NIEBEL-Namensartikel für die "Zeitschrift für Außen- und Sicherheitspolitik"
Berlin. Das FDP-Präsidiumsmitglied Bundesentwicklungsminister DIRK NIEBEL schrieb für die "Zeitschrift für Außen- und Sicherheitspolitik" (aktuelle Ausgabe) den folgenden Namensartikel:
Vernetzte Sicherheit: Erfahrungen in Afghanistan und Lehren für die Zukunft
Zusammenfassung: Sicherheitspolitik trägt dazu bei, Gefahren zu vermeiden und abzuwehren. Entwicklungspolitik trägt dazu bei, Chancen zu entfalten. Beide Politikbereiche sind komplementär, denn nur so ist ein Leben in Freiheit auf Basis nachhaltiger, von lokalen Kräften (Ownership) getragenen politischen und gesellschaftlichen Strukturen möglich. Komplementarität zwischen Sicherheits- und Entwicklungspolitik ist entscheidend, um die gewünschten Wirkungen zu erzielen. Das setzt ein gegenseitiges Verständnis über die gemeinsamen Ziele sowie die Respektierung der komparativen Vorteile bzw. der Eigenheiten eines jeden Politikbereichs voraus. Wichtig sind darüber hinaus die enge gegenseitige Einbindung in ressortspezifische Planungsabläufe, kohärentes Handeln über alle Ebenen sowie eine aktive Informations- und Kommunikationspolitik, die den eigenen Bürgern, den Menschen in den Krisenregionen und den internationalen Partnern deutlich macht, für welche Ziele sich Deutschland einsetzt.
1 Schwerpunkte und Schlüsselbereiche deutscher Entwicklungspolitik
Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung feiert in diesem Jahr seinen 50. Geburtstag und blickt auf ereignis- und erfolgreiche Jahre deutscher Entwicklungspolitik zurück. Einen wesentlichen Wandlungsprozess hat in all diesen Jahren das Verhältnis der Entwicklungspolitik zur Sicherheitspolitik durchlaufen: Konsens ist heute, dass Entwicklung und Sicherheit eng miteinander verbunden sind.
Im folgenden Beitrag wird es im Kern um dieses Verbindung von Sicherheits- und Entwicklungspolitik gehen. In diesem Zusammenhang wird aber auch aufzuzeigen sein, dass Entwicklungspolitik nicht als ein der Sicherheitspolitik untergeordnetes Instrument aufzufassen ist, sondern als ein seinen besonderen Beitrag leistendes Politikfeld. Und: Entwicklungspolitik ist mit weit mehr Politikfelder als der Sicherheitspolitik eng und unabdingbar verzahnt. Um Entwicklungspolitik im Rahmen Vernetzter Sicherheit einordnen zu können ist es daher notwendig, zunächst kurz auf die Prioritäten der deutschen Entwicklungspolitik einzugehen.
Freiheit ermöglichen - das ist Leitmotiv der deutschen Entwicklungspolitik. Menschen sollen ohne materielle Not selbstbestimmt und eigenverantwortlich ihr Leben gestalten können. Eine wichtige Aufgabe ist deshalb, die Armutsursachen in der Welt zu bekämpfen und zur Lösung drängender globaler Zukunftsaufgaben beizutragen. Kurz gesagt: Entwicklungspolitik will weltweit Lebenschancen schaffen. Solche Entwicklungspolitik ist eine Frage von globaler Verantwortung, und sie liegt in unserem Interesse.
Wir verstehen dieses als Teil der internationalen Gemeinschaftsaufgabe, um die mit der Millenniumserklärung beschlossene globale Partnerschaft für Entwicklung zu verwirklichen und die Millenniumsentwicklungsziele zu erreichen. Wir wollen Strukturdefizite abbauen und stärken dazu demokratische Strukturen, gute Regierungsführung und die Eigenverantwortung unserer Kooperationspartner. Wir fördern und fordern und nehmen die Regierungen unserer Partnerländer verstärkt in die Pflicht.
