20.09.2013FDP

NIEBEL-Interview für die "Schwetzinger Zeitung"

Berlin. Das FDP-Präsidiumsmitglied Bundesentwicklungsminister DIRK NIEBEL gab der "Schwetzinger Zeitung" (Freitag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellten ANDREAS WÜHLER und JÜRGEN GRULER:

Frage: Sie haben als Entwicklungshilfeminister die Welt gesehen, welche Erinnerungen verbinden Sie mit dem Amt?

NIEBEL: Viele schöne, aber auch zahlreiche dramatische. Besonders bewegend war es, als ich 2010 die gefallenen Soldaten aus Afghanistan, Kundus, in die Heimat überführen musste. Kameraden aus meiner eigenen Division. Das wirkt nach. Auch die Eindrücke in den Flüchtlingslagern, das Erdbeben auf Haiti, das sind alles belastende Erinnerungen. Aber es gibt auch schöne Momente, beispielsweise im südlichen Afrika das Projekt "Kaza", bei dem fünf Nationen zusammenarbeiten. Ein Projekt, von dem Natur und Mensch gleichermaßen profitieren sollen, bei dem wir mit 42 Millionen Euro mit dabei sind und das ganz auf Nachhaltigkeit ausgelegt ist. Dort soll länderübergreifend ein Naturschutzgebiet entstehen, das so groß wie Deutschland und Österreich zusammen ist, und die Bevölkerung vor Ort soll davon profitieren, weil sanfter Tourismus integriert werden kann.

Frage: Unterm Strich also ein schönes Amt?

NIEBEL: Naja, das ist eher die Ausnahme. Aber ich bekomme ein Gespür für die Länder, sehe nicht nur die Besprechungsräume wie mein Kollege Außenminister Westerwelle, der an einem Tag oft zwei Länder bereist. Ich habe dann schon mindestens zwei Tage für ein Land und kann mir unsere Projekte vor Ort anschauen. Beeindruckend ist es auch, wenn man in Nairobi auf der größten Müllkippe der Welt steht, sie riecht und auf der Zunge schmeckt. Dann kommt einem schnell die Idee, eine Verbrennungsanlage hinzustellen, die aus dem Müll Energie erzeugt. Aber damit würde man 6000 Arbeitsplätze vernichten. Von Menschen, die von dem leben, was sie aus dem Müll holen und wiederverkaufen.

Frage: Und wie beurteilen sie die Lage in Syrien?

NIEBEL: Es ist sehr schwierig, den Menschen in Syrien direkt zu helfen, auch wenn noch nie eine Bundesregierung ein so großes Hilfspaket für eine Region geschnürt hat. Deshalb sind wir in den Nachbarländern sehr aktiv. Ich war fast überall in den Lagern vor Ort. Dort leben die Flüchtlinge unter unterschiedlich schwierigen Bedingungen, am besten ist es noch in der Türkei und im kurdischen Gebiet des Irak, wo man sich sehr um die Menschen kümmert und sie gerne für immer integrieren möchte. Jordanien bemüht sich ebenfalls nach Kräften. Am schlimmsten ist die Situation im Libanon, wo die syrischen Flüchtlinge in die Palästinensercamps gepackt werden. Deshalb ist es richtig von der Regierung, 5000 Flüchtlinge aufzunehmen und vielleicht die Zahl noch aufzustocken. Wir brauchen da auch keine Sorgen haben, vielen Syrern wird von Verwandten, die seit vielen Jahren hier leben und die gute Berufe haben, geholfen. Und Kriegsflüchtlinge bleiben nur selten für immer, sie wollen zurück, wenn die Bedingungen zu Hause es erlauben.

Frage: Und der Militäreinsatz?

NIEBEL: Ganz klar ist für uns: keine deutsche Teilnahme an militärischen Aktionen. Dennoch, der Giftgaseinsatz muss geahndet werden, allerdings mit einem Mandat der Völkergemeinschaft und damit einem Verfahren in Den Haag vor dem Menschenrechtstribunal.

Frage: Und wie beurteilen Sie insgesamt den Arabischen Frühling und dessen Folgen?

NIEBEL: Aus dem Arabischen Frühling wurden Arabische Jahreszeiten. Marokko und Algerien sind stabil, Libyen ist in großen Teilen des Landes unregierbar und die Entwicklung in Ägypten muss mit Sorge verfolgt werden. Beim Verhältnis Israel-Palästina gibt es einen Hoffnungsschimmer, man spricht miteinander, und von zentraler Bedeutung wird sein, wie sich das Verhältnis von Iran und USA entwickelt. Denn der Iran spielt eine entscheidende Rolle in den Konflikten der arabischen Welt.

Frage: Zurück nach Deutschland. Ihre Partei will stufenweise den Solidaritätszuschlag abschaffen?

NIEBEL: Ja, das muss sein, er wurde von Kohl und Genscher befristet eingeführt. Zudem ist er kein Zeichen von Solidarität, denn die Menschen im Osten zahlen ihn auch, und das Geld verschwindet im allgemeinen Haushalt. Zwar hat Frau Merkel gesagt, sie will die Abschaffung nicht - aber das ist nicht so schlimm. Sie hat anfangs auch gesagt, sie wolle die Wehrpflicht nicht aussetzen, wir haben es gemacht. Und sie wollte Gauck nicht als Bundespräsident, und wir haben ihn gewählt. Nein, wer eine zusätzliche Steuer zu den Rekordeinnahmen, die wir schon haben, will, um den Bundeshaushalt zu finanzieren, der soll das den Menschen auch sagen und nicht eine Ausnahme auf Dauer einrichten.

