NIEBEL-Interview für die "Magdeburger Volksstimme"
Berlin. FDP-Generalsekretär DIRK NIEBEL gab der "Magdeburger Volksstimme" (Sonnabendausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellten GEORG KERN und weitere Redakteure.
Frage: Der FDP-Vorsitzende Guido Westerwelle hat eine formale Koalitionsaussage zugunsten der Union angekündigt. Warum hat die FDP dem Drängen von CDU und CSU nachgegeben?
NIEBEL: Wir mussten nicht gedrängt werden und wir mussten nicht nachgeben. Es ist doch offensichtlich, dass die Wahlprogramme der SPD und der Grünen nach links weisen und alles andere als die Grundlage für eine Zusammenarbeit mit uns bilden.
Frage: Dann ist die Ankündigung Westerwelles die endgültige Absage an eine Ampelkoalition?
NIEBEL: Wir wollen und können eine solche Koalition nicht eingehen. Unsere Glaubwürdigkeit geben wir nicht auf.
Frage: Falls es für Schwarz-Gelb nicht reicht, könnte die FDP mit der Ampel Rot-Rot-Grün verhindern.
NIEBEL: Wenn es eine rot-rot-grüne Mehrheit im Bundestag gibt, dann wird es über kurz oder lang auch eine solche Regierung geben. Die FDP spielt doch nicht den Anstands-Wau-Wau, bis SPD und Grüne die Schamfrist überwunden haben und uns vor die Tür setzen. Wir können nur auf eine Weise Rot-Rot-Grün verhindern: mit einem möglichst hohen FDP-Anteil im neuen Bundestag.
Frage: So schlimm ist es doch gar nicht. Es gibt viele Überschneidungen, beispielsweise bei Afghanistan oder den Bürgerrechten.
NIEBEL: Die Beschneidung der Bürgerrechte begann aber mit Otto Schily unter Rot-Grün. Dagegen setzen wir uns zur Wehr, auch gegenüber der Union. Die größte Aufgabe steht vor uns in der Steuerpolitik. Die FDP wird keinen Koalitionsvertrag unterschreiben, in dem keine echte Steuerstrukturreform steht.
Frage: Was wäre eine "echte Steuerstrukturreform"?
NIEBEL: Auf drei Punkten bestehen wir: erstens eine vollständige Rücknahme der misslungenen Unternehmensteuerreform der großen Koalition. Zweitens müssen vor allem Familien sowie kleine und mittlere Unternehmen entlastet werden. Drittens fordern wir einen konkreten Fahrplan, bis wann diese Steuererleichterungen umgesetzt werden, damit Bürger und Unternehmen planen können.
Frage: Steuern runter - das hören alle gerne. Und die Staatsverschuldung ist Ihnen egal?
NIEBEL: Nein, aber es funktioniert nun mal so: Wer eine Pflanze zum Wachsen bringen will, kann sich nicht davor hinstellen und sagen: Bitte wachse ein Stück - zur Belohnung gieße ich dich. Es funktioniert umgekehrt: Man muss erst gießen, dann wächst die Pflanze.
Frage: Die große Koalition war vor der Wirtschaftskrise auf gutem Weg, den Bundeshaushalt auszugleichen.
NIEBEL: Wir hatten schließlich vor der Krise die größte Steuererhöhungsrunde der Geschichte der Bundesrepublik. Zugleich wuchs die Wirtschaft beträchtlich. Und nicht einmal da hat die Regierung die Neuverschuldungsorgie beenden können. Ehrgeizige Politik sieht für mich anders aus.
Frage: Dennoch: Ist es nicht unglaubwürdig, angesichts der Rekordschulden die Steuern senken zu wollen?
NIEBEL: Nein, nicht wenn man die Wirtschaft richtig ankurbelt, eben durch Steuererleichterungen. Und man muss verantwortlich mit den Staatsausgaben umgehen.
Frage: Welche wirtschaftspolitischen Konzepte hat die FDP speziell für Ostdeutschland?
Niebel: Wir sind der festen Überzeugung, dass über den Solidarpakt hinaus, der bis 2019 festgeschrieben ist, ein besonderes Konzept für irgendeine Region nicht notwendig ist.
Frage: Warum?
NIEBEL: Weil wir 20 Jahre nach dem Mauerfall immer häufiger feststellen, dass die Strukturunterschiede nicht mehr nur zwischen Ost- und Westdeutschland bestehen sondern auch innerhalb des Ostens oder innerhalb des Westens. Manche Regionen in der ehemaligen DDR sind heute wirtschaftlich weitaus fortgeschrittener als beispielsweise das Emsland oder die Oberpfalz. Und umgekehrt gibt es natürlich Regionen in Westdeutschland, die stärker sind als beispielsweise die Uckermark.