Wir wollen die Wirksamkeit der Entwicklungszusammenarbeit stärken. Das ist eine große Aufgabe sowohl in unseren Partnerländern, der Gebergemeinschaft als auch in unseren eigenen Strukturen. Mit der Fusion der drei Institutionen der technischen Zusammenarbeit zur neuen Deutschen Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ) sind wir hier in unseren eigenen Strukturen einen großen Schritt vorangekommen. Wir wollen dadurch auch die Sichtbarkeit unserer Arbeit verbessern: Erfolgreiche Entwicklungspolitik setzt die Unterstützung durch die Bürger voraus. Ohne diese Unterstützung können wir gerade in Zeiten knapper Kassen keine Haushaltsmittel für Entwicklung mobilisieren.
2 Die Herausforderung fragiler Staaten und die internationale Diskussion
Die meisten innerstaatlichen Gewaltkonflikte werden in Entwicklungsländern ausgetragen. 22 der 34 am weitesten vom Erreichen der Millenniumsentwicklungsziele (Millennium Development Goals, MDGs) entfernten Länder sind Konflikt- oder Postkonfliktländer. Rund die Hälfte unserer Kooperationsländer sind fragil oder anfällig für Gewaltkonflikte.
Auch international ist das Thema fragile Staaten und Statebuilding ganz oben auf der Agenda. 2011 hat die Weltbank den 33. Weltentwicklungsbericht dem Thema "Konflikt, Sicherheit und Entwicklung" (World Bank 2011) gewidmet und damit Standards im internationalen Diskurs gesetzt. Der Bericht stellt heraus, dass Konflikt und Gewalt in vielen Entwicklungsländern wie eine Falle wirken: Armut, Perspektivlosigkeit, die Unsicherheit der eigenen Existenz befeuern Konflikte - gleichzeitig vernichten gewaltsam ausgetragene Konflikte immer auch Wohlstand und verhindern Lebensperspektiven. Erst die Befreiung aus diesen Zyklen der Gewalt ermöglicht weitere Entwicklung.
Als übergeordnetes Ziel der Konfliktbearbeitung benennt der Bericht die Wiederherstellung gesellschaftlichen Vertrauens und den Aufbau funktionierender, legitimer Institutionen. Um schwache Institutionen nicht zu überfordern, sind prioritär jene Sektoren zu unterstützen, die Vertrauen und Legitimität schaffen sowie schnelle Erfolge bei der Befriedigung zentraler Bedürfnisse der Bevölkerung ermöglichen. Der Bericht nennt hier Sicherheit, Gerechtigkeit und Arbeit. Dabei betont der Weltentwicklungsbericht, wie wichtig gute Regierungsführung ist: Gerade Länder mit schwachen Institutionen und schlechter Regierungsführung sind am anfälligsten für sich wiederholende Gewalt.
Über die entwicklungspolitischen Kreise hinaus spricht die Weltbank mit ihrem Bericht explizit auch außen- und sicherheitspolitische Akteure an. Ich begrüße das ausdrücklich, denn in der Koordination und Zusammenarbeit aller Akteure liegt der Schlüssel für wirksame entwicklungspolitische Arbeit in fragilen und von Konflikten betroffenen Staaten. Um dabei erfolgreich zu sein, dürfen wir nicht nur die staatlichen Akteure einbeziehen, wir brauchen Zivilgesellschaft und Wirtschaft. Diese Forderung war auch unser zentrales Anliegen im Rahmen der internationalen Konferenz zur Wirksamkeit der Entwicklungszusammenarbeit in Busan, Südkorea, Anfang Dezember 2011.
3 Unser Ansatz der Vernetzten Sicherheit
Ausgangspunkt klassischer Sicherheitspolitik ist die Sicherheit Deutschlands und unserer Verbündeten. Die deutsche Sicherheitspolitik ist dabei aber breit angelegt, sie bekennt sich zur Verantwortung Deutschlands in der Welt. Ziel der Entwicklungspolitik ist die Armutsbekämpfung in unseren Partnerländern. Sie ist auf Nachhaltigkeit angelegt und folgt daher dem Prinzipien von Ownership, also Selbstverantwortung. Entsprechend geht Entwicklungspolitik zuerst von den Bedürfnissen der Kooperationsländer aus, sie orientiert sich dabei stets an unseren Werten und auch an unseren Interessen. Sicherheit ist aus Perspektive der Entwicklungspolitik mehr als die bloße Abwesenheit von Gewalt, sie umfasst zum Beispiel auch politische, ökologische und soziale Aspekte. Dieses Verständnis wird mit dem Konzept der Human Security oder "menschlichen Sicherheit" erfasst, das das Sicherheitsverständnis auf individuellen Freiheiten erweitert.
