25.10.2012FDPArbeitsmarkt

NIEBEL-Interview für "Zeit Online"

Berlin. Das FDP-Präsidiumsmitglied Bundesentwicklungsminister DIRK NIEBEL gab
"Zeit Online" heute das folgende Interview. Die Fragen stellten LISA CASPARI und CARSTEN LUTHER:

Frage: Herr Niebel, nimmt die Union Ihren Parteivorsitzenden Philipp Rösler eigentlich noch ernst?

NIEBEL: Ich glaube, es wäre ein großer Fehler, den Vorsitzenden nicht ernstzunehmen. Wir sind der zweitgrößte Partner in dieser Koalition.

Frage: CSU-Chef Horst Seehofer lästert öffentlich, er wisse manchmal nicht, bei wem er in der FDP anrufen muss, wenn er etwas abstimmen will.

NIEBEL: Mein guter Freund Horst steht vor einem Landtagswahlkampf in Bayern und er braucht daher ein gewisses Maß an Aufmerksamkeit. So muss man sein Interview verstehen. Es ist übrigens auch nicht immer so, dass Dinge, die zwischen den drei Parteivorsitzenden in Berlin entschieden werden, die Halbwertszeit bis München haben. Seehofer hat da durchaus Probleme mit seiner CSU.

Frage: Jetzt wurde auch noch bekannt, dass der CSU-Sprecher versucht haben soll, das ZDF zu beeinflussen.

NIEBEL: Manche Länder des Südens sind gerade deshalb Entwicklungsländer, weil ihre Regierungen die Pressefreiheit nicht achten. Ich dachte bislang aber, das Phänomen trete eher außerhalb Mitteleuropas auf.

Frage: Zurück zu Ihrer Partei. Wird Philipp Rösler Spitzenkandidat für die Bundestagswahl?

NIEBEL: Die SPD hat einen Spitzenkandidaten nominiert, der nicht Parteivorsitzender ist, und das hat Sigmar Gabriel keinen Abbruch getan. Ich gehe aber davon aus, dass der amtierende FDP-Vorsitzende die Partei in die Bundestagswahl führt. Auch das Team des Präsidiums wird im Wahlkampf eine wichtige Rolle spielen.

Frage: Wenn die FDP bei der Landtagswahl in Niedersachsen an der Fünf-Prozent-Hürde scheitert, wird Philipp Rösler wahrscheinlich nicht mehr lange Parteivorsitzender sein.

NIEBEL: Die FDP hat in den zehn Jahren an der Landesregierung hervorragende Arbeit geleistet. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir den Wiedereinzug in den Landtag schaffen, und ich hoffe, dass wir die schwarz-gelbe Regierung fortsetzen können. Im übrigen steht in Niedersachsen nicht Philipp Rösler zur Wahl. Spitzenkandidat ist Umweltminister Stephan Birkner, ein äußerst kompetenter und sehr sympathischer Politiker, der sich vor allem beim schwierigen Thema Energiewende profiliert hat.

Frage: In der Diskussion um eine Ampelkoalition haben Sie gesagt: "Auch andere Mütter haben schöne Töchter". Würden Sie die Äußerung heute so noch einmal wiederholen?

NIEBEL: Ausdrücklich. Ich habe damit übrigens nicht für eine Ampel geworben. Ich möchte die schwarz-gelbe Koalition fortsetzen. Aber mir war es auch wichtig, deutlich zu machen, dass der Koalitionspartner unsere Leidensfähigkeit nicht überstrapazieren sollte. Im Übrigen ist es eine Binsenweisheit, dass man im Leben nie etwas ausschließen sollte.

Frage: Griechenland geht es schlecht. Denken Sie als Entwicklungsminister über eine Art Marshall-Plan für das Land nach?

NIEBEL: Faktisch haben wir das doch bereits durch die Hilfspakete der europäischen Partner. Ich habe übrigens frühzeitig schon angeboten, dass die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit beim Aufbau einer effizienten Verwaltungsstruktur helfen kann. Die griechische Regierung muss selbst entscheiden, welche Hilfe sie annehmen will.

Frage: Ihr Ministerium hat vor allem dann besondere Aufmerksamkeit erfahren, wenn es nicht um Fachliches ging: Kritik an der Personalpolitik, die angeblich Parteifreunde bevorzugt, Ihr Teppich-Souvenir aus Afghanistan zum Beispiel. Wie wollen Sie da Erfolge der Entwicklungsarbeit sichtbar machen?

NIEBEL: Es nervt vor allem, weil das meiste daran nicht stimmt. Wenn man bei der Übernahme einer Regierung die acht engsten Mitarbeiter mitnimmt, dann ist das ein völlig normaler Vorgang, der die Arbeitsfähigkeit der neuen Hausleitung sicherstellt. Ich glaube, wir können einiges vorweisen: Wir haben die größte Strukturreform der vergangenen 50 Jahre in der deutschen Entwicklungszusammenarbeit umgesetzt, indem wir die staatlichen Durchführungsorganisationen zur GIZ fusioniert und neu aufgestellt haben ...

Frage: ... wobei es weiterhin Kritik gibt, das sei ein aufgeblähter Apparat.