Frage: Also keine neuen Steuern?

NIEBEL: Nein, wir brauchen Entlastung. Rot-Grün hat im Bundesrat mit den Stimmen der Kommunisten verhindert, dass die Arbeitnehmer etwas von ihren Lohnzuwächsen haben. Wir wollten die Kalte Progression abmildern. Deshalb ist es richtig, den Solidaritätszuschlag bis 2019 stufenweise abzuschaffen.

Frage: Und Sie setzen sich für einen Schuldenabbau ein.

NIEBEL: Richtig. 2015 werden wir einen ausgeglichenen Haushalt haben, spätestens ab 2016 mit der Tilgung beginnen. Wir sind übrigens die erste Regierung, die im letzten Jahr der Legislaturperiode weniger Geld ausgibt als im ersten. Sprich, wir sind an die Struktur der Ausgabenseite herangegangen.

Frage: Was natürlich, sollte die FDP nicht mehr in den Bundestag einziehen, alles hinfällig ist. Was wird dann aus Dirk Niebel?

NIEBEL: Natürlich ist das ein abwegiger Gedanke, aber ich verspreche Ihnen vorsorglich, ich bin nicht Heide Simonis: Ich frage nicht zuerst, was wird denn aus mir, und ich werde in keiner Tanzshow auftreten. Aber im Ernst: Ich gehe davon aus, dass die FDP mit einem guten Ergebnis in den Bundestag einzieht. Es waren gute Jahre für Deutschland und ich spüre keine Wechselstimmung. Persönlich habe ich keinen Plan B, denn wer einen Plan B hat, der verfolgt Plan A nicht konsequent genug. Ich sehe optimistisch auf den Sonntag.

Frage: Auch für einen Minister Niebel? Immerhin hatten Sie ihre Diskrepanzen mit der Parteiführung.

NIEBEL: Nein, wir hatten eine veritable Meinungsverschiedenheit in der Partei. Doch ohne meine Rede beim Dreikönigs-Treffen wäre der Druck nicht groß genug gewesen, um den Parteitag vorzuziehen. Ich habe meiner Partei damit eine quälende Personaldebatte über Monate hinweg erspart. Grundsätzlich gilt, jedes Ministeramt ist eines auf Zeit, jetzt müssen wir erst einmal die Wahl gewinnen. Aber es stimmt, ich hätte Freude daran, meine Arbeit fortzusetzen. Denn ich bin mit vielen Projekten noch nicht fertig, ich hätte in den nächsten vier Jahren noch viel zu tun.

Frage: Und dass Ihnen Ambitionen auf den Fraktionsvorsitz nachgesagt werden, sollte Rainer Brüderle ins Kabinett wollen?

NIEBEL: Gut, wenn man mit den Medien spricht, dann erfährt man, was man selbst vorhat. Mir ist das neu.

Frage: Wie sehen Sie als Minister, der in der Welt unterwegs ist, die Region?

NIEBEL: Es ist eine der schönsten und wohlhabendsten Gegenden in Deutschland, und die Kultur und Kurpfälzer Lebensart sind so recht nach meinem Herzen. Leben und leben lassen, das entspricht schon sehr meinem liberalen Freigeist. Dennoch, es gibt einiges zu tun, bei den Verkehrswegen, der Kinderbetreuung oder beim Wohnungsbau. Dort plädiere ich dafür, die degressive Abschreibung wieder einzuführen, damit von Privatseite investiert wird. Und die Bundesmittel für Sozialen Wohnungsbau müssen auch dafür verwendet werden. Das war leider in den letzten Jahren nicht immer so.

Frage: Wie stehen Sie zur Zweitstimmen-Kampagne und warum sehen FDP-Politiker auf Wahlplakaten so jung und glatt aus?

NIEBEL: Frau Merkel hat Recht, sie hat keine Stimmen zu verschenken. Die hat sie nämlich gar nicht, sondern nur der Wähler. Und der weiß, wie das Wahlsystem funktioniert. Nehmen Sie meinen Mitbewerber Lamers, der sehr stark auf die Erststimmen setzt, weil er diese bei seinem Listenplatz braucht. Für die FDP zählen die Zweitstimmen mehr. Ich hoffe sehr, dass wir in Baden-Württemberg wieder das prozentual beste Ergebnis der Liberalen im Bund schaffen. Dies stärkt das Gewicht des Landesverbandes in der FDP-Fraktion und in der Regierung. Und die Plakate: Ja, das ist eine bundesweite Kampagne, die im Vorstand so verabschiedet wurde. Wir haben jetzt nochmals eigene Plakate geklebt, die mich natürlicher zeigen. Ich fand's nicht so ideal, dass wir so geschönt aussehen

Frage: Eine letzte Frage: Warum sollte man Lucia Biedermann, ihre hiesige Kandidatin der FDP wählen?

NIEBEL: Weil sie eine toughe Frau ist, die Berufsleben und Familie unter einen Hut bekommt und sich noch dazu stark im Ehrenamt engagiert - sie sitzt in Bruchsal im Gemeinderat. Das sind gute Gründe. Ohne die Ehrenamtlichen könnten wir heute die Parteipolitik und den Wahlkampf vergessen.

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