Dieses umfassende Verständnis von Sicherheit umzusetzen, kann nur gelingen, wenn wir die unterschiedlichen Instrumente von Sicherheitspolitik, Außenpolitik und Entwicklungspolitik möglichst kohärent koordinieren und effizient nutzen. Genau darauf zielt der Ansatz der Vernetzten Sicherheit. Er bedeutet, dass allen Politikfeldern bei der Krisenprävention, der Krisenbewältigung und Friedenssicherung eigene Rollen zukommen, die sich im Gesamtrahmen ergänzen und gegenseitig unterstützen.
Wichtig ist mir dabei: Sicherheits- und Entwicklungspolitik agieren komplementär. Es geht also um gleichberechtigte Arbeitsteilung auf Augenhöhe. Eine sicherheitspolitische Strategie, die tiefer liegende strukturelle Probleme nicht berücksichtigt, ist nicht nachhaltig und damit genauso zum Scheitern verurteilt, wie ein zu enges entwicklungspolitisches Verständnis, das Sicherheitsaspekte und unsere Interessen grundsätzlich unberücksichtigt lässt.
Je schwieriger die Rahmenbedingungen, je fragiler und unsicherer das Umfeld, desto wichtiger wird ein kohärentes, aufeinander abgestimmtes Vorgehen. Das Engagement in Afghanistan hat verdeutlicht, dass die Aufgaben bei weitem zu komplex sind, als dass sie von Soldaten, Entwicklungsexperten oder Diplomaten allein gelöst werden könnten. Die Aufgabenteilung bleibt aber klar: Klassische Sicherheitspolitik zielt im Kern auf die Vermeidung und Abwehr von Gefahren, während Entwicklungspolitik im Kern auf die Entfaltung von Chancen setzt. Diese unterschiedlichen Rollen der Politikfelder und deren inhärente Prinzipien sind bei aller Vernetzung und Kohärenzerfordernis gesamtstaatlichen Engagements stets im Auge zu behalten.
4 Entwicklungszusammenarbeit im Konfliktkontext
Im Rahmen der Vernetzten Sicherheit ist es Aufgabe von Entwicklungspolitik, durch Verbesserung der politischen, wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Verhältnisse den Abbau struktureller Konfliktursachen zu unterstützen. So trägt sie wirkungsvoll zur Verhinderung von Konflikten sowie zu nachhaltiger Friedensentwicklung bei. Die deutsche Entwicklungszusammenarbeit bringt ihre Instrument hierzu auf vielfältige Art und Weise in den Spannungszonen der Welt ein.
Konkrete Handlungsfelder reichen von Unterstützung bei der nachhaltigen Sicherung von Grundbedürfnissen (etwa Gesundheit, Ernährung) über Privatsektor- und Beschäftigungsförderung, Bildungsförderung, die Unterstützung beim Aufbau eines rechtsstaatlichen Justizwesens und dem Aufbau und der Konsolidierung staatlicher Institutionen bis hin zur Förderung zivilgesellschaftlicher und politischer Partizipation. Spezielle Aufgaben können auch die Förderung regionaler Sicherheitsarchitekturen, etwa der Afrikanischen Union (AU) oder der Ostafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft (ECOWAS), Beiträge zu Sicherheitssektorreformen und zu Disarmament Demobilization and Reintegration, zum Beispiel durch Programme zur Reintegration von Ex-Kämpfern, und die Unterstützung von Transitional Justice, also von Versöhnungsprozessen etwa durch Wahrheitskommission sein. Bei all diesen Aktivitäten muss die Förderung von Eigeninitiative im Vordergrund stehen.
