig. Mit starken Frauen, mit ebenso vielen Frauen wie Männern an der Spitze der FDP werden wir noch mehr Stimmen holen, weil wir wissen, dass mehr als die Hälfte aller Wähler Frauen sind und wir es noch nicht erreicht haben, die Frauen als Wählerinnen ausreichend zu gewinnen. Wir haben sehr große Zugewinne bei den jungen Wählern insgesamt, insbesondere bei jungen Männern. Aber das reicht noch nicht aus, ich möchte das gerne noch verbreitern. Und für mich gehört nicht nur die junge Generation zu den Gruppen, die ich erreichen will, sondern für mich gehört eben auch gerade dazu, dass die FDP wieder die Partei wird, die auch Frauen anspricht, was sie ja schon mal war, mit UTA WÜRFEL, mit der Marburgerin GISELA BABEL beispielsweise. Da gehören natürlich mehr Gesichter an der Spitze der FDP dazu als nur eines. Das wünsche ich mir auch für die Länder. In Hessen haben wir RUTH WAGNER als starke Persönlichkeit. Aber dies bleibt ein gesamtdeutsches Ziel der Partei.

Frage: Die jüngste Sonntagsfrage sagt aus, dass die FDP um ein Prozent auf 6 Prozent zugelegt hat in der Wählergunst. Sie sprechen offen von 10 Prozent. Sollte man nicht in Zeiten, wo häufig von Wahlbetrug und leeren Versprechungen geredet wird, vorsichtiger sein mit solchen Äußerungen?

PIEPER: Ich meine, dass wir mittelfristig gute Chancen haben, wieder zweistellige Ergebnisse einzufahren. Natürlich würde ich mich freuen, wenn uns Hessen dabei voran bringt. glaube, Wir haben das richtige Programm und die richtigen Leute an der Spitze, deswegen sind die Voraussetzungen gut.

Frage: Die Voraussetzungen werden sicher besser, wenn das Thema MÖLLEMANN endgültig vom Tisch ist.

PIEPER: Sie haben Recht. Das Klima ist jetzt rauh für uns. Aber wenn alles, was jetzt bundespolitisch noch abzuarbeiten ist, hinter uns liegt, werden wir wieder zweistellige Ergebnisse einfahren, da bin ich mir ganz sicher.

Frage: Von MÖLLEMANNS Strategie 18 soll also nichts mehr übrig bleiben?

PIEPER: Wir haben uns von der 18 verabschiedet, wir haben uns aber nicht von den Inhalten der Strategie in den Punkten Unabhängigkeit, Eigenständigkeit und Partei fürs ganze Volk verabschiedet.

Frage: GUIDO WESTERWELLE hat nach dem Tarifabschluss im öffentlichen Dienst von einer "Geiselnahme von ver.di" gesprochen. Sie haben gesagt: "Wir können uns nicht auf Dauer von Gewerkschaftsbossen regieren lassen". Widersprechen diese zugespitzten Aussagen nicht dem liberalen Grundverständnis, zu sagen: Wir als Partei, als Staat halten uns möglichst raus aus Angelegenheiten, die Partner mehr oder weniger eigenständig untereinander beschließen.

PIEPER: Was nutzt uns die Tarifautonomie, wenn sie gegen die Arbeitslosen ausgespielt wird und gegen Arbeitsplätze, die noch existieren. Wir brauchen eine stärkere Position der Beschäftigten im Betrieb, so dass die es in der Hand haben, auf entsprechender Grundlage auch zu agieren und eben auch aus dem Flächentarifvertrag auszusteigen. Das wiederum heißt nicht, dass wir den Tarifvertrag ganz aufgeben. Wir haben Öffnungsklauseln vorgeschlagen, die es leichter machen, in schwierigen wirtschaftlichen Situationen für einen Betrieb Sonderwege, betriebsnahe Lösungen zu suchen, wenn 75 Prozent der Belegschaft damit einverstanden sind. Ich glaube, dass es legitim ist, so etwas zu fordern, weil es im Interesse der Arbeiter liegt und insbesondere auch im Interesse der Arbeitslosen. Was den öffentlichen Dienst anbetrifft: Dieser Tarifkonflikt geht voll zu Lasten der Städte und Gemeinden sowie zu Lasten der strukturschwachen Regionen. Ich kann die ostdeutschen Länder nur dazu auffordern, aus dieser Tarifgemeinschaft der Länder auszusteigen, ansonsten wird man die soziale Stabilität ganzer Länder gefährden.

