30.08.2008FDP

NIEBEL: Interview für die "Berliner Zeitung"

Berlin. Der FDP-Generalsekretär DIRK NIEBEL gab der "Berliner Zeitung" (Samstags-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte HOLGER SCHMALE:

Frage: Herr Niebel, die Kaukasus-Krise ist derzeit das herausragende politische Thema. Macht die Bundesregierung alles richtig?

NIEBEL: Die Bundesregierung agiert nicht ungeschickt, aber sie macht auch nicht alles richtig. Es ist gut, dass die Bundesregierung die Gesprächskanäle in alle Richtungen offen hält. Aber es ist ein Fehler der Bundeskanzlerin, mancherorts verbal aufzurüsten. Wir brauchen eine einheitliche europäische Stimme, die auf starke Ergebnisse setzt statt auf starke Worte.

Frage: Sie stört Frau Merkels ungewöhnlich scharfer Ton gegenüber Moskau?

NIEBEL: Natürlich muss Russland auch gesagt werden, dass sein völkerrechtswidriges Vorgehen gegen Georgien nicht akzeptabel ist. Aber das ist nicht zuerst die Aufgabe der deutschen Bundeskanzlerin, sondern die der EU-Ratspräsidentschaft. Ich sehe hier eine Konfrontation zwischen den Führungsmächten der alten Blöcke, also Russland und den USA. Da sollte Europa in seiner Gesamtheit eine Mittlerrolle einnehmen, die Deutschland alleine nicht ausfüllen kann.

Frage: Ist das Ziel einer strategischen Partnerschaft Deutschlands mit Russland jetzt noch akzeptabel?

NIEBEL: Gerhard Schröder ist mir da zu weit gegangen, aber Russland, die USA und die EU müssen grundsätzlich ein gegenseitiges Interesse an einer vernünftigen Partnerschaft haben. Es gibt weltweite Probleme, die keine Seite für sich lösen kann, zum Beispiel die atomare Aufrüstung Irans oder die Instabilität der Atommacht Pakistan.

Frage: Haben Sie unabhängig von der Kritik am Vorgehen Verständnis für die Sicherheitsinteressen Russlands, das sich ja zunehmend von der Nato eingekreist sehen kann?

NIEBEL: Ich erinnere mich an die Zusicherung bei der deutschen Wiedervereinigung, dass es auf dem Gebiet der ehemaligen DDR keine Nato-Verbände geben wird. Dort gibt es auch bis heute kein Nato-Kommando. Aber das Bündnis hat sich wesentlich weiter nach Osten ausgedehnt, als damals absehbar gewesen ist. Wenn man dann noch das Raketensystem dazu nimmt, das die USA mit Polen und Tschechien aufbauen wollen, kann man schon begreifen, dass es ein gewisses Maß an Nervosität bei den Russen gibt. Diese Nervosität rechtfertigt keine militärische Intervention in Georgien, aber sie ist da und entfaltet eine schlimme Wirkung.

Frage: Halten Sie die ausdrückliche Zusicherung der Kanzlerin, dass Georgien und die Ukraine Mitglieder der Nato werden können, zum jetzigen Zeitpunkt für klug?

NIEBEL: Nein - oder können Sie sich einen Nato-Staat vorstellen, in dessen Hauptstadt es eine große Stalin-Statue gibt?

Frage: Die ließe sich ja beseitigen...

NIEBEL: Schon, aber die jetzigen Vorgänge zeigen ja ganz deutlich, dass die inneren Strukturen Georgiens das Land nicht beitrittsfähig machen.

Frage: Sehen Sie neben der verbalen Aufrüstung auch die Gefahr einer militärischen Aufrüstung?

NIEBEL: Ja. Man muss jetzt aufpassen, dass es nicht zu einer Aufrüstungsspirale kommt. Das Vorgehen unserer amerikanischen Freunde beim Raketensystem in Osteuropa ist offenkundig riskant. Sicherheitspolitik ist keine bilaterale, sondern eine gesamteuropäische Angelegenheit.

Frage: Was kann dagegen unternommen werden, und von wem?

NIEBEL: Die deutsche Außenpolitik sollte sich dringend an die Spitze neuer internationaler Abrüstungsinitiativen stellen. Das braucht einen langen Atem, bis es Früchte trägt, aber es ist bitter nötig, damit endlich wieder anzufangen.

Frage: Der andere Krisenherd ist Afghanistan. Muss das Einsatzkonzept angesichts der zunehmenden Gewalt geändert werden?

NIEBEL: Wir sollten in Afghanistan tun, was der dortigen Zivilbevölkerung hilft, und nicht das, wozu uns Terroristen mit Bomben drängen wollen. Die Afghanen müssen die öffentliche Sicherheit und Ordnung selbst wirkungsvoll gewährleisten können. Das setzt eine Verschiebung des Schwerpunkts des deutschen Engagements hin zu einer deutlich verstärkten Polizeiausbildung voraus. So lange die Terrorgefahr fortbesteht, wird es sich leider vermutlich niemals verhindern lassen, dass auch unbeteiligte Personen gefährdet werden.

Frage: Wird die FDP der Verlängerung und Ausweitung des Mandats im Herbst zustimmen?

NIEBEL: Wir werden das Mandat sorgfältig prüfen. Auslandseinsätze wie der in Afghanistan eignen sich nicht für innenpolitische Spielchen.

Frage: Zur Innenpolitik: Ihr Wunschkoalitionspartner CSU macht durch allerlei populistische Aktionen im bayerischen Wahlkampf von sich reden. Wie gefällt Ihnen das?

NIEBEL: Die CSU agiert wie ein aufgeschreckter Hühnerhaufen, das ist ein wirkliches Drama. Sie glaubt offenbar, dass die bayerischen Wähler die Politik der CSU in Berlin nicht mitbekommen haben. Wer wie die CSU 19 Steuererhöhungen im Kabinett, im Bundestag und im Bundesrat mitbeschließt und dann ruft: Haltet den Dieb, der kann gar nicht mehr glaubwürdig sein.

Frage: Sie wollen spätestens im nächsten Jahr mit einer unglaubwürdigen Partei regieren?

NIEBEL: Unser wichtigster Koalitionspartner sind die Wähler. Spätestens bei der Hamburg-Wahl haben wir gesehen, dass wir uns nur auf eines verlassen können, auf unsere eigene Stärke. Das ist auch die Voraussetzung dafür, dass diejenigen in der Union, die noch einen Hauch von Sinn für die soziale Marktwirtschaft haben, sich wieder heraustrauen aus ihrer Überwinterung.

Frage: Sie verlassen sich nicht auf die Aussage der CDU-Vorsitzenden, sie strebe eine schwarz-gelbe Koalition an?

NIEBEL: Ich glaube, dass Frau Merkel schwarz-gelb möchte, aber sich als Machtmensch auch ganz bewusst verschiedene Möglichkeiten geschaffen hat. Deshalb ist unser Ziel, so stark zu werden, dass man bei einer Regierungsbildung an uns nicht vorbeigehen kann.

Frage: Sie fürchten weitere schwarz-grüne Koalitionen wie in Hamburg?

NIEBEL: Die schwarz-grüne Koalition in Hamburg wird offenbar ganz wesentlich durch Geheimabsprachen zusammen gehalten. Schwarz-gelbe Landesregierungen haben solche Spielchen nicht nötig. Ole von Beust sollte den Schneid haben, etwaige Nebenabsprachen zum Beispiel zum Kraftwerk Moorburg offen zu legen.

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