Der spezifischer Mehrwert der Entwicklungspolitik für Statebuilding und Peacebuilding in fragilen Staaten liegt dabei darin, dass sie auf den Aufbau institutioneller und personeller Kapazitäten (also Capacity Building bzw. Capacity Development) "spezialisiert" ist, dass sie unterschiedliche Zeithorizonte berücksichtigt und einen Fokus auf langfristiges Engagement legt, dass sie meist einen guten Zugang zu staatlichen Entscheidungsträgern, aber auch verschiedenen gesellschaftlichen Gruppierungen hat und dass sie spätestens seit den Erklärung von Paris, Accra und Busan auf Arbeitsteilung im Rahmen der Geberkoordinierung angelegt ist.
Letzterer Punkt ist mir sehr wichtig: Gerade in fragilen Staaten werden staatliche Strukturen durch unkoordiniertes Auftreten vieler Geber eher weiter geschwächt als gestärkt. Nicht jeder Akteur kann und muss in jedem Land alles machen. Eine effiziente Arbeitsteilung ist entscheidend für Wirksamkeit und Nachhaltigkeit. Vernetzung mit anderen bilateralen Gebern, mit multilateralen Organisationen wie Weltbank, den vielen Organisationen innerhalb der Vereinten Nationen und den regionalen Entwicklungsbanken sowie auf europäischer Ebene ist hierzu Voraussetzung.
Deshalb ist es mir zum Beispiel wichtig, dass über den Südsudan, der neu als Staat auf unseren Landkarten verzeichnet ist, kein "Gebertsunami" hereinbricht, sondern dass zumindest im EU-Kreis ein einheitliches Auftreten über ein sogenanntes Joint Programming erreicht werden kann. Die Gespräche darüber mit der EU-Kommission befinden sich auf einem guten Weg.
Der arabische Frühling hat uns vor Augen geführt, dass Staaten, in denen Menschen- und Bürgerrechte unterdrückt werden, langfristig nicht stabil sein können. Entwicklungszusammenarbeit muss zivilgesellschaftliche und privatwirtschaftliche Kräfte stärken und damit zur Entwicklung stabiler Gesellschaften beitragen. Auch deshalb ist mir Vernetzung mit Zivilgesellschaft und Wirtschaft ein wichtiges Anliegen.
So haben wir als deutsche Entwicklungspolitik jüngst auf die Ereignisse des "arabischen Frühlings" in Nordafrika und dem Nahen Osten reagiert und drei Fonds aufgelegt, um die beginnenden Transformationsprozesse zu unterstützten. Neben direkter Demokratieförderung, besonders über die politischen Stiftungen, habe ich die Förderung von beruflicher Ausbildung und die Förderung privatwirtschaftlichen Engagements, gerade von Existenzgründern, gestellt. Damit fördern wir vor allem demokratische Kräfte der Zivilgesellschaft, die sich für einen friedlichen Wandel einsetzen.
5 Vernetzte Sicherheit am Beispiel Afghanistans
Man kann schon an den Bemerkungen zum arabischen Frühling und zum Südsudan erkennen: Afghanistan ist bei weitem nicht das einzige Aktionsfeld für unseren Ansatz der Vernetzten Sicherheit. Gleichwohl: Nirgends ist eine enge Abstimmung zwischen den militärischen, polizeilichen, diplomatischen und entwicklungspolitischen Akteuren augenblicklich so wichtig wie hier.
Am 13. Dezember 2011 wurde die Leitung des Provincial Reconstruction Team (PRT) Faisabad im Rahmen einer feierlichen Zeremonie in rein zivile Hände übergeben. Diese Übergabe bedeutet mehr als die Übertragung von Verantwortung von einem Akteur auf einen anderen. Sie ist symbolträchtiger Ausdruck gelungener Vernetzter Sicherheit und eines Prozesses, in dem die militärische Komponente reduziert und zugleich die zivile Unterstützung für die Menschen in Afghanistan bekräftigt wird.
Deutschland möchte ein friedliches, die Menschenrechte achtendes und sich wirtschaftlich und sozial entwickelndes Afghanistan, das Terroristen keinen Rückzugsraum mehr bietet. Dies ist auch für die Menschen in Europa ein Zugewinn an Sicherheit. Die Bundesregierung hat deshalb ihren Mitteleinsatz für zivilen Wiederaufbau und Entwicklung in Afghanistan seit 2010 im Vergleich zu den Vorjahren fast verdoppelt: auf bis zu 430 Millionen Euro pro Jahr bis 2013. Bis zu 250 Millionen Euro davon kommen allein aus dem Etat des Bundesentwicklungsministeriums. Deutschland ist damit der größte europäische Geber in Afghanistan und nach den Vereinigten Staaten und Japan der drittgrößte weltweit.