Frage: Die Arbeitslosigkeit bleibt im Osten insgesamt höher. Die Produktivität ist dagegen geringer.
NIEBEL: 20 Jahre nach der Wende ist es dennoch schwierig, mit diesen Unterschieden ein wirtschaftspolitisches Gesamtkonzept speziell für "den Osten" zu rechtfertigen. Alle Regionen brauchen eine Steuerstrukturreform, die Investitionen und Konsum belebt. Alle Regionen in Deutschland brauchen einen Anwalt für bürgerliche Freiheitsrechte, weil ich immer noch davon überzeugt bin, dass diejenigen Ostdeutschen, die vor 20 Jahren auf die Straße gingen, das nicht taten, nur weil sie nach Mallorca fahren wollten, sondern weil sie Freiheit im gesamten Spektrum des gesellschaftlichen Lebens genießen wollten. Und mit der Freiheit ist es wie mit der Gesundheit: Man nimmt sie als selbstverständlich hin, solange man sie hat. Erst wenn sie weg ist, merkt man, was einem fehlt. Auch solche Gedanken um die Bürgerfreiheit werden Teil unserer Koalitionsgespräche sein, wenn es sie gibt.
Frage: Wenn es sie gibt... Derzeit liefern sich CDU und CSU einen saftigen Streit in der Europapolitik.
NIEBEL: Der Streit wurde von der hypernervösen CSU angefacht, und er zeigt großen Mangel an außenpolitischer Kompetenz und Erfahrung der Partei. Die CSU hat offenbar den Abgang von Edmund Stoiber noch immer nicht verwunden und bleibt auf ihrem Ego-Trip.
Frage: Gefährdet der Streit rund sechs Wochen vor der Wahl Ihr Ziel Schwarz-Gelb?
NIEBEL: Auf alle Fälle gewinnt dabei die CSU nichts. Es gibt eben einfach Dinge, die sollte man vor einer Wahl lassen.
Frage: Falls es zu Schwarz-Gelb kommt: Wird die FDP das Außenministerium beanspruchen?
NIEBEL: Wir halten es da mit der alten Regel: Das Fell des Bären wird verteilt, wenn er erlegt ist. Sie werden von mir zu diesem Thema heute nichts hören.
Frage: Falls es nicht zu Schwarz-Gelb kommt: Bleibt Dirk Niebel FDP-Generalsekretär?
NIEBEL: Das ist nicht meine Sorge. Ob so oder so - ich mache das gern und sehr erfolgreich, wie man an unseren Wahlergebnissen ablesen kann.
Frage: Ihre Einschätzung zur Wahl in Afghanistan, bitte.
NIEBEL: Bei allen Problemen: Ich glaube schon, dass die Wahl ein Fortschritt für das Land ist. Wir dürfen Afghanistan nicht sich selbst überlassen. In dem Fall gilt der Satz des ehemaligen Verteidigungsministers Peter Struck: Deutschlands Sicherheit wird auch am Hindukusch verteidigt.
Frage: US-Außenministerin Hillary Clinton bezeichnet Afghanistan als "Narco-Staat", die Taliban sind auf dem Vormarsch. Welchen Aussichten gibt es auf Erfolg?
NIEBEL: Das hängt davon ab, wie man Erfolg definiert. Ich habe die Vorstellung, dass aus Afghanistan eine Demokratie nach westlichen Maßstäben zu machen sei, immer schon für naiv gehalten. Dennoch glaube ich, dass wir mit der richtigen Politik und unserem Einsatz dort zu einem stabilen staatlichen Gefüge beitragen können.
Frage: Was läuft falsch?
NIEBEL: Deutschland hat sich zum Aufbau einer schlagkräftigen Polizei bereit erklärt. Doch die Bemühungen sind noch zu gering. Ich plädiere dafür, an diesem Projekt nicht nur die Bundeswehr zu beteiligen. Auch die Polizei der Länder und das BKA müssten viel stärker in diese Vorhaben einbezogen werden. Zudem braucht die Bundeswehr eine bessere Ausrüstung. Wir sollten das realistisch sehen und uns nicht selbst davor fürchten, dass die angemessene Ausrüstung so martialisch wirkt.
Frage: Den Konflikt also militarisieren?
NIEBEL: Im Gegenteil, wir müssen die zivile Komponente stärken. Eine den Aufgaben angemessene Ausrüstung für unsere Soldaten schließt das ja nicht aus.