Frage: Passt also diese Einmischung in ihr liberales Profil, da sie sonst immer von Deregulieren sprechen und sich aus möglichst vielen Dingen heraushalten?

PIEPER: Der Arbeitgeber im öffentlichen Dienst ist ja im Grunde die Regierung. So gesehen kann man sich gar nicht heraushalten, vor allem in den Ländern, in denen die FDP mitregiert. Wir wollen die Tarifautonomie nicht abschaffen sondern von oben nach unten verlagern. Wir wollen nicht, dass große Gewerkschaften über einen starren Flächentarifvertrag bestimmen, sondern wir wollen, dass in den Betrieben über eine betriebsnahe Lösung bestimmt werden kann. Dazu müssen aber die Gewerkschaften Öffnungsklauseln zulassen. Ich glaube, dass es im Interesse eine Stärkung der Position des Arbeitnehmers ist, wenn man diese Tarifautonomie demokratischer und flexibler gestaltet. Wir als Bürgerpartei wollen uns auf die Kraft des Einzelnen konzentrieren, dem Einzelnen auch mehr Macht und Mitbestimmung in die Hand geben, über seine Zukunft zu bestimmen. Das ist also Liberalismus pur.

Frage: Sie machen sich weiterhin für Ihr dreistufiges Steuermodell stark. Die CDU machte auf ihrer Klausurtagung der Fraktion einen Finanzierungsvorbehalt für versprochene Steuersenkungen. Geht ihnen da womöglich der letzte Verbündete verloren?

PIEPER: FRIEDRICH MERZ hat vor ein paar Wochen ganz klar gesagt, für ihn ist das Ziel in Deutschland in der Steuerpolitik ein Drei-Stufen-Tarif. Er hat sich also auf unsere Seite geschlagen. Was man natürlich wissen muss, ist: wenn man diesen Drei-Stufen-Tarif einführen würde, hätte man für den Staat erst einmal vorübergehend Steuerausfälle. Das bestreiten wir auch nicht. Aber das vollzieht sich in relativ kurzen Zeiträumen, wie die Erfahrungen in anderen europäischen Ländern zeigen. Die meisten Ökonomen schätzen den Zeitraum auf zwei Jahre. Für diese Zeit haben wir Gegenfinanzierungskonzepte vorgelegt. Zum einen durch Kürzungen im Subventionsbereich. 55 Milliarden Euro Subventionen ist eine Menge, da kann man heran gehen. Andererseits halten wir im Interesse von Arbeitsplätzen eine 10prozentige Kürzung der Ausgaben im Bundeshaushalt für möglich und ebenso die Privatisierung von Bundesvermögen. Ich bedaure, dass sich Herr MERZ wieder entfernt hat von der Vorstellung, auf unseren Drei-Stufen-Tarif einzugehen. Da kann ich nur sagen: Dann ist die FDP konsequenter und klarer in ihrem Programm.

Frage: Das heißt für sie: weiter dicke Bretter bohren und sehen, dass sie einen Partner finden, mit dem sie ihre Pläne gemeinsam durchsetzen können.

PIEPER: Ich setze in dieser Frage auf den Partner Union. Die Union ist bereit, Steuersenkungen vorzunehmen, die Union sieht den Vorbehalt, die Steuerausfälle aus dem öffentlichen Haushalt heraus abzudecken. Aber diese Kraftanstrengung muss man erbringen können. Allerdings können wir dieses Steuerkonzept erst umsetzen, wenn es eine neue Bundesregierung gibt, die endlich konsequent handelt.