Damit haben wir - neben unserem militärischen Engagement im Rahmen von ISAF - Mittel für eine zielgerichtete "Entwicklungsoffensive" bereitgestellt. Auch die Mitarbeiterzahl in unseren staatlichen entwicklungspolitischen Durchführungsorganisationen ist deutlich angewachsen, auf über zweitausend Personen, darunter 380 internationale Entsandte (Stand 01.01.2012).
In enger Absprache mit unseren afghanischen Partnern konzentriert sich das deutsche Aufbau- und Entwicklungsengagement auf fünf Kernprovinzen im Norden des Landes. Hier trägt Deutschland im Rahmen von ISAF auch militärisch Verantwortung. Dort, wo die Bundeswehr im Einsatz ist und gemeinsam mit der Polizei die afghanischen Partner dabei unterstützt, die Sicherheitsverantwortung bis spätestens 2014 selbst zu übernehmen, muss für die Menschen eine Friedensdividende spürbar werden. Um dies zu gewährleisten, arbeiten die Vertreter der vier in Afghanistan engagierten Ressorts - Bundesministerium der Verteidigung, Bundesministerium des Innern, Auswärtiges Amt und Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung - im Rahmen eines vernetzten Vorgehens eng zusammen.
Unsere Durchführungsorganisationen leisten wirksame und von den afghanischen Partnern ausdrücklich anerkannte Arbeit vor Ort. Deutschland unterstützt beim Aufbau der Trinkwasserversorgung, verbessert die Stromversorgung, fördert kleine und mittelständische Unternehmen und schafft Zukunftsperspektiven für Jungen und Mädchen durch Grund- und Berufsbildung. Auch stärken wir Rechtsstaatlichkeit, setzen uns für Menschenrechte und die gleichberechtigte gesellschaftliche, soziale und wirtschaftliche Teilhabe von Männern und Frauen ein.
Die schon heute erzielten Entwicklungserfolge zeigen den Afghaninnen und Afghanen, dass sich ihre Lebensbedingungen durch unsere Unterstützung spürbar verbessern. Dadurch steigt die Akzeptanz unserer Arbeit in Afghanistan insgesamt. Aber: noch wichtiger ist der Zuwachs an Vertrauen und Legitimität für den afghanischen Staat. Beide Dimensionen unterstützen wir gezielt dadurch, dass wir ganz bewusst eben keine "Ersatzvornahme" betreiben. Vielmehr werden die von uns geförderten Projekte und Programme stets in enger Abstimmung und in maßgeblicher Verantwortung unserer afghanischen Partner durchgeführt. Ihr Ziel ist stets die Schaffung nachhaltiger, sich selbst tragender Strukturen für die Zukunft. Erweiterte Bildungsmöglichkeiten oder etwa eine verbesserte Trinkwasser- und Energieversorgung können somit in den Augen der Bevölkerung auf der "Haben-Seite" ihrer eigenen Regierung verbucht werden - auch das leistet einen Beitrag zu mehr Stabilität.
Wir haben den Menschen in Afghanistan zugesagt, dass wir an ihrer Seite stehen und den Wiederaufbau- und Entwicklungsprozess ihres Landes unterstützen. Diese Zusage wurde vom Europäischen Rat im November 2011 und auf der Internationalen Afghanistan-Konferenz in Bonn im Dezember 2011 erneut bekräftigt. Dazu stehen wir - auch langfristig. Das bedeutet: auch über 2014 und die schrittweise Übergabe der Sicherheitsverantwortung hinaus wird Afghanistan eine langfristige Aufgabe für die Entwicklungszusammenarbeit bleiben.