NIEBEL: Wenn wir drei Organisationen zusammenführen, dann haben wir natürlich mehr Personal, als notwendig wäre. Wir haben insgesamt aber 700 Stellen aus dem Haushalt des Bundes eingespart. Mein Ministerium ist gestärkt worden, um die neue große GIZ auch tatsächlich politisch steuern zu können. Das Entscheidende ist aber: Wir haben den weltweit besten Dienstleister für Entwicklungszusammenarbeit geschaffen.

Frage: Wie messen Sie das?

NIEBEL: Ich werde am 6. November das neue unabhängige Evaluierungsinstitut eröffnen. Etwas, das es noch nie gegeben hat. Weil wir nämlich auch nachweisen müssen, dass das, was wir machen, Sinn macht und wirksam ist. Und das können wir bisher, wenn wir ehrlich sind, nicht richtig.

Frage: Deutschland hat auch versprochen, 0,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Entwicklungsarbeit aufzuwenden.

NIEBEL: Das wurde das erste Mal versprochen, als ich sieben Jahre alt war. Wir sind jetzt bei 0,4 Prozent, das ist die höchste Quote seit der Wiedervereinigung. In absoluten Zahlen sind wir der zweitgrößte internationale Geber. Die Bundeskanzlerin hat dieses Ziel erst kürzlich wieder vor dem Entwicklungsausschuss des Bundestags bestätigt. Das heißt, wir müssen hier noch besser werden. Ich halte allerdings von einer reinen Inputorientierung nicht viel. In der Vergangenheit wurde Erfolg daran gemessen, wie viel Geld wir ausgegeben haben. Das sagt noch nicht viel darüber aus, was ich damit erreicht habe. Deshalb ist die unabhängige Evaluierung so wichtig. Das wird mit unser Benchmark sein.

Frage: Wie stark kann sich Entwicklungspolitik auch an wirtschaftlichen Interessen orientieren, ohne die eigentliche Aufgabe zu vernachlässigen?

NIEBEL: Entwicklungspolitik betrifft uns alle, nicht nur weil es eine humanitäre Frage ist, ob es anderen Menschen auf der Welt gut geht, sondern weil es auch eigene Interessen gibt. Das hat man früher nicht sagen mögen, das weiß ich. Werte und Interessen in Deckung zu bringen, das ist unsere Aufgabe. Wenn wir Stabilität in mehr Weltregionen durch mehr Wohlstand ermöglichen, dann nützt uns das, weil wir Handel betreiben können, weil keine Schiffe gekapert werden und vieles mehr. Ich finde daran nichts Verwerfliches, im Gegenteil: Es macht uns bei unseren Partnern wesentlich glaubwürdiger, als täten wir die ganze Zeit so, als würden wir nur rein altruistisch handeln.

Frage: Das setzt natürlich verlässliche Partner und Strukturen voraus. In Afghanistan ziehen bis 2014 die internationalen Streitkräfte ab - unter welchen Bedingungen werden Entwicklungshelfer dann arbeiten können?

NIEBEL: Unter denselben wie jetzt. Wir haben ein ausgeklügeltes eigenes Sicherungssystem, das auf die Akzeptanz der lokalen Bevölkerung setzt. Die Einbeziehung der traditionellen und formalen Autoritäten funktioniert hervorragend. Die Bevölkerung entscheidet selbst mit, welche Projekte durchgeführt werden und beteiligt sich an der Umsetzung. Das gibt unseren Leuten zusätzlichen Schutz. Deshalb werden die Arbeitsbedingungen nicht wesentlich verändert sein nach dem Abzug. Die internationale Staatengemeinschaft hat sich ja schon weitgehend zurückgezogen. 75 Prozent aller Einsätze werden bereits jetzt von afghanischen Sicherheitskräften ausgeführt, die wir mit ausbilden. 100 Prozent werden von ihnen geführt. Das lässt mich relativ gelassen sein, was die Lage nach 2014 angeht.

Frage: Sie betonen immer das Zusammenspiel der militärischen Komponente und der Entwicklungszusammenarbeit - birgt eine zu große Nähe nicht auch Gefahren?

NIEBEL: Es ist selbstverständlich, wenn vier Bundesministerien mit dem Geld desselben Steuerzahlers in einem Land dasselbe Ziel verfolgen, nämlich dass dem Extremismus der Nährboden entzogen wird, dass man sich dann abstimmt. Und die Bundesregierung hat ja erst vor wenigen Wochen ein Konzept für den Umgang mit fragilen Staaten vorgelegt. Es geht darum, alle Kompetenzen und Instrumente der unterschiedlichen Bundesressorts zu nutzen, damit es so weit wie in Afghanistan gar nicht erst kommt.

Frage: Nichtstaatliche Entwicklungsorganisationen wollen aber etwa lieber auf Distanz zur Bundeswehr gehen.

NIEBEL: Solange sie nicht mit staatlichem Geld arbeiten, können sie machen, was sie wollen. Entwicklungspolitik ist nicht neutral. Wer mit deutschen Steuermitteln Entwicklungspolitik betreiben will, muss sich einbetten in die deutsche außenpolitische Strategie. Wer das nicht will, ist völlig frei. Niemand ist gezwungen, bei uns Anträge zu stellen.

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