Frage: Wenn Sie Subventionen abbauen wollen, warum sprechen Sie dann von guten, zum Beispiel Eigenheimzulage, und von schlechten Subventionen, zum Beispiel Steinkohle-Bergbau?

PIEPER: Wenn man sich in einer wirtschaftlich schlechten Situation befindet und wenn man eine Form der Subventionierung hat, die das Fünffache an Investitionen bewirkt, dann weiß ich, dass dies eine Arbeitsplatz schaffende und erhaltende Maßnahme ist. Dann bin ich nicht bereit, an die Streichung der Eigenheimzulage heran zu gehen. Wir haben Anfang der 90er Jahre in Mitteldeutschland die Subventionen im Braunkohle-Tagebau abgeschafft. Ich sehe nicht ein, dass man den einen fossilen Energieträger subventioniert und den anderen nicht, zumal man ihn zu einem Drittel der Kosten aus Übersee importieren kann. Alle Subventionen sollten hinterfragt und nach ihrem Wert für mehr Arbeitsplätze beurteilt werden.

Frage: Im hessischen Wahlkampf sprechen CDU und FDP häufig davon, durch das Weiterregieren die Blockadepolitik im Bundesrat fortsetzen zu können. Kritiker sagen: Nur alles blockieren bringt Deutschland auch nicht weiter. Inzwischen scheint die Union einen Kurs einzuschlagen, bei dem man der Bundesregierung bei der Lösung von Problemen mithelfen will. Würde Ihre Partei auf diesen Zug aufspringen?

PIEPER: Die FDP hat während der letzten rot-grünen Legislaturperiode in Berlin bereits mehrfach versucht, echte Reformen zu unterstützen und ihnen auch eine Mehrheit zu verschaffen. Zum Beispiel beim HARTZ-Konzept, als wir gesagt haben: Da machen wir mit, aber legt uns bitte einen Gesetzentwurf dazu vor. Das war Aufgabe der Regierung. Dann ist ein solcher Entwurf aber nicht gekommen. Ich halte es für ein bisschen naiv, dass ausgerechnet Herr STOIBER von der CSU ein Fünf-Punkte-Programm vorlegt und meint, dass er dieses Programm mit Rot-Grün umsetzen kann. Wer diese Herrschaften jetzt vier Jahre erlebt hat, weiß, dass man keine Mehrheiten mit Rot-Grün zu diesem Thema finden wird. STOIBER sollte lieber auf die FDP setzen und auch auf gemeinsame starke Koalitionen in den Ländern, um das Thema wenigstens im Bundesrat voran zu bringen.

Frage: Sie haben mehrfach eine mögliche Vermittlerrolle der FDP angesprochen. Ist die Mittelstandsinitiative der SPD von WOLFGANG CLEMENT ein Punkt, an dem sie sich vorstellen könnten, zu gemeinsamen Gesetzen zu kommen?

PIEPER: Mir fehlt der Glaube, dass Herr CLEMENT die Mittelstandsinitiative 1:1 umsetzen kann und wird. Es gibt bereits wieder erste Stimmen von den Gewerkschaften, die ihn davor warnen. Außerdem glaube ich nach wie vor, dass wir in Deutschland besser fahren würden, wenn wir einfach mal mit der Steuervereinfachung beginnen und damit den Mittelstand drastisch entlasten. Herr CLEMENT zeigt guten Willen. Aber entscheidend sind die Taten.

Frage: Gibt es konkrete Gesprächsangebote Ihrer Partei?

PIEPER: Es gab das Gesprächsangebot bei den Vorschlägen aus der HARTZ-Kommission und bei den Minijobs, wo wir uns einfach mehr versprochen haben. Es kann keiner von uns erwarten, dass wir unsere Aufgabe als Oppositionspartei aufgeben. Wir sind bereit, echte Reformen auf den Weg zu bringen, zum Beispiel bei Steuervereinfachungen und bei den Minijobs. Erst einmal ist die rot-grüne Bundesregierung gefordert, diese Reformen auf den Weg zu bringen. Wir werden bereit sein, wenn es echte Reformangebote gibt, diese zu unterstützen.

Social Media Button