Entwicklungszusammenarbeit mit fragilen Staaten bietet viele Chancen, aber sie bedarf eines langen Atems. Wir müssen bei den angestrebten Veränderungen in diesen Ländern "ahistorische" Erwartungen vermeiden, wie auch der Weltentwicklungsbericht 2011 betont. Auch ein Blick in die eigene Geschichte lehrt uns, dass fundamentale politische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Veränderungen nicht in wenigen Jahren zu bewältigen sind, sondern vielmehr eine Generationenaufgabe darstellen. Zudem wollen wir keine Entwicklungsruinen hinterlassen. Stattdessen wollen wir langfristig und nachhaltig zum Aufbau eines eigenständigen und stabilen Staates beitragen.
Auch wenn die Diskussion zur Vernetzten Sicherheit sich oft sehr auf Afghanistan bezieht, bleibt klar: Das Engagement in Afghanistan ist keine Blaupause. Der Ansatz der Vernetzten Sicherheit muss kontextbezogen auf die jeweilige Situation, das jeweilige Land, die jeweiligen Akteure zugeschnitten werden.
Einige Lehren lassen sich aber doch verallgemeinern. So haben wir beispielsweise gelernt, dass die gegenseitige und zeitgerechte Einbindung in Ressortplanungen unabdingbar für den Erfolg ist. Das fängt bei der frühzeitigen ressortübergreifenden Erstellung von Strategien und Konzepten für Krisenregionen an und setzt sich in der Beteiligung an Planungsprozessen anderer Ressorts fort. Ein gutes Beispiel für den ersten Aspekt ist das abgestimmte Sudankonzept der Bundesregierung, das die verschiedenen Ansätze der Ressorts zu einem komplementären Ganzen zusammenfügt. Ein Beispiel für den zweiten Aspekt ist die enge Einbindung von Verteidigungs- und Außenministerium in die vom BMZ geführten entwicklungspolitischen Regierungsverhandlungen mit Afghanistan.
Aus dem Engagement in Afghanistan haben wir auch gelernt, dass die Abstimmung auf ministerieller Ebene nicht ausreicht, um ein kohärentes Vorgehen in der praktischen Arbeit zu gewährleisten. Es galt, Antworten auf die unterschiedlichen Organisationskulturen, institutionellen Strukturen und Einbindung der jeweiligen Akteure in internationale Zusammenhänge zu finden. Mit dem PRT-Konzept, also der institutionalisierten Zusammenarbeit der verschiedenen Politikfelder unmittelbar vor Ort, haben wir für Afghanistan eine angemessene Antwort auf diese Herausforderungen gefunden. Auch hat uns das Engagement in Afghanistan gezeigt, dass Vernetzte Sicherheit ein Verstehen des jeweils anderen Politikfeldes, von dessen Handlungs- und Entscheidungslogiken und auch seiner individuellen Grenzen erfordert. Beteiligung an Vorbereitungsseminaren für den Einsatz und Übungen der Streitkräfte durch Vertreter des BMZ und gemeinsame Aus- und Fortbildungen sind hier ein richtiger Ansatz.
6 Herausforderungen und Grenzen entwicklungspolitischer Instrumente im Konfliktkontext
Entwicklungspolitik steht in fragilen Entwicklungsländern vor besonderen, zusätzliche Herausforderungen. Sie bietet viele Möglichkeiten, aber sie unterliegt auch Grenzen. Unsere Entwicklungszusammenarbeit in konfliktbetroffenen oder -anfälligen Staaten unterscheidet sich deutlich von der Zusammenarbeit mit Ländern, in denen Armut und fehlende Befähigung zur Selbsthilfe die wesentliche Herausforderung darstellen, in denen jedoch keine politischen Krisen oder Konflikte vorherrschen.
Eine Untersuchung der Freien Universität Berlin in Nordost-Afghanistan hat gezeigt, dass Entwicklungszusammenarbeit nicht geeignet ist, kurzfristig Sicherheit zu schaffen. Im Gegenteil, sie ist auf ein Mindestmaß an Sicherheit angewiesen, um wirksam zu sein: Wenn eine bestimme Gewaltschwelle überschritten ist, können Vorhaben der Entwicklungszusammenarbeit kaum mehr stabilisierende Wirkung entfalten. Dieses für unsere Arbeit nötige Mindestmaß an Sicherheit können wir nicht mit ziviler Unterstützung "erkaufen", es ist vielmehr Grundvoraussetzung, um überhaupt Entwicklungszusammenarbeit betreiben zu können.
