NIEBEL-Interview für die "Frankfurter Rundschau"
Berlin. Das FDP-Präsidiumsmitglied Bundesentwicklungsminister DIRK NIEBEL gab der "Frankfurter Rundschau" (Montag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte TIMOT SZENT-IVANYI:
Frage: Herr Niebel, wieder hat das Militär in Mali einen Regierungswechsel erzwungen. Können die internationalen Zusagen zur Unterstützung des Landes, also die Entsendung von Militärberatern aus der EU und ein Militäreinsatz der westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft Ecowas, weiter gelten?
NIEBEL: Gerade jetzt ist es umso wichtiger, dass wir Mali helfen. Wir dürfen es nicht zulassen, nach Somalia einen weiteren Staat an islamische Extremisten zu verlieren. Ein neuer Regierungschef ist im Amt, und er hat zugesagt, die Wiedergewinnung des Nordens anzustreben und Wahlen abzuhalten. Ich sehe daher nicht, dass wir derzeit unsere Planungen für eine Unterstützung Malis ändern müssen.
Frage: Sehen Sie noch Chancen, den Konflikt im Norden mit den islamischen Milizen auf dem Verhandlungswege zu lösen und dadurch eine Militärintervention zu verhindern?
NIEBEL: Ich bin fest davon überzeugt, dass es gelingen wird, einige der Rebellengruppen durch politische Verhandlungen aus der Allianz im Norden heraus zu brechen. Ich befürchte aber, dass sich ein harter Kern von Terroristen nicht in diplomatischen Gesprächen umstimmen lässt. Daher ist wahrscheinlich ein militärisches Eingreifen der Afrikaner unumgänglich.
Frage: Mali galt als Musterstaat in Afrika. Wie konnte das Land so im Chaos versinken?
NIEBEL: In Mali ist das passiert, was das Herz eines Entwicklungspolitikers höher schlagen lässt: Die Regierung hat ihr Geld für eine Verbesserung der Lebensbedingungen der Bevölkerung eingesetzt und nicht etwa für den Kauf von Waffen. Doch das hat dazu geführt, dass das Militär zu schwach zur Abwehr war, als gut ausgebildete und ausgerüstete Gruppen etwa aus Libyen in das Land eingedrungen sind. Das wirft uns bei vielen Entwicklungsprojekten in Mali weit zurück. Und es erschwert die Argumentation gegenüber Staaten, die sich hochrüsten, statt das Geld für die Entwicklung des Landes auszugeben. Das ist fatal.
Frage: Hat die Entwicklungspolitik versagt?
NIEBEL: Nein, denn es würde ja wohl zu Recht einen Aufschrei geben, wenn Entwicklungsgelder von unseren Partnern für Rüstung ausgegeben würden. Aber jeder souveräne Staat, auch wenn es sich um ein Entwicklungsland handelt, hat das Recht und die Verpflichtung, seine Sicherheitsinteressen zu wahren. Es darf also, und das sage ich auch vor dem Hintergrund der hierzulande geführten Debatte über Rüstungsexporte,
nicht verteufelt werden, wenn Entwicklungsländer ihre Armeen richtig ausstatten. Diese Kosten müssen aber in einem angemessenen Verhältnis zu den Ausgaben für die weitere Entwicklung des Landes stehen. Das ist zugegebenermaßen ein schmaler Grat.
Frage: Auch Ägypten galt einst als Hoffnungsträger, nun will Präsident Mursi eine islamisch geprägte Verfassung und neue Machtbefugnisse für sich durchsetzen, was zu massiven Protesten geführt hat. Wie bewerten Sie die Situation?
NIEBEL: Die Veränderungen in Ägypten machen mir große Sorgen. Es besteht die Gefahr, dass das diktatorische System des gestürzten Präsidenten Mubarak wieder auflebt, nur diesmal mit anderen Personen. Davor kann ich nur warnen. Denn angesichts der fragilen Lage in den Nachbarländern - der Bürgerkrieg in Syrien, die riesigen Flüchtlingslager im Libanon und in Jordanien, der Konflikt im Gaza-Streifen - bedeutet die Instabilität Ägyptens ein enormes Sicherheitsrisiko über die Region hinaus.
Frage: Die SPD hat von der Bundesregierung verlangt, die Wahrung der Menschenrechte in Ägypten einzufordern.
NIEBEL: Dazu bedarf es keiner Aufforderung. Wir haben wegen der unklaren Lage die Regierungsverhandlungen über die Entwicklungskooperation, die Mitte Dezember stattfinden sollten, abgesagt. Auch der geplante teilweise Schuldenerlass wird nun erst einmal nicht kommen. Wir sind bereit, eine Transformation hin zu mehr Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in Ägypten zu unterstützen. Sie liegt in der Hand der ägyptischen Regierung.
Frage: Sie haben durchgesetzt, dass Entwicklungshilfe generell an die Beachtung der Menschenrechte geknüpft wird. Weil sie dadurch Gelder nicht ausgegeben haben, wurde ihr Etat gekürzt. War das also doch keine so gute Idee mit den Menschenrechten?
NIEBEL: Natürlich hätte ich die Mittel gern für andere Projekte investiert. Das hat der Bundestag aber anders entschieden, was ich nicht gut finden, aber akzeptieren muss. Aber wenn man es so zuspitzen möchte: Im Konfliktfall lasse ich mir lieber meinen Etat kürzen, als Gelder an Länder zu geben, in denen die Menschenrechte mit Füßen getreten werden.
Frage: Ist unter diesen Umständen die Zusage noch zuhalten, die Entwicklungshilfe bis 2015 auf 0,7 Prozent der Wirtschaftsleistung zu steigern?
NIEBEL: Man könnte durchaus fragen, warum die Hilfen für Griechenland hier nicht eingerechnet werden. Athen hat doch die gleichen Probleme wie viele Entwicklungsländer. Dann wäre die Quote längst übererfüllt.
Frage: Mit dieser Betrachtungsweise werden Sie sich wohl kaum durchsetzen können. Nochmal: Ist das 0,7-Ziel noch zu erreichen?
NIEBEL: Um die Quote zu erfüllen, müsste mein Etat bis 2015 um sieben Milliarden Euro aufgestockt werden. Meine politische Erfahrung sagt mir, dass das eine überaus sportliche Herausforderung ist. Für den Haushalt 2013 hat das Parlament entgegen dem Regierungsentwurf eine leichte Kürzung beschlossen. Wenn ein Pferd tot ist, sollte man absteigen.