Gute Regierungsführung (Good Governance) und Eigenverantwortung (Ownership) der Partnerländer spielen für einen wirksamen Einsatz von Mitteln der Entwicklungszusammenarbeit und damit auch für Geberentscheidungen eine große Rolle. Gerade fragile Staaten sind aber in der Regel durch schlechte Regierungsführung und oft begrenzte Eigenverantwortlichkeit für Entwicklung gekennzeichnet, sei es aus mangelndem Willen oder mangelnden Kapazitäten der Regierungsverantwortlichen. Dieses spräche nach Wirksamkeitserwartungen gegen ein entwicklungspolitisches Engagement in fragilen Staaten und im Konfliktkontext. Gleichzeitig sind fragile und konfliktive Staaten häufig jene, die kaum in der Lage sein werden, die Millenniumsentwicklungsziele zu erreichen, die besonders hohe Bedürfnisse nach Entwicklungsfinanzierung aufweisen und denen eine besondere Bedeutung hinsichtlich Krisenprävention zukommt. Insofern ist Entwicklungszusammenarbeit in fragilen Staaten und Konfliktkontexten immer eine Risikoinvestition.
Zudem können Nachhaltigkeitsorientierung und der Anspruch gründlicher Projektplanung und -prüfung mit den Erfordernissen nach kurzfristiger Wirkung (Stichwort Friedensdividende), Flexibilität und Schnelligkeit kollidieren. Je nachdem, ob kurzfristige Stabilisierung oder umfassende gesellschaftliche Transformation als Primärziel des Engagements sicherheits-, außen- und entwicklungspolitischer Akteure in fragilen Staaten angenommen wird, ergeben sich unterschiedliche Sequenzierung und Priorisierung von Interventionen, sowie für Auswahl von Partnerstrukturen, als auch für den Mitteleinsatz. Wichtig ist daher, dass die beteiligten Ressorts gemeinsame Vorstellungen über kurz-, mittel- und langfristige Ziele des externen Engagements entwickeln.
Entwicklungszusammenarbeit muss und will Strukturen aufbauen, nicht ersetzen. Eine Entwicklungszusammenarbeit, die fehlende Strukturen ersetzt und nicht selbstragend aufbauen hilft, würde die Partnerländer in Abhängigkeit belassen oder erst bringen, wäre zudem teuer und nicht nachhaltig. Bei sehr schwacher Staatlichkeit kann dieses Prinzip der Eigenverantwortung allerdings aufgrund fehlender Kapazitäten oft nicht durchgehalten werden. Parallele oder substituierende Strukturen zur Gewährleistung von Basisleistungen durch nichtstaatliche oder aber internationale Strukturen können dann zumindest übergangsweise unvermeidbar werden.
Im letztgenannten Szenario verfügt von allen staatlichen Akteuren die Entwicklungspolitik am ehesten über Instrumente zur Bereitstellung sozialer und wirtschaftlicher Infrastruktur. Eine zusätzliche Herausforderung besteht jedoch darin, dass in Konfliktkontexten und Bürgerkriegsgesellschaften aus der Bereitstellung von Basisdienstleistungen durch die staatlichen Strukturen nicht automatisch empfundene Legitimität der Regierung erwächst. Die Wirksamkeit solcher entwicklungspolitischen Maßnahmen hängt damit von auch von Faktoren ab, die Entwicklungspolitik nicht unmittelbar kontrollieren kann.
Zuweilen vernachlässigt wird, dass Staatsaufbau ein endogener, sehr langfristiger Prozess ist. Der oben bereits zitierte Weltentwicklungsbericht der Weltbank setzt 30 bis 40 Jahre für den Aufbau eines funktionierenden Rechtsstaatswesens an. Dabei können externe Akteure nur Impulse geben und unterstützen - einen Staatsaufbau kann man auch mit noch so gut orchestrierten Plänen und komplexen Strategien nicht erzwingen.
In fragilen Staaten und im Konfliktkontext ist es daher eine besondere Herausforderung, dass Entwicklungspolitik auf kooperationsbereite Akteure der Partnerseite angewiesen ist. Externe Unterstützung ohne solche Partner ist nicht in der Lage, Staatlichkeit aufzubauen oder Demokratie und Rechtstaatlichkeit durchzusetzen. Entwicklungspolitik kann Entwicklungspotenziale schaffen und bessere Rahmenbedingungen für Tranformationsprozesse schaffen, Eigenanstrengung und Selbstverantwortung - also Ownership - ersetzen kann sie nie. Die jüngste Erfahrung des "Arabischen Frühlings" hat gezeigt, dass Entwicklung nur aus der jeweiligen Gesellschaft selbst heraus gelingen kann. Sind keine oder kaum relevante reformbereite Akteure erkennbar, so bieten sich auch für die Entwicklungspolitik keine realistischen Anknüpfungspunkte zur Unterstützung von Transformationsprozessen.
Aber auch die Kommunikation in der deutschen Öffentlichkeit stellt eine besondere Herausforderung dar. Externe Interventionen in fragilen Staaten geraten unter Legitimitätsdefizite, wenn zu hohe Erwartungen in der deutschen Bevölkerung geweckt werden, wenn zu kurze, unrealistische Zeithorizonte angenommen werden und Transformationsprozesse normativ überfrachtet werden. Es ist daher notwendig, einen ressortübergreifenden Ansatz mit positiven Zielen zu versehen, ihn aber realistisch zu formulieren.
7 Zusammenfassung und Fazit
Unser entwicklungspolitisches Engagement speist sich aus dem Respekt vor der Würde und Freiheit jedes einzelnen Menschen weltweit - es geht um Menschenrechte, um bürgerliche Freiheiten, um soziale Teilhabe. Gleichzeitig bin ich überzeugt, dass es in unserem eigenen Interesse liegt, Menschen weltweit Zukunftschancen zu eröffnen. Globale Ungleichheit, Gewaltkonflikte, bürgerliche Freiheiten missachtende Regime und Staatszerfall stehen solchen Zukunftschancen im Weg und können zugleich auch unsere Sicherheit gefährden.
Entwicklungspolitik ist daher in fragilen Staaten gefordert. Sie muss möglichst kohärent mit anderen Politikfeldern agieren, um so wirksam wie möglich sein zu können. Sicherheitspolitik ist dabei eines der Politikfelder, das Entwicklungspolitik mit in den Blick nehmen muss. Militär und Polizei stehen in der Herausforderung, gezielte Beiträge zum nötigen sicheren Umfeld für die zivile Unterstützung zu leisten - so sieht es das VN-Mandat für ISAF in Afghanistan zum Beispiel explizit vor. Entwicklungspolitik ihrerseits trägt zu Friedenssicherung und Krisenprävention bei und leistet zivile Beiträge zur nachhaltigen Umfeldstabilisierung.
Sicherheit ist mehr als Abwesenheit von Gewalt, und Entwicklungspolitik konzentriert sich auf diesen weiteren Sicherheitsbegriff der "menschlichen Sicherheit" oder Human Security. Unser Ziel ist, dass Menschen nicht nur ein Leben in "Freiheit vor Furcht", sondern auch in "Freiheit vor existentiellem Mangel" führen können. Aufgabe der Entwicklungspolitik ist dementsprechend, strukturelle Konfliktursachen abzubauen und Zukunftschancen zu eröffnen.
Die Erfahrung zeigt deutlich: Vernetzte Sicherheit muss in jedem Kontext auf die spezifische Situation und ihre jeweiligen Akteure zugeschnitten werden. In jedem Fall bedeutet der Kontext fragiler Staatlichkeit ein höheres Wirksamkeitsrisiko für die Entwicklungspolitik. Dabei bleibt klar: Jedes Engagement Deutschlands wie der internationalen Staatengemeinschaft kann die Eigenanstrengungen unserer Partner nur unterstützen - politischen Willen und zivilgesellschaftliches Engagement für eine nachhaltige, friedliche Entwicklung kann niemand von außen verordnen. Gemeinsames Handeln ist die Voraussetzung für Erfolg, und dieser Erfolg wiederum ist ausschlaggebend, auch für unsere